Liebs Tulle, Dein Brief recht zum Sonnt kommen...

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Transkription: 8 Juni 1920 Liebs Tulle, Dein Brief recht zum Sonnt kommen, heut Dienst' der andre, ganz andre. Hast ein großen Tag ghabt im Münster bei Händel. Hätt auch gern ghört, wär gern derjenige gwest der auf der Steinfließe saß. - Dein Schimpfbrief hat mich sehr verlustiert. Bist reingfallen, auf den Leim gangen. Ja spucken, hauen wenns ging übern Rhein! Aber hast Dich dann schön erholt und ein sehr sehr schönen Schluß gmacht. Soeben war die Mutter Tutein da! Vom Wildbad herübergfahren, hatt in Leonberg was zu besorgen. Hätt seit 3, 4 wochen nichts ghört, wär in einer Unruh - hab sie beruhigt und ist nach 1/2 Stund wieder fort. Kam grad mit dem Kartoffeltopf vom Keller rauf, wollt kochen, ich im Russkittel - naja wieder ein schlechter Eindruck von dem Menschen! - Sah den Eisschrank stehen, sie brauch ihn so notwendig wegen viel Besuch den Sommer, soll ihn wenn Du einverstanden schicken, du kriegest was andres dafür, Glasschränkchen glaub ich; - auch der Kasten vom Vater! möcht gern zu Haus haben aber will noch überlegen. Tulle, eins! tu nicht schimpfen und nicht heimschreiben davon gelt! Ich sollt es Dir nicht schreiben daß die Mutter da war, habs aber doch ausbedungen. Glaubt übrigens nicht daß Du Stellung kriegst, sei ausgeschlossen. Neu! Casca sagt, Du könntest Casca General Vertretung für Schweiz übernehmen, hättest vollauf damit zu tun. Könntst da nicht pro Forma als Mädchen bei irgendwem sein, Vollenweider, Zwicky oder so? Das wär doch fein. Wärst freier Herr Deiner Zeit und hättst deine Beschäftigung. Überleg! Casca-Bürkle nicht rosig. klagt sehr über Bürkle. hat auch gesprochen mit ihm. Sei eben ganz unselbstständig u nicht so daß Casca allmählich ihn allein machen lassen könne. Casca-Burgers. War nah an Krach. Burger schafft nix, kommt immer nur zum Caffee u Essen runter, Casca verliere dadurch Lust an der Arbeit die er sich um jeden Preis erhalten wolle u müsse. - Jezt wieder glücklich beigelegt durch meine bewährte Kunst der Vermittlung!! Lachst? Es ist natürlich bei Burgers etwas da, das immer da sein wird u vielleicht doch noch Anlaß wird zu ernstem Conflikt. Aber es muß jezt eben die Sache geschafft werden u Casca wird nicht locker lassen. Meyer hat schrieben; in sehr verzwicktem Stil aber einigs läßt mich sehr froh sein: er sehe die Möglichkeit einen Kameraden auf einem Weg zu einem gewissen Ziel zu bekommen. (Heißt sehr viel nach dem Vorangegangenen letzten Sommer u. nach Meyers Tat). Von Dir schreibt er nichts, was nicht heißt, daß du nicht kommen sollst. Wirds vielleicht noch, da er auf vieles noch nciht antwortete in meinem Brief; geh also hin so en passant. Heut wieder erster schöner Tag! Sonne, nach ganz kalten Tagen. Muß so viel schreiben daß nicht zum Baden komme. Morgen. Dresdener Ausstellung erst Juli voraussichtl. Werd dann hinfahren mit Baumei u Hoffmann besuchen. Dieser schreibt ob Du nicht kommen wollest u in der Druckerei arbeiten. Desgl. Schleicher. Er will u mit allen möglichen Mitteln auch solchen die mir nicht gefallen (im Brief) Verbindung u Bindung meiner sich vergewissern. Ich werd ihm absagen. Dresdener Museumsdirektor will Bild "Plan mit Figuren" d.h. Copie davon für 1000M kaufen. Werd es machen, brauch Geld. Schrieb sehr fein mit mich überraschendem Verständnis für meine Art. - Baumei: arbeitet nicht weil ich nicht arbeite hat Lenzle vor die Tür gsetzt (zunächst Ateliertür) weil Tut in der Schweiz ist, liest Philosophie, will Blockhaus am Bodensee - hab ihm die Gründe meiner Zurückgezogenheit u gegenwärtigen Art zu sein dargelegt weil ich das Gefühl hatte er könnt es falsch deuten. Leb wohl, Tull, wachs' u blühe und werd ein tapferer Mensch. Kuß u Gruß Dein Bosk [Randnotiz: Sollt es zu keinem Sonntagsbrief von mir reichen sei nicht traurig. Muß vielerlei tun. Casca-Album? Kam Kunstblatt?]

Angaben zum Objekt

• Sammlung: Archiv Oskar Schlemmer
• Inventarnummer: AOS 2015/1572
• Material/Technik: Papier; Tinte

Beteiligte, Orts- und Zeitangaben

• Ereignis: Herstellung
• (wer): Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943) ; Tut Schlemmer (12.11.1890 - 25.04.1987)
• Provenienz: Abschrift vorhanden; Ordner 1920-1926

Weitere Informationen

• Rechteinformation: Staatsgalerie Stuttgart
• Letzte Aktualisierung: 28.03.2025, 12:10 MEZ