Archivale

Urgicht der Anna Schengkel, Hausfrau des Onophorus Lieber

Regest: 1) Sie habe in vergangenen Jahren einen Brief geschrieben, worin sie vorgab, dass Onophorus Lieber, ihr Hauswirt, das Weib des Bartle Memmeller bulle (= buhle) +), und diesen Brief mit ihrer Magd an einen Platz gelegt, dass er dem Bartle Memmeller zu Handen komme. So habe sie sich unterstanden, beide, ihren ehelichen Hauswirt und ihn, gegen einander zu verhetzen und in Uneinigkeit zu bringen. (Auf dem Rand: anno 48).
2) Ihr Hauswirt Onophorus Lieber sei einmal mit der Magd uneins worden. Da habe sie, Anna Schengkel, zu ihrem Junker gesagt, die Magd habe die Sache ihrem Vetter Jorg Wintter zu Unterhausen angezeigt. Der werde ihm solches nicht nachgeben (= nachsehen), sondern, wenn er auf ihn stosse, ihn erstechen oder erschiessen. Darauf habe sich ihr Hauswirt mit einer Feuerbüchse versehen. Aber Jorg Wintter habe von der Sache kein Wort gewusst, als er von Lieber zu Pfullingen hierum angesprochen und zur Red gestellt worden sei. Diese Sache habe sie, Anna Schengkel, für sich erdacht, um Uneinigkeit zwischen ihnen zu erwecken.
3) Als sie ihren vorigen Ehewirt Jacob Becht selig gehabt, sei sie persönlich zum zweitenmal gen Degerschlacht gegangen, habe Säumilch geholt und sie dem Jacob Becht zu essen gegeben, ebenso Schwalbenpulver ++) in einem grünen Kraut in der Meinung (= mit der Absicht), dass er keine als sie lieb haben werde.
4) Sie habe dem Jacob Becht an einem Donnerstag am Morgen anno 48 die Säumilch und am selbigen Tag ob dem Morgenessen Schwalbenpulver eingegeben. Hernach sei er am Montag gen Egisau zu seinem Schwestermann geritten und am folgenden Donnerstag wieder heimgekommen. Er sei krank gewesen und in kurzen Tagen mit Tod abgegangen.
5) Sie habe auch ihrem Junker Onophorus Lieber Schwalbenpulver in einem Kraut zu essen gegeben, damit er keine andere lieb haben und bullen +) möge.
6) Sie habe ihrem Junker Onophorus mit der Beschuldigung der Ketzerei (= Sodomiterei) und anderem schändlichen Verleumden in allweg (= immer) unrecht getan.
Bei diesem Bekenntnis sind gewesen Jorg Schütz, Daniel Neuscheller, Peter Schaup, Caspar Fuchs, Bastin Bugk, Bastin Weyprecht, Conrad Drechsel und Adam Trumether, Bürger zu Reutlingen, auch die Verordneten vom Rat Urban Zainiger, Hans jung Weiss und Samuel Gretzinger, des Stadtschreibers Sohn, an Statt seines Vaters.
Auf dieses Bekenntnis der Anna Schengkel hat der Rat der Reichsstadt Reutlingen mit Urteil aus Gnaden zu Recht erkannt, dass sie in ewiges Gefängnis gelegt, darin mit ziemlicher (= angemessener) Speis und Trank unterhalten werden und nimmermehr herauskommen soll, bis sie durch den zeitlichen leiblichen Tod ihr Leben geendet hat und aus diesem Jammertal abscheidet.
Actum den 26. August (15)62

Archivaliensignatur
A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. 7469
Formalbeschreibung
Beschreibstoff: Pap.
Sonstige Erschließungsangaben
Bemerkungen: +) Ein Weib buhlen = ein Liebesverhältnis mit ihr haben
++) Der Saft von Schwalbenkraut (Chelidonium) wurde laut Meyers Konversationslexikon früher als Arzneimittel verwendet. Hier offenbar als erotisches Reizmittel.

Genetisches Stadium: Or.

Kontext
Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26) >> Bd. 21 Urgichten
Bestand
A 2 e (Urfehden u.a.) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26)

Laufzeit
(15)62 Juli 9

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Letzte Aktualisierung
20.03.2025, 11:14 MEZ

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Objekttyp

  • Archivale

Entstanden

  • (15)62 Juli 9

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