Bestand

Provinzialjustizkollegium Rottenburg (Bestand)

Vorbemerkung: In der letzten Phase der Regierungszeit König Friedrichs von Württemberg, die gekennzeichnet war durch politische und staatliche Neu- bzw. Umgestaltungen nach der Einverleibung der sog. neuwürttembergischen Territorien, befand sich auch die württembergische Justizverwaltung in fließender Fortentwicklung, bevor sie sich unter Friedrichs Nachfolger, König Wilhelm I., in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts endgültig konsolidierte. In dieser Übergangszeit, in der das gesamte Land vorübergehend in zwölf Landvogteien eingeteilt wurde, kam es auch zur Einrichtung von drei Provinzialjustizkollegien zu Rottenburg, Ludwigsburg und Ulm, die dem Oberjustizkollegium zu Stuttgart untergeordnet wurden und in ihrem Sprengel, der jeweils vier Landvogteien umfaßte, die Aufsicht über die niederen Gerichte führten. Sie entschieden in erster Instanz alle vor den Oberamtsgerichten schriftlich verhandelten, einen Streitwert von 50 Gulden übersteigenden Zivilprozesse sowie die Gant- bzw. Konkurssachen, sofern die Konkursmasse mehr als 500 Gulden betrug. In diesen Fällen fungierten die Oberamtsgerichte lediglich als sog. Instruktionsbehörden, d.h. Klag- und Prozeßschriften jeglicher Art, Beweisurkunden u.ä. mußten bei diesen eingereicht und von diesen wiederum an die Provinzialjustizkollegien zur Abfassung von End- oder appellabelen Zwischenurteilen weitergeleitet werden. Das Personal der Provinzialjustizkollegien, die mit Erlaß vom 26.8.1811 geschaffen wurden, setzte sich anfänglich aus einem Provinzialjustizdirektor, vier Justizräten, einem Assessor, einem Aktuar und einem Dekopisten zusammen. Im Falle Rottenburgs erhöhte sich die Zahl der Justizräte, die als Referenten fungierten, später auf sechs, während zum reinen Verwaltungspersonal noch ein Kanzlist "mit Sekretärscharakter" hinzutrat. Durch Verordnung vom 12. März 1819 wurde das Provinzialjustizkollegium Rottenburg aufgelöst. An seine Stelle trat zunächst eine, in vier Sektionen aufgeteilte Justizretardatenkommission, die die Aufgabe erhielt, sämtliche vorhandenen Rückstände an anhängigen Prozessen aller drei bisherigen Provinzialjustizkollegien aufzuarbeiten bzw. in erster Rechtsstufe zu erledigen. Nach der bereits im September 1821 erfolgten Auflösung dieser Kommission gelangten deren Akten zusammen mit den Vorakten mindestens des Provinzialjustizkollegiums Rottenburg in die Registratur des Zivilsenats beim Kreisgerichtshof Tübingen, wo sie im Spätjahr 1868 zum größten Teil vernichtet wurden (vgl. Bestand E 358, Bü. 3). Daß sich von den vom Provinzialjustizkollegium laut Registratur-Repertorium (Bü. 1) verhandelten nahezu 1500 Prozessen überhaupt noch 106 Verfahren aktenmäßig erhalten haben, ist weniger dem Umstand zuzuschreiben, daß eine, welchen Kriterien auch immer untergeordnete, geschweige denn repräsentative Auswahl getroffen wurde, sondern wohl eher der Tatsache, daß einige Fälle vom Zivilsenat des Kreisgerichtshofes Tübingen weiterbehandelt wurden (etwa Bü. 3), die Akten anderer Fälle aber in entlegenen Registratur-Teilen die Vernichtungsaktion vom Jahre 1868 "überlebt" haben. Denn wenn auch ursprünglich die Konzepte der beschlossenen Entscheidungen von der Vernichtung ausgenommen bleiben sollten (vgl. E 358, Bü. 3), ist doch Tatsache, daß dies augenscheinlich nicht der Fall war, zudem manche der noch vorhandenen Akten wesentlich mehr Schriftstücke - abgesehen von den an die Oberamtsgerichte zurückgesandten - enthalten als das eigentliche Urteilskonzept. So ist die schriftliche Rest-Überlieferung des Provinzialjustizkollegiums eher zufällig zu nennen: Außer dem schon erwähnten Registratur-Repertorium, das