Archivale
Urfehde ohne Nr.
Regest: Katarina Schweitzer tut folgendes kund. Sie ist aus der Reichsstadt Reutlingen gebürtig. Sie ist vor etlichen Jahren vom Rat aus der Stadt verwiesen worden, weil sie sich vielfältiger schändlicher Unzucht mit den jülichischen Reitern, als diese daselbst lagen, beflissen hatte, schliesslich geschwängert worden war und in Unehren ein Kind geboren hatte. Später hat sie sich mit einem zu Tübingen, Hans Schweitzer, verheiratet. Nach seinem Tod hat sie sich etliche Jahre hin und her bei denen vom Adel und anderwärts dienstweis aufgehalten, bis sie eines Tages von einem vom Adel mit Streichen übel zugerichtet wurde. Dadurch wie auch wegen ihres elenden Umherschweifens ist sie an Leib und Gut in äusserste Armutseligkeit geraten. Dann ist sie zu Reutlingen, obwohl sie aus der Stadt verwiesen war und dazu auch durch ihre Heirat ausserhalb der Stadt ihre bürgerlichen Gerechtsame daselbst verloren hatte, gegen des Rats Willen eingedrungen. Der Rat wollte sie wegen ihres von Jugend auf unehrbaren und ärgerlichen Lebens nicht mehr mit dem Bürgerrecht begnaden noch in der Stadt dulden. Dagegen ist der vom Adel, der sie so übel zugerichtet hat, von den Herren als Einwohner angenommen worden. Deshalb versuchte sie aus lästerlicher Rachgier wegen der ihr versagten, aber ihrem Widersacher, dem vom Adel, bewilligten Aufnahme und aus erbittertem, neidigem Herzen, den Rat zu Reuttlingen bei jetziger und voriger Kaiserl. Majestät in Ungnade zu bringen. In der Bittschrift an die Majestät gab sie vor, sie sei ohne alles Verschulden durch die Herren von Reuttlingen ihres Bürgerrechts beraubt und aus der Stadt verwiesen worden. Die Herren hätten sie, ihren Hauswirt, auch ihre frommen Eltern und Kinder mit falscher Kundschaft (= durch falsches Zeugnis), das sie ihrem Widersacher, dem vom Adel, gegen sie gaben, um Ehre und Geführ (= Vorteil) bringen wollen, ja ihren Vater aus Feindschaft und Hass ins Gefängnis geworfen und darin unbarmherzig verderben und sterben lassen. Alles dieses Vorgeben ist ohne Grund gewesen. Besonders ihr Vater ist wegen seines üppigen und schwelgerischen Hausens zu wohlverschuldeter Straf in Haft gekommen und hat sich in unchristlicher Verzweiflung im Gefängnis erhängt. Der Rat hat sich auf solches ihr falsch Versagen (= ihre Verleumdungen) gegen die Majestäten notdürftiglich (= ausreichend) verantwortet. Sie aber hat sich nach Möglichkeit bemüht, dass die Gegenberichte des Rats gänzlich unterdrückt oder durch ihre weiteren unablässigen Supplicationen (= Gesuche) abgetrieben (= hintertrieben) und so ihr Glimpf (= Ehre) und Gnade, dem Rat aber alle Ungnade bei den Majestäten geschafft werde. Sie hat durch ihre Supplicationen etliche kaiserl. Rescripta an den Rat zu Reudtlingen erlangt. Obwohl die kaiserl. Schreiben nichts anderes als einen Gegenbericht auf ihre Supplicationen enthielten, so wollte sie doch in Kraft selbiger (d.h. der kaiserl. Schreiben) ihre Wohnung und bürgerlichen Gerechtsame zu Reuttlingen wieder haben. Auf dieses ihr trutziges Vorhaben und die zuvor geschehenen Lügen nahm der Rat sie in bürgerliche Haft. Sie wurde dann nach einiger Zeit auf Fürbitte ihrer Mutter, ihres Kinds und anderer guter Freunde und das Versprechen, dass sie sie ohne Nachteil und Schaden der Stadt im Haus ihrer Mutter " an steten Banden erhalten " wollen, aus dem Gefängnis entlassen. Sie selber willigte in solche Bande und ruhigen Aufenthalt bei ihrer Mutter ein und versprach, sich daran zu halten. Trotzdem hat sie sich dieser Bande arglistig entledigt, ist ausgerissen, der kaiserl. Majestät nachgezogen und hat bei dem Reichstag zu Speyer im Jahre (15)70 den Rat bei der Majestät von neuem viel heftiger als je zuvor unwahr angetragen (= denunziert) und auch nach dem Verrücken (= der Abreise) des Kaisers von dort nicht nachgelassen, bis sie endlich durch arglistige Praktiken i.J. (15)72 bei der Hofkanzlei zu Wien ein anderes kaiserl. Rescript erlangte, worin dem Rat zu Reuttlingen auferlegt wurde, sie künftig unverhindert und ruhig bei ihnen bürgerlich wohnen zu lassen.
