Bestand

Regierung/Landesregierung Lippe - Finanzabteilung (Bestand)

Finanzabteilung, Geschäftsbetrieb, Beamtenangelegenheiten 1919-1949, 1972 (72); Reichsfinanzen, Reichssteuern, Zollwesen 1851-1949 (297); Lippischer Staatshaushalt und Landesvermögen, Fiskalprozesse 1870-1955 (528); Steuern, Gebühren, Kassen, kommunales Finanzwesen 1791, 1854-1952 (477); Lotterien 1828-1946 (29); Münzwesen 1860-1943 (8).

Bestandsgeschichte: 1924 gebildet; 1947 Übergang an die Regierung Detmold.

Form und Inhalt: Vorbemerkung

Das vorliegende Findbuch verzeichnet die Akten der lippischen Regierung / Landesregierung - Finanzabteilung (Bestand L 80.18, bisher L 80 II b).

Geschichte des Finanzwesens

Im 19. Jahrhundert vollzog sich in Deutschland die Entwicklung hin zum "Steuerstaat", zu einem Staat also, der seine Ausgaben in der Hauptsache nicht mehr mit Hilfe wirtschaftlicher Eigeneinnahmen bestreitet (Domänen, Forsten, Salinen, Eisenbahnen), sondern in immer höherem Maß auf die Besteuerung wirtschaftlicher Vorgänge und des Vermögens sowie der Einkünfte seiner Bürger zurückgreift.

Die Finanzverfassung des Deutschen Reichs und seiner Länder unterschied sich in der Republik nach 1918 grundlegend von derjenigen des Kaiserreichs mit seinen Staaten. Die Weimarer Verfassung gab dem Reich die Steuerhoheit und schuf die Grundlage für die Errichtung der Reichsfinanzverwaltung (Gesetz über die Reichsfinanzreform vom 10.09.1919, Reichsgesetzblatt I S. 1591). Das Reich erhielt die Gesetzgebungskompetenz für die Erzielung seines Finanzbedarfs und das Recht, unter gewissen Bedingungen Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebung von Landesabgaben aufzustellen. 1919/20 erfolgte unter maßgeblicher Gestaltung von Reichsfinanzminister Erzberger eine Reichsfinanzreform, deren Kernstück eine neue Erbschafts- sowie Einkommen- und Körperschaftssteuergesetzgebung war.

Das bisherige System wurde nunmehr "auf den Kopf gestellt". Das Reich war nicht mehr Kostgänger der Staaten, vielmehr wurden die Länder Kostgänger des Reichs. Die Umgestaltung des Landessteuerrechts war daher eine der wichtigsten Aufgaben der lippischen Finanzverwaltung. Im August 1919 wurde Landessteuerdirektor Dr. Müller in das neue Amt des Leiters des lippischen Steuerwesens berufen, er sollte die Grundsätze zur Durchführung der Reformen entwerfen.

Aufgrund des Landessteuergesetzes (Finanzausgleichsgesetz) des Reiches vom 30. März 1920 wurde 1921 ein lippisches Ausführungsgesetz erlassen, dem u.a. 1924 ein Gesetz über die Verteilung der Reichseinkommen- und Körperschaftssteuer sowie Gesetze und Verordnungen zur Grundwertsteuer und zur Grunderwerbssteuer, zur Gewerbe- und Berufssteuer, zur Wandergewerbe- und Wanderlagersteuer, zur Fahrzeugsteuer u.a. folgten (Übersicht über die lippische Steuergesetzgebung [Landessteuern / Gemeindesteuern] mit Angabe der Fundstellen in L 80.18 Nr. 930).

Im Jahre 1924 wurde im Zuge einer Neuordnung und Vereinfachung der Verwaltung des Landes die bisherige einheitliche Regierung mit einer zentral geführten Registratur in Abteilungen gegliedert (siehe dazu L 75 Gr. IV.1 Nr. 20 und 23, L 80 I a Gr. II.5 Nr. 1, 2, 4, 15). Leiter der Finanzabteilung wurde der Jurist Bruno Kirchhof aus Brake (geboren 1890, seit 1920 Regierungsassessor, ab 1921 Regierungsrat file://fn@01 auf einer neu geschaffenen Stelle) bis zu seiner Entlassung durch die Militärregierung im August 1945.1)

In der NS-Zeit wurden die Landesregierungen in ihrer Haushaltsgebarung dem Reich unterstellt. Die eigenen Einnahmen der Länder wurden zentral gesteuert. Den Finanzausgleich zwischen Reich und Ländern regelte ausschließlich das Reich. Parlamentarische Haushaltskontrolle fand nicht mehr statt, einziges Kontrollorgan blieb der Rechnungshof.

