Archivbestand
Pfarrer Bernhard Wiebel (Bestand)
Bestandsbeschreibung: Biografie Die Personalakte beginnt mit einem kurzen Lebenslauf des damals 22jährigen Theologiestudenten. Fritz Walter Bernhard Wiebel wird am 2.8.1904 in Netphen, Kreis Siegen, geboren. Er ist das dritte von sieben Kindern des Ehepaars Pfarrer Siegfried Wiebel und seiner Ehefrau Dorothee, geborene Kähler, Tochter des Theologieprofessors Martin Kähler aus Halle. Siegfried Wiebel war Schüler Kählers und wurde 1906 in die vereinigte evangelische Gemeinde Unterbarmen berufen. Hier verlebt Bernhard seine Kindheit und Jugend, beendet seine Schulzeit 1923 mit dem Abitur. Er vermerkt in seinem Lebenslauf, daß er schon früh den Wunsch hatte, wie der Vater "ein Theolog" zu werden: der "Konfirmationsunterricht durch meinen Vater wurde bestimmend für die Wahl meines Studiums". Er studiert Theologie in Greifswald, Halle und Bonn. In Halle ist er drei Semester lang Amanuensis des Neutestamentlers Julius Schniewind. 1926 meldet er sich zur Prüfung “pro licentia concionandi”, also zum ersten theologischen Examen, das er in Bonn im April 1927 ablegt. In seiner Examenspredigt über Römer 12,1 beschreibt der junge Theologe den Dienst des Christen noch "als Gehorchen, als Opfern des eigenen Willens". Das Examen besteht er mit der Gesamtnote "gut". Die Personalakte ergibt weiter, daß er seine ersten praktischen Erfahrungen im Dienst eines Pastors vom 1.5. bis 31.9.1927 als Synodalvikar in der Kreisgemeinde Köln macht, wo die Not des Proletariats den jungen Wiebel besonders aufrüttelt. Vom 1.10.1927 bis 31.9.1928 besucht er das Domkandidatenstift in Berlin, die ursprüngliche Einweisung ins Predigerseminar Soest wird zurückgenommen. Er bedauert in seinem Lebenslauf, daß ein englischer Sprachkurs "leider nach einem halben Jahr eingestellt wurde". Für seine Arbeit stellt man ihm ein gutes Zeugnis aus, allerdings predige er noch zu akademisch. 1929 legt Wiebel sein zweites theologisches Examen ab; hierzu reicht er eine Arbeit über das "Verhältnis des Protestantismus zum Staat" ein, in der er die neue völkisch-nationale Bewegung begrüßt. Er erwähnt Julius Stahl, der in seiner Rechts- und Staatslehre von 1856 die Kräfte des Neuen verkannt habe, "denn er war kein Deutscher gewesen, sondern Jude". Wiebels Ausführungen lassen aber schon seine kritische Sicht des Staates erkennen: Er mahnt gegen die Gefahr der Selbstvergottung des Staates die Wachsamkeit des Protestantismus an, der den Staat darauf hinweisen solle, daß Krieg Sünde ist; der Korrektor vermerkt am Rand: "Auch Friede kann Sünde sein". Die Arbeit wird mit "im ganzen gut" bewertet. Bernhard Wiebel wird am 29.9.1929 in Unterbarmen ordiniert. Er versieht während der Zeit des Examens Dienst als Synodalvikar des Kreises Koblenz. Am 1.4.1930 wird Wiebel als Hilfsprediger in die Gemeinde Krofdorf-Gleiberg-Kinzenbach berufen, tritt aber aus Gesundheitsgründen nach dem Examen zunächst einen sechsmonatigen Erholungsurlaub an. Seine Einführung als Pfarrer der Gemeinde Krofdorf findet am 9.8.1931statt. Erkrankungen mit anschließendem Erholungsurlaub belasten Wiebels dreijährigen Dienst in seiner ersten Pfarrstelle. Dennoch wird er zum Pfarrer der Gemeinde Gerolstein und Daun ernannt und am 14.10.1934 durch Sup. Becker, Trier, eingeführt. Aus dem Nachlaßbestand ergibt sich, daß man für Gerolstein einen guten Theologen, königstreu und mit Kunstsinn (wegen der kaiserlichen Erlöserkirche in Gerolstein) gesucht hat, der zudem eine gute Gesundheit haben solle (wegen des rauhen Klimas der Eifel und der weiten Entfernungen einer Diasporagemeinde); in Wiebel findet man den Gesuchten, der außerdem ein kleines Auto besitzt. Die Pfarrstellenakten der Gemeinde besagen, daß die Stelle am 1.10.1934 Schwierigkeitsstelle wird, also mit einer besseren Bezahlung versorgt wird. Am 3.5.1935 heiratet er Martha Schmidt. Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor: Dorothea und Brigitte Elisabeth. Im November 1939 muß Wiebel wegen einer Rippenfellentzündung für zwei Monate ins Krankenhaus und beantragt danach einen sechsmonatigen Erholungsurlaub. Dieser Urlaub ist der Anlaß zum Streit mit dem Konsistorium bzw. dem Trierer (DC-) Superintendenten Becker: Wiebel hatte unter Vermeidung des Dienstwegs direkt mit dem Konsistorium korrespondiert; es existiert eine umfangreiche Korrespondenz bis 1942 (s. Akte Nr. 27). Er handelt dabei, ebenso wie bei anderen Anlässen (Geburtsanzeige, Gehaltsfragen, Fuhrkostenbeihilfe usw.), als Mitglied und auf Anweisung der Ev. Bekenntnissynode im Rheinland. Von Becker werden ihm Rücksichtslosigkeit, Ungehörigkeit und Pflichtverletzung vorgeworfen, außerdem sei er noch nicht vereidigt worden; den vom rheinischen Bruderrat ernannten Vertretungspfarrer Leudung lehnt Becker als illegal ab. Hatte er noch 1934 in Krofdorf einen Dankgottesdienst für Adolf Hitler gehalten (s. Akte Nr. 20, Predigt Nr. 193), so gehört Wiebel ab 1935 zum Kreis der Bekenntnispfarrer, er ist Konventsleiter der Hunsrücker Bruderschaft. Den Krieg erlebt Wiebel mit seiner Familie in Gerolstein. Nur Weniges erfahren wir aus dieser Zeit: Man muß ohnmächtig mit ansehen, wie die jüdische Nachbarfamilie Mansbach deportiert wird, seinen Weinvorrat schenkt Herr Mansbach dem Pfarrer; man unterstützt auch unter Schwierigkeiten französische Kriegsgefangene in einem Arbeitslager gegenüber dem Pfarrhaus und ermöglicht Gottesdienste in französischer Sprache, zu einzelnen besteht der Kontakt auch Jahre nach Kriegsende fort; Kirche und Pfarrhaus werden durch Bomben stark beschädigt. Am 1.6.1945 stirbt Wiebels Ehefrau Martha nach längerer Krankheit. Am 10.12.1947 heiratet er die Tochter eines Gütersloher Kunst- und Buchhändlers, Erika Goldstein. Aus dieser Ehe entstammt Wiebels drittes Kind, Bernhard, der im Mai 1950 geboren wird. Aus den Nachlaßakten erfahren wir, daß Pfarrer Wiebel 1948 zum Superintendenten des Kirchenkreises Trier gewählt wird. In den drei Jahren seiner Amtszeit ist er vor allem mit der Frage konfrontiert, wie die rheinische Kirche mit ehemaligen DC-Pfarrern umgehen solle. Wiebel erweist sich hier als umsichtiger Superintendent und Seelsorger. Wegen der ungünstigen klimatischen Verhältnisse der Eifel, der häufigen Erkrankungen der Kinder und der schlechten Wohnverhältnisse strebt er ab 1950 einen Pfarrstellenwechsel an; er hält Probepredigten in Bielefeld, wird hier aber nicht gewählt. 1951 wird er dann zum Pfarrer der Evangelischen Diakonissenanstalt Kaiserswerth berufen; er betont in einem Schreiben an die Kirchenleitung, daß er nicht aus gesundheitlichen Gründen aus Gerolstein weggehe, sondern um "dem Ruf des Herrn Jesus Christus" folge zu leisten. Die Personalakte ergibt, daß er seine Abschiedspredigt in Gerolstein am 23.3.1951 hält. Seinem Nachruf in Kaiserswerth ist zu entnehmen, daß Wiebel dort Stellvertreter des Vorstehers, Schul- und Bezirkspfarrer für einen großen Kreis von Schwestern war. Wiebel lehnt 1952 eine Berufung ins Vorsteheramt des Diakonissenhauses Elisabethenstift nach Darmstadt ab, 1957 kommt ein Wechsel ins Vorsteheramt des Diakonissenhauses Bethanien in Berlin nicht