Bild

Abendgesellschaft

Viele Briefe Menzels, unzählige Zeichnungen aus seinen Skizzenbüchern, die wie Tagebücher anmuten, zeugen von der fortgesetzten Inspiration durch seinen Familienalltag. Seine Geschwister waren Modelle, die bis in den Schlaf hinein beobachtet werden konnten. Mehr noch, für keinen Maler dieser Zeit ist die Interieursituation, das Licht der Lampe so bedeutungsvoll wie für Menzel. Das Bild »Abendgesellschaft« wäre am ehesten, über ein halbes Jahrhundert hinweg, den kleinen Familienstücken von Édouard Vuillard vergleichbar. Der ovale Tisch, über dessen weißer Decke das weiße Licht der Lampe schwebt, steht in einem Zimmer der Schöneberger Straße 18, wo Menzels vom Frühjahr 1845 bis März 1847 wohnten. Dort hatten sie mit ihren Nachbarn Freundschaft geschlossen, dem Juristen Carl Anton Maercker (1803–1871), der zwölf Jahre älter als Menzel war, und seiner Frau. Maercker wurde 1846 Direktor des Berliner Kriminalgerichtes, und im Sommer 1848 sollte er im kurzlebigen konservativen Kabinett Rudolfs von Auerswald als Justizminister tätig sein. Mindestens bis zu seiner Übersiedlung nach Halberstadt 1850 sollten Maercker – der schlanke Herr, der sich links mit einem Gast unterhält – und seine Frau, die im grünen Kleid auf dem roten Kanapee sitzt, mit abwesender Miene, die Wange wegen eines Zahnwehs verbunden, zu den besten Freunden der Menzels gehören. Auf der Frauenseite sitzt denn auch Emilie, des Künstlers mädchenhafte Schwester, schläfrig, wie er sie oft darstellt. Jeder ist anders geneigt oder zurückgelehnt, der Rhythmus wäre nur disharmonisch und spontan, gruppierten sich nicht drei Bilder und drei Halbfiguren zu einer symmetrischen Form, die ohne weiteres von der Konversation der zwei Herren abtrennbar wäre. Die Lampe, scheinbar ein störendes Ereignis, erweist sich als Mittelstück einer Tiefenachse, die von der zurückgelehnten Emilie zu der kurzen Rückenfigur im Vordergrund mit dem ungeschickt über die Stuhllehne hängenden Arm führt: Es ist der Maler, der sich, knapp über die Dreißig, zu Haarkranz und runder Glatze bekennt – eine seiner nur zwei gemalten Selbstdarstellungen. Haben wir ein Abendbild vor uns? Die Helligkeit stammt nicht von der Lampe allein. Rot, Grün und Weiß geben einen hellen Klang. Stellenweise ist die Farbe dünn genug, die Unterzeichnung erkennen zu lassen: Die beiden Köpfe links sind mit summarischen Strichen eines gespitzten Bleistifts angegeben worden, denen die Farbe aber im einzelnen nicht gefolgt ist. | Claude Keisch

Vorderseite | Fotograf*in: Jörg P. Anders

Public Domain Mark 1.0

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Material/Technique
Öl auf Papier, auf Pappe kaschiert
Measurements
Höhe x Breite: 25 x 40 cm
Rahmenmaß: 30,5 x 44,5 x 2 cm
Location
Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventory number
A I 861

Event
Erwerb
(description)
1905 Ankauf von dem Sammler Julius Aufseesser, Berlin
Event
Herstellung
(who)
(when)
um 1846/1847

Last update
08.08.2023, 11:02 AM CEST

Object type


  • Bild

Associated


Time of origin


  • um 1846/1847

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