Tektonik
10.00 Oberkirchenrat Schwerin
Tektonikbeschreibung: Im Hinblick auf die bevorstehende Trennung von Staat und Kirche hatte Großherzog Friedrich Franz II. am 14. Dezember 1848 eine dreiköpfige vorläufige Kirchenkommission eingesetzt. Sie sollte die Grundlagen für die Herauslösung der kirchlichen Verwaltung aus der staatlichen schaffen. Bis dahin war die Mecklenburg-Schwerinsche Landesregierung mit dem Ministerium für Geistliche Angelegenheiten für die kirchliche Verwaltung verantwortlich gewesen. Die treibende Kraft in ihr war der Schweriner Superintendent Theodor Kliefoth, der für die theologischen und Verfassungsfragen zuständig war. Er verfolgte mit Entschlossenheit das Ziel, die Kommission zu einer ständigen Landeskirchenbehörde zu machen. Hinzu kam, dass auch das inzwischen in Kraft getretene Staatsgrundgesetz die Trennung von Staat und Kirche proklamierte. Am 7. Oktober 1849 legte die Kirchenkommission dem Großherzog deshalb die Vorschläge für die Einrichtung einer ständigen Landeskirchenbehörde vor.
Am 19. Dezember 1849 wurde durch Erlass die Auflösung der Kommission zum 1. Januar 1850 und die Errichtung des Oberkirchenrats (OKR) als ständige Behörde bekannt gegeben. Der OKR erhielt die Kirchengewalt und die Kirchenverwaltung endgültig übertragen, während die Landesregierung künftig nur noch die kirchlichen Hoheitsrechte des Oberbischofs ausübte. Der OKR war und blieb eine Kollegialbehörde. Zur seiner Leitung wurde der Präsident der Kirchenkommission Justizrat Kaysel berufen. Führender Kopf der neuen Behörde blieb freilich Theodor Kliefoth. Sein von dieser Position aus straff geführtes kirchliches Erneuerungswerk sollte der Landeskirche für lange Zeit ihr unverkennbares eigenes Gepräge verleihen. Als zweiter theologischer Rat trat Präpositus zur Nedden aus Grevesmühlen hinzu. Mit der Errichtung des OKR als unmittelbar unter dem Großherzog stehende kirchliche Oberbehörde für die innere Verwaltung der ev.-luth. Landeskirche im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin begann ein gänzlich neuer Abschnitt in der Geschichte der Landeskirche Mecklenburg-Schwerins. Waren bis dahin alle kirchlichen Angelegenheiten von der großherzoglichen Regierung geregelt worden, so wurde jetzt der Kirche selbst das Recht zur Gestaltung ihrer Verhältnisse übertragen. Ein erster wichtiger Schritt zur Trennung von Staat und Kirche war vollzogen. Die hauptsächlichen kirchenregimentlichen Funktionen des OKR waren:
1. in Bezug auf die kirchlichen Ämter: die Ernennung der mecklenburg-schwerinschen Mitglieder des Konsistoriums, der theologischen Prüfungsbehörden, der Superintendenten, Präpositen, Kirchensekretäre sowie Kirchenökonomen und Provisoren in den Städten, die Präsentation bei Kirchen mit landesherrlichem Patronat, die Emeritierung, die Bestellung von Pfarrvikaren und Hilfspredigern, der Auftrag zur Bestellung und Entlassung der niederen Kirchendiener, die Zulassung zu den theologischen Prüfungen, die Aufnahme unter die Kandidaten, der Auftrag zur Einführung in das Pfarramt und zur Ordination;
2. Oberaufsicht über die kirchliche Vermögensverwaltung;
3. Aufrechterhaltung der Kirchenordnung;
4. Dienstaufsicht über die nachgeordneten Behörden, Geistlichen, niederen Kirchendiener und Beamten;
5. kirchliche Organisation, Änderung der Pfarrsprengel, Bestätigung kirchlicher Stiftungen, Auftrag zur Weihe von Kirchen etc.
