Bestand
Reichskammergericht (Bestand)
Enthält: Prozeßakten von Streitigkeiten der Stadt Bremen, Vereinigungen oder einzelnen ihrer Bürger untereinander wie mit Auswärtigen, insbesondere um Schuldforderungen, Besitz- und Gerichtsbarkeitsrechte, in Ehe-, Vormundschafts- und Erbschaftssachen und in Zunft- und Gewerbesachen
Geschichte des Bestandsbildners: Längere Ausführungen zur Geschichte und Funktion des Reichskammergerichts, das durch den Reichstagsabschied von 1495 eingerichtet wurde und nach anfänglich wechselnden Gerichtsorten bis 1689 in Speyer, danach bis 1806 in Wetzlar seinen Sitz hatte, erübrigen sich hier. Hingewiesen wird insbesondere auf Rudolf Smend: Das Reichskammergericht. Weimar 1911 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit Bd. IV, 3). Neudruck 1965 (klassische, nicht überholte Darstellung)
Alexander Brunotte und Raimund J. Weber: Akten des Reichskammergerichts im Hauptstaatsarchiv Stuttgart A-D. Stuttgart 1993 (Veröff. der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 46/1) (mit ausführlicher Einleitung über das Reichskammergericht und sein Archiv, die Zuständigkeit, Prozessgang, Prozessarten, Aussagekraft der Akten usw.)
ferner zur kurzen Information auf die einschlägigen Artikel im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte.
Geschichte des Bestandsbildners: Die sachliche Zuständigkeit des Reichskammergerichts in der ersten Instanz galt für alle Zivilklagen (einschließlich Injurienklagen) gegen Inhaber der Reichsunmittelbarkeit, außerdem für Klagen gegen jedermann wegen Landfriedensbruchs. (Dies und das Folgende nach der Einleitung von A. Graßmann zum Findbuch der Reichskammergerichtsakten im Archiv der Hansestadt Lübeck, bearb. v. Hans- Konrad Stein-Stegemann, Bd. 1, Schleswig 1987, S. VII f., Veröff. des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs 18.) Im Mandatsprozess konnte das Gericht angerufen werden, wenn es um eine einstweilige Verfügung (Mandat) ging, was jedoch die Nachprüfung in einem ordentlichen Verfahren nicht ausschloss. Sonst war das Reichskammergericht Berufungsgericht für Zivilklagen in zweiter oder auch dritter Instanz gegen richterliche Entscheidung landesherrlicher Gerichte, hier fast ausschließlich des Bremer Rats. Das Appellationsprivileg Karls V. für Bremen vom 15. Juli 1541 hatte zur Folge, dass für eine Berufungsmöglichkeit ein Streitwert von 600 Rheinischen Gulden überschritten sein musste. Als Beschwerdeinstanz fungierte das Reichskammergericht in Fällen von Rechtsverschleppung und -Verweigerung zuständiger Gerichte.
Bestandsgeschichte: Während der Zeit seines Bestehens sind am Reichskammergericht wohl an die 100 000 Prozesse geführt worden. Nach dem Ende des alten Reiches setzten bald Überlegungen ein, was mit den Akten geschehen solle. In Bremen fanden Verhandlungen darüber seit 1808 in den Akten ihren Niederschlag (2-K.4.-23). Geschätzt wurde der Gesamtbestand damals auf 80 000 Akten. 1821 entstand eine Reichskammergerichts-Archiv-Commission, die ein Generalrepertorium anlegen sollte, und 1823 erhielt Bremen ein Verzeichnis des Hofrats Dietz, das die Prozesse mit Beteiligung der Stadt Bremen auflistete. Einzelne Akten sind bereits zu der Zeit (und auch schon vorher) nach Bremen gelangt (B 87, B 88). Die Arbeiten der Archivkommission schritten nur langsam fort. 1838 berichtete Bürgermeister Johann Smidt, der damals die Stimmführung für die drei Hansestädte beim Deutschen Bund ausübte, "daß durch Abforderung solcher Acten etwas mehr Raum gewonnen würde, um die im Jahr 1808 in Fässern von Speyer und Aschaffenburg nach Wetzlar transportierten alten Acten nur aufstellen zu können. Man habe sie zwar aus den Fässern herausgenommen, diese seyen jedoch eigentlich nur umgestürzt und alles auf einen Haufen geschüttet" worden. In Wetzlar scheine "ziemlich viel Confusion zu herrschen", und man begreife nicht recht, "wie man sich ein vollständiges Verzeichniß soll verfertigen lassen können, wenn die Acten nur theilweise aufgestellt sind und zur completen Aufstellung kein Platz vorhanden ist". (Zit. nach Graßmann (wie Anm. 1), S. VIII f.)
