Bestand

Staatskommissariat für die politische Säuberung (Bestand)

Überlieferungsgeschichte
Behördengeschichte
Sofort nach dem Einmarsch der französischen Truppen in Württemberg und Hohenzollern im April 1945 begann die französischen Besatzungsmacht mit Hilfe der eingesetzten Kreisgouverneure, die Bevölkerung vom Nationalsozialismus zu säubern. Die Säuberung war jedoch nur vorläufig. Nach der Einsetzung einer deutschen Verwaltung, genannt "Staatssekretariat für das besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns", bedienten sich die französischen Gouverneure in Säuberungssachen der deutschen Verwaltung.
Bei der Landesregierung wurde deshalb ein Säuberungskommissariat gebildet. Als dessen Unterorgane in den Landkreisen fungierten Untersuchungsausschüsse.
Am 28.05.1946 wurde vom Staatssekretariat für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns eine Rechtsanordnung zur politischen Säuberung erlassen. Mit der Durchführung der politischen Säuberung wurde ein Staatskommissar beauftragt, dem ein politischer Beirat beigegeben wurde. Örtliche Untersuchungs- und Säuberungsausschüsse hatten die Fälle zu untersuchen, festzustellen und dem Staatskommissar Sühnemaßnahmen vorzuschlagen.
Nach Bekanntgabe der Rechtsanordnung wurde der Staatskommissar von der Landesdirektion eingesetzt. Seine Funktion war, innerhalb der Ausschüsse und der Behörde die Dienstaufsicht und die Durchführung der Rechtsanordnung auszuüben. In die Säuberung selbst schaltete er sich in der Weise ein, dass er nach Anhörung des politischen Beirats die zu treffenden Maßnahmen entschied. Die von ihm getroffenen Entscheidungen hatte er den Verwaltungen und den beteiligten Stellen sowie den Betroffenen selbst mitzuteilen. Ferner hatte er die Durchführung der Entscheidungen zu überwachsen. Rechtswirksam angeordnete Maßnahmen konnten vermöge des Gnadenrechts des Staatskommissars gemildert oder aufgehoben werden. Der Sitz des Staatskommissars war in Reutlingen.
Zur schnelleren und individuelleren Säuberung vom Nationalsozialismus wurde die Rechtsanordnung vom 28.05.1946 aufgehoben, Staatskommissar Künzel, Reutlingen, entlassen und gemäß Kontrollratsdirektive Nr. 38 die neue und forthin allein gültige Rechtsanordnung (RAO) des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns am 25.04.1947 (Amtsblatt des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns, Nr. 26 vom 08.05.1947) erlassen und ein neues Säuberungsorgan im "Staatskommissar für politische Säuberung" mit dem Sitz in Tübingen geschaffen.
Die vor dem Inkrafttreten der neuen Rechtsanordnung gefällten Säuberungsentscheidungen des Staatskommissars in Reutlingen galten als endgültig gefällt, sofern keine Revision eingelegt wurde. Die bisherigen Säuberungsorgane stellten sich mit dem Inkrafttreten der neuen Rechtsanordnung ihre Tätigkeit ein. Noch anhängige Verfahren gingen auf die neuen Säuberungsorgane über.
Neben der Dienstaufsicht über die Arbeitsweise und die Durchführung der Rechtsanordnung beteiligte sich der Staatskommissar an Säuberungsverfahren, indem er, soweit er die Spruchkammerurteile nicht zurückwies, den Urteilen durch amtliche Bekanntgabe Rechtskraft verlieh. Vor der Bekanntgabe der Entscheidungen konnte der Kommissar eine Überprüfung der Einzelfälle durch die Spruchkammern anordnen. Mit der Bekanntgabe wurden die Entscheidungen vollstreckbar. Die Urteile wurden beim Staatskommissar registriert und im Amtsblatt des Staatssekretariats, ab 31.05.1947, in den Beilagen zum Regierungsblatt für das Land Württemberg-Hohenzollern veröffentlicht.
Der innere Verwaltungsaufbau des Staatskommissariats gliederte sich in vier Abteilungen:
I. Rechtsabteilung
II. Verwaltungsabteilung
III. Gnaden- und Rechtsmittelabteilung, Überprüfung der Urteile, Ausstellung der Unbedenklichkeitbescheinigungen, Ausschussanträge
IV. Vollstreckungsabteilung
Eine weitere Stelle bestand für die Vorlage der Revisionsanträge und der Spruchkammerurteile bei der Militärregierung sowie für Übersetzungen und Statistik.
