Grafik
Herkules am Scheidewege
Herkules befindet sich nahezu unbekleidet in frontaler Ansicht im Kontrapost auf der Mittelachse der unteren Bildhälfte. Die Arme sind angewinkelt, der rechte ist auf die Hüfte gestützt, der linke hält die auf der Schulter ruhende Keule. Er wird von zwei Frauengestalten begleitet, den Personifikationen von „Tugend“ und „Laster“. Die sittsam gekleidete „Tugend“ fasst ihn mit der Linken am Arm, die Rechte weist einladend den Weg. In gezierter Haltung nähert sich das „Laster“ in aufreizend durchsichtiger Oberbekleidung. Im Gegensatz zur barfüssigen „Tugend“ trägt sie zierliches Schuhwerk und das unverhüllte Haar ist kunstvoll frisiert. Herkules hat seinen Kopf der „Tugend“ zugewandt. Dies kann als Reaktion auf deren Berührung am Arm oder als Vorausdeutung seiner Entscheidung gesehen werden. Allerdings folgt sein Blick nicht der Drehung des Kopfes, sondern bleibt geradeaus gerichtet aus dem Bild heraus. - Die Personengruppe steht vor einer Felsformation. Neben ihr öffnet sich in der linken Bildhälfte der schmale aufsteigende Weg der „Tugend“ in eine weite Gebirgslandschaft mit einer idyllischen Versammlung unter einer Baumgruppe. Dahinter ragt in der Ferne ein Gebirge auf, dessen Gipfel Pegasus erklommen hat. Hinter der Personifikation des „Lasters“ ist in der rechten Bildhälfte eine Rosen- bzw. Weinhecke und eine Meereslandschaft mit einem im Unwetter sinkenden Schiff sichtbar. - Der reich besetzte Götterhimmel füllt die obere Bildhälfte, in dessen Zentrum Jupiter Minerva beauftragt, der „Tugend“ zur Hilfe zu kommen. Aus den weiteren Gestalten sind Fama sowie Saturn, dargestellt als Ewigkeitsgott mit Sense, und der Jahresgott Annus mit Schlangenring durch ihre Größe hervorgehoben. - Die Komposition folgt weitgehend einem ikonographischen Typus, der sich um 1500 aus der Kombination verschiedener antiker Schriftquellen herausgebildet hat: in der zentral komponierten Dreiergruppe versucht mindestens eine der beiden Frauengestalten, Herkules zu sich herüberzuziehen, indem sie seinen Arm greift. „Tugend“ und „Laster“ unterscheiden sich immer durch das unter Tüchern verhüllte Haupt im Gegensatz zur kunstvoll arrangierten Haarpracht, häufig auch durch die bloßen Füße bzw. Sandalen und den Kontrast von abstoßender Hässlichkeit und Schönheit. - Die Personifikationen und die unterschiedlichen Wege veranschaulichen die alternativen Möglichkeiten der künftigen Lebensführung, die zusätzlich durch das in der Felsformation deutlich erkennbare Y symbolisiert werden. Mit der Darstellung des antiken Helden im inneren Konflikt vor der Entscheidung für ein tugendhaftes Leben wird eine Grundsituation menschlichen Lebens thematisiert und der moralische Gehalt des mythologischen Themas betont. - Da Herkules sich „richtig“ entscheidet, gilt er als Tugendideal mit einem bis in die Neuzeit wirkenden Vorbildcharakter. Gleichermaßen wird die antike Heldenfigur, die Kraft, Stärke und Tugend in sich vereinigt, zum Herrscherideal. Zahlreiche Fürsten, Könige und Kaiser identifizierten sich mit ihr und wurden in künstlerischen Darstellungen mit ihr gleichgesetzt. In dieser Tradition steht auch das vorliegende von Sadeler nach einer Komposition von Sustris gestochene Blatt. Der Erbprinzregent Maximilian I. von Bayern, dem es gewidmet ist, hat sich in einem „portrait historié“ wiedergeben lassen. Er spielt die Rolle des Herkules in der Entscheidung am Scheideweg und verkörpert moralische Integrität. Gleichzeitig wird er durch den auf dem Gipfel des Tugendberges weidenden Pegasus als Förderer der Künste ausgewiesen und Fama, deren Fanfare mit dem bayerischen Wappen versehen ist, symbolisiert seine ruhmreiche Regentschaft in Bayern. - BS -
