Tektonik

Altwürttembergische Lagerbücher


Inhalt und Bewertung
Lagerbuch, Renovation und Erneuerung sind die im württembergischen Bereich geläufigen Ausdrücke für das, war im bayerisch-österreichischen Raum als Urbar, sonst auch als Rodel, Salbuch, Berain, Gültbuch, Zinsbuch, Erbbuch oder Register bezeichnet wird. Lagerbücher enthalten amtliche, im allgemeinen systematisch angelegte Aufzeichnungen über die Besitzungen, Rechte und Einkünfte einer Herrschaft in einem bestimmten Bezirk. Zur Verwaltung und Rechtssicherung einst verfaßt und sorgfältig aufbewahrt, stellen sie heute eine hervorragende Quelle der Territorial-, Wirtschafts-, Orts- und Bevölkerungsgeschichte dar. Die Lagerbücher aller altwürttembergischen Bestände sind in dieser, die aller neuwürttembergischen Bestände in der folgenden Bestandsgruppe (VIII) vereinigt. Dies ist das Ergebnis einer umfassenden Neuordnung in den Jahren zwischen 1950 und 1960, bei der verschiedene ältere Lagerbuchreihen aufgelöst und alle Archivbestände systematisch nach weiteren Lagerbüchern durchsucht worden sind. Heute umfaßt der Gesamtlagerbuchbestand (H 101-237) 13 897 Bände im Umfang von 719,80 laufenden Regalmetern.
Folgende ältere Reihen sind im heutigen Lagerbuchselekt aufgegangen:
1. Das altwürttembergische Archivmembrum der "weltlichen Lagerbücher". Es war eine von vornherein für das Archiv bestimmte Reihe aller für die Oberämter (Kellereien) hergestellten Lagerbücher. Nachträglich wurden vereinzelt auch Konzepte und Mehrfertigungen eingefügt. Nach 1806 führte man die Reihe weiter, indem man Lagerbücher neu erworbener Herrschaften anschloß, wobei man als Gliederungsprinzip vielfach nicht die Provenienz, sondern die Lokalpertinenz der Oberämter wählte. Der so entstandene Mischbestand verschiedenster Herkunft umfaßte 1910 2096 Bände und erhielt 1938 die Signatur H 1.
2. Das altwürttembergische Archivmembrum der "geistlichen Lagerbücher". Es umfaßte die Archivexemplare der Lagerbücher des Kirchengutes, ebenfalls erweitert um einige Mehrschriften. Diese Reihe wurde 1806 abgeschlossen und erhielt 1938 die Signatur A 461.
3. Die "Dublettenreihe". Sie wurde 1908 begründet, um die Reihen der weltlichen und geistlichen Lagerbücher von Mehrfertigungen zu befreien. Sie umfaßte 1924 zusammen 819 Bände, kam später nach Ludwigsburg und erhielt 1938 die Signatur H 6.
4. Die Lagerbuchreihe des ehemaligen Finanzarchivs. Sie bildete sich im 19. und 20. Jahrhundert aus den Abgaben der Kameralämter und enthielt sowohl altwürttembergische Lagerbücher aus den Registraturen der lokalen Ämter wie neuwürttembergische Bände. Sie war uneinheitlich - zum Teil nach älteren Ämtern und Herrschaften, zum Teil nach neueren Kameralämtern - geordnet. Etwa 8000-9000 Bände umfassend, kam sie nach Auflösung des Finanzarchivs an das Staatsarchiv Ludwigsburg und wurde der Bestandsgruppe H 6-10 zugewiesen.
5.Die "Sonderreihe" des Staatsarchivs Ludwigsburg. Ihre Anlage wurde um 1930 begonnen, offenbar mit der Absicht, aus der Reihe des Finanzarchivs jene Lagerbücher auszusondern, die im Hauptstaatsarchiv in keinem Exemplar vorhanden waren. Sie gedieh auf 157 Stück.
6. Neue Reihen entstanden durch die Auflösung des Mischbestandes H 1 (siehe unter Nr. 1). K.O. Müller trennte in der Zeit von 1940 bis 1951 die neuwürttembergischen von den altwürttembergischen, gab diesen die Signatur A 295 und bildete für jene mehrere Reihen mit den Signaturen B 1-5.
Im Juli 1950 wurden die Ludwigsburger Reihen (Nr. 3-5) nach Stuttgart überführt, und damit stellte sich die Frage einer neuen einheitlichen, von den Zufällen der Überlieferung unabhängigen, in sich konsequenten Gesamtgliederung. Man erwog auch die völlige Auflösung der Selektbildung und die Zuordnung der Lagerbücher zu den betreffenden Registraturen, wie es Paul Härle 1938/39 für die Klöster Ellwangen und Schussenried getan hatte. Doch man gab diese Überlegung wieder auf, weil die Selekte eine alte Tradition haben und ein erheblicher Restbestand geblieben wäre. Aber die nebeneinander bestehenden Reihen wurden zu einer einzigen vereinigt, und deren Hauptgliederungsprinzip wurde die Provenienz. Die neue Anordnung richtete sich nach den vorarchivischen Verwaltungen, nach den Herrschaften und Ämtern, für die und bei denen die Bände einst entstanden und verwahrt worden sind. "Auf diese Weise wurde erreicht, daß die Selektreihe im Grunde nichts anderes darstellt als räumlich besonders magazinierte Archivalien" (F. Pietsch, ZWLG 1968, S. 371). Die Folge der Lagerbuchprovenienzen orientiert sich an der Gesamtgliederung der alt- und neuwürttembergischen Bestände (der A- und B-Reihe). Die altwürttembergischen Lagerbücher sind nach Verwaltungen unterteilt, wobei die großen Gruppen der "weltlichen" Oberämter und der Kirchengutsverwaltung am Anfang stehen. Die neuwürttembergischen sind nach Herrschaften gereiht, und zwar in ständischer Folge, zuerst die der weltlichen, dann die der kirchlichen Herrschaften.
