Bestand
Reichsministerium für Wiederaufbau (Bestand)
Geschichte des Bestandsbildners:
Das Reichsministerium verdankt seine Entstehung vorwiegend
parteipolitischen Rücksichten. Als die Deutsche Demokratische Partei am
02.10.1919 als Koalitionspartner wieder die Regierungsverantwortung
übernahm, erhielt sie entsprechend Ihrer Stärke im Reichstag außer der
Stellvertretung des Reichskanzlers drei Ministersitze, die im amtierenden
Kabinett teils durch Neubildung bereitgestellt wurden. Die Folge war die
Bildung eines neuen Reichsministeriums für Reparationsangelegenheiten. Am
21.10.1919 wurde Dr. Otto Gessler (21.10. bzw. 07.11.1919 - 26.03.1920 im
Reichskabinett Gustav Bauer) zum ersten Reichsminister dieses Ressorts
ernannt. Die Funktion übten weiterhin aus:
Dr.
Walther Rathenau (28.05. - 25.10.1921 im 1. Reichskabinett Dr. Josef
Wirth),
Dr. Heinrich Friedrich Albert (29.03. -
12.08.1923 im Reichskabinett Dr. Wilhelm
Cuno),
Robert Schmidt (13.08. - 29.11.1923 im
1. und 2. Reichskabinett Dr. Gustav Stresemann).
Durch Erlass des Reichspräsidenten vom 07.11.1919 (RGBl. S. 1875)
wurde das Reichsministerium für Wiederaufbau zur Durchführung der dem
Deutschen Reich durch den Friedensvertrag von Versailles (28.06.1919) auf
wirtschaftlichem Gebiet auferlegten Verpflichtungen de iure errichtet.
Eigentlich war es das Ministerium für Reparationsangelegenheiten, denn
der Wiederaufbau galt den ehemaligen westlichen Kriegsgebieten außerhalb
des Reiches.
Folgende Aufgaben wurden dem neuen
Ministerium übertragen:
· die unmittelbare
wirtschaftliche Wiedergutmachung (Teil VIII des Friedensvertrages),
· der Ausgleich von Forderungen und Schulden gegenüber
den bisher feindlichen Staaten (Teil X Abschnitt 3 des
Friedensvertrages),
· die Abwicklung der
Liquidationen (Teil X Abschnitt 4 des Friedensvertrages),
· die Entschädigung der Auslands-, Kolonial- und
verdrängten Deutschen,
· der Ausgleich der
Kriegsschäden der deutschen Reedereien (See- und Binnenschifffahrt sowie
Fischerei).
Diesem Aufgabenkreis war die
Organisation des Ministeriums angepasst, die während der ganzen Dauer
seines Bestehens kaum verändert wurde:
Abteilung
A:
Wirtschaftliche Wiedergutmachung einschließlich
des Wiederaufbaus der zerstörten Gebiete, insbesondere Rücklieferungen
und Reparationslieferungen.
Abteilung B:
Liquidationen, Entschädigungen, Vorkriegsschulden.
Abteilung C:
Ablieferung von See-
und Binnenschiffen; Kriegsschäden der See- und Binnenschifffahrt.
Abteilung C 1:
Ablieferung von
Fischereifahrzeugen; Kriegsschäden der Seefischerei.
Abteilung D:
Personalangelegenheiten.
Abteilung E:
Finanzielle
Angelegenheiten.
Abteilung F:
Juristische Angelegenheiten.
Generalreferat
G:
Allgemeine Angelegenheiten und Angelegenheiten
betreffend den Friedensvertrag.
Abteilung K:
Kolonialzentralverwaltung als Abwicklungsstelle des
früheren Reichskolonialministeriums (seit 01.04.1920).
Zur Beratung in Fragen der wirtschaftlichen Wiedergutmachung stand
dem Ministerium ein Beirat für Wiedergutmachungsfragen zur Seite. Dieser
setzte sich aus Mitgliedern des Reichsrats und aus Vertretern der
Reichstagsfraktionen und der interessierten Wirtschaftskreise zusammen.
Die erste Sitzung hielt der Beirat am 26.04.1920 ab. Es folgten nur noch
wenige weitere. Auch scheint die Bedeutung des Beirats nur gering gewesen
zu sein.
