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Pro und Contra in der Landespolitik - Eine neue Diskussionsreihe

(O-Ton) Werner Bollmann, Redakteur der Stuttgarter Nachrichten: Die SPD hat einen Gesetzentwurf zur Einführung des neunten Schuljahres eingebracht / Normalerweise werden Gesetzentwürfe, die aus den Reihen der Abgeordneten kommen, zunächst an einen Ausschuß überwiesen / Weshalb hat die Regierungskoalition das in diesem Falle nicht getan
(O-Ton) Robert Gleichauf, MdL, CDU, Oberndorf: Die Notwendigkeit der Einführung eines neunten Pflichtschuljahres wird von allen Fraktionen anerkannt / Die gesetzliche Verankerung desselben soll aber nach Auffassung der Regierungsparteien im Zusammenhang mit dem angekündigten Schulverwaltungsgesetz abgeklärt werden / Darüber hinaus ist der Zeitpunkt der Einführung noch nicht festzulegen / Die Lehr- und Bildungspläne für ein neuntes Schuljahr liegen dem Landtag noch nicht vor / Es fehlen noch Lehrer / Es werden mühsam vernünftige Klassenstärken angestrebt / Die primäre Aufgabe besteht darin, die personellen und sachlichen Voraussetzungen für eine geordnete Durchführung der acht Schuljahre zu schaffen
(O-Ton) Walter Nischwitz, MdL, FDP, Stuttgart: Der Mangel an Schulraum selbst für die geordnete Durchführung von acht Schuljahren ist in Baden-Württemberg weit verbreitet
(O-Ton) Walter Krause, MdL, SPD, Mannheim: Der Mangel an Schulraum und Lehrern ist unbestreitbar / Wenn wir das neunte Schuljahr einführen wollen, reicht es nicht aus, darüber zu lamentieren, was uns noch fehlt / Der Landtag muss einen mutigen Entschluß fassen und auch einen Zeitraum für die Einführung ins Auge fassen
(O-Ton) Walter Nischwitz, MdL, FDP, Stuttgart: In der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten war die Einführung des neunten Schuljahres ganz deutlich zugesagt / Das Kultusministerium hatte die Ausarbeitung des Schulgesetzes so weit vorangetrieben, dass damit die Klärung des neunten Schuljahres sichergestellt war / Aus diesen Gründen hat die Koalition es abgelehnt, den Gesetzentwurf der SPD erst noch in den Ausschuss zu geben, "denn die Dinge klären sich ja sowieso" / Neulich waren in der Frage des Schulhausbaus alle Parteien wieder übereingekommen, so dass es einer Rückkehr in die Zeiten der Allparteienregierung glich
(O-Ton) Werner Bollmann, Redakteur der Stuttgarter Nachrichten: Die SPD will ein Schulgesetz gemäß Artikel 15,2 der Landesverfassung / Dort heißt es : Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mit zu bestimmen, muß bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens berücksichtigt werden. Das Nähere regelt ein Schulgesetz, das einer Zweidrittelmehrheit bedarf / Was stellt sich die SPD darunter vor
(O-Ton) Walter Krause, MdL, SPD, Mannheim: Der Versuch, ein Schulverwaltungsgesetz unter Ausklammerung dieses Artikels zu machen, ist sehr schwer / Der jetzige Entwurf ist bereits ein Entwurf, der zum Ziele hat, das Erziehungs- und Schulwesen zu gestalten / Dadurch wird Artikel 15,2 sowieso tangiert / Die SPD möchte die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule für das ganze Land haben / Die SPD ist aber an die Verfassung gebunden / Die Frage lautet, wie der Artikel 15,2 in einem Schulgesetz ausgelegt werden kann, so dass die Verfasssung respektiert wird
(O-Ton) Werner Bollmann, Redakteur der Stuttgarter Nachrichten: Eine Spekulation der SPD auf eine Einheitsfront mit der FDP auf kulturpolitischem Gebiet liegt nahe