Nach Ende der NS-Herrschaft errichtete die Britische Militärregierung mit Wirkung vom 1. März 1946 die Leitstelle der Finanzverwaltung für die Britische Zone (Finanzleitstelle) mit Sitz in Hamburg. Ihr waren die Oberfinanzpräsidenten unterstellt.

Nach der Vereinigung des Landes Lippe mit dem Land Nordrhein-Westfalen gingen Aufgaben und Tätigkeiten der Finanzabteilung auf die neu eingerichtetet Bezirksregierung Detmold über, soweit sie nicht dem neu errichteten Landesverband Lippe (LVL) zufielen (an den auch die entsprechenden Akten abgegeben wurden).

Die ursprüngliche Ordnung des Bestandes nach Gruppe, Titel und Nummer wurde grundsätzlich beibehalten. Nur die Gruppe "Verschiedenes" (enthaltend Allgemeines und Organisatorisches) wurde vorangestellt. Als Grundlage für die Verzeichnung diente das Behördenrepertorium. Vom LVL 1985 zurückgegebene Akten konnten entsprechend zugeordnet werden. Bei der Verzeichnung stellte sich heraus, dass viele Akten - offensichtlich bereits bei oder vor der Abgabe an das Archiv - durcheinandergeraten waren und der Inhalt manches Aktendeckels ganz oder teilweise aus Vorgängen anderen Inhalts bestand als durch die Beschriftung angegeben (einige Faszikel oder Schriftstücke gehörten sogar in den Bestand Wirtschaftsabteilung/Altsignatur II(a) - der Buchstabe wurde von den Registratoren häufig weggelassen). Dies wurde soweit möglich berichtigt oder durch Hinweise klargestellt. Einige bei der Verzeichnung zunächst fehlende Akten des alten Findbuchs konnten so wieder ermittelt werden. Viele Akten waren in sich mehr oder weniger stark verunordnet.

Registraturgeschichte

Der Großteil der hier verzeichneten Akten gelangte mit dem Zugang 68 ("Reponierte Regierungsregistraturen der alten Regierungsabteilungen des Landes Lippe") im Februar 1957 als Abteilung II b vom Regierungspräsidenten Detmold ins Archiv. Vorhandene Akten sind im Behördenrepertorium mit einem roten Punkt markiert, fehlende mit einem roten x (siehe Vorbe-merkung zum alten Findbuch L 80 I c, S. 9). Vorakten befinden sich in den Beständen L 79 und L 77 A (bei der Verzeichnung in der Regel vermerkt). Manchmal sind Verbleib oder Band-zählung unklar. Vielfach findet sich der Vermerk "Zur Nebenregistratur abgegeben". Diese Unterlagen sind offenbar verlorengegangen, in der gelegentlich so bezeichneten Statistikabteilung (früher L 79 IV) befinden sie sich jedenfalls nicht (es gab 3 Nebenregistraturen!).

Nach Bildung des Landesverbandes wurden Akten betr. das Vermögen des Landes Lippe an diesen abgegeben. Im Zuge einer anderen Aussonderung wurden sie dort vom früheren Kollegen Dr. Helmert-Corvey entdeckt und 1985 - wegen Eilbedürftigkeit ohne Listen - in mehreren Zugängen übernommen (insgesamt ca. 53 Archivkartons); Einzelheiten sind nicht mehr feststellbar. Die Zuordnung zum Bestand erfolgte durch Dr. Helmert-Corvey und Dr. Niebuhr.

Verzeichnung

Die Akten Nr. 1 - 223 verzeichnete Frau Dr. Fleckenstein, die auch Notizen zur Vorbemerkung beisteuerte, den Rest der unten Genannte. Ein großer Teil der Akten betrifft die Durchführung von Gesetzen und Verordnungen zu den entsprechenden Steuern. Diese Gesetze usw. werden im Aktentitel - im Gegensatz zum alten Repertorium - in der Regel nicht mehr extra erwähnt. Zahlreiche im 19. Jahrhundert angelegte Akten, deren Laufzeit vor Einrichtung der Finanzabteilung 1924 endet (und die daher eigentlich in den Bestand L 79 gehören) sind im Bestand verblieben. - Im Jahre 2009 wurden bei der Verzeichnung bisher unbearbeiteter Teile des Bestands L 84 (Hofgericht) 4 Kartons Fiskalprozesse (Wahrnehmung fiskalischer Interessen des Landes Lippe) angefügt (Nr. 1267 ff.)

