Akten

Schreiben von den Schwestern Martha Margarethe Charlotte Christine Stallmann (Martha) und Elisabeth Magdalene Frieda Paula (Lene) Stallmann, Minden, an ihren Bruder Oswald Stallmann

Enthält u.a.: Martha: "Was haben doch unsere Truppen für gewaltige Sachen dort unten am Balkan erreicht. Heute eine Sondermeldung nach der anderen. Willy sagte, paßt mal auf, Griechenland ist diese Woche erledigt. Soeben ist wieder die Politik bei uns bei der Tagesordnung. Sie machen sich alle wieder heiße Köpfe, jeder behauptet seine Meinung, na, du kennst ja, wie es immer geht, wenn unsere Familie beisammen ist. Ich habe schon immer gesagt, macht doch das Buch zu, aber sie fangen immer wieder an.", 27. Apr. 1941; Martha: Dank für Geschenke (Geld und Schuhe) zum Geburtstag: "Mit den Schuhen hast du es schon recht gemacht und bleiben auch in unseren Händen, schon deshalb, weil es noch Leder ist. Die schwarzen kann man unter Umständen auf der Straße tragen. Schade, daß Du nicht mehr die Nr. von uns wußte[s]t, dann hättet Du noch mal ein solch Paar Lederschuhe kaufen können. Na was nicht ist, kann noch werden. […] Heute konnte ich hier Kaffee kaufen, aber er war mir zu billig. Nur 16,- das Pfund. Ist das nicht ein Wucherpreis? […] Gestern war doch ein besonderer Tag. Lauter Sondermeldungen.", 28. Apr. 1941; Martha: "Zuerst gratulieren wir dir zu Deiner Beförderung, wir haben uns sehr darüber gefreut, wünschen Dir, daß Du in Deiner neuen Uniform gesund und heil dereinst in Deine Heimat zurückkehren mögest. Ich bin heute gleich zum Schneider gegangen, er sagte, Du müßtest zuerst den Schein schicken für die Hose, denn es dürfte vorher nicht angefangen werden. Grauen Stoff hätte er, auch graues Tuch für einen Rock hätte er, er will nachmessen, ob der Stoff noch reicht, sonst bekäme er laufend welchen herein, aber für den Rock müßtest Du doch anprobieren. […] Eine Kiste Zigarren schicken wir morgen ab.", 5. Mai 1941; Lene: "Was sagst Du nun zu Rußland! Hoffendlich [!] macht uns der Russe nicht auch noch Kopfschmerzen. Es ist da nicht ganz geheuer! Sonst wären nicht soviel Truppen da oben hingekommen. Ob da wohl der Krieg dieses Jahr zu Ende sein wird? Das ist wohl noch eine große Frage. Jetzt hört man nichts mehr davon. […] Also mit der Hose und dem Rock hat Marta dir berichtet. Also erst den Schein. Aber bekommt nicht jeder 8 Tage Urlaub zum Einkleiden? Also das laß dir man nicht entgehen. […] Ja man muß alles mitnehmen, was man kriegen kann.", 7. Mai 1941; Martha: "Paul ist nochmals zum Schneider hin gewesen und hat ihn wegen der Stoffe gefragt. Hose und Rock will er Dir machen, aber da er sehr viel zu tun hat, sagte er zu Paul, daß Du, wenn Du Dir die Sachen arbeiten lassen wolltest, einige Tage vorher, ehe Du kommst, Nachricht giebst, damit er sich mit seiner anderen Arbeit etwas danach richten könnte, und er dann die Tage wo Du hier bist, Deine Sachen soweit fertig machen könnte. Einen Mantel kann er Dir nicht machen, da hierfür kein Stoff geliefert wird, er also schon lange keinen Stoff mehr für Extra Mäntel bekommen hat. Also sieh zu, ob Du, und wann Du kommen kannst, teile es uns dann mit, damit der Schneider sich dafür einrichten kann; denn er hat blos [!] ein paar Gesellen mehr. […] Was sagst Du nun zum Fall "Hess". ist [!] dieses wohl zu glauben, kein Mensch kann sowas fassen, daß unseres Führers engster Mitarbeiter ins Ausland fährt. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf dies Ereignis jeden Menschen, man kann es nicht fassen, daß sowas ein Nationalsozialist machen kann. Jetzt muß man bald jedem Menschen zuerst ins Innere leuchten, jedem anderen hätte man wohl schon irgend etwas zugetraut, aber nicht Rudolf Hess! Na, jeder sagt seine Meinung, den richtigen Grund wird man wohl nie so recht erfahren, ist vielleicht auch gut so, denn sonst würde man wohl sicher nochmehr [!] beunruhigt. In der letzten Zeit haben wir auch öfter wieder Fliegeralarm gehabt, sind immer nur rüber geflogen. Wir können nur immer dankbar sein, daß wir hier die Schrecknisse des Krieges noch nicht