zustande; seine "modernen" Vorstellungen stoßen auf Ablehnung. Auch Wiebels Predigten kommen nicht überall an; er passe besser ins Rheinland, wird ihm nach seinen Probepredigten in Bielefeld bedeutet. Wiebels theologische Sprache wird bei Kriegsende wirklichkeitsnäher und eindeutiger; er engagiert sich in theologischen und gesellschaftlichen Fragen und bezieht auch politisch Position: gegen die Wiederaufrüstung der jungen Bundesrepublik, für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Er fördert den Dialog der politischen Systeme und die theologische Auseinandersetzung mit dem Marxismus. In den 60er und 70er Jahren nimmt er als Mitglied der Kirchlichen Bruderschaft im Rheinland an den Allchristlichen Friedensversammlungen in Prag teil und ist an der Arbeit der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) in der Bundesrepublik aktiv beteiligt. Von Wiebels politisch-theologischer Einstellung wird Entscheidendes in seinem Grußwort zum 40. Todestag von Paul Schneider 1979 deutlich, den er als einen "Störer der öffentlichen Ordnung und Lehrer zum Frieden" würdigt: "Erziehung zum Frieden heißt lernen, ungehorsam zu sein; bereit zu sein für Unordnung, wenn die Ordnung Beschwichtigung des Übels ... ist." (s. Akte Nr. 131) Wiebel tritt zum 1.10.1972 in den Ruhestand. Er stirbt am 16.11.1987 in Kaiserswerth. Zur Geschichte des Nachlasses und seiner Verzeichnung Der Nachlaß Pfarrer Bernhard Wiebels gelangte nach dem Tod seiner Frau am 6.9.1994 in das landeskirchliche Archiv, und zwar durch Vermittlung von Schwester Ruth Felgentreff, die bei der Auflösung der Wohnung Akten, Bücher usw. sicherstellte. Es handelte sich um mehrere Umzugskartons und eine Kiste mit Literatur von Prof. Martin Kähler1. Vor der Ordnung, Bearbeitung und Verzeichnung des Nachlasses durch den Unterzeichner im Jahr 1996 führte Michael Hofferberth, Mitarbeiter des landeskirchlichen Archivs der EKiR eine erste Sichtung des Bestandes durch; Hofferberth erstellte auch einen kurzen Lebenslauf Wiebels. Ich habe den von M. Hofferberth anhand der Personalakte des Landeskirchenamtes erstellten kurzen Lebenslauf Wiebels durch Erkenntnisse aus der Pfarrstellenakte der Gemeinde Gerolstein und aus den Akten des Nachlaßbestands erweitert und während der Verzeichnung laufend ergänzt. Arbeitsgruppen eines Archivordnerlehrgangs beschäftigten sich 1995 mit dem Bestand und verzeichneten einige Akten. Der Nachlaß besteht im Wesentlichen aus folgenden Arten von Schriftgut: a) Korrespondenz: Schriftverkehr Wiebels als Gemeindepfarrer und Superintendent mit Amtsbrüdern, kirchlichen und staatlichen Behörden, in Kaiserswerth mit den von ihm zu betreuenden Diakonissen, sowie vielfältiger internationaler Schriftverkehr im Rahmen seines Engagements für die Christliche Friedenskonferenz; b) Tagungsunterlagen mit vielen handschriftlichen Aufzeichnungen Wiebels von Versammlungen der Christlichen Friedenskonferenz, von Vorträgen, Pfarrkonventen u.dgl.; c) Sammlungen: umfangreiche Sammlung von Predigten Wiebels (dazu gehören auch Andachten und Kasualien); umfangreiche Sammlung von Schriften aus der Zeit des Kirchenkampfes: hektographierte Rundschreiben des rheinischen Bruderrats und der Bekennenden Kirche, Druckschriften und Broschüren zur kirchenpolitischen und theologischen Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Staat und den Deutschen Christen, Beschlüsse von Bekenntnissynoden; Sammlung von Zeitungen und Zeitschriften; andere Sammlungen Wiebels (u.a. zu R. Dutschke, K. Mützelfeld); Sammlung E. Schlink; d) eigene