Figur

Heilige Agnes

Die kompakte Figur zeigt die im klassischen Kontrapost stehende heilige Agnes. In der ausgestreckten und leicht gesenkten rechten Hand befand sich ursprünglich ein Palmzweig; mit der unter dem Mantel hoch erhobenen linken hält die Heilige ihr Hauptattribut, das Lamm Gottes, fast in Höhe ihrer Schulter. Die Höhendifferenz beider Hände ist ebenso auffällig wie die Verhüllung der linken Hand durch den Mantel – ein traditionelles Motiv der Ehrerbietung gegenüber einem kostbaren Objekt, dessen direkte Berührung respektvoll vermieden wird. Es spricht einiges dafür, dass die Agnes ursprünglich in einem Retabel gestanden hat, und zwar nicht in der Mitte, sondern zur Rechten einer zentralen Darstellung, vielleicht einer Muttergottes, oder weiter außen. Indizien für eine Retabelfigur sind neben Material und Maße die Aushöhlung der Rückseite, Vernachlässigung der Vollprofile, Blockhaftigkeit, eine schlichte und wenig ausgreifende Krone sowie die kalkulierte Augenhöhe des Betrachters etwa im Bereich der Knie der Heiligen. Nur aus dieser oder einer etwas niedrigeren Position, die in etwa der des Gläubigen vor einem Figurenretabel mit Predella entspricht, wirken die ungewöhnlich geformten Augen wie überhaupt die Gesichtsproportionen befriedigend. Auf die Platzierung zur Rechten einer Hauptfigur oder -gruppe weisen die Ausrichtung nach rechts, das Präsentieren des Lamms indiese Richtung und die etwas ideenlose Gestaltung des linken Halbprofils, das für den zentral stehenden Betrachter nicht einsehbar gewesen wäre. Das zu rekonstruierende Retabel wird nicht allzu groß gewesen sein, ein Seitenaltar kommt ebenso infrage wie der Hauptaltar einer kleineren Kirche oder Kapelle. Verwandte blockhafte Figuren, Gesichtstypen und Faltenmotive finden sich in Tirol. Mit den gesicherten Werken von Hans von Judenburg, der ab 1421 für wenige Jahre in Südtirol (Bozen) gearbeitet hat, kann die Berliner Agnes zwar nicht in Verbindung gebracht werden, doch lässt sich bei ihr eine Tendenz zur Vereinfachung und Verflachung – eines der charakteristischen Gestaltungsprinzipien dieses Meisters – feststellen. (Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen und im Alpenraum 1380 bis 1440. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2019)

Vorderseite | Fotograf*in: Marion Böhl

Public Domain Mark 1.0

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Material/Technik
Lindenholz, gefasst und vergoldet
Maße
Gewicht: 6,2 kg
Höhe: 79,5 cm
Breite: 30 cm
Tiefe: 19 cm
Standort
Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
5601
Sammlung
Skulpturensammlung (SKS)

Klassifikation
Figur (Sachgruppe)

Ereignis
Erwerb
(Beschreibung)
Erworben 1909 von der Kunsthandlung Julius Böhler in München; frühere Provenienz unbekannt.
Ereignis
Herstellung
(wer)
(wo)
Süddeutschland
Alpenländisch (Tirol)
(wann)
um 1425

Letzte Aktualisierung
03.05.2023, 09:49 MESZ

Objekttyp


  • Figur

Beteiligte


Entstanden


  • um 1425

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