Bestandsgeschichte
Der gesamte Aktenbestand des Staatskommissariats für die politische Säuberung wurde am 16.07.1952 an das Staatsarchiv Sigmaringen abgegeben. Bei der Ablieferung wurden drei Teilbestände unterschieden. Der 1. Teilbestand mit den Anfängen der Entnazifizierung trug den Titel "Staatssekretariat für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns, Direktorialamt und Landesdirektion des Innern" mit der Bestandsnummer Wü 13 I. Er enthielt den Schriftwechsel zwischen den im Titel genannten französischen und deutschen Dienststellen sowie den Schriftwechsel über die Bildung von Säuberungsorganen nach der 1. Rechtsanordnung vom 25.05.1946. Der zweite Aktenbestand enthielt die vom Staatskommissariat für die politische Säuberung in Reutlingen produzierten und vom Staatskommissariat in Tübingen nicht mehr benötigten Akten. Beide Teile lassen keine Spur von einem Aktenplan oder einer Registraturordnung erkennen. Der 3. und größte Teil der Ablieferung enthielt die Akten des Staatskommissariats für die politische Säuberung in Tübingen. Er war als Bestand Wü 13 B im Staatsarchiv aufgestellt. Bei der Arbeitsaufnahme in Tübingen wurde 1948 von dieser Behörde ein Aktenplan aufgestellt, der schon nach kurzer Zeit überarbeitet werden musste. Am 20.11.1948 wurde ein Aktenplan mit neun Hauptgebieten in ca. 1000 Nummern eingeführt, nach dem die abgelieferten Akten geordnet waren. Ein Teil der abgelieferten Akten trug keine Signaturen, es fanden auch Umschläge mit anderen Titeln Verwendung; dazu kam am 18.10.1952 noch eine weitere Ablieferung vom Justizministerium. Deshalb hatte man im Staatsarchiv den Plan bis auf 1038 Nummern erweitert, wahrscheinlich um das Ganze nicht neu schreiben zu müssen.
Bearbeiterbericht
Bei der im Frühjahr 1967 erfolgten Neuverzeichnung wurden die bisher drei selbstständigen Aktenbestände zu einem Bestand "Staatskommissariat für die politische Säuberung" mit der Bestandsnummer Wü 13 zusammengezogen und nach dem letzten gültigen Registraturplan gegliedert. Gleichzeitig wurden die Arten aus den Ordnern genommen und in Umschläge gelegt, so dass nun der gesamte Bestand nach der im Staatsarchiv für württembergische Bestände üblichen Form paketiert werden konnte.
Die erste Verzeichnung gleich bei der Übernahme der Akten besorgte der Angestellte Herzog, dem auch die nicht immer einfache Trennung der Provenienzen zwischen Staatskommissariat und Spruchkammern zugefallen war. Durch personelle Überschneidungen und dadurch, dass ein Registrator sowohl die Registratur der Spruchkammern als auch des Staatskommissariats zu betreuen hatte, waren von vornherein Schwierigkeiten für die Verzeichnung gegeben. Bei der nunmehrigen Neuordnung durch Regierungsoberinspektor Kungl unter Mithilfe des Angestellten Hahn musste nur ein Faszikel aus dem Bestand des Staatskommissariats in den Bestand der Spruchkammern eingereiht werden.
Der Bestand umfasst 17 laufende Meter mit 523 Nummern.
Sigmaringen, Mai 1967
Kungl
Regierungsoberinspektor
Nachtrag zum Vorwort
Über die im Staatsarchiv Ludwigsburg befindlichen Spruchkammerakten betr. Südwürttemberg-Hohenzollern
Im Staatsarchiv Ludwigsburg befinden sich alle Akten (Spezialia) über die einzelnen Verfahren vor den Spruchkammern für ganz Württemberg-Hohenzollern (neben Nordwürttemberg) einschließlich Karteien, sodass für nahezu alle Anfragen das Staatsarchiv Ludwigsburg zuständig ist.
Im Einzelnen sind dort vorhanden:
Karteien:
a) Die nach Spruchkammern geordnete Kartei der (ebenfalls vorhandenen) Spruchkammerakten (= Verfahrensakten). Die innerhalb der Kammern al phabetisch liegenden Karteikarten tragen das gültige Aktenzeichen, nach dem die Akten liegen.
b) Eine alphabetische Kartei
Für die darauf angebrachten Aktenzeichen konnte bisher noch kein Bezug zu Akten festgestellt werden. Eine Karteikarte lässt lediglich darauf schließen, dass der darauf Genannte durch eine Spruchkammer gelaufen ist, nicht aber auf eine eventuelle Belastung.