Forschungen, Zeugenbefragungen; g) Nachlaßliteratur (unterschiedlicher Herkunft). Außerdem enthält der Nachlaß Toncassetten, Diapositive und Kartenmaterial. Fast die Hälfte des Materials (Akten, Predigten, Sammlungen) stammt aus Wiebels Zeit als Gemeindepfarrer und Superintendent in Gerolstsein (1935-1951), nur wenige Unterlagen aus seiner Krofdorfer Zeit (1930-1934)3 bzw. aus den Jahren davor. Von seinem Wirken als Bezirkspfarrer in der Diakonissenanstalt Kaiserswerth erhalten wir ebenfalls nur wenige Informationen, werden aber ausführlich über besondere Aktivitäten Wiebels unterrichtet, z.B. über sein Engagement in der Christlichen Friedenskonferenz (CFK). Die Akten Nr. 136-142 zeugen von einem aktiven Ruhestand (1972-1987): Weiterarbeit für die CFK, Begleitung von Zeugen im Majdanekprozeß, eigene historische Forschungen und vieles mehr. Insgesamt umfaßt der Bestand die Akten Nr. 1-144 in 23 Archivkartons. Die umfangreiche Nachlaßliteratur liegt nicht beim Bestand, sondern wurde in die Bibliothek des landeskirchlichen Archivs übernommen. Ein Pfarrer mit Profil: zur Persönlichkeit Bernhard Wiebels Persönliches ist nur in wenigen Unterlagen vorhanden (vgl. seine Briefe, handschriftliche Vermerke, teilweise auch seine Predigten); dennoch gewinnt Bernhard Wiebel als Person deutliche Konturen. Ich habe ihn bei meiner Arbeit immer mehr kennen- und schätzengelernt: In der Zeit des Kirchenkampfes ist er mehr "stiller Beobachter"; zwar leitet er den Konvent der Hunsrücker Pfarrbruderschaft und liegt als BK-Pfarrer im Dauerstreit mit kirchlichen und staatlichen Behörden, exponiert sich aber nicht. Nach dem Krieg ändert sich dies: Wiebel nimmt eindeutig Stellung zu den Themen seiner Zeit, betont das prophetische Wächteramt der Kirche gegenüber Staat und Gesellschaft. Es verwundert deshalb nicht, daß etliche seiner beruflichen Pläne scheitern. In der Zeit des kalten Krieges arbeitet er mit vielen anderen Christen, nicht nur im Rahmen der Christlichen Friedenskonferenz, an der Überwindung der politischen Systeme. Auch sein Engagement im Düsseldorfer Majdanekprozeß - Wiebel betreut über Jahre jüdische KZ-Opfer, die als Zeugen aussagen, - seine Stellungnahmen zur Frage der Wiederaufrüstung und Kriegsdienstverweigerung bringen ihm auch von seiten seiner Kirche Kritik und den Vorwurf ein, mit Kommunisten gemeinsame Sache zu machen. Nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei 1968 trägt er mit dazu bei, daß der Kontakt zur tschechischen Kirche nicht abreißt. Überhaupt pflegt Wiebel nach dem Krieg vielfältige Kontakte zu Christen anderer Konfession und Nationalität (Besuche in Kaiserswerth, eigene Reisen, ausführliche Korrespondenz), die oft zu persönlichen Freundschaften werden. In den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen der 30er Jahre, durch die Erfahrungen des Krieges und das eigene Schicksal entwickeln sich die Persönlichkeit Bernhard Wiebels und seine pastorale Identität, gewinnt seine Theologie an Profil. Resümee Zusammen mit den Veröffentlichungen bzw. historischen Sammlungen anderer Zeitgenossen kann der Nachlaß zu einer interessanten Quelle für die Zeit des Kirchenkampfs, die Nachkriegszeit und die Bewegung der Christlichen Friedenskonferenz, aber auch für lokalgeschichtliche (Gerolstein) und regionalgeschichtliche (Kirchenkreis Trier) Untersuchungen werden. Pfarrer Manfred Jung, im Mai 1997
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7NL 017
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15.06.20252025, 05:19 MESZ
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