In Casino Royale vereitelt James Bond die Pläne des Bösewichts Le Chiffre durch ein dramatisches Poker-Turnier; in der Oper Carmen sagen die Karten das unheilvolle Schicksal der Heldin voraus, und in Agatha Christies Mit offenen Karten löst Privatdetektiv Hercule Poirot einen kniffeligen Fall mithilfe der Punktetabellen eines Bridge-Spiels. Offensichtlich wird den Karten also kulturgeschichtlich eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Grund genug in diesem DDBspotlight den Scheinwerfer auf die Geschichte der Spielkarte zu lenken.
Spielkarten – von teuflischen Gebetsbüchern, Trionfi und regionalen Blättern
„Spiel der Blätter“, Mamluk’sche Rangordnung und Ganjifa
Ihren Ursprung haben die Spielkarten vermutlich in Ostasien, von wo sie sich spätestens ab dem 13. Jahrhundert über Ländergrenzen und Kulturen hinweg verbreiten – vom Iran bis nach Feuerland entwickeln sich eigene regionale Spiele und Kartenbemalungen. In Korea und China sind sie bereits im 12. Jahrhundert in Form langer Papierstücke, die wohl nicht gefächert in der Hand gehalten, sondern gefaltet werden, zu finden. Möglicherweise existieren Kartenspiele in China aber sogar schon zu Zeiten der Tang Dynastie (618-907). In einigen Quellen ist nämlich vom yezi ge („Spiel der Blätter“) die Rede. Ob damit tatsächlich ein Kartenspiel, wie wir es heute kennen, gemeint ist, ist nicht klar.
Die Aufteilung in vier Farben sowie Hof- bzw. Bild- und Zahlenkarten taucht wohl zum ersten Mal bei den Mameluken in Ägypten auf. Die Bildkarten orientieren sich dabei an der höfischen Hierarchie mit dem König oder Wesir als höchste Karte. Diese Rangordnung besteht mit regionalen Abweichungen im Grunde bis heute. Die Karten des indischen Spiels Ganjifa beispielsweise sind zwar rund und verfügen über insgesamt acht Farben und zwei Trümpfe, bilden aber trotzdem die Hierarchie des kaiserlichen Mogul-Hofs ab.
Auch das heute weitverbreitete französische Blatt spiegelt eine gesellschaftliche Hierarchie wider: die Ständeordnung zur Zeit König Ludwigs XV von Frankreich. Kreuz steht für die Bauern, Pik für den Adel, Herz für die Kirche und Karo für die Kaufleute
Karos, Schellen oder Stäbe?
Neben dem französischen Blatt gibt es in Europa zahlreiche regionale Spielkarten-Designs, von denen einige bis heute verwendet werden. So zum Beispiel das deutsche Blatt mit Eichel, Laub bzw. Grün, Herz und Schellen, das Schweizer Blatt mit Eicheln, Schilten, Rosen und Schellen oder das italienisch-spanische Blatt mit Schwertern, Kelchen, Münzen und Stäben. Es finden sich aber auch Sonderformen – etwa Spielkarten, die beispielsweise gleichzeitig das deutsche und das französische Blatt vorweisen. Skat spielt man bis heute mit einem französischen Blatt mit deutschen Farben, also Schwarz, Grün, Rot und Gelb. So vielfältig wie die regionalen Blätter, sind auch die Spiele, die mit ihnen gespielt werden – vom bayrischen Schafkopf bis hin zum schweizerischen Jassen.
Eines der ältesten überlieferten Kartenspiele ist das Tarock, das bis heute mit eigenen Tarock-Karten gespielt wird. Diese erkennt man daran, dass die 21 Trumpfkarten mit römischen Ziffern durchnummeriert sind. Vorläufer der Tarock-Karten sind die sogenannten Trionfi-Karten, die im späten 15. Jahrhundert in Italien verbreitet sind. Dem Wort „Trionfi“ verdanken wir aber nicht nur das Tarock-Spiel, sondern auch unseren Begriff „Trumpf“.
Verbotener Luxus
Die frühesten Erwähnungen von Spielkarten in Europa stammen aus dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts. Bei ihnen handelt es sich oft um Verbote, wie beispielsweise im Falle des Florentiner Spielkarten-Verbots von 1377. Auch für China, Persien und Indien sind solche Verbote übermittelt – denn wo die Spielkarte, da ist das Glücksspiel auch nicht fern. Vor allem die Kirche predigt gegen das Spiel um Geld an, im 15. Jahrhundert werden Spielkarten stellenweise sogar symbolisch auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wie etwa 1451 in Wien. In puritanischen Kreisen bezeichnet man das Kartenspiel noch bis ins 20. Jahrhundert als „Gebetsbuch des Teufels“.
