Bestand

Gauwirtschaftskammer Düsseldorf RW 0017 (Bestand)

Organisation 1943-44 (3); Bewirtschaftung von Gebrauchsgütern (v. a. Textilien, Lederwaren, Luftschutzgeräte, Möbel, Kraftfahrzeugteile, Kraftstoff) 1943-45 (6); Groß- und Einzelhandel (Verkaufszeiten, Errichtung, Verlegung und Schließung von Betrieben) 1942-45 (16); Vermittlergewerbe 1942-45 (3); Industrieverwaltung 1943-45 (7); Mietpreisfestsetzung für gewerblich genutzte Räume 1942-45 (2); Preisbildung und Preisüberwachung 1938-45 (13); Eisenbahn- und Postverkehr 1944-45 (1).

Form und Inhalt: Einleitung

Der Bestand RW 0017 wurde am 17. März 1953 vom Ministerium für Wirtschaft und Verkehr an das Hauptstaatsarchiv abgegeben und erhielt die Akzessions-Nummer 22/53. Er umfaßt 68 Akteneinheiten.
Es sind Überreste der durch Kriegseinwirkung verloren gegangenen Registratur der Gauwirtschaftskammer Düsseldorf, und zwar Akten der Dezernate III und Handel und vermutlich der Zentralabteilung. Diese haben kein Aktenzeichen. Neben den Aktenzeichen III und Hdl finden sich zuweilen Dezimalsignaturen, die wohl nachträglich aufgetragen sind und keinen sachlichen oder registraturtechnischen Zusammenhang erkennen lassen.
Die Laufzeit dieses Restbestandes liegt zwischen 1939 und 1945, wobei die meisten der vorhandenen Akten zwischen 1942 und 1944 entstanden sind. Da weder Aktenplan oder Geschäftsverteilungsplan der Gauwirtschaftskammer vorhanden war, aus dem sich die Ordnung des Bestandes ergeben hätte, wurde aus Sachbegriffen, die sich mit einem Teil der Aufgaben der Kammer decken, ein Klassifikationsschema entwickelt.