(O-Ton) Walter Nischwitz, MdL, FDP/DVP, Stuttgart: Wir haben alle den Wunsch, auf kulturpolitischem Gebiet Gesetze zu verabschieden, die nicht in einer Kampfabstimmung mit knapper Mehrheit durchkommen, sondern die wirklich allseitig getragen werden (O-Ton) Robert Gleichauf, MdL, CDU, Oberndorf: Im Gesetz über die Neuordnung des Schulwesens geht es um ganz konkrete Dinge wie die Trägerschaft der Berufsschulen, die Finanzierung des Schulwesens, die Stellung des Elternbeirats / Dazu ist nur eine einfache Mehrheit notwendig / Für ein Schulgesetz nach Artikel 15,2 der Landesverfassung ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich / Der Ministerpräsident hat bereits in seiner Regierungserklärung festgestellt, dass man von der Regierung nicht verlangen könne, dass sie einen Gesetzentwurf vorlegt, für den sich mit Sicherheit eine Zweidrittelmehrheit nicht erwarten läßt
(O-Ton) Werner Bollmann, Redakteur der Stuttgarter Nachrichten: Der Hochschulreferent des Kultusministeriums hat in einer halböffentlichen Veranstaltung gesagt, dass ein Professor der Technischen Hochschule Stuttgart, Herr Bense, noch nicht zum Ordinarius befördert worden sei, weil er Anarchist sei, antireligiöse Tendenzen vertrete, kein Niveau habe / Ist die Lehrfreiheit gefährdet, wenn ein außerordentlicher Professor nicht zum Ordinarius befördert wird
(O-Ton) Robert Gleichauf, MdL, CDU, Oberndorf: Die Freiheit der Lehre findet ihre Grenze, wo es um die Grundsätze einer freiheitlichen demokratischen Staatsordnung geht / Herr Bense hat diese Grenze verschiedentlich nicht unerheblich überschritten
(O-Ton) Walter Krause, MdL, SPD, Mannheim: Die Verfassung muss nach beiden Seiten hin respektiert werden: Es gilt die Freiheit der Lehre wie der Grundsatz, dass diese nicht von der Treue zur Verfassung entbindet / Als jedoch ein Beamter des Kultusministeriums in der Öffentlichkeit den Vorwurf der Niveaulosigkeit gegen Professor Bense erhob, entschied die SPD, diesen Vorfall auch noch im Landtag zur Sprache zu bringen
(O-Ton) Walter Nischwitz, MdL, FDP/DVP, Stuttgart: Die FDP freut sich, dass der Kultusminister sich entschieden zur Freiheit der Forschung und Lehre bekannt hat / Er hat jedoch auch erklärt, der Fall Bense sei noch gar nicht entschieden / Der Tumult darum ist daher unverständlich / Natürlich kann man einen Hochschullehrer nicht überprüfen / Selbstverständlich sind aber Grenzen gegeben in der Verfassung und der Institution des Staates

Reference number
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, R 5/002 D611002/102
Extent
0:19:50; 0'19
Further information
Herkunft: Politischer Wochenbericht aus Baden-Württemberg

Context
Politischer Wochenbericht aus Baden-Württemberg des SDR 1958-1970 >> 1961 >> Februar
Holding
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, R 5/002 Politischer Wochenbericht aus Baden-Württemberg des SDR 1958-1970

Indexbegriff subject
Demokratie
Gesetzgebung: Schulverwaltungsgesetz
Grundrecht: Lehrfreiheit
Grundrecht: Meinungsfreiheit
Partei; SPD
Schule: Neuntes Pflichtschuljahr
Universität
Indexentry place
Stuttgart S

Date of creation
11. Februar 1961

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Last update
20.01.2023, 4:53 PM CET

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  • AV-Materialien

Time of origin

  • 11. Februar 1961

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