Das Reichsministerium für Wiederaufbau
stand während seines ganzen Daseins im Schatten des Auswärtigen Amtes und
des Reichsfinanzministeriums, aus deren Aufgabengebieten gewisse Teile
abgetrennt worden waren, um dem neuen Ressort eine Grundlage zu
geben.
Auch durch die Hinzunahme der
Abwicklungsaufgaben des mit Wirkung vom 01.04.1920 aufgelösten
Reichskolonialministeriums wurde diese Grundlage nicht günstiger. Im
Gegenteil, die Abhängigkeit vom Auswärtigen Amt, aus dem das
Reichskolonialamt bzw. -ministerium erst 1907 hervorgegangen war, wurde
noch fühlbarer. Es hing ganz wesentlich von der Persönlichkeit und der
Amtsführung der Wiederaufbauminister ab, in welchem Maße sich das neue
Ressort zwischen und neben den anderen Reichsministerien behaupten,
seinen Platz ausbauen und damit seine Daseinsberechtigung beweisen
konnte. Es ging letztlich darum, ob das Wiederaufbauministerium in dem
für Deutschlands Schicksal so wichtigen Reparationsproblem eine führende
Rolle übernehmen oder ob es in außenpolitischer Beziehung nur der
"verlängerte Arm" des Auswärtigen Amtes, in finanzieller nur
"ausführendes Organ" des Reichsfinanzministeriums sein sollte. Diese
Aufgabe war nach dem ungünstigen, parteipolitisch bedingten Start des
Wiederaufbauministeriums und seiner Stellung zwischen zwei Ministerien
von überragendem Gewicht höchst schwierig.
Dementsprechend schwankte bei den jeweiligen Regierungsparteien die
Wertschätzung des Wiederaufbauministeriums. Die Neigung einen Minister
dafür zu repräsentieren war stets gering. So mußte das Ministerium in den
4 ½ Jahren seiner Existenz insgesamt drei Jahre lang ohne Minister
auskommen.
Die Amtszeit von Gessler prägte dem
Ministerium entscheidende Strukturen auf, die bis zuletzt beibehalten
wurden. Die höchste politische Rolle spielte es unter Rathenau. Er
erreichte in den beiden Protokollen des Wiesbadener Abkommens vom 06. und
07.10.1921 immerhin erstmals eine deutsch-französische Übereinstimmung
über einen Plan für deutsche Sachlieferungen (Wiederaufbaumaterial) an
Frankreich; diese Lieferungen waren zeitlich und wertmäßig begrenzt,
nicht mehr wie bisher ungemessen. Für eine zentralisierte Ausführung der
deutschen Reparationsleistungen wurden zwei große Organisationen in
Deutschland und Frankreich vorgesehen.
Die
tatsächliche Leitung des Reichsministeriums für Wiederaufbau lag von
Anfang bis zum Ende im Wesentlichen in den Händen des einzigen
Staatssekretärs Dr. Ing. E. h. Gustav Müller, dessen Verantwortung um so
größer war, als das Ministerium meistens keinen Minister hatte.
Nach dem Abbruch des passiven Widerstandes im Ruhrkampf
(26.09.1923) und der Stabilisierung der deutschen Währung (20.11.1923)
beschloss die Reparationskommission am 29.11.1923, zwei internationale
Sachverständigenausschüsse einzusetzen, um künftig Reparationszahlungen
auf neuer Basis zu regeln. Die Vorschläge des Reichsministeriums für
Wiederaufbau zur Neuregelung der Bearbeitung der bisher von ihm
wahrgenommenen Angelegenheiten sollten seine weitere Existenz sichern. Im
Gegensatz dazu traten das Auswärtige Amt und das Reichsfinanzministerium
für die Auflösung des Wiederaufbauministeriums ein. Schließlich lieferten
die seit der Schaffung der Rentenmark eingeleiteten Sparmaßnahmen
innerhalb der Reichsverwaltung die Begründung für die Auflösung des
Ministeriums. Durch die Verordnung des Reichspräsidenten vom 08.05.1924
(RGBl. I S. 443) wurde am 11.05.1924 das Ministerium, lange bevor der
Dawes-Plan als Neuregelung des Reparationsproblems am 01.09.1924 wirksam
wurde, aufgelöst.
Die Angelegenheiten des
Reichsministeriums für Wiederaufbau übernahm fast ausschließlich das
Reichsfinanzministerium, in dessen nachgeordnetem Geschäftsbereich sich
zuletzt noch von 1930 bis 1933 die Restverwaltung für Reichsaufgaben mit
der Abwicklung der Reparations- und Kolonialangelegenheiten befassen
musste.