Die Umstellung und Neuaufstellung des riesigen Bestandes nach der neuen Klassifikation wurde in dem Jahrzehnt von 1950 bis 1960 von mehreren Mitarbeitern unter Leitung von F. Pietsch in der Hauptsache durchgeführt. Gleichzeitig durchforschte man die Aktenbestände und Amtsbücherserien systematisch nach weiteren Lagerbüchern und sonderte dabei etwa 1500 Exemplare aus. In den folgenden Jahren wurden weitere Bereinigungen der neuen Selektreihen im einzelnen vorgenommen. In einer nochmaligen größeren abschließenden Aktion brachte Herbert Natale 1977/78 den über 4000 Einheiten umfassenden Bestand H 102 (bei dem die Stuttgarter und Ludwigsburger Bände großenteils noch immer getrennt waren) entgültig in Formation, signierte ihn wie auch den Bestand H 218 und überprüfte außerdem den Gesamtbestand auf Reihenfolge und Numerierung. Das Gesamtselekt verteilt sich auf die Signaturen H 101-237.
Die von F. Pietsch entworfene Gesamtgliederung der Lagerbücher wird im wesentlichen Bestand haben. Ihr Vorzug ist, daß sie konsequent vom Provenienz- und Registraturprinzip ausgeht, so daß er Bezu zu den zugehörigen Akten- und Urkundenbeständen leicht herstellbar ist. Die starke Aufgliederung in Teilgruppen erschwert allerdings die Überschaubarkeit des Gesamtbestands. Die in dieser Übersicht eingeführten Gruppenüberschriften sollen den Überblick über die zahlreichen Reihen erleichtern. Am wenigsten befriedigt das von Pietsch gewählte Signaturensystem. Er teilte im allgemeinen nicht den einzelnen Lagerbuchprovenienzen (Herrschaften, Verwaltungen) Bestandssignaturen zu, sondern ganzen Provenienzgruppen. Innerhalb dieser Gruppen werden die Bände, zum Teil mit springenden Nummern, durchgezählt. In einigen Fällen wich Pietsch von diesem Verfahren selbst ab und gab Einzelprovenienzen doch besondere Signaturen (H 140-172, H 182-205), behandelte aber dennoch nicht sie, sondern die Provenienzgruppen als einheitliche Bestände. Noch angreifbarer ist die bei der Reihe der neuwürttembergischen Klöster angewandte Methode, Gruppen nach den Anfangsbuchstaben zusammenfassen und mit Signaturen zu versehen. Bei künftigen Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten wird man die Signierung neu überdenken. Beim Bestand H 102 (Geistliche Lagerbücher) und H 107 (Forstlagerbücher) wurden inzwischen statt der ursprünglich vorgesehenen Durchnumerierung Zwischennummern für die einzelnen Verwaltungen eingeführt - ein Verfahren, das sich auch für andere Reihen empfiehlt.
F. Pietsch leitete gleichzeitig mit der Neugliederung auch eine Neuverzeichnung ein. Er entwarf versuchsweise vier Verzeichnungsformen, die sich durch ihre Ausführlichkeit voneinander unterscheiden. Die Praxis zeigte bald, daß nur eine Kurzform die Aussicht eröffnet, größere Teile des Gesamtselekts in absehbarer Zeit definitiv zu verzeichnen. Unter Leitung von F. Pietsch, G. Richter und H. Natale haben inzwischen eine größere Zahl von Mitarbeitern (meist Hilfs- und Anlernkräfte) den Gesamtbestand in vorläufiger Konzeptform aufgenommen. Fertige Repertorien liegen freilich bisher nur für die Lagerbücher der neuwürttembergischen Klöster u nd Stifte (H 219-236) und die der Universität Tübingen (H 104) vor.
Im Jahre 1974 entwarfen H.-M. Maurer und H. Natale auf Grund der bisherigen Erfahrungen neue "Richtlinien zur Kurzverzeichnung von Lagerbüchern". Danach wurden bisher die Forstlagebücher (H 107) und einige kleinere Bestände verzeichnet, die "Geistlichen Lagerbücher" (H 102) sind in Bearbeitung.

Kontext
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Archivtektonik) >> Selekte

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Letzte Aktualisierung
20.01.2023, 15:09 MEZ

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