Bestand

Kaufmannschaft zu Lübeck und Handelskammer (Bestand)

Erschließungszustand, Umfang: Findbuch (1991)
37 lfm

Verwandte Verzeichnungseinheiten: ASA Interna Commercium; NSA XI (Handel und Industrie)

Literaturhinweis: Uwe Kühl, Von der kaufmännischen Korporation zur kommerziellen Interessenvertretung: Kaufmannschaft und Handelskammer zu Lübeck im 19. Jahrhundert bis zur Reichsgründung (Veröffentlichungen zur Geschichte der HL, Reihe B Bd. 22), Lübeck 1993

Vorwort: Vorbemerkung

Die Selbstverwaltung des Lübecker Handels fand von alters her durch die kaufmännischen Kollegien statt, die seit dem Bürgerrezeß von1669 zugleich Verfassungsorgane waren, indem sie zusammen mit der Zirkelgesellschaft und den Ämtern die Bürgerschaft konstitutierten. Eine Gesamtvertretung der lübeckischen Kaufleute, seit 1815 mehrfach angestrebt, konnte sich erst bilden, nachdem die Kollegien durch die Verfassungsreform von 1848 ihrer politischen Funktion entkleidet worden waren. Durch Rat- und Bürgerschluß vom 18. Juni 1853 wurden die acht kaufmännischen Kompagnien zur "Kaufmannschaft" zusammengefasst. Das Vermögen der Kollegien ging auf die neue Institution über, die Mitglieder der Kollegien traten automatisch in die Kaufmannschaft ein.

Der gesetzliche Vorstand der Kaufmannschaft, bestehend aus Präses und 18 Mitgliedern, erhielt die Bezeichnung "Handelskammer". Sie übte eine Doppelfunktion aus. Einerseits übernahm sie sozusagen die Geschäftsführung der Kaufmannschaft. Diese bildete demnach das Wahlgremium für de Handelskammer, während jene das Organ zur Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten der Kaufmannschaft war. Andererseits wurden der Handelskammer die Befugnisse einer öffentlich-rechtlichen Institution im Bereich von Handel, Gewerbe/Industrie und Verkehr übertragen. Die Geschäftsführung wurde bis 1897 durch einen, danach durch zwei und seit 1913 durch drei Sekretäre (Syndici) wahrgenommen. Bis zur Einführung der Gewerbefreiheit bestand eine Zwangsmitgliederschaft, d. h. wer ein Gewerbe ausüben wollte, musste Mitglied der Kaufmannschaft sein. Durch die revidierte Kaufmannsordnung vom 28.1.1867 wurde die Mitgliedschaft freiwillig; für Gewerbetreibende bestand nur eine Pflicht zur Eintragung ins Handelsregister. Eine erneute Revision der Kaufmannsordnung, die bis 1935 in Kraft blieb, brachte keine wesentlichen Änderungen. Lediglich 1921 wurde für alle gewerbesteuerpflichtigen Kaufleute eine Beitragspflicht eingeführt; vorher waren die Ausgaben der Handelskammer aus den Hafenabgaben bestritten worden.

Diese Einnahmequelle ergab sich daraus, dass die Kaufmannschaft Eigentümerin der von den ehemaligen Kollegien übernommenen Hafeneinrichtungen geblieben war. Die Handelskammer wurde somit zur Trägerin der gesamten Kaiverwaltung sowie später auch des staatlichen Regieschleppbetriebes auf dem Elbe-Trave-Kanal. Dadurch, dass der Senat ihr Mitspracherechte bei der Wirtschaftsverwaltung einräumte, wurde sie quasi zu einer halbstaatlichen Instanz. So verpflichtet sich der Senat, die Handelskammer in allen Handel, Schiffahrt und Verkehr betreffenden Angelegenheiten gutachtlich zu hören. Der jeweilige Präses wurde vor seinem Amtsantritt als Vertrauensmann des Senats vereidigt; die Wahl selbst musste vom Senat bestätigt werden. Senatsmitglieder waren zur Handelskammer nicht wählbar. Berichte der Konsuln wurden der Handelskammer mitgeteilt.