Als den Herren von Reuttlingen das zuletzt erlangte kaiserl. Schreiben durch einen von ihr dazu bestellten eigenen Boten beantwurtet (= übermittelt) wurde, haben sie ihr den Aufenthalt nicht verboten und hätten dem kaiserl. Befehl gehorsamt, Sie aber wollte aus bösem Gewissen und Angst vor Strafe ihnen nicht trauen oder sich zu ihnen begeben, sondern streifte nach ihrer alten Gewohnheit hin und her auf dem Land, bis sie ungefähr um Weihnachten (15)72 in einem dem Spital zu Reuttlingen gehörigen Weiler wegen Mehls, das sie in einem Haus, worin sie als eine arme Frau über Nacht war, gestohlen hatte, ergriffen, nach Reuttlingen und in ein bürgerliches Gefängnis gebracht wurde.Als die Haft länger, als ihr billig erschien, währen wollte, ist sie in ihrem vorigen Trutz (= Übermut) fortgefahren, hat mit vielfältigen ehrenrührigen Scheltworten und greulichen Gotteslästerungen den ganzen Rat und dessen einzelne Personen, eine nach der anderen, mit lautem Geschrei, so dass es jeder Vorübergehende hören konnte, schmählich angetastet, um sie bei gemeiner Bürgerschaft verhasst zu machen und Ärgernis anzustiften, und sich weder durch die gutherzigen Warnungen christlicher Personen noch durch drohende härtere Haft oder Leibesstraf davon abbringen lassen, so dass der Rat Ursach hatte, nicht allein ihr bürgerliches Gefängnis auf längere Zeit zu erstrecken, sondern sie auch entweder am Leib oder wenigstens mit härterer Haft zu strafen und thätig (= still) zu machen.
Sie wurde dann auch aus dem bürgerlichen in ein schweres Gefängnis geführt, das allein zur Verwahrung unbesinnter (= geistesgestörter) und besessener Leute bestimmt ist. Als sie dort eine Zeitlang lag, begab sie sich wieder auf ihre vorige Bahn und goss greuliche Gotteslästerungen, Schmähungen und ungegründete Zulagen (= Anschuldigungen) beim Tausend aus, ja sie liess sich vernehmen, dass sie von solchem Fluchen und Schmähen nicht ablasse, bis sich der Boden auftue oder Feuer vom Himmel herabfalle und den Rat und die ganze Stadt verzehre; es dürfe auch das Kind im Mutterleib nicht verschont werden. Ausserdem hat sie in der Haft trotz deren Härte schändliche Unzucht mit dem Kerkermeister und seinem Gesellen, die beide Ehemänner waren, freiwillig und meist durch ihr eigenes Anreizen und also doppelten Ehebruch begangen. Auf ihre beharrlichen Gotteslästerungen und Bezichtigungen wurde das Gefängnis abermals geändert und sie auf den Diebsturm gelegt, ohne Zweifel allein deshalb, dass ihr der verdiente Lohn durch rechtliches Erkenntnis widerfahren sollte, und über ihr bisheriges Leben examiniert. Da hat sie die begangene Unzucht, von der der Rat vorher nichts wusste, freiwillig angezeigt, auch dessen schier einen Ruhm haben wollen, indem sie sich ungescheut vernehmen liess, dass sie hoffe, dadurch geschwängert zu sein und später von den Mittätern aus dem Gefängnis freigelassen zu werden. Bei dem gegen sie angewandten Examen brachte sie vor allem ihre weibliche Schwachheit zur Entschuldigung vor, zeigte angebliche herzliche Reue, versprach, sich künftig solcher Sachen zu enthalten, tat einen Fussfall, vergoss Tränen und bat um Gnade und Barmherzigkeit. So wurde die Strenge des Rechts gegen sie abgestellt. Obwohl die beiden Mittäter der mit ihr getriebenen Unzucht nach der Haft aus Stadt und Gebiet Reuttlingen verwiesen worden waren, wurde sie, die neben der Unzucht auch unmenschliche Gottesflüche und andere sträfliche Handlung begangen hatte, nur mit verlängerter Haft gestraft. Kurze Zeit darauf geriet sie in ihr voriges Wesen des gehäuften Gotteslästerns, der Schändung und Entunehrung (= Verunehrung) des heiligen Brots und der Speise, der Verwerfung (= Zertrümmerung) der Gefässe, worin ihr Speis und Trank gereicht wurde, und der unablässigen Schmähungen gegen die Ratsfreunde und andere ehrliche Leute. Im Gefängnis auf dem Turm erregte sie mit mörderischem Geschrei Ärgernis und Unruhe und wurde wieder in das Gefängnis der unbesinnten (= geistesgestörten) Leute gelegt. Darin verhielt sie sich eine Zeitlang still und bot gewisse Besserung an. Weil sie aber nicht sogleich freigelassen wurde und man ihr nicht trauen wollte, so liess sie sich wieder vernehmen, dass sie mit Flüchen, Toben, Lästern, Schmähen, Verunehrung von Brot, Speis und Trank nicht nachlassen wolle, wenn sie nicht aus dem Gefängnis entlassen