Bestandsgeschichte: Die von der Bundesversammlung 1845 beschlossene Aufteilung konnte sich auf die dann doch abgeschlossene Ordnung stützen. Maßgeblich für die Aufteilung war der Wohnort des Beklagten. Die einzelnen Regierungen sollten Verzeichnisse der sie betreffenden Akten abfordern und mit der Übernahme der Akten die Transportgebühren entrichten. Bremen wurde die erste Lieferung mit Akten der Buchstaben A-D 1847 angekündigt: "Die diesmalige Sendung wird ungefähr drei Centner betragen" (2-K.4.-23). 1852 erfolgte die Abgabe der letzten Akten des Bremer Anteils. Der Archivar Johann Daniel Noltenius, selbst promovierter Jurist, hielt die Akten nur in sehr eingeschränktem Maße für archivwürdig. In seinem ersten Bericht an den Senat vom 4. Oktober 1847 empfahl er, "den bei weitem größten Theil derselben nach sorgfältiger Prüfung als ganz ohne Interesse sofort zu cassiren". Der Senat beschloss am 27. Oktober 1847, den Archivar antragsgemäß zur Aktenvernichtung zu ermächtigen mit dem Vorbehalt, dass zuvor etwaigen Interessenten Gelegenheit gegeben werden sollte, sich zu melden. Und so wurde dann auch verfahren. Die Aktenberichte des Noltenius mit seiner Bewertungsentscheidung (in: 2-K.4.-23) sind heute für die kassierten Akten eine wichtige Ersatzüberlieferung, da sie z. T. Angaben enthalten, die über das Wetzlarer Repertorium hinausgehen. Manche Entscheidungen erfolgten recht willkürlich : So sind in derselben Sache, einem Erbschaftsstreit, zwei Prozesse aufbewahrt (P 14, P 15), ein dritter kassiert worden (B 23). Von den 458 Prozessakten, 9 Extrajudizialsachen und 11 Einzelstücken, die das Wetzlarer Repertorium für Bremen verzeichnet, verblieben nach Durchsicht 162 Prozessakten, 3 Extrajudizialsachen und 2 Einzelstücke. Diese wurden, so gut es ging, nach sachlichen Zusammenhängen in das Bremer Ratsarchiv eingeordnet, "ad loculos gelegt", wie es heißt. Der nicht zuzuordnende Rest wurde als Aktensammlung unter 2-K.6. Reichskammergericht formiert, wo auch schon entsprechende Parteiakten
Bestandsgeschichte: des Bremer Rats untergebracht waren. Sieben der verbliebenen Prozeßakten wurden bereits bei einer Bestandsrevision 1871 vermisst.
Mit dem Einzug des Provenienzprinzips im Staatsarchiv Bremen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wurde begonnen, die Akten mit Hilfe des Wetzlarer Repertoriums wieder zu einem Provenienzbestand "Reichskammergericht" zusammenzuführen. Diese Arbeiten wurden in den Jahren 1979 ff. intensiviert und im wesentlichen zum Abschluss gebracht. Die erfolgte Vermischung mit Parteiakten ließ sich allerdings nicht immer revidieren. Der so formierte Bestand 6,1 Reichskammergericht wurde 1981/82 von Dr. Angelika Bischoff, geb. Urack, mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft inventarisiert nach Richtlinien, die für ein umfassendes Inventarisierungsprojekt entwickelt worden waren. Die Inventarisierungsbögen wurden von mir als zuständigem Archivar durchgesehen, aber nicht in jedem einzelnen Punkt überprüft. Hinzugefügt wurden Angaben zu den kassierten Akten, um nicht hinter den Informationsgehalt des Wetzlarer Repertoriums zurückzufallen. Diese Angaben stammen sowohl aus den Berichten des Noltenius (in: 2-K.4.-23) als auch aus dem Wetzlarer Repertorium; bei divergierenden Schreibweisen von Namen wurde Noltenius als dem mit den Bremer Verhältnissen besser Vertrauten der Vorzug gegeben.
Bestandsgeschichte: Ergänzend ist ferner als Angebot für den Bremer Benutzer ein Auszug aus dem in Frankfurt/Main verwahrten Generalrepertorium erstellt worden, der Prozesse mit Bremer Beteiligung oder Bremer Betreff erfasst, die nicht nach Bremen abgegeben wurden. Er ist dem Inventar als Anhang beigefügt. Dass die vorgesehene Publikation des Inventars nicht so zügig wie erhofft erfolgte, hatte den Vorteil, dass so auch die 1987 und 1990 aus der DDR bzw. der UdSSR zurückkehrenden Akten noch bearbeitet und eingefügt werden konnten. Die verschiedenen Verzeichnisse und Indices orientieren sich an den Vorgaben, die für das gesamte Inventarisierungsprojekt der DFG entwickelt wurden.
Literatur zum Reichskammergerichtsarchiv allgemein:
Walter Latzke: Das Archiv des Reichskammergerichts. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. Bd. 78, 1961, S. 321-326.
Literatur zum Inventarisierungsprojekt der DFG u. a.:
Hans-Konrad Stein: Neuverzeichnung der Akten des Reichskammergerichts im Staatsarchiv Hamburg und Archiv der Hansestadt Lübeck. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 14, 1982, S. 30-34.
Bremen, im Juli 1994 Andreas Röpcke
2014 wurde das bestehende Findmittel gescannt, per OCR bearbeitet und die Verzeichnungseinheiten im die Archivsoftware konvertiert. Bei der redaktionellen Überarbeitung sind die Abkürzungen und Siglen aufgelöst worden, die Anhänge blieben unberücksichtigt. Die Angaben zu nicht mehr vorhandenen Akten sind im Verzeichnis belassen, die Signatur steht in diesen Fällen in Schrägstrichen.
Dezember 2016, Brigitta Nimz
- Bestandssignatur
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6.1
- Umfang
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8
- Kontext
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Staatsarchiv Bremen (Archivtektonik) >> Gliederung >> 6. Besondere staatliche Stellen mit Zuständigkeit in Bremen >> 6.6. Verfassung, Recht und Justiz
- Verwandte Bestände und Literatur
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Literatur: Inventar der Bremer Reichskammergerichtsakten, bearb. von Andreas Röpcke und Angelika Bischoff, Bremen 1995 (Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen, 22)
- Bestandslaufzeit
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1521-1806
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Letzte Aktualisierung
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30.06.2025, 11:55 MESZ
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Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- 1521-1806