Durch das Gesetz über die Industrie- und Handelskammer vom 4. Dezember 1934 erfolgte eine Angleichung an das preußische Handelskammerrecht. Mit der Neubenennung war zwar eine Bestätigung des öffentlich-rechtlichen Status verbunden. Jedoch wurde die Kaufmannsordnung von 1898 aufgehoben, die Mitwirkungsrechte gegenüber dem Senat bestätigt und das Führerprinzip eingeführt. Am 18. Januar 1935 wurde eine neue Kaufmannsordnung erlassen. Im gleichen Jahr ging die Hafenverwaltung und der Schleppbetrieb zum großen Teil auf die zu diesem Zweck gegründete Lübecker-Hafengesellschaft über.

Mit dem Inkrafttreten des Groß-Hamburg-Gesetzes, durch das die Stadt Lübeck in die preußische Provinz Schleswig-Holstein eingegliedert wurde, war auch ein Neuzuschnitt der Handelskammerbezirke verbunden. Die Industrie- und Handelskammer Altona wurde aufgelöst. Zum Bereich der Industrie- und Handelskammer wurden die Kreise Oldenburg, Segeberg, Eutin, Storman und Herzogtum Lauenburg geschlagen. Diese Ausweitung zu einer über das Gebiet der Stadt Lübeck hinausreichenden Flächenkammer machte die bisherige Koppelung von Kaufmannschaft, die weiterhin auf Lübeck bezogen blieb, und Handelskammer absolet. Beide wurden zu eigenständigen Institutionen mit unterschiedlicher Zielsetzung und unterschiedlichen Einzugsbereichen. In der Konsequenz dieser Entwicklung lag es, dass die Kaufmannschaft die in ihrem Eigentum verbliebenen Hafenanlagen 1938 an die Stadt Lübeck verkaufte. Die ursprünglich der Kaufmannschaft und Handelskammer obliegenden Aufgaben waren damit auf drei Nachfolgeinstitutionen übergegangen: Die Industrie- und Handelskammer zu Lübeck (als Flächenkammer mit öffentlich-rechtlichen Status), die Kaufmannschaft zu Lübeck (als Interessenvertretung der Lübecker Kaufleute mit eigenem Vermögen) und die Lübecker Hafen-Gesellschaft (als Betriebs- und Verwaltungsinstitution für die Lübecker Hafenanlagen). Die Schnittstelle zur Abgrenzung des hier verzeichneten Bestandes liegt aufgrund der o. a. Prämissen im Jahr 1937, mit dem neben den institutionellen Veränderungen auch eine neue dem Charakter einer Flächenkammer entsprechende Registraturschicht einsetzt.

Bis 1937 waren drei Registraturschichten entstanden. Die erste, von 1853 bis 1864 reichend, ist eine Serienaktenregistratur, in der die Betreffe überwiegend nach geschäftstechnischen Gesichtspunkten gebildet sind (z. B. Gutachten, Konsulatsberichte, Mitteilungen etc.). Diese ist weitgehend erhalten geblieben; sie wurde in der ursprünglichen Ordnung belassen, neu signiert und um einige bisher unverzeichnete Reste ergänzt. Da der jeweilige Akteninhalt durch das zeitgenössische Aktenverzeichnis einzelblattweise erschlossen ist, kann dieses zur Ergänzung herangezogen werden, so dass sich vielfach eine Durchsicht der jeweiligen Akte selbst erübrigen würde. Die jeweilige Altsignatur ist hinter dem Aktentitel in Klammern angegeben. Eine Kopie des alten Verzeichnisses ist neben dem vorliegenden Repertorium aufgestellt und damit jederzeit greifbar.

