Archivale
Eingabe an Bürgermeister und Rat
Regest: Dem Apotheker Othmar Scheltz ist durch Bürgermeister Koch auf Befehl des Rats angezeigt worden, dass der Rat willens sei, innerhalb 14 Tagen seine Apotheke durch Doctor Michael Rucker von Tübingen visitieren zu lassen. Das befremdet Scheltz nicht wenig, da er zu dieser Zeit mit seiner Apotheke weder dem Rat noch sonst jemand verpflichtet, auch niemand Rechenschaft darum zu tun schuldig ist. Es ist ihm zugelassen wie einem andern Bürger, die bürgerliche Freiheit zu gebrauchen, dass ein jeder Bürger ungehindert seine Waren verkaufen kann, wenn es niemand zum Nachteil gereicht. Sollte jemand etwas über seine Apotheke zu klagen haben, so ist Scheltz erbötig, sich vor dem Rat zu verantworten. Es ist dem Rat bekannt, dass er die Apotheke auf seine grossen Kosten hier aufgerichtet hat. Vorher ist keine Apotheke in Reuttlingen gewesen. Er hat seine Apotheke in guter Übung (= Tätigkeit) erhalten, dass sie seines Erachtens gemeiner Stadt nicht übel angestanden ist. Er hat in 25 oder 26 Jahren +) 4-5 Doctoren gehabt, hauptsächlich Jerg Rentz, Marte Stürmlin, Heinrich von Rottenburg und Jer (= Jerg) Trauttman, al jung (= alle jung, oder ganz jung) hergekommen, unerfahren der Praktik, so dass ein jeder Doctor zu seiner gelegenen Zeit hinwegstellte ++). Sobald einer seine Praktik hier am besten ergriffen hatte und Scheltz hoffte, den besten Nutzen von ihm zu erlangen, sind sie weggezogen und haben ihn mit seiner Apotheke am Kreuz hängen lassen. Davon hat er grossen Schaden erlitten. Nach jeden Doctors Abzug ist jedesmal seine Apotheke bis in das 3. oder 4. Jahr in Mangel eines andern Doctors gestanden, so dass ihm seine Compositiones und Materialia inzwischen, bis ein anderer angenommen wurde, verdarben. Scheltz musste jedem seine besonderen Compositiones nach seinem Gebrauch und Praktik mit seinen Patienten zurichten. Jeden Doctors Abzug hat ihn in der Zeit, da er ohne einen Doctor war, aufs geringste angeschlagen 100 fl geschadet. Wenn er nicht mit seiner eigenen Praktik seine Compositiones und Arzneien hätte vertreiben können, so wäre sein Verderben darauf gestanden. Er hat sich mit den 3 oder 4 genannten Doctores gut vertragen können, dass er von ihnen jeder Klage überhoben war und ihnen machte, was sie begehrten.
Scheltz glaubt beim Rat verunglimpft oder versagt (= verleumdet) worden zu sein, als habe er den gemeinen Bürgersmann mit seiner Apotheke übernommen (= überfordert). Er möchte den Mann sehen, der ihn dessen mit Wahrheit beschuldigte. Er hat alle seine Apothekerwaren immer nach der Tax zu Esslingen, Stuckartt und auch Tübingen verkauft. Wenn jetzt Doctor Jerg Kyrman über ihn und seine Apotheke klagt, so soll man ihn Scheltz gegenüberstellen; dann will er sich verantworten, wie es sich gebührt. Er trägt Sorge, es werde ihm mit diesem jungen Doctor gehen wie mit den andern. Wenn sie in Reuttlingen die Praktik haben, so stellen sie gleich hinweg ++). Daneben nimmt ihn wunder, dass der Rat ihn mit einem fremden Doctor visitieren will, weil es an keinem Ort bräuchlich ist. Der geschworene Doctor der gleichen Stadt soll es tun. Ferner ist er dem Rat mit seiner Apotheke nicht verpflichtet, da man ihm sein Dienstgeld gekündigt hat. Auch hat er bisher seine Apotheke auf eigene Kosten erhalten. Deshalb glaubt er nicht schuldig zu sein, ohne seine Zustimmung seine Apotheke visitieren zu lassen. Wenn der Rat aber ihm oder dem Inhaber dieser Apotheke, seinem Sohn, ein Dienstgeld geben will, so hat der Rat das Recht, seine Apothek einmal oder zweimal jährlich visitieren zu lassen, doch nach der Mess, wie es der Brauch ist. Dafür zieht (= beruft) er sich auf die Verständigen (= Sachverständigen). Aber ohne sich zu rühmen, weiss er, dass er zu dieser Zeit seine Apotheke für diesen jungen Doctor genugsam versehen hat, weil dieser noch keinen besonderen Zulauf hat. Scheltz merkt, dass Kyrman gern eine Apotheke hätte wie zu Strassburg und anderswo. Das mag nicht gesein zu (= kann nicht sein bei) seiner Praktik. Wenn er aber besondere Compositiones haben will, die Scheltz nicht im Brauch hat, so erbietet er sich, alles, was er begehrt, zu machen, jedoch dass (= unter der Voraussetzung, dass) er's wolle verschleissen (= verbrauchen, für den Verkauf sorgen) und verschreiben. Wenn der Rat ihm oder dem Inhaber dieser Apotheke, doch von seinem Geschlecht, ein Dienstgeld geben, auch seine Apotheke eines Doctors nicht ermangeln lassen, sowie keinen andern Apotheker in Reuttlingen neben ihm einsitzen lassen will, weil kaum einer sich erhalten kann, geschweige denn zwei, und ausserdem jeder Krämer hier ein Apotheker sein und den Leuten Tränke und deutsche Rezepte machen und andere schädliche Stücke verkaufen will wie Coloquint (= Bittergurke), Nieswurz und dergleichen, was an andern Orten nicht allein den Krämern, sondern auch den Apothekern zu verkaufen verboten ist - wenn also der Rat ihm diese Punkte versprechen will, so ist er erbötig, seine Apotheke visitieren zu lassen, doch nach der nächsten Mess, auf die er ziehen wird. Denn es ist dem Rat wohlbekannt, dass jetzt in diesen schweren Zeitläufen eine zeitlang keine Messe in Frankfurt gewesen ist. Er könnte zu Ulm oder anderswo nicht einkaufen als um 2 Geld (wohl = ums doppelte Geld). Das kann er nicht. Denn, wenn er teuer einkaufte, so müsste er wiederum teuer verkaufen. Auch ist die Praktik, die dieser Doctor Jerg Kyrman zur Zeit hat, zu klein dazu.
Othmarus Scheltz.
- Reference number
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A 2 c (Zünfte) Nr. A 2 c (Zünfte) Nr. 4371
- Formal description
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Beschreibstoff: Pap.
- Further information
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Bemerkungen: +) Diese Angabe und die Bezeichnung des Doctor Kyrman als jungen Arztes legt die Datierung des Schriftstücks auf etwa 1545 nahe, wenn dieser wirklich, wie Krimmel, RGB 1893 S. 58 angibt, 1538 in Reutlingen zu finden ist.
++) Fischer: Schw. WB: hinwegstellen = hinwegtrachten, sich um eine andere Stelle bewerben
Genetisches Stadium: Or.
- Context
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Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 8-11 u. 18) >> Bd. 11 Zünfte Apotheker
- Holding
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A 2 c (Zünfte) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 8-11 u. 18)
- Date of creation
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vielleicht um 1545 (ohne Datum)
- Other object pages
- Last update
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20.03.2025, 11:14 AM CET
Data provider
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Object type
- Archivale
Time of origin
- vielleicht um 1545 (ohne Datum)