Verfemt, Verfolgt, Zerstört – „Entartete Kunst“ im Nationalsozialismus

18.07.2022 Lena Hennewig (wissenschaftliche Mitarbeiterin)

Marc Chagall, Max Ernst, Paul Gauguin, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Käthe Kollwitz, Pablo Picasso – viele bedeutende Künstler*innen, die aus der Kunst- und Kulturgeschichte Deutschlands, Europas und der Welt nicht mehr wegzudenken sind, wurden vom nationalsozialistischen Regime als „entartet“ verfemt und verfolgt. Sie erhielten künstlerische Arbeitsverbote, wurden geächtet, ihrer Ämter enthoben, aus Deutschland und Europa vertrieben. Ihre Kunstwerke wurden beschlagnahmt, verkauft, übermalt oder zerstört.

Die Gründe, warum künstlerische Erzeugnisse als „entartet“ diffamiert wurden, waren vielfältig: Einerseits waren es stilistische oder inhaltliche Aspekte, die die Nationalsozialisten zu eliminieren gedachten. Andererseits spielten die Herkunft, Religion und politische Gesinnung der Künstler*innen in der nationalsozialistischen Kulturpolitik eine zentrale Rolle. Zahlreiche moderne Stilrichtungen wurden zu den als „undeutsch“ identifizierten Kunstströmungen gezählt, wie beispielsweise Expressionismus und Impressionismus, Dadaismus, Kubismus und Surrealismus.

Geächtet wurden aber auch als zu pessimistisch oder pazifistisch verstandene Werke. Sie widersprachen den nationalsozialistischen Vorstellungen einer akademisch-monumentalen, naturalistischen Kunst. Internationale Einflüsse sollten aus der „deutsch-arischen“ Kunst Nazideutschlands verbannt werden. Stattdessen hatte sich der regimekonforme Kunstschaffende an der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts zu orientieren.

Innerhalb der nationalsozialistischen Parteipolitik herrschte jedoch nicht immer Einigkeit darüber, was und wie „deutsche Kunst“ zu sein habe: Der Expressionismus war zunächst von Alfred Rosenberg, dem führenden Ideologen der NSDAP, als legitime und zukunftsweisende Form der deutschen Kunst ausgezeichnet worden. Schlussendlich wurde sie doch für „undeutsch“ erklärt und verfolgt.

Die Verfolgung „undeutscher“ Kunst

Weitestgehende Einigkeit herrschte jedoch scheinbar in der Frage, wie mit „undeutscher Kunst“ zu verfahren sei: Die Verfolgung von Künstler*innen und Kunstwerken, die nicht dem nationalsozialistischen Ideal von Kunst und Schönheit, die nicht dem völkischen Weltbild der Nationalsozialisten entsprachen, begann schon vor 1933 mit der politischen Machtzunahme der NSDAP in zahlreichen Ländern der Weimarer Republik und sollte bis zum Ende des NS-Staats anhalten. Kurz nachdem die NSDAP im Jahr 1930 erstmals in Thüringen an einer Landesregierung beteiligt war, wurde auf Geheiß des NS-Volksbildungsministers Wilhelm Frick ein Wandgemälde Oskar Schlemmers im Weimarer Werkstattgebäude des Bauhauses für „undeutsch“ erklärt und übermalt. Das Weimarer Bauhaus wurde kurz darauf geschlossen und zahlreiche moderne Werke wurden aus dem Weimarer Schlossmuseum entfernt.

Mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur im Jahr 1933 nahm die von der NSDAP in Weimar losgetretene erste Welle der Künstlerverfolgung weiter Fahrt auf: Neben der Bücherverbrennung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) am 10. Mai 1933 auf dem heutigen Berliner Bebelplatz und in 21 weiteren deutschen Städten und der Verfemung „entarteter“ Musik, galt ab diesem Jahr ein Ankaufsverbot von Werken „nichtarischer“ Künstler*innen sowie ein Berufsverbot für ausgewählte moderne Künstler*innen.

Darüber hinaus wurde eine Reihe von Museums- und Hochschulmitarbeiter*innen, die die moderne Kunst in ihrer Arbeit unterstützt hatten, fristlos entlassen und durch Gesinnungsgenossen der NSDAP ersetzt. So wurde beispielsweise Ludwig Justi, seit 1909 Direktor der Berliner Nationalgalerie, 1933 seines Amtes enthoben und durch Alois Schardt ersetzt, der jedoch wiederum nach einem knappen halben Jahr seinen Platz räumen musste. Auf ihn folgte mit Eberhard Hanfstaengl ein Kunsthistoriker, der zunächst als ideologietreu eingestuft, sich dann aber doch als zu gemäßigt für die nationalsozialistische Parteiführung herausstellte.