Inhalt

In den hier verzeichneten Akten spiegelt sich die Durchführung des Reichsfinanzreform wider, auch die Durchführung der Notverordnungen des Reichspräsidenten in Lippe, insbesondere zur Unterstützung von Erwerbslosen.

Eine lippische Besonderheit waren die Wanderarbeiter, zu denen zeitweise fast ein Drittel der erwerbstätigen männlichen Bevölkerung gehörte. Im Frühjahr gingen sie außer Landes auf Saisonarbeit und kehrten erst im Herbst wieder in ihre lippischen Wohnsitzgemeinden zurück. Dies war unter steuerpolitischen Aspekten für das Land sehr problematisch. Die persönlichen Steuerleistungen der Wanderarbeiter kamen so nicht restlos ihrem Heimatstaat zugute, auch flossen keine Steuerleistungen aus den Unternehmungen nach Lippe, in denen lippische Wanderarbeiter beschäftigt waren. Hierbei handelte es sich um die vielfältigen direkten Reichs- und Landessteuern, aber auch um Realsteuern, die in vielen Gemeinden nicht un-erheblich waren. Andererseits trug das Land Lippe die volle Last der sozialen Fürsorge für die Wanderarbeiterfamilien. In Krisenzeiten reichten deren Ersparnisse in der Regel nicht zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs für die Zeit nach der Rückkehr. Mitte der 1920er Jahre wurde Lippe dadurch besondern hart betroffen. Vielfältige Bemühungen um Erlangung eines Ausgleichs auf Reichsebene für diese strukturelle Benachteiligung führten nicht zum Erfolg. Dabei wurden verschiedenste Hilfsmaßnahmen erwogen, z.B. Ödlandkultivierung, aber auch Förderung der Ostsiedlung.

Linderung der finanziellen Bedrängnis des Landes brachte die "Entdeckung" des bisher nicht angewendeten Paragraphen 35 des Reichsfinanzausgleichsgesetzes durch den Vorsitzenden des lippischen Landespräsidiums Heinrich Drake. Hiernach war ein um mehr als 20 % unter dem Durchschnitt der Summe der Anteile aller Länder pro Kopf der Gesamtbevölkerung liegender Anteil eines Landes an der Einkommensteuer vom Reich auszugleichen. Die Durchsetzung dieses Anspruchs verschaffte Lippe wenigstens "ausreichende Zuweisungen" (Drake), wenn auch die Regelung in den folgenden Jahren zu Ungunsten der Länder geändert wurde. Die angestrebte völlige Streichung der § 35 gelang dem Reich nicht.

Über den rein finanztechnischen Aspekt hinaus bietet der Bestand auch noch viele Informationen zur Wirtschaftspolitik (Unternehmensbeteiligungen) und zum allgemeinen politischen Geschehen.




Detmold, im März 2004 / September 2009

gez. Arno Schwinger

1) 1932 wurde Kirchhof Oberregierungsrat, 1940 Regierungsdirektor.

Bestandssignatur
L 80.18
Umfang
322 Kartons = 1311 Archivbände 1791, 1828-1958, 1972. - Findbuch: L 80.18.
Sprache der Unterlagen
German

Kontext
Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe (Archivtektonik) >> 1. Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe >> 1.1. Land Lippe (bis 1947) >> 1.1.2. Verwaltung, Justiz >> 1.1.2.2. Allgemeine und innere Verwaltung >> 1.1.2.2.3. Regierung / Landesregierung
Verwandte Bestände und Literatur
Drake, Heinrich, Die lippische Landesverwaltung in der Nachkriegszeit, Detmold 1932; Ellwein, Thomas, Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungsentwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen-Lippe. Band 1: Die öffentliche Verwaltung in der Monarchie 1815-1918, Opladen 1993. Band 2: Die öffentliche Verwaltung im gesellschaftlichen und politischen Wandel 1919-1990, Opladen 1997; Staatshandbuch für das Land Lippe, Detmold 1929.

Heinrich Drake (Hrsg.), Die Lippische Landesverwaltung in der Nachkriegszeit. Detmold 1932 (Seite 85-167)
Thomas Ellwein, Der Staat als Zufall und als Notwendigkeit. Die jüngere Verwaltungs-entwicklung in Deutschland am Beispiel Ostwestfalen-Lippe. Band 2. Opladen 1997 (Seite 164-190)

Bestandslaufzeit
1791, 1828-1958, 1972

Weitere Objektseiten
Geliefert über
Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
Letzte Aktualisierung
23.06.2025, 08:11 MESZ

Datenpartner

Dieses Objekt wird bereitgestellt von:
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Abteilung Ostwestfalen-Lippe. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.

Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1791, 1828-1958, 1972

Ähnliche Objekte (12)