Bestandsbeschreibung:
Bestandsgeschichte
Das Schriftgut des
Reichsministeriums für Wiederaufbau und der meisten seiner nachgeordneten
Dienststellen war zum großen Teil schon vor Kriegsausbruch vom
Reichsarchiv Potsdam übernommen worden. Die Ministerialakten sowie die
Unterlagen des nachgeordneten Bereichs des Treuhänders für das feindliche
Vermögen haben den Krieg überdauert und lagerten im Zentralen
Staatsarchiv Potsdam unter der Bestandssignatur 33.01.
Dagegen wurden die Akten von 13 nachgeordneten Behörden und
Dienststellen nicht verlagert und verbrannten Anfang April 1945 bei der
Zerstörung des Reichsarchivs Potsdam. Vernichtet wurden damals folgende
Bestände:
Reichsentschädigungskommission
Reichskommissar bei dem Ausschuss zur Feststellung
von Kriegsschäden in Ostpreußen
Reichskommissar für die Liquidation ausländischer Unternehmen
Reichskommissar zur Erörterung von Gewalttätigkeiten
gegen
deutsche Zivilpersonen in Feindesland
Reichsausschuss für Schiffsbau und
Schiffsablieferung
Reichskommissar für die
Rücklieferung von Eisenbahnmaterial
Deutsch-Französische Möbelausfuhrkommission Kehl
Reichsrücklieferungskommission
Deutsche
Kohlenkommission Essen
Reichsausgleichsamt
Reichsentschädigungsamt
Staatskommissar für die Wiederherstellung der
Universitätsbibliothek Löwen
Archivische
Bewertung un Bearbeitung
Die im Frühjahr 1955 vom
Bundesfinanzhof in Bonn an das Bundesarchiv in Koblenz abgegebenen
Archivalien waren unter der Bestandssignatur R 38 zusammengefasst.
Im Zuge der Vereinigung beider deutscher Staaten konnten
beide Teile des Reichsministeriums für Wiederaufbau unter der nunmehr
gültigen Signatur R 3301 wieder zusammengeführt werden.
Der ehemalige Koblenzer Teilbestand wurde umsigniert und dem
Potsdamer Teil angeschlossen, d.h. die Koblenzer Signaturen wurden mit
der Zahl 2000 addiert (Beispiel: alt R 38 / 3 - neu R 3301/2003).
Die überlieferten Akten entstammen vor allem aus den
Bereichen Generalreferat G und Ministerialregistratur. Vereinzelt wurden
die Akten vom später für die Aufgabenerledigung zuständigen
Reichsfinanzministerium weitergeführt, verblieben jedoch wegen des
Entstehungszusammenhanges bei der Überlieferung des Reichsministeriums
für Wiederaufbau und haben somit eine abweichende Laufzeit. Einige Bände
sind älteren Datums; sie wurden z.T. schon bei Kriegsausbruch 1914 im
Reichsamt des Innern begonnen, seit 1917 im Reichswirtschaftsamt
weitergeführt und 1919 dem Wiederaufbauministerium übergeben.
Inhaltliche Charakterisierung: Den
Schwerpunkt der Überlieferungen bilden die Akten des Generalreferats,
Materialien zu Entschädigungen, Liquidationen, Reparationen, Sanktionen,
Restitutionen und Substitutionen sowie zu Zerstörungen und
Entschädigungsansprüche. Darüber hinaus sind vor allem Unterlagen zu
Haushalt, zur Organisation und Durchführung des Wiederaufbaus
überliefert.
Erschließungszustand: Findbuch
2004
Zitierweise: BArch R
3301/...
- Bestandssignatur
-
Bundesarchiv, BArch R 3301
- Umfang
-
2296 Aufbewahrungseinheiten
- Sprache der Unterlagen
-
deutsch
- Kontext
-
Bundesarchiv (Archivtektonik) >> Norddeutscher Bund und Deutsches Reich (1867/1871-1945) >> Wirtschaft, Rüstung, Landwirtschaft
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Letzte Aktualisierung
-
16.01.2024, 08:43 MEZ
Objekttyp
- Bestand
Beteiligte
- Reichsministerium für Wiederaufbau (RMfWA), 1919-1924
Entstanden
- 1919-1924 (mit Vorakten)