Diese Verbote können der Popularität des Kartenspielens zwar nichts anhaben, stellen aber für die Kartenmaler ein finanzielles Problem dar. Vor Einführung des Buchdrucks werden Spielkarten nämlich einzeln von Hand bemalt und sind oftmals kleine Kostbarkeiten. Etwa das Stuttgarter Kartenspiel – um 1430 entstanden und somit wohl das älteste erhaltene – ist angesichts seiner mit Gold gestalteten Karten zweifelsohne ein Luxusgegenstand, der möglicherweise auch nie zum Spielen gedacht war.
Erst mit Einführung des Buchdrucks vereinfacht sich die Herstellung von Spielkarten, sodass sie nicht mehr von Hand bemalt werden müssen. Stattdessen werden sie mittels Holzschnitttechnik und Kupferstich verziert. Papier ist indes lange Zeit Mangelware, weshalb Makulatur, also fehlerhaftes Papier, in der Buchbinderei recycelt wird. Deshalb finden sich Spielkartenentwürfe manchmal auch an ungewöhnlichen Orten, wie zum Beispiel in Buchdeckeln.
Lyon entwickelt sich ab 1500 zum Produktionszentrum für Spielkarten. Dass heute das Französische Blatt mit Kreuz, Pik, Karo und Herz so weit verbreitet ist, hängt also wohl mit der Popularität der Karten aus Lyon zusammen.
Spielkartensteuern
Dort, wo Spielkarten nicht verboten werden, erheben die Landesherren oft eine Steuer auf sie. Ab dem 16. Jahrhundert erlassen Fürstentümer und Städte vermehrt Verordnungen, die nur noch den Besitz gestempelter Spielkarten erlauben. Bei Verwendung anderer Karten droht nicht nur deren Konfiszierung, sondern auch eine hohe Geldbuße. In der Regel bekommt ein Hersteller das Privileg der Kartenherstellung verliehen und lässt auf den Karten dann Platz für einen Steuerstempel. Im französischen Blatt wird dabei oft das Herz-As gestempelt, weshalb bis heute auf dieser Karte Platz für den Stempel gelassen wird. Die Landesherren legen außerdem den Preis für Spielkarten fest, sodass diese bald zu einer konstanten Einnahmequelle werden.
Als moralisch verwerflich gelten Karten- und vor allem Glücksspiele aber auch ganz unabhängig von Verboten. Auf Kupferstichen aus dem 16. und 17. Jahrhundert taucht immer wieder der Teufel als Verführer auf. Karten stehen hier sinnbildlich für einen lasterhaften Lebensstil und haben es in dieser Eigenschaft selbst auf Wandbemalungen von Kirchen geschafft, wie zum Beispiel in der Jesuitenkirche Maria Verkündigung im tschechischen Litoměřice. In anderen Darstellungen sitzt der Teufel sogar als Mitspieler am Tisch.
Jenseits religiöser Darstellungen ist das Schummeln beim Kartenspiel ein beliebtes Motiv in der Malerei. Hier wird entweder der Falschspieler dabei gezeigt, wie er, anstatt das As im Ärmel zu verstecken, die Karten heimlich im Gürtel aufbewahrt, oder dass es nach der Entdeckung des Betrugs zur handgreiflichen Auseinandersetzung kommt. Darstellungen eines friedlichen oder gar gemütlichen Kartenspiels scheinen hingegen vermehrt ab dem 18. Jahrhundert aufzukommen – womöglich, weil Kartenspiele sich mittlerweile zu einer akzeptierten Freizeitbeschäftigung entwickelt haben.
Von Tarot, Poker und anderen Kartenspielen
Im Frankreich des 18. Jahrhunderts kommt die Weissagung mit Spielkarten, auch Kartomantie genannt, in Mode. Maßgeblich sind hier esoterisch-okkultistische Clubs. Lange hält sich die Legende, das Kartenlegen habe in Ägypten seinen Ursprung. Heute geht man hingegen davon aus, dass Spielkarten schon im 7. Jahrhundert in China zum Wahrsagen verwendet werden. Erste Wahrsagekarten gibt es in Europa wohl schon im 15. Jahrhundert. Tarotkarten, die heute in erster Linie mit dem Wahrsagen in Verbindung gebracht werden, gehören zur Familie der Tarock-Karten. Ab dem 18. Jahrhundert entwickelt sich aus den Tarock-Karten das Tarot-Deck mit explizit symbolischer Bedeutung. Auch unter den Tarot-Karten gibt es verschiedene Kartensätze, am verbreitetsten sind das Marseille-, das Rider-Waite- und das Thoth-Tarot.