Die zweite Registraturschicht, eine verfeinerte, in drei Gruppen und etwa 60 Sachbetreffe gegliederte, heute nicht mehr vollständig rekonstruierbare Serienaktenregistratur (A I-XVIII, B I-XXXVI, C I/III) wurde bei der Neuordnung der Registratur im Jahre 1887 aufgelöst und in die dritte Registraturschicht, nun eine reine Sachaktenregistratur, eingegliedert. Einige dabei übriggebliebene unteilbare Serienreste wurden dem Bestand nun wieder hinzugefügt; diese sind an den unspezifischen Aktentiteln zu erkennen (z. B. Schiffahrtsangelegenheiten, Allgemeines). Zeitlich übergreifende, mit den Registraturschichten nicht konform laufende Serien (Protokolle) wurden zu einer eigenen Gruppe formiert und an den Anfang dieses Verzeichnisses gestellt.

Das hier verzeichnete Material ist Depositum der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck. Es gelangte in zwei Lieferungen im September und November 1980 ins Archiv der Hansestadt Lübeck; die Registraturschicht I war schon zu einem früheren Zeitpunkt abgeliefert worden. Bei der Verzeichnung wurden die Aktentitel geringfügig modifiziert und soweit wie erforderlich durch enthält Vermerke tiefer erschlossen. Da die Akten der Registraturschicht II/III in das Sachschema der noch laufenden Registratur gepresst worden waren, erwies sich eine grundlegende Neuformierung bzw. Rückformierung dieser Schicht als notwendig; vor allem war die Gruppe 6 a (Lübeck), die nur bezogen auf die Flächenkammer einen Sinn macht, aufzulösen.

Außer den Akten der Kanzlei der Handelskammer waren auch die Akten aus dem Büro des Syndikus mit abgeliefert worden. Diese hatte man nach Sachbetreff in die einzelnen (gehefteten) Akten der Kanzlei lose eingelegt. Soweit es sich um Doppelstücke handelte, wurde dieses Schriftgut kassiert, ansonsten aber in den Akten belassen. Doppelstücke von Druckschriften wurden der Dienstbibliothek des Archivs zugeführt.

Von der Industrie- und Handelskammer zurückgehalten wurden die ehemaligen Gruppen 1a bis 3a (Interna der Handelskammer, insbesondere Personalangelegenheiten) sowie die sog. Firmenakten (Anfragen von und Auskünfte an Firmen). Ferner fehlen die Gruppen 14a, 17a und 27a (Großhandel, Sammlungen, Werbewesen). Die Gruppe 35a (interne Angelegenheiten der Kaufmannschaft, Vermögen und soziale Einrichtungen) gelangte 1938 in das Eigentum der Kaufmannschaft und ist daher überwiegend im Bestand "Kaufmannschaft zu Lübeck" zu finden. Auffällig ist auch die geringe Anzahl von Akten über die Kaiverwaltung und den Schleppdienst; hier ist noch Material bei der Lübecker Hafen-Gesellschaft zu vermuten. Weitere Lücken sind bei verschiedenen Sachakten festzustellen, wo oftmals einzelne Bände einer Serie fehlen. Akten bzw. Protokolle der zahlreichen Ausschüsse der Handelskammer sind nur zum geringen Teil überliefert (Kassen-Ausschuß, Börsen-Ausschuß, Ausschuß für die Bugsierdamschiffe). Hingegen ist eine Reihe von Unterlagen des Lübecker Reedervereins erhalten, deren Geschäftsstelle sich bei der Handelskammer befand. Diese Akten wurden aus Gründen des leichteren Auffindens im Bestand belassen, aber als eigene Gruppe bezeichnet.

