Archivalie
lieber sohn lonja, ich danke dir für deine vielen briefe...
Transkription: lieber sohn lonja, ich danke dir für deine vielen briefe und deine zeichnungen. die haben mich sehr interessiert und gefallen haben sie mir auch. besonders das mann mit den fahnen. aber auch das nachtschiff ist schön. mach also nur so weiter, zeichne soviel wie du kannst und bei jeder gelegenheit. immer wenn dir was schönes einfällt. du hast auch fortschritte im schreiben gemacht, das ist sehr erfreulich. nur sind immer noch einige fehler drin, aber das macht nichts. z.b. bin ich dein "lieber papa" und nicht dein "leiber!" dann schreibst du: "wodrauf", es heisst aber "worauf", es heisst "ober-tertia" und "sexta".aber das wirst du nun alles lernen. wickersdorf kenne ich nicht, nur von erzählungen. es soll sehr schön sein dort. mein freund, herr ludwig hirschfeld, ist dort lehrer. er ist künstler, maler, gibt aber auch andern unterricht und macht öfters exkursionen mit seinen buben. auch der musiker august halm ist dort, ich kenne ihn gut und er ist ein sehr guter lehrer. nun lieber lonja, ist das alles schön. man braucht aber viel geld um in so eine feine schule zu gehen. ich durfte nicht in eine solche. es gab zwar damals noch keine solchen, aber ich hätte auch nicht gekonnt, weil meine eltern kein geld dazu hatten. deine mama will dich erziehen lassen wie einen prinzen, der du ja auch bist, wenn auch kein zaristischer, es gibt auch prinzen aus genieland- jede liebe mama, die ihren sohn gern hat und ihm das beste wünscht, möchte ihn von göttern erziehen lassen. wenn dein vater nicht maler wäre und sonstige sachen, die andere leute für dumm und unsinn erklären, machen würde, dann wäre er- aber immer vorausgesetzt, dass er ein schlauer kaufmann wäre, ein krösus oder nabob, ein millionenfürst, der seinen prinzensohn fürstlich erziehen liesse. da er aber alles das nicht ist und immer nur kein geld hat, und die leute seine bilder nicht kaufen, und die theaterdirektoren seine balletts zwar den leuten zeigen, damit sich die kasse füllt, die dann andre wieder ausleeren nur nicht der, der ein anrecht darauf hätte, zum beispiel dein vater-- wenn das alles anders wäre und so wie es sein sollte, dann brauchte sein sohn nicht zu schreiben: "hunger, aber es fehlen die moneten". nun lieber lonja, dein vater schickt dir, soviel wie er entbehren kann und das ist nicht viel, ich weiss es. vielleicht wird es bald besser, vielleicht hilft ein amerikaner oder engländer, dann ist auch dir geholfen. leider komme ich jetzt gar nicht mehr nach berlin. ich möchte dich gern wieder einmal sehen. wie du im neuen anzug aussiehst. schick mir ja eine photographie, ich will sehen wie du gewachsen bist. schreib und mal mir recht oft etwas, das freut mich immer. malt und schreibt lola auch? wird sie mitphotographiert? leb wol. gute reise. lerne fleissig und werde ein tüchtiger mann, ein architekt, wenn du willst, der häuser baut, für die vielen vielen guten und bösen menschen. wir rechnen zu den guten, nicht wahr? du, mama, lola und ich. einen kuss von deinem vater! Oskar 29 1 27 schade dass du die zeitung vom bauhaus nicht bekommen hast. ich schick dir eine neue.
- Sammlung
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Archiv Oskar Schlemmer
- Inventarnummer
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AOS 2013/1,90
- Material/Technik
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Papier; maschinenschriftlich
- Ereignis
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Herstellung
- (wer)
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Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
Leonid Yekimovsky (03.01.1916 - 1941/42)
- Rechteinformation
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Staatsgalerie Stuttgart
- Letzte Aktualisierung
-
28.03.2025, 12:10 MEZ
Datenpartner
Staatsgalerie Stuttgart. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Archivalie
Beteiligte
- Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
- Leonid Yekimovsky (03.01.1916 - 1941/42)