Von Tinte und Teufel – die kurze Geschichte einer antiken Schreibflüssigkeit

12.03.2020 Wiebke Hauschildt (Online-Redaktion)

Nicht allen ist die Anekdote bekannt, dass der deutsche Schriftsteller Günter Grass seine Tinte selbst gewann, indem er Tintenfische „molk“. Vor der Küste Portugals schwamm er im Sommer den unfreiwilligen Tintenproduzenten so lange hinterher und ärgerte sie, bis diese ihren natürlichen Abwehrmechanismus – die Tintenabsonderung – aktivierten. Sodann fing er die Tinte schnell auf und schwamm zurück an Land, um sie ihrem bekannten Zweck zuzuführen. Sein 1990 entstandener Band „Totes Holz“ oder die 1988 veröffentlichten Kalkutta-Blätter hat er mit der Sepia-Tinte der portugiesischen Tintenfische gezeichnet. 

Günter Grass war weder der erste noch der einzige, der diese, im Übrigen hochsensiblen, Tiere gejagt hat, um sie wegen ihrer Tinte anzuzapfen. Nachfolgend soll allerdings nicht nur die Geschichte der Sepia-Tinte erzählt werden, sondern die der Tinte an sich.

Von der Rußtinte zur Tintenpatrone, vom Papyrus zum Papier

Bereits 3.000 Jahre v. Chr. verwendeten die Ägypter Tinte: Als „Rußtinte“ bekannt, wurde sie aus Ruß, Wasser und Gummi arabicum hergestellt. So beschrieben sie Papyrus mithilfe von Binsen als Schreibutensil. Ähnlich zeitig wie die Ägypter – ab circa 2.600 v. Chr. – nutzten auch die Chinesen Tinte, welche beim Verbrennen von Lack und Nadelholzkohle entstand, um diese dann mit einem Bambusstab auf Seide aufzutragen. Die Tinte der Ägypter war jedoch langlebiger, da sie Öl hinzufügten: Noch heute sind deshalb original beschriftete Papyri erhalten. 

Während die Nordeuropäer noch die Stein-und-Meißel-Variante nutzten, um ihre Gedanken festzuhalten, wurde auch im alten Griechenland und in Italien bereits Tinte hergestellt und verwendet. Der römische Autor Cicero (106 – 43 v. Chr.) berichtete erstmals von einem Rezept, das die Herstellung von Sepia-Tinte beschrieb. Demnach musste die Tintenblase des Tintenfischs getrocknet und gemörsert werden, um sie anschließend mit Wasser und Bindemittel anzurühren. 

Sowohl Ruß- als auch Sepia-Tinte waren für das Schreiben auf Papyrus geeignet, da sich beide leicht abwaschen ließen und das wertvolle Papyrus wiederverwendet werden konnte. Die Schreibunterlage änderte sich erst mit dem Aufkommen des Pergaments. Seit dem 4. Jahrhundert wurde dieses dünne, beidseitig beschreibbare Kalbsleder hauptsächlich für den Schriftverkehr genutzt. Weiterer Vorteil: Es war im Gegensatz zu Papyrus äußerst haltbar und wetterbeständig. Zusammengeschnürt ergab es dann – welch glückliche Entdeckung – das Buch.

Zwei Weiterentwicklungen revolutionierten das Schreiben und seine Haltbarkeit in Europa endgültig: Das Papier und die Eisengallustinte. Obwohl die Chinesen das Papier bereits 100 v. Chr. erfunden hatten, wurde es erst im 13. Jahrhundert in Europa eingeführt. Und auch die Erfindung der bis dato langlebigsten Tinte – der Eisengallustinte –, die auch die Römer schon kannten, trat ihren Siegeszug erst im Mittelalter an. Dafür ist sie noch heute die einzige Tinte, die als „dokumentenecht“ gilt. Zu den wichtigsten Werken, die mit Eisengallustinte geschrieben wurden, gehören u.a. die Magna Carta, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, einige Zeichnungen von Leonardo da Vinci, Rembrandt, van Gogh und Partituren von Johann Sebastian Bach. 

Die Eisengallustinte hat allerdings auch den einen oder anderen Nachteil: So setzt sie beim Altern Schwefelsäure frei, welche das Papier zersetzt – eine Katastrophe für beispielsweise Bachs Partituren. Ein weiterer Nachteil kam zutage, als die Schreibfedern ab Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr aus Gänsekielen bestanden, sondern aus Stahlfedern. Die Ursprungsrezeptur der Eisengallustinte ließ die Stahlfedern innerhalb kürzester Zeit verrosten. 

Die Weiterentwicklung der Tintenrezeptur konnte jedoch auch ein weiteres Problem nicht lösen: Den Klecks. Die Verwendung der Schreibfeder zusammen mit dem Tintenfass resultierte meist, oder sehr wahrscheinlich immer, in unschönen Klecksen auf den verfassten Dokumenten. Abhilfe schuf schließlich der New Yorker Versicherungsvertreter Lewis Edison Waterman, der 1883 den „fountain pen“, den Füllfederhalter, erfand. Die Erfindung war allerdings nicht gemeinnützig motiviert, hatte Waterman doch zuvor einen Kunden wegen eines Tintenkleckses auf einem Vertragsdokument verloren. 

Die Kleckse gehörten der Vergangenheit an, doch befand sich die Tinte noch direkt im Federhalter, was die Wiederbefüllung erschwerte. Erst 1927 wurde die Tintenpatrone erfunden – damit endete zunächst auch der technologische Fortschritt der Schreibutensilien (zumindest bis ein Ungar namens László Bíró 1938 das Patent „pastenartige Tinte und dazugehöriger Füllstift“ einreichte, heute besser bekannt als Kugelschreiber). 