Die Ablieferungen von 1980 umfaßten auch zahlreiche Akten aus späterer Zeit. Diese wurden in den hier verzeichneten Bestand übernommen, wenn sie bereits vor 1937 angelegte Akten unmittelbar fortsetzten. Insofern reicht die Laufzeit verschiedener Titel über das Grenzjahr hinaus. Fremde Provenienzen, mit Ausnahme des Reedervereins, wurden ausgeschieden. Dazu gehört u. a. Schriftgut der Gewerbekammer Lübeck sowie der 1937 aufgelösten Handelskammer Altona. Kassiert wurden außer einigen Akten unwesentlichen Inhalts vor allem Umdrucke von übergeordneten Stellen (Reichsbehörden, Industrie- und Handelstag), soweit diese nicht in sachlichem Zusammenhang mit Tätigkeiten der Handelskammer standen.

Der Bestand hat nach Kassation eine Umfang von 40 Regalmetern.

Zitierweise: Bestand, lfd. Nr. und Bandzahl, also z. B. Handelskammer, Nr. 375 Bd. 2

Lübeck, den 8.8.1991 gez, Dr. H. Bickelmann


Eingrenzung und Inhalt: Protokolle, Kaufmannsordnung, Mitglieder, Vermögen, kaufmännische Aus- und Fortbildung (Handelsschule); Reichs- und Verwaltungsreform; Außenhandel, Groß- und Einzelhandel, Handelsrecht, Geld- und Kreditwesen, Börse; Industrie und Gewerbe, Schifffahrt und Hafen, Verkehr; Post- und Fernmeldewesen, Zölle und Steuern, Arbeitsverhältnisse und -recht.

Verwaltungsgeschichte/biographische Angaben: Eine Gesamtvertretung der lübeckischen Kaufleute, seit 1815 mehrfach angestrebt, konnte sich erst bilden, nachdem deren Kollegien durch die Verfassungsreform von 1848 ihrer politischen Funktion entkleidet worden waren. Durch Rat- und Bürgerschluss vom 18. Juni 1853 wurden die acht kaufmännischen Kompanien zur "Kaufmannschaft" zusammengefasst. Der gesetzliche Vorstand erhielt die Bezeichnung "Handelskammer". Sie übte eine Doppelfunktion aus. Einerseits übernahm sie die Geschäftsführung der Kaufmannschaft, andererseits wurden der Handelskammer die Befugnisse einer öffentlich-rechtlichen Institution im Bereich von Handel und Gewerbe, Industrie und Verkehr übertragen. Das Gesetz über die Industrie- und Handelskammer vom 4. Dez. 1934 beseitigte die Mitwirkungsrechte gegenüber dem Senat und führte das Führerprinzip ein. Das Groß-Hamburg-Gesetz hatte für die Kammer weitreichende Folgen: Die ursprünglich der Kaufmannschaft und Handelskammer obliegenden Aufgaben gingen auf drei Nachfolgeinstitutionen über: Die Industrie- und Handelskammer zu Lübeck (Flächenkammer mit öffentlich-rechtlichem Status), die Kaufmannschaft zu Lübeck (Interessenvertretung der Lübecker Kaufleute) und die Lübecker Hafengesellschaft (Betriebs- und Verwaltungsinstitution für die öffentlichen Hafenanlagen). Bis 1937 waren drei Registraturschichten entstanden. Die erste, eine Serienaktenregistratur, reicht von 1853-1864 und ist weitgehend erhalten, die zweite, ebenfalls eine Registratur von Serienakten, wurde im Jahr 1887 beim Neuaufbau der Registratur als reine Sachaktenregistratur in diese neue, dritte Registraturschicht eingegliedert und ist nicht mehr vollständig rekonstruierbar. Die zeitlich übergreifenden Protokolle wurden zu einer eigenen Gruppe formiert. Registraturschicht I befand sich schon im Archiv, als Protokolle und Akten in zwei Lieferungen 1980 abgeliefert wurden.

Bestandssignatur
02.04

Kontext
Archiv der Hansestadt Lübeck (Archivtektonik) >> 02 Fremde Behörden und Gerichte

Bestandslaufzeit
1853-1937

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Letzte Aktualisierung
30.06.2025, 10:12 MESZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1853-1937

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