Die Gauwirtschaftskammern wurden 1942 als Rechtsnachfolgerinnen der Industrie- und Handelskammern eingerichtet. Die Industrie- und Handelskammern, die bis dahin bestanden, bildeten sich als Handelskammern schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, im linksrheinischen Gebiet oft auf Verlangen der französischen Besatzer, jeweils für einen bestimmten Bezirk, oft Stadt- oder Landkreis. Es waren Gründungen aus privater Initiative des Handels und der Industrie mit dem Zweck der gemeinschaftlichen Vertretung privatwirtschaftlicher Interessen vor dem Staat. Die Bildung solcher Kammern wurde vom Staat gefördert, oft sogar gewünscht, da sie in der Lage waren, den Staat in wirtschaftlichen Fragen zu beraten. So wird im Amtsblatt der Regierung Düsseldorf vom 22. Juli 1831 Nr. 54 das Gründungsstatut der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf verkündet mit der Bestimmung, daß es maßgebend sein soll für alle weiteren Gründungen in der Rheinprovinz.
Die Industrie- und Handelskammern sind Selbstverwaltungskörperschaften mit folgenden Aufgaben: Interessenvertretung der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks und der Interessenausgleich zwischen ihren Mitgliedern; Gutachtertätigkeit sowohl für ihre Mitglieder als auch für staatliche Behörden und Gerichte; Beratung der staatlichen Verwaltung. Dazu kommen vom Staat übertragene Aufgaben. Die Industrie- und Handelskammern verwalten sich selbständig und in eigener Verantwortung. Staatliche Behörden haben kein Weisungsrecht, lediglich die Aufsicht über Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung.
Die Organe der Industrie- und Handelskammern sind: die Vollversammlung, die ein wahres Abbild der wirtschaftlichen Struktur des Kammerbezirks bieten soll. Sie wird von allen Mitgliedern gewählt; der Beirat, in den von der Vollversammlung Vertreter aller Wirtschaftszweige gewählt werden; der gewählte Präsident, der als primus inter pares mit dem Beirat die Geschäfte führt.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde der wirtschaftliche Aufschwung und die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Ausland zum vordringlichen Ziel der neuen Machthaber. Zu diesem Zweck wurde schon 1933 ein erster Vierjahresplan verkündet. Der Wirtschaftsminister war somit berechtigt, auf die Organisation der Wirtschaft Einfluß zu nehmen. Im Rahmen der allgemeinen Gleichschaltung aller Parteien und Verbände wurden Neuwahlen zur Vollversammlung und zum Beirat der Industrie- und Handelskammern abgehalten, die durch Präsentation von der nationalsozialistischen Partei genehmen Kandidaten beeinflußt wurden. Ebenso wurde der neue Präsident von der Gauleitung vorgeschlagen.
Mit der Verordnung vom 20. August 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 790) beginnt die Aushöhlung der demokratischen Selbstverwaltung der Industrie- und Handelskammern. Sie werden der Aufsicht des Reichswirtschaftsministeriums unterstellt und erhalten Satzungen, die dem Führerprinzip entsprechen. Die Leiter und Beiräte werden vom Reichswirtschaftsministerium bestimmt. Im Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der Wirtschaft vom 21. Februar 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 185) erhielt nämlich der Wirtschaftsminister das Recht, Wirtschaftsverbände umzuorganisieren, neu einzurichten oder sie abzuschaffen. Dieses Gesetz richtet sich eindeutig gegen die Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft, da der schon nationalsozialistisch organisierte Reichsnährstand ausgenommen ist.
Die erste Durchführungsverordnung vom 21. November 1934 (Reichsgesetzblatt I S. 1194) brachte weitere Eingriffe in die Selbstverwaltung der Wirtschaft. Sie erhält eine fachliche Organisation von Reichsgruppen, darunter werden Fachgruppen eingerichtet, bei Bedarf auch Fachuntergruppen. Die unterste Instanz, die Bezirksgruppen, wurden mit den regionalen Organisationen der Industrie- und Handelskammern verbunden, wobei die Trennung in fachliche und bezirkliche Arbeit bestehen blieb. Bei einer Industrie- und Handelskammer eines größeren Raumes wurde zur Koordinierung und zur einheitlichen Willensbildung aller Bezirks- und Fachverwaltungen eine Wirtschaftskammer gebildet. Für das hiesige Gebiet war die am 23. November 1935 eingerichtete Wirtschaftskammer Rheinland in Köln zuständig.
Der Leiter der Wirtschaftskammer wird vom Reichswirtschaftsminister berufen; sein Beirat besteht aus Vertretern aller in der Wirtschaftskammer zusammengefaßten Organisationen; dazu kommen noch Vertreter des Reichsnährstandes und der Gemeinden. Der Beirat wird nicht mehr gewählt, sondern vom Präsidenten bestimmt. Die Geschäftsordnung wird ebenfalls von ihm erlassen, muß aber vom Reichswirtschaftsministerium genehmigt werden. Dieses kann jetzt auch Einfluß auf Aufgabenstellung und Abgrenzung der Industrie- und Handelskammern nehmen.
Als oberstes Organ der Wirtschaft wird die Reichswirtschaftskammer gebildet, und zwar aus Vertretern der fachlichen Reichsgruppen, des Führers der Wirtschaft und der ehemaligen Dachorganisation der Industrie- und Handelskammern, des Industrie- und Handelstages.
Durch die Eingliederung der Industrie- und Handelskammern in die jetzt staatliche Wirtschaftsverwaltung tritt die Selbstverwaltung immer stärker zurück. Dazu wurden den Industrie- und Handelskammern im Rahmen des zweiten Vierjahresplans laufend neue Aufgaben überwiesen, wie die Überwachung der Ersatzstoffe, des Imports, des Arbeitseinsatzes und der Preisgestaltung. Ihre eigentliche, neutrale Gutachtertätigkeit wird weniger, sie erhalten sogar Entscheidungsbefugnisse (Verordnung vom 5. Juli 1938), was die stärkere Bindung an staatliche Verwaltung verdeutlicht. Durch die Verordnung vom 27. August 1939 wurden den Industrie- und Handelskammern auch Aufgaben der Bewirtschaftung überwiesen, wobei sie aber von Bezirkswirtschaftsämtern (später Landeswirtschaftsämter) abhängig gemacht werden.
Als mit dem Frühjahr 1942 die Intensivierung der Kriegswirtschaft begann, wurde die Wirtschaftsverwaltung straffer organisiert. Die entsprechende Verordnung vom 20. April 1942 (Reichsgesetzblatt I S. 189) über die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Organisation der gewerblichen Wirtschaft ermächtigte den Reichswirtschaftsminister, entsprechende Durchführungsverordnungen zu erlassen. Die erste Durchführungsverordnung vom selben Tag bestimmt: es werden aus den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern und den Wirtschaftskammern für jeden Gau eine Gauwirtschaftskammer gebildet, die die Aufgaben der darin aufgegangenen Institutionen übernimmt und deren Rechtsnachfolgerin wird. Wo es nötig erscheint, können darunter für kleinere Bezirke Wirtschaftskammern oder Zweigstellen der Gauwirtschaftskammern gebildet werden, die aber zu den Gauwirtschaftskammern gehören und weisungsgebunden sind. Die Gauwirtschaftskammern unterstehen dem Reichswirtschaftsministerium, der Minister für Bewaffnung und Munition (später für Rüstung und Kriegsproduktion) ist weisungsberechtigt.
Die dritte Durchführungsverordnung vom 30. Mai 1942 (Reichsgesetzblatt I S. 371, Gauwirtschaftskammeraufbauverordnung) gibt genaue Anweisungen zu Organisation und Aufgaben der neuen Kammern, trotzdem stellt sie zu Beginn fest, daß die Gauwirtschaftskammern Selbstverwaltungsorgane sind. Die Mitgliedschaft, bisher freiwillig, wird ausgeweitet auf alle Gewerbetreibenden in einem Gau. Der Präsident leitet die Gauwirtschaftskammer nach dem Führerprinzip, er wird vom Gauleiter berufen. Daneben gibt es den Beirat, dessen Mitglieder bestimmt werden und der auf eine beratende Funktion beschränkt bleibt.
Folgende Aufgaben werden der Gauwirtschaftskammer vom Staat übertragen: Unterstützung der Behörden durch Gutachtertätigkeit; Aufsicht über alle Handel- und Gewerbetreibenden und über die Börse; Berufung und Ausbildung von Sachverständigen und Wirtschaftsprüfern; Ausstellung von Ursprungszeugnissen. Dazu kommen etliche Arbeitsgebiete, die ihr durch die Kriegswirtschaft zugewachsen sind, wie Regelung des Arbeitseinsatzes, Auftragsverteilung, Stillegung von Betrieben, Lähmung der Wirtschaft und Betriebsverlagerungen.
Durch diese Verordnungen des Jahres 1942 entfielen die Industrie- und Handelskammern. Die neuen Gauwirtschaftskammern übernahmen deren Aufgaben. Die Selbstverwaltung der Wirtschaft bestand wohl noch auf dem Papier. Tatsächlich war sie durch die Einflußnahme von Partei und Staat auf die Wirtschaft aufgehoben.
Nach dem Einmarsch der Aliierten stellten die Gauwirtschaftskammern ihre Arbeit ein. Fast unmittelbar danach bildeten sich die alten Industrie- und Handelskammern wieder neu. Ihr Entstehen wurde von der Militärregierung und der von ihr abhängigen deutschen Verwaltung begrüßt und gefördert. 1956 erhielten die Industrie- und Handelskammern in dem Gesetz vom 18. Dezember 1956 (Bundesgesetzblatt I S. 920) die gesetzliche Grundlage für ihre Arbeit.