- Standort
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Georg-August-Universität Göttingen / Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der Universität, Göttingen
- Inventarnummer
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D 5198
- Maße
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Breite: 313 mm
Höhe: 428 mm
- Material/Technik
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Papier; Kupferstich
- Inschrift/Beschriftung
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Aufschrift: CELSITVD : SVÆ CHALCOGRAP : I. SADELER BELG: (unten mittig)
Marke: Göttinger Bibliotheksstempel (rechte Bildrand, stark abgeschnitten)
Aufschrift: IVPITER / I, fer opem Pallas Virtuti, fracta[ue] cedat / Altera; na[m]q[ue] stat HOC orbis AGONE salus. (unterhalb des Bildes rechts)
Aufschrift: HERCVLES / Cui parebo miser ! placet hæc , placet illa , sed a[m]bas / Qûi sequar ! hæc coelu[m] cogitat , illa stygem. (unterhalb des Bildes mitte rechts)
Aufschrift: VOLVPTAS / Huc ô flos iuvenu[m] propera , per amæna rosau[m] / Atria te duca[m] ; regna beata vides ! (unterhalb des Bildes mitte links)
Aufschrift: VIRTVS / Huc Ioue nate gradu flectas , hac itur ad astra ; / Hor[...]es principium ! finis olympus erit. (unterhalb des Bildes links)
Aufschrift: Serenifs: Bavar: Duc: Pict: et Archit: Frid: Suftris figuravit[...]. (untere rechte Bildecke)
Aufschrift: SERENISS mo PRINCIPI AC DOMINO D.MAXIMILIANO COMITI PALATINO RHENI ET VTRIVSQ[ue] BAVARIAE DVCI etc. / SERENISS. DVCis GVILHELMI v. FILIO NATV MAXIMO. SVO CLEMENTISSIMO D.
- Verwandtes Objekt und Literatur
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Beschrieben in: „Gott & die Welt : niederländische Graphik des 16. Jahrhunderts aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen ; [Carsten-Peter Warncke zum 60. Geburtstag] ; [Kunstsammlung der Universität Göttingen, 10. Juni bis 8. Juli 2007, Emslandmuseum Schloß Clemenswerth, 2. September bis 31. Oktober 2007, Ostfriesisches Landesmuseum Emden, 17. Februar bis 30. März 2008]“. Cuvillier, Göttingen, 2007. (Nr. 65)
Beschrieben in: K. G. Boon, D. Hoop Scheffer, und F. W. H. Hollstein, „Aegidius Sadeler to Raphael Sadeler II Text“, @Dutch and Flemish etchings, engravings and woodcuts, Bd. Vol. 21. Hertzberger [u.a.], Amsterdam [u.a.], 1980. (Hollstein Dutch and Flemish XXI.556.)
- Klassifikation
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Zeichnung/Grafik (Hessische Systematik)
Kupferstich (Oberbegriffsdatei)
- Bezug (was)
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Tugenden und Laster
Olympische Götter
Keule
die Geschichte von Herkules (Herakles)
Herkules am Scheidewege, die Wahl des Herkules
- Bezug (wer)
- Ereignis
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Entstehung
- Ereignis
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Herstellung
- (wer)
- (wo)
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Niederlande
- (wann)
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1575? - 1600?
- Förderung
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Die Digitalisierung wurde gefördert durch die Deutsche Digitale Bibliothek aus Mitteln des Programms „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
- Letzte Aktualisierung
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24.04.2025, 12:58 MESZ
Datenpartner
Kunstsammlung der Universität Göttingen. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Grafik
Entstanden
- 1575? - 1600?