Mit der Verfassung von 1921 blieb der OKR die oberste Aufsichts- und Verwaltungsbehörde der neu gefassten Landeskirche, musste jedoch Zuständigkeiten an den neuen Landesbischof abtreten. Erster Vorsitzender des OKR wurde der Landesbischof. Der zweite Vorsitzende war der Oberkirchenratspräsident, der ein nichtgeistliches Mitglied des OKR sein musste. Der Präsident und die übrigen Mitglieder des OKR wurden auf Grund gemeinsamer Beratung des OKR und des Synodalausschusses auf Lebenszeit gewählt. Dem Synodalausschuss stand die Auswahl aus den ihm vom OKR vorgeschlagenen Personen zu. Er konnte weitere Vorschläge verlangen. Der OKR bestellte die erforderlichen Kanzleibeamten. Zu den Geschäftsbereichen des OKR gehörten insbesondere:
1. die Vorbereitung der Landessynode, ihre rechtzeitige Berufung und die Vorbereitung der an sie gelangenden Vorlagen;
2. die Ausführung der Beschlüsse der Landessynode;
3. die Wahrung und Fortbildung der gesamten kirchlichen Ordnung nach Maßgabe der Verfassung und der Kirchengesetze;
4. die Aufsicht über Lehre und Kirchenzucht;
5. die Vertretung der gesamten kirchlichen Rechte nach innen und außen;
6. die Wahrnehmung der kirchlichen Interessen in der Öffentlichkeit.
1934-1945 war der OKR dem Führerprinzip unterworfen und weitgehend gleichgeschaltet. Die Vereinigung der beiden mecklenburgischen Landeskirchen Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz 1934 bedeutete keinen Bruch in der Entwicklung der Aufgaben und Zuständigkeiten. Der Sitz war Schwerin, in Neustrelitz befand sich eine Außenstelle.
Nach Kriegsende übernahm der Landesbruderrrat der Bekennenden Kirche die Neuorganisation der Landeskirche. Seit 1972 wurde die Stellung des OKR durch das Leitungsgesetz bestimmt. Danach leitete er die Landeskirche in Partnerschaft mit der Landessynode, dem Landesbischof und der aus allen drei Gremien besetzten Kirchenleitung. Nach § 18 Abs. 1 Leitungsgesetz hatte der OKR dafür zu sorgen, dass der kirchliche Dienst in allen seinen Aufgabengebieten auftrags- und ordnungsgemäß wahrgenommen wurde. Aus dem Aufgabenspektrum des OKR ist insbesondere zu nennen, dass er außer der rechtlichen Vertretung der Landeskirche die Verwaltung leitete und die Jahresrechnung führte. Er hatte die Aufsicht im Rahmen der kirchlichen Ordnungen und des allgemeinen Rechts. Dabei wirkte er mit der Landessynode und den weiteren Leitungsorganen der Landeskirche zusammen, z.B. bei der Vorbereitung der kirchlichen Gesetzgebung. Dem OKR war die Aufsicht über die kirchlichen Mitarbeiter, über die Verwaltung der kirchlichen Werke, örtlichen Kirchen, Kirchengemeinden, Propsteien und Kirchenkreise, kirchlichen Stiftungen und über weitere Einrichtungen in der Landeskirche übertragen, wobei Zuständigkeiten für die Dienstaufsicht davon unberührt blieben. Der OKR hatte Verwaltungsaufgaben in eigener Zuständigkeit, war aber auch Genehmigungsbehörde für Beschlüsse des Kirchgemeinderates in den Fällen, in denen dies kirchengesetzlich vorgesehen war. Dem OKR oblag die Rechtsaufsicht in Form der Fachaufsicht über die Kirchenkreisverwaltungen auf Kirchenkreisebene sowie die Dienst- und Fachaufsicht über das die Daten der Kirchenmitglieder verwaltende Kirchliche Meldeamt. Weiter nahm der OKR die Aufsicht wahr, die sich für die Landeskirche aus der Verbindung zu kirchlichen Zusammenschlüssen, anderen Landeskirchen und zur Ökumene ergaben.
Er bestand bis 2012. Pfingsten 2012 fusionierte die Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs mit der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche und der Pommerschen Ev. Kirche zur Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland. Entsprechend wurde das Landeskirchenamt der Nordkirche geschaffen, in dem der OKR aufging und somit seine Existenz nach etwa 170 Jahren beendet wurde.
NB: Dem OKR wurde von der Regierung auch Bestände mit bereits vor 1850 ge-schlossenen Generalakten übergeben, der für die Arbeit des Oberkirchenrats als un-erlässlich angesehen wurden. Diese wurden in der Tektonik des Landeskirchlichen Archivs auf Grund der rein staatlichen Provenienz in eine Bestandsgruppe nicht landeskirchlicher Stellen eingereiht.
- Kontext
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Landeskirchliches Archiv der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland (Archivtektonik) >> 1 Landeskirchen vor 2012 >> 10 Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs (1549-2012)
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01.07.0004, 01:41 MEZ
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