Bestandssignatur
RW 0017 410.04.00
Umfang
51 Einheiten; 7 Kartons
Sprache der Unterlagen
German

Kontext
Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland (Archivtektonik) >> 5. Nichtstaatliches und nichtschriftliches Archivgut >> 5.1. Nationalsozialismus >> 5.1.3. NS-Wirtschaftsorganisationen >> 5.1.3.3. Gauwirtschaftskammern
Verwandte Bestände und Literatur
Literatur:
Das Archiv. Nachschlagewerk für Politik, Wirtschaft Kultur. Hrsg. von A.J. Berndt. Jg. 1942
K.D. Bracher, W. Sauer, G. Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Bd. 14 der Schriften des Instituts für politische Wissenschaften. Köln 1960
F. Facius: Wirtschaft und Staat. Die Entwicklung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung in Deutschland vom 17. Jahrhundert bis 1945. Schriften des Bundesarchivs Bd. 6. Boppard 1959
G. Frentzel, E. Jäkel: Die deutschen Industrie- und Handelskammern und der deutsche Industrie- und Handelstag, Ämter und Organisationen der Bundesrepublik Deutschland Bd. 11. Bonn 1967
Grundlagen und Aufbau des Wirtschaftsordnung des nationalsozialistischen Staates. Bd. III
Die Industrie- und Handelskammer zu Krefeld. 1804 - 1954. Festschrift zur Feier des 150--jährigen Bestehens.
150 Jahre Industrie- und Handelskammer Aachen.
G. Janssen: Das Ministerium Speer. Deutschlands Rüstung im Kriege. Berlin 1968
Kluge R., Krüger H.: Verfassung und Verwaltung im Dritten Reich. Berlin 1935
O. Meißner, G. Kaisenberg: Staats- und Verwaltungsrecht im Dritten Reich. Berlin 1935
A.S. Milward: Die deutsche Kriegswirtschaft 1939--1945. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Nr. 12. Stuttgart 1966
Der Neuaufbau in Deutschland. Bd. II. Minden 1947

Bestandslaufzeit
1922-1945

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Letzte Aktualisierung
06.03.2025, 18:28 MEZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1922-1945

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