Kartenspiele wie Poker, Bridge oder Skat entstehen erst im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei die „neuen“ Kartenspiele keineswegs aus dem Nichts auftauchen. Poker beispielsweise entwickelt sich Anfang des 19. Jahrhunderts in New Orleans aus dem französischen Poque, das auf dem europäischen Kontinent schon im 18. Jahrhundert sehr beliebt ist. Der Joker taucht zum ersten Mal in einem Pokerspiel auf, entstammt aber dem Spiel Euchre. Bridge entsteht Ende des 19. Jahrhunderts aus dem englischen Whist.
Ebenfalls aus älteren Spielen wie L’Hombre und Tarock entsteht 1810 im thüringischen Altenburg – das bis heute eine Hochburg der Spielkartenproduktion ist – das Skatspiel. Zunächst heißt das Spiel noch erzgebirgischer Schafkopf, wird aber bald umbenannt und verbreitet sich in ganz Deutschland. 1889 beschließt man auf dem ersten Skatkongress die „Allgemeine Deutsche Skatordnung“ – bis zu diesem Zeitpunkt sind die unterschiedlichen Spielregeln nämlich oft Anlass für Auseinandersetzungen. In Kartenspielverbänden und -vereinen wünscht man sich traditionell übrigens „Gut Blatt“.
Im 19. Jahrhundert sind Spielkarten kein Luxusgut mehr, jede*r kann Karten spielen, unabhängig von der sozialen Herkunft. Wobei die Art des Kartenspiels sowie die Höhe des Einsatzes je nach gesellschaftlicher Klasse variiert. L’Hombre und Tarock werden vermehrt in aristokratischen und bürgerlichen Kreisen gespielt, Schnapsen ist beim einfachen Volk beliebt. Im viktorianischen England werden Kartenspiele in die Kategorien „ehrbar“ und „anrüchig“ unterteilt – unter dem Vorwand, dass die bürgerlichen Spiele anspruchsvoller seien. Damit grenzt sich die Oberschicht nicht nur nach unten ab, sondern legitimiert auch das eigene („lasterhafte“) Glücksspiel.
Neben Kartenspielen mit deutschem oder französischem Blatt gibt es auch solche mit ganz individuellen Karten. Im 19. Jahrhundert tauchen beispielsweise Konversationskartenspiele auf. Außerdem entdeckt die Pädagogik das Kartenspiel, zum Beispiel in Form von Lernspielen mit – zweifellos begeisternden, Lernspaß verheißenden – Namen wie „Fidele Nachhilfestunde“, oder Quartettspielen, die Wissen vermitteln sollen.
Ob mit französischem oder deutschem Blatt, ob indisches Ganjifa, bayrischer Schafskopf oder Mau-Mau, ob zuhause, auf Reisen oder unter freiem Himmel – heute wird wohl noch genauso leidenschaftlich mit Karten gespielt, wie im 15. Jahrhundert. Dabei geht es, wie so oft, nicht wirklich ums Gewinnen, sondern ums Beisammensein. Allerdings wird heute nicht mehr nur von Angesicht zu Angesicht gespielt, sondern auch online. Während des Lockdowns ermöglichte es das digitale Kartenspiel, mit Freunden und Familie pandemiegerecht Zeit zu verbringen. Wie mit so vielen Lockdown-Lösungen hat es aber auch gezeigt, wie kostbar das gemeinsame Spielen vor Ort ist. Ein Ende der Spielkarte ist also nicht in Sicht und wir wünschen allseits gut Blatt!
Bei uns in der Deutschen Digitalen Bibliothek können Sie weitere historische Kartenspiele bewundern, jahrhundertealte Kartenspielverordnungen lesen oder sich von reich verzierten Spielkarten inspirieren lassen. Wie wäre es zum Beispiel einige Motive zu einem ganz eigenen Sticker-Set für Ihren Signal-Messenger zu verwandeln? Wie genau das funktioniert, erfahren Sie hier. Das Deutsche Spielearchiv Nürnberg hat dem Kulturhackathon Coding da Vinci 2019 historische Kartenspiele aus dem Produktarchiv der Firma Spear zur Verfügung gestellt. Herausgekommen sind dabei unter anderem ein Strategiespiel und ein Quartett über bedeutende Frauen in der Geschichte. Zu den Projekten geht es hier.
Mehr Kartenspiele und Spielkarten in der Deutschen Digitalen Bibliothek.
Quellen
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kartenspiel und https://de.wikipedia.org/wiki/Spielkarte#Geschichte sowie https://en.wikipedia.org/wiki/Face_card (englisch)
Wien Geschichte Wiki: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Kartenspiel
Deutscher Skatverband e.V.: https://dskv.de/der-dskv/geschichte-des-dskv/
jstor.org (englisch: https://www.jstor.org/stable/1559494?seq=1#metadata_info_tab_contents
parlettgames.uk (englisch): https://www.parlettgames.uk/histocs/leafgame.html
The World of Playing Cards (englisch): https://www.wopc.co.uk/china/