werde. Sie erlangte, dass sie aus der schweren Haft entlassen und ihr ein freier Wandel, abgesehen davon, dass sie an beiden Füssen mit Springen (= Fussfesseln) gefesselt war, im Sondersiechenhaus gestattet und ihr die gemeine Pfründ (= Verpflegung und Unterkunft) gegeben wurde. Sie geriet aber bald wieder in ihre vorige Gewohnheit und stiftete Verwirrungo. Deshalb hat man sie in ein Stüblein an 2 Ketten gelegt und damit sie doch einigermassen dötig (= ruhig) gemacht wurde, alle Notdurft an Wein, Geld, Schmalz und anderem ihr wie denen, die eine gekaufte Pfründe daselbst haben, geben lassen. Obwohl sie sich daselbst eine Zeitlang still und dankbar zeigte, liess sie doch zuletzt ihren vorigen unlieblichen Gesang wieder hören und fing mit Flüchen, Lästern und Schmähen von neuem an, schlug dazu noch Fenster und Ofen ein, schmähte die göttliche Allmacht, den Rat und die Kaiserliche Majestät, der sie allerlei Plagen und äusserstes Verderben anwünschte. So wurde abermals eine Änderung des Gefängnisses mit ihr vorgenommen und sie wieder in das Häuslein der unbesinnten Leute gelegt. Dort fuhr sie mit ihrem lästerlichen Wesen fort. Die Ketten und Bande, woran sie in diesem Häuslein gelegt war, machte sie mit einer Schere, die sie mit besonderer List zuwege gebracht (= sich verschafft) hatte, ledig (= los) und schickte sie dem Rat, als er auf dem Rathaus versammelt war, hochmütig und trutzig zu mit der Drohung, wenn man sie nicht von dort wegtue, werde sie sich selber das Leben nehmen, und henkte sich am selben Tag zweimal hintereinander an zwei Schleer (= Schleier, Kopftücher) und hätte sich entleibt, wenn nicht der Kerkermeister und der Knecht gleich noch in frischer Tat dazugekommen wären und die Schleier abgeschnitten hätten.
Katarina Schweitzer bekennt alle ihre Verfehlungen. Mit Rücksicht darauf und auf die lange Haft wurde ihr die Strenge des Rechts erlassen. Sie schwor einen Eid, eine beständige Urfehde zu halten, sich wegen des Gefängnisses und der erlittenen Strafen an dem Rat, den Bürgern oder sonst jemand nie zu rächen, ferner sich aller Lügen, Gotteslästerungen, Schmähungen und anderer dergleichen Untaten zu enthalten, besonders aber in den Springen und Fussbanden, womit sie jetzt zu einer gnädigen Straf gefesselt ist, im Sondersiechenhaus zu bleiben, nicht aus dem Haus zu gehen, ausgenommen die Kirche daselbst. Wenn sie über kurz oder lang an die Herren zu Reutlingen oder die Ihrigen eine Forderung zu haben vermeinen würde, so will sie sie bei ihren ordentlichen Gerichten bleiben lassen. Sie soll und will sich im Haus still, ehrbar und züchtig benehmen und sich zu nützlichen Diensten und Arbeiten brauchen lassen. Würde sie aber künftig dieser Verschreibung und dem geleisteten Eid zuwiderhandeln und in ihr voriges Unwesen wieder verfallen oder irgendwelche rechtliche Hilf gegen diese Verschreibung anrufen, so soll sie sein ein treuloses, meineidiges und zum Tod verurteiltes Weib, das Bürgermeister und Rat der Stadt Reuttlingen selber richten oder richten lassen mögen, mit was Pen (= Strafe) des Tods sie wollen.
- Archivaliensignatur
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A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. A 2 e (Urfehden u.a.) Nr. 7363
- Umfang
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9 S.
- Formalbeschreibung
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Beschreibstoff: Pg.
- Sonstige Erschließungsangaben
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Zeugen / Siegler / Unterschriften: Siegler, die sie bei Annahme dieser Urfehde sich zu Vögten (= Vormündern, Rechtsvertretern) erkoren hat: Hans Neuscheller, Tucherzunftmeister, Bürger zu Reutlingen
Siegel (Erhaltung): Siegel vorhanden, lose
Hans Gretzinger, Papierer, Bürger zu Reutlingen
Siegel fehlt
Genetisches Stadium: Or.
- Kontext
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Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26) >> Bd. 19 Urfehden
- Bestand
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A 2 e (Urfehden u.a.) Reichsstädtische Urkunden und Akten (Bde. 19, 21-22, 26)
- Laufzeit
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(15)75 Oktober 24
- Weitere Objektseiten
- Letzte Aktualisierung
-
20.03.2025, 11:14 MEZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Archivale
Entstanden
- (15)75 Oktober 24