„Schreckenskammern“ der Kunst: Nationalsozialistische Propagandaausstellungen

Ab 1933 fanden zudem erste diffamierende Kunstausstellungen in verschiedenen deutschen Städten statt: Die Ausstellungen, die unter verschiedenen Titeln wie „Kulturbolschewistische Bilder“ (Mannheim), „Kunst, die nicht aus unserer Seele kam“ (Chemnitz) oder „Schreckenskammer“ (Halle an der Saale) liefen, zeigten die in einer ersten „Säuberungsaktion“ aus Museen und Galerien entfernten modernen Kunstwerke. Diese dienten als abschreckendes Beispiel für den vermeintlichen kulturellen Verfalls Deutschlands und Europas.

Die propagandistischen Kunstausstellungen sollten jedoch nicht nur die moderne Kunst und ihre Schöpfer diskreditieren. Auch die Weimarer Republik und ihre (Kultur-)Politik sollten öffentlichkeitswirksam an den Pranger gestellt werden und somit der noch junge NS-Staat eine politische Stärkung und Stabilisierung erfahren.

Unter dem Titel „Entartete Kunst“ firmierte erstmals eine diffamierende Kunstausstellung als „undeutsch“ identifizierter Werke der Dresdner Kunstsammlungen, die im September 1933 eröffnet wurde. Die Dresdner Ausstellung galt als besonders erfolgreich und zog viele Besucher*innen an, zu denen auch Joseph Goebbels, Hermann Göring und weitere hochrangige Funktionäre der NSDAP zählten. Auch Adolf Hitler nahm die Dresdner Exponate in Augenschein, er tat dies jedoch erst nach Ende der Laufzeit der Ausstellung, als die Werke bereits eingelagert worden waren.

Die Dresdner Ausstellung galt nicht nur aufgrund der hohen Besuchszahlen als erfolgreich. Sie wurde auch kuratorisch und inhaltlich vom nationalsozialistischen Regime als besonders vorbildlich wahrgenommen: So verursachte beispielsweise die bewusst chaotische Hängung der Werke eine ästhetische Abneigung und Überforderung bei den Besucher*innen – Gefühle, die das NS-Regime gewiss gerne mit der modernen Kunst und der Weimarer Republik verbunden sah. Um die mit dem Erfolg der Ausstellung verbundene Verunglimpfung künstlerischer Tätigkeit weiterzutragen, wurde die Propaganda-Schau auf Befehl von Adolf Hitler als Wanderausstellung durch das Deutsche Reich geschickt.

Die Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ im Jahr 1937

Ab 1936 folgte eine zweite kulturpolitische Verfolgungswelle der Nationalsozialisten: Sie verhängten ein generelles Verbot moderner Kunst und schlossen mit der Neuen Abteilung der Berliner Nationalgalerie im Kronprinzenpalais die weltweit erste öffentliche Sammlung moderner Kunst. Im Jahr 1937 fand die Eröffnung einer weiteren, größeren und bis heute in der (Kunst-) Geschichtsschreibung sehr präsenten diffamierenden Ausstellung der Reichspropagandaleitung statt: Unter dem von der Dresdner Ausstellung übernommenen Titel „Entartete Kunst“ wurden in den Münchner Hofgarten-Arkaden über 700 „artfremde“ Werke von 120 Künstler*innen aus 32 deutschen Museen dem Spott von Politik, Presse und Bevölkerung ausgesetzt. Über zwei Millionen Besucher*innen kamen.

Nicht nur der Titel der Ausstellung wurde von der Dresdner Schau entliehen: Viele der Dresdner Werke waren auch Teil der Münchner Ausstellung. Die Inszenierung der Exponate wurde adaptiert, die sie umgebende Propaganda fortgeführt. Ebenso war die Münchner Ausstellung eine Wanderausstellung, die bis 1941 in 21 Städten gastierte.

Parallel fand ebenfalls in München die „Große Deutsche Kunstausstellung“ statt, die die nationalsozialistischen (Kultur-)Ideale aufzeigen und öffentlichkeitswirksam vermitteln sollte. Gezeigt wurden sorgfältig kuratierte und übersichtlich gehängte, regimekonforme Historien- und Landschaftsgemälde, die in größtmöglichem Kontrast zur „Entarteten Kunst“ im Nachbargebäude stehen sollten. Das Interesse der Besucher*innen war gemessen an den Besuchszahlen der „Entartete-Kunst“-Schau jedoch recht gering: Es kamen „nur“ 420.000 Personen, um die regimekonforme Kunst zu feiern.