Von der Geheimtinte zum Liebesbrief, vom Tintenfass zum Tintenfraß

Die Tintenarten erschöpfen sich allerdings nicht an diesem Punkt, ebenso wenig wie ihre Gefahren und Möglichkeiten (beispielsweise der Teufelsabwehr). 

Was auch als „sympathetische Tinte“ (von lat. Zuneigung) bezeichnet wird, ist die Geheimtinte. Schon Plinius der Ältere soll um 50 n. Chr. aus der Wolfsmilch-Pflanze unsichtbare Tinte hergestellt haben, die erst lesbar wurde, wenn das Pergament über dem Feuer erwärmt wurde. Die Übermittlung geheimer Botschaften mittels Geheimtinte war speziell im 17. bis in das 19. Jahrhundert sehr beliebt. In dieser Zeit wurden Liebesbriefe häufig mit Geheimtinte verfasst – daher der Name „sympathetische Tinte“ – und es kamen unterschiedlichste Zutaten zum Einsatz: Zitronensaft, Zwiebeln, Essig, Milch und sogar Urin. All diese Substanzen werden erstaunlicherweise durch Erwärmen sichtbar. 

Ein ähnliches Prinzip verfolgte die sogenannte „Damentinte“, quasi ein altertümliches Snapchat für Hofdamen, die diese Tinte gerne für ihre höfischen Intrigen nutzten, da diese kurz nach dem Schreiben (bzw. Lesen) völlig verblasst. Die Herstellung ist denkbar einfach: Wasser, Ammoniakwasser und Phenolphthalein zusammenrühren und kräftig schütteln, fertig ist die „Damentinte“.

Definitiv keine Geheimtinte hat Martin Luther im Winter 1521/22 auf der Wartburg gegen die Wand geworfen. Der Legende nach war Luther gerade dabei, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen, als er ein Kratzen und Schaben hörte. Er griff nach seinem Tintenfass und warf es nach der Teufelsfratze, die er im Zimmer glaubte, um sie zu verscheuchen. Der Tintenfleck an der Wand gelangte zu einiger Berühmtheit. Auch wenn er heute nicht mehr zu sehen ist, so schwören immer wieder Wartburg-Besucher, sie hätten einen blauen Fleck an der Kaminwand wahrgenommen. Ob Luther sich wirklich mit seinem Tintenfass gegen den Teufel oder etwa eine lästige Fliege zur Wehr gesetzt hat, lässt sich wohl nicht mehr klären. 

Etwas mehr als 150 Jahre später wurde Johann Sebastian Bach (1685-1750) geboren und brachte im Laufe seines Lebens seinen musikalischen Nachlass unwissentlich in große Schwierigkeiten. Wie damals üblich benutzte er für seine Partituren die Eisengallustinte, die – wie eingangs erwähnt – leider zum berüchtigten „Tintenfraß“ führte.

Beim Tintenfraß wird das Papier buchstäblich zerlöchert: „Tintenfraß bedeutet für eine Seite oder ein Blatt Papier, dass bestimmte Buchstaben oder Teile von Wörtern quasi richtig rausfallen und der Restaurator hat dann die Puzzleaufgabe, mit einer Pinzette jeweils dann zu gucken ob ein Puzzleteil was da im Knickfalz gelandet ist, in irgendein Löchlein in der Seite wieder reinpasst, und dann wird alles zusammen stabilisiert“, sagt Archivarin Rita Wolters vom Deutschen Werkbundarchiv in Berlin Kreuzberg gegenüber dem Deutschlandfunk

Beim Bachschen Erbe war der Großteil der 13.216 Seiten vom Tintenfraß befallen. Die Staatsbibliothek zu Berlin schritt schon in den 1930er Jahren zur Tat und versuchte die Partituren mit Chiffonseiden zu stabilisieren. Für die am stärksten geschädigten Seiten entschied man sich Ende der 1990er Jahre für das Papierspaltverfahren: Das Original wird auseinandergetrennt und säurebeständiges Japan-Papier eingezogen. 2003 war das Verfahren abgeschlossen und die Bachautographe waren gerettet. 

Zum Schluss: Purpurschnecken, römische Kaiser und nochmal Günter Grass

Neben dem Tintenfisch war eine weitere Tierart aufgrund eines Farbstoffs akut gefährdet: die Purpurschnecke. Der Purpur wurde schon um 1600 v. Chr. zum Einfärben von Textilien verwendet und gilt als die kostbarste Farbe des Altertums. Die berühmtesten Purpurfärbereien im Römischen Kaiserreich waren u.a. in Tyros (Phönizien), auf Kos und Zypern ebenso wie in Kalabrien. Die Farbe war den Amtskleidern des Kaisers vorbehalten, weitere Stände hatten höchstens Purpurprivilegien: Magistrate, Vasallenkönige oder die hohe Priesterschaft. 

Die große Beliebtheit der Farbe wirkte sich auf die Purpurschneckenpopulation nachteilig aus: Um ein einziges Gramm des Farbstoffs zu gewinnen, waren 12.000 Schnecken notwendig. Heute gibt es glücklicherweise synthetische Verfahren, um des Purpurs habhaft zu werden. 

Und Günter Grass? Der gewann seine Naturtinte aus Tintenfischen tatsächlich selber. Aber nicht mittels Unterwasserjagd samt Melkvorgang. Die Anekdote hatte er mal frei erfunden.

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