wenigstens sämtliche behandelten Fälle unter Angabe der Personen und des Streitgegenstandes nach Oberamtsgerichten geordnet chronologisch auflistet, hat sich aus der Verwaltungsregistratur so gut wie nichts erhalten. Bei den Gant- und Zivilprozessen der 20 instruierenden Oberamtsgerichte in den vier Landvogteien am oberen Neckar, am mittleren Neckar, am Schwarzwald sowie auf der Alb, für die das Provinzialjustizkollegium Rottenburg zuständig war, sind Verfahrensakten von fünf Oberamtsgerichten überhaupt nicht, von anderen nur in geringfügigen Resten überliefert. Relativ dicht ist die Überlieferung lediglich für den mittleren und oberen Neckarraum (Tübingen, Rottenburg, Sulz). Von der späteren Nachfolgebehörde des Kreisgerichtshofes Tübingen, dem Landgericht, gelangten die Akten - vermischt mit anderen Provenienzen (Justizretardatenkommission Rottenburg, Ober-Appellations-Tribunal Tübingen) - in das Staatsarchiv Sigmaringen, welches diese im Jahre 1983 zuständigkeitshalber an das Staatsarchiv Ludwigsburg abgab. Hier wurde das bislang ungeordnete und unverzeichnete Material als Bestand E 326a neu formiert. In den Wintermonaten 1995/96 bearbeitete der Unterzeichnete den Gesamtbestand, wobei er ein umfangreiches Büschel, das provenienzmäßig dem Ehegericht beim Ober-Appellations-Tribunal Tübingen zuzuordnen und in den Bestand E 308 II (Obertribunal Tübingen, Dispensationen in Ehesachen 1810 - 1822) einzugliedern ist, herauszog sowie andererseits aus Bestand E 327 (Kreisgerichtshof Tübingen, Zivilsenat) das dortige Büschel 130 übernahm und hier in das Büschel 3 integrierte. Da die meisten der alten, chronologisch vergebenen Signaturen noch vorhanden waren bzw. durch das Registratur-Repertorium (Bü.1) rekonstruiert werden konnten, lag es nahe, innerhalb der alphabetischen Folge der Oberamtsgerichte (als Instruktionsbehörden) dem Signaturschema zu folgen. Allerdings schien es sinnvoll, von der früheren alphabetischen Ordnung der Oberamtsgerichte innerhalb" der vier Landvogeien abzurücken, da ja auf der Ebene der Landvogteien keine zivilrechtliche Instanz vorhanden war. In den beiden Abteilungen "Zivilprozesse" sowie "Gant- bzw. Konkurssachen" wurde jetzt also durchgängig alphabetisch nach Oberamtsgerichten sortiert und innerhalb dieser Abteilungen nach der alten, chronologisch vorbestimmten Signaturfolge, wodurch es ermöglicht wurde, die gewaltigen Überlieferungslücken, die sich bei Kollationierung mit dem alten Registratur-Repertorium ergeben, sichtbar werden zu lassen. Die computergestützte Reinschrift des vorliegenden Findbuchs fertigte Frau Hildegard Aufderklamm. Der Bestand umfaßt nunmehr 109 Büschel im Gesamtumfange von 0,7 lfd. m. Ludwigsburg, im Mai 1996 (Dr. Norbert Stein)

Literatur: Alfred Dehlinger, Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung bis heute, Bd. 1, Stuttgart 1951, 51, 165, 166 Königlich Württembergisches Hof- und Staats-Handbuch auf das Jahr 1812, Stuttgart <1812> Königlich Württembergisches Hof- und Staats-Handbuch auf das Jahr 1815, Stuttgart <1815> Friedrich Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation in Württemberg, Teil 1, Stuttgart 1902, S. 204

Bestandssignatur
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, E 326 a
Umfang
109 Büschel (0,7 lfd. m)

Kontext
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg (Archivtektonik) >> Ober- und Mittelbehörden 1806-um 1945 >> Geschäftsbereich Justizministerium >> Gerichte im Schwarzwaldkreis

Bestandslaufzeit
1811-1819

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Letzte Aktualisierung
18.04.2024, 10:40 MESZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1811-1819

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