Die in den Münchner Hofgarten-Arkaden ausgestellte „Verfallskunst“ beinhaltete Werke der Dresdner Ausstellung, die durch weitere beschlagnahmte Kunstwerke ergänzt wurden. Im Vorfeld der Münchner Ausstellung waren in einer nationalen „Säuberungsaktion“ tausende Kunstwerke aus reichsdeutschen Museen entfernt und eingezogen worden. Erst im Jahr 1938, also ein Jahr später, wurde mit dem „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ die entsprechende Gesetzesgrundlage geschaffen.

Reaktionen, Konsequenzen und Entscheidungen

Wie aber reagierten die als „entartet“ diffamierten und für Propagandazwecke der NSDAP missbrauchten Künstler*innen auf diese Einschränkungen ihrer Arbeit und ihres Lebens?

Zahlreiche von den Nationalsozialisten verfolgte Künstler*innen verließen Deutschland und gingen ins Exil. Max Beckmann, einer der bedeutendsten (und gleichzeitig einer der den Nationalsozialisten am meisten verhassten) bildenden Künstler des 20. Jahrhundert verließ Deutschland im Jahr 1937 und ging nach Amsterdam, wo er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb. Im Jahr 1947 wanderte er in die USA aus und lebte dort bis zu seinem Tod. In Nazideutschland hatte er zuvor seine Professur an der Frankfurter Städelschule verloren, 650 seiner Werke wurden im Rahmen der nationalen Säuberungsaktion beschlagnahmt, 21 davon publikumswirksam und prominent in der Münchener „Entartete Kunst“-Schau ausgestellt.

Andere Künstler*innen blieben trotz Arbeitsverbots und Verfolgung in Deutschland und gingen in die sogenannte „innere Emigration“. Der Begriff beschreibt die Haltung regimekritischer Künstler*innen, die mit Berufsverboten belegt wurden oder deren Werke als „entartet“ diffamiert wurden und die dennoch aus verschiedensten Gründen nicht aus Deutschland flohen bzw. fliehen konnten.

Der Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer, dessen Werke zu den ersten durch die Nationalsozialisten zerstörten gehörten, arbeitete nach seinem Berufsverbot offiziell in einer Wuppertaler Lackfabrik – im Privaten aber malte er weiter. In seinen sogenannten „Fensterbildern“ stellte er seine Nachbarn dar, die er aus seiner Wohnung heraus beobachtete, und entwickelte so sein künstlerisches Profil weiter. Zuvor hatte Schlemmer sich und seine Kunst in verschiedenen Schriftwechseln mit NSDAP-Funktionären und -Sympathisanten zu erklären und zu verteidigen versucht, war jedoch erfolglos geblieben.

Einige Künstler*innen passten ihre Werke den NS-Vorstellungen an, um einer Verfolgung und einem Berufsverbot zu entkommen: Rudolf Schlichter, zuvor als kommunistischer Dada-Künstler bekannt, passte sich der von den Nationalsozialisten propagierten Ästhetik und Denkweise an und befreundete sich mit nationalistischen Vorreiterfiguren wie dem Schriftsteller Ernst Jünger.

Diese Anpassung an das nationalsozialistische Gedankengut beschämte ihn später selbst, so dass er Teile seines Werkes umdeutete: Aus dem Krieger, der seine Kritik an der liberalen Weimarer Republik verkörperte, wurde ein das NS-Regime kritisierender Krieger.

Der Maler Emil Bartoschek arbeitete hingegen nur nach außen regimekonform, um seine eigentliche künstlerische Tätigkeit zu kaschieren und zu finanzieren.

Einige regimekritische Künstler*innen positionierten sich auch weiterhin gegen den Nationalsozialismus und gingen in den Widerstand: Der jüdisch-polnische Maler Jankel Adler hatte sich während des Wahlkampfs der NSDAP zur Reichstagswahl im März 1933 öffentlich gegen die nationalsozialistische Politik positioniert und verließ nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Deutschland. Er ließ sich zunächst in Paris nieder und nutzte seine Zeit im Exil für den Kampf gegen das NS-Regime in Deutschland.

Das Künstlerehepaar Alexandra Povòrina und Friedrich Ahlers-Hestermann sah sich dazu gezwungen, ihren Wohnort Köln zu verlassen und sich in Berlin neu einzurichten, nachdem sie sich unter anderem geweigert hatten, eine Hakenkreuzfahne an ihrem Haus aufzuhängen.