c) Eine alphabetische Kartei bzw. eine in Karteiform angelegte Sammlung der "Entscheidungen". Sie ist im Inhalt identisch mit der im Staatsarchiv Sigmaringen vorhandenen Kartei mit dem Unterschied, dass die Kartei in Sigmaringen nach Spruchkammern und innerhalb der Kammern nach Berufsgruppen und Beschäftigungsarten angelegt ist und dass die Karteikarten in Ludwigsburg oben links mit den Kennbuchstaben V.E (= Versorgungs-Empfänger), W (= Werktätige) und B (= bei einer Behörde Beschäftigte) versehen sind.
Es handelt sich um Durchschriften (Mehrschriften) der im Staatsarchiv Sigmaringen liegenden Erst-(Ur-)schriften.
Akten
Im "Riesenbau" liegen die Akten zu der unter a aufgeführten Kartei nach Kammern und innerhalb der Kammern nach Berufsgruppen und Beschäftigungsarten.
Weiter befinden sich hier im "Riesenbau" die in A-5-Ordnern aufbewahrten "Sprüche", abgelegt nach Kammern. Sie enthalten die Entscheidungen (ohne Akten) von meist Minder- oder Nichtbelasteten in großer Zahl.
"Sprüche" sind weitaus zahlreicher als Akten vorhanden, weshalb hier in allen Fällen recherchiert werden muss, wenn ein Gesuchter weder in Karte a (Spruchkammer-Einzelakten) noch in Kartei c (Entscheidungen) erscheint.
Weitere Möglichkeiten, ein Urteil bzw. einen Entscheid zu finden, bieten die nach Kammern alphabetisch abgelegten "Mitteilungen der Ergebnisse der Spruchkammer-Verhandlungen" an die französische Militärregierung sowie für Jüngere (etwa ab Jahrgang 1921) die nach Kammern alphabetisch abgelegten "Jugend-Amnestien".
Schließlich ist es durchaus möglich und häufig der Fall, dass Personen in den "DNZ-Akten" (Denazifizierungs-Akten) überhaupt nicht erscheinen, denn im französisch besetzten Gebiet haben - im Gegensatz zur amerikanischen Zone - nicht alle Personen, sondern nur bestimmte Berufsgruppen und vor allem die im öffentlichen Dienst Beschäftigten einen Meldebogen ausfüllen müssen; aufgrund der Angaben im Meldebogen kam es bei den Nicht- oder Minderbelasteten nur zu einem Spruch, bei den anderen zu einem Verfahren vor der Spruchkammer (mit Akten).
Adam
Nachtrag zum Vorwort
Die oben beschriebenen Unterlagen wurden im Oktober 1977 vom Staatsarchiv Ludwigsburg an das Staatsarchiv Sigmaringen abgegeben (Zugang 1977/29). Sie bilden nun den Bestand Wü 13 T 2 (nähere Beschreibungen können im dortigen Vorwort eingesehen werden).
Inhalt und Bewertung
Enthält:
Einrichtung, Organisation, Verwaltung, Haushalts- und Kassenwesen, Dienststellen und Unterkünfte, Rechts- und Dienststellenverhältnisse der Beamten und der im Säuberungsverfahren Tätigen, Beschwerden gegen Säuberungspersonal, Untersuchungsausschüsse, Spruchkammern, politischer Landesbeirat, Staatskommissar, Internierte, Internierungslager Balingen, materielles Säuberungsrecht, Durchführung der Sühnemaßnahmen, Verfahrenskosten, Eingruppierungslisten, NSDAP (mit Akten der NSDAP-Kreisleitung Leonberg), Ausländer, Entnazifizierung in anderen Ländern, Unbedenklichkeitsbescheinigungen, politische Überprüfung der Vereinsgründer, Statistiken über die Abwicklung der politischen Säuberung.

Bestandssignatur
Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 13 T 1
Umfang
517 Akten, 7 Bände, 16 Karteikasten (23 lfd.m)

Kontext
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Sigmaringen (Archivtektonik) >> Südwürttembergische Bestände >> Gesamtstaat (ohne Fachressorts) >> Entnazifizierung
Verwandte Bestände und Literatur
Klaus-Dietmar Henke: Politische Säuberung unter französischer Besatzung. Die Entnazifizierung in Württemberg-Hohenzollern. 1981 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 42)

Indexbegriff Ort
Württemberg-Hohenzollern; Staatskommissariat für die politische Säuberung

Bestandslaufzeit
1945-1952

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Letzte Aktualisierung
03.04.2025, 08:37 MESZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1945-1952

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