Ernst Ludwig Kirchner, einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Expressionismus, nahm sich 1938 das Leben, nachdem seine Werke ein Jahr zuvor als „entartet“ bewertet worden waren. Sein Suizid wird in der Forschungsliteratur sowohl auf die Enttäuschung Kirchners über die Diffamierung seiner Werke als auch auf seine Morphiumsucht zurückgeführt.

Der Umgang der Künstler*innen mit der Diffamierung ihrer Werke, mit Beschäftigungsverboten und damit einhergehend mit finanziellen Nöten und Todesängsten ist so vielfältig wie ihr künstlerisches Vermächtnis. Ihre Schicksale, die Enteignung, Beschlagnahmung, Veräußerung und Zerstörung von Kunstwerken beschäftigen die Politik und Rechtsprechung ebenso wie die Kunstgeschichte bis heute: Rechtmäßige Eigentümer*innen von als „entartet“ diffamierter Kunst müssen festgestellt, politische Verfahrensgrundlagen gebildet, Lücken im Werk verfemter Künstler*innen wollen wissenschaftlich geschlossen werden. Verschiedene Datenbanken wurden mit dem Ziel entwickelt, die Liste der durch die Nationalsozialisten entwendeten, zerstörten oder verschollenen Kunstwerke zu vervollständigen. In zahlreichen Museen und kulturellen Einrichtungen sind Provenienzforscher*innen tätig, um die Besitzverhältnisse und die Herkunft von Kunstwerken aller Art zu klären. Eine Virtuelle Ausstellung zum Thema Provenienzforschung begleitet die Forscher*innen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und informiert über ihre wichtige Arbeit – unter anderem im Kontext der „Entarteten Kunst“.

21.000 Werke „entarteter Kunst“ wurden vom NS-Regime aus deutschen Sammlungen entfernt, der Verbleib von nur 4.000 ist geklärt. Die meisten von ihnen werden heute als Meisterwerke ihrer Zeit verehrt.


Quellen

Wissenschaftliche Publikationen:

Thamer, Hans-Ulrich: Geschichte und Propaganda. Kulturhistorische Ausstellungen in der NS-Zeit, in:
Geschichte und Gesellschaft, Jg. 24., H. 3, Geschichtsbilder und Geschichtspolitik (Jul. – Sep., 1998), S. 349–381, online unter: https://www.jstor.org/stable/40185848.

Levi, Neil: “Judge for Yourselves!”-The “Degenerate Art” Exhibition as Political Spectacle, in: October, Vol. 85, 1998, S. 41-64, online unter: https://www.jstor.org/stable/779182.

Zuschlag, Christoph: Neues Rathaus Dresden. Die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1933, in: Hermann, Konstantin (Hrsg.): Führerschule, Thingplatz, „Judenhaus“: Orte und Gebäude der nationalsozialistischen Diktatur in Sachsen, Dresden 2014, S. 154–158, online unter: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/6001/1/Zuschlag_Neues_Rathaus_Dresden_2014.pdf.

Zuschlag, Christoph: "Entartete Kunst". Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland, Worms 1995, online unter: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/zuschlag1995.

Bundeszentrale für Politische Bildung:

https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/141166/entartete-kunst-17-07-2017

Artikel zu den Folgen des Zweiten Weltkriegs für Kunst und Kulturgüter von Hermann Parzinger bei der Bundeszentrale für Politische Bildung:

https://www.bpb.de/apuz/31775/folgen-des-zweiten-weltkriegs-fuer-kunst-und-kulturgueter?p=all

Deutschlandfunk:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/hitlers-kampf-gegen-die-moderne.932.de.html?dram:article_id=129772

Kulturstiftung der Länder:

https://www.kulturstiftung.de/entartete-kunst-2/

https://www.kulturstiftung.de/kuenstler-im-dritten-reich/

Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kunst_im_Nationalsozialismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Entartete_Kunst

https://de.wikipedia.org/wiki/Entartete_Kunst_(Ausstellung)

https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Bartoschek

https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialistische_Deutsche_Arbeiterpartei#Wahlerfolge_ab_1930

https://de.wikipedia.org/wiki/Th%C3%BCringen_im_Nationalsozialismus#Erste_Regierungsbeteiligung_im_Landtag_1930

https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Ludwig_Kirchner

Datenbanken:

https://www.proveana.de/de/start

http://emuseum.campus.fu-berlin.de/eMuseumPlus?service=ExternalInterface&lang=de

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