kennen gelernt haben, und wie wäre ein Jubel, wenn doch blos der Friede eingeläutet würde. […] Wir haben Jochen gesagt, Du wärst Leutnant geworden, er sagte auch gleich, Jochen ist auch Leutnant, er hieße Leutnant Jochen, Also Du siehst, auch zu Haus wird exerciert.", 14. Mai 1941; Lene: "Was sagst du nun zu Rußland? Wir sind ganz von die Socken. Man hat ja immer gemunkelt, also hat er uns doch schmählich betrogen. Na der Lohn soll nicht ausbleiben.", 22. Juni 1941; Martha: Dankschreiben (Hausschuhe für Martha, Handtaschen, Geldbörsen, Schuhe für Paul, Geldbörsen für Paul, Lebensmittel, u.a. Zucker), 25. Mai 1941; Martha: "Daß Du Deine Wäsche mit solcher Freude begrüßt hast ist ja zu begreifen, nachdem Du solch Pech mit Deine [!] Wäscherei gehabt hast. Soll ich dir noch 1 od. 2 Hemden schicken? Unterhosen hab ich leider nicht mehr, die muß ich zuerst auf Kleiderkarte kaufen. Solltest du Dir irgend an Wäsche dort was kaufen, so mußt du selbige immer größer nehmen, wie in Friedenszeit; denn das Zeug läuft furchtbar ein, und nachher gehen denn die Hosenbeine nur bis zum Knie. Wenn es immer mit der Wäscherei so geht, so schicke sie doch alle paar Wochen nach hier, ich bringe selbige dann nach ein paar Tagen wieder auf den Weg. überleg [!] es Dir einmal, denn für das Porto mußt Du auch bei der Wäscherei bezahlen, und ich mache es so nebenbei mit fertig, wenigstens solange, wie Du eine Bahnstation angeben kannst, und keine Feldp. Nr. hast. Unterwegs sind die Packete doch 2 - 3 Tage und Du siehst, es ist nicht viel mehr Zeit verloren, bei der Wäscherei dauert es auch jetzt immer etwas länger wie sonst, und wenn dann außerdem mal was zu nähen oder stopfen dran ist, so kann man es gleichzeitig fertig machen.", 25. Mai 1941; Martha: "Unter anderem fragtest du an, wegen deiner Kleiderkarte. Aber müssen wir da nicht zuerst eine Bescheinigung von Dir haben, daß Du dieselbe jetzt benötigest? Denn Du warst doch bis jetzt Soldat, der keine haben brauchte. Erkundige Dich dort, dann mußt Du uns eventuel [!] von der Komp. eine Bescheinigugn schicken, daß Du jetzt Offizier, und Du daher für Deine Kleider selbst aufkommen mußt. Liesbeth müßte dann nach Osnabrück fahren, und sie dort ausstellen lassen. […] Liesbeth könnte dann gleichzeitig zur Winterhof (Ottos Hofschneider) gehen, und nach dem Mantelstoff fragen.", 2. Juni 1941; Martha zum Bombenangriff auf Bielefeld: "Diese letzten Nächte waren öfter mal wieder Alarme in der Nacht von Donnerstag auf Freitag war ein Grosangriff [!] auf Bielefeld, die Einschläge konnten hier gehört werden. Was alles getroffen ist, weiß man nicht, aber es wird erzählt am Rathaus, Dürkoppwerke sollen schwere Bomben gekriegt haben, auch das Theater soll kaput [!] sein, und auch Häuserschaden soll beträchtlich sein, eine Anzahl Toter ist leider auch zu beklagen, Du siehst also, daß der Tommy so leicht nicht das Feld räumt. Wenn Du Deinen Urlaub antrittst, so laß Dir auch einen Schein für Bielefeld stempeln, denn Du wirst Dich für Deine frühere Arbeitsstätte interessieren. Wenn doch nur dieser furchtbare Krieg ein Ende nehmen wollte, denn wer solch Angriff hier in der Heimat öfter erlebt, der kann doch mit der Zeit nervös werden. Wir haben hier in Minden ja Gott sei Dank noch keinen solchen Angriff zu verzeichnen, und hoffentlich bleibt dieses uns auch fernerhin verschont. [!]", 15. Juni 1941; Martha: "Was ist denn nun Eure Meinung über den Krieg? Ist er bald zu Ende, oder muß man noch einmal wieder in den Winter hinein. Es wird immer schlechter, und nun jetzt Nacht für Nacht Fliegeralarm. In Münster soll es schrecklich sein, schrecklich aussehen, die Einwohner flüchten alle nach außerhalb. Die Tommys haben dort mit Torpedo gearbeitet. Viel Tote sind geworden, und wieviel noch die unter den Trümmern liegen. Dort soll bis jetzt der schwerste Angriff gewesen sein. Man kann von Glück sagen, wer aus diesem Kriege heil und gesund hervor geht. Im Osten geht es ja tüchtig voran, man darf nur nicht an die Opfer denken, die gebracht werden. […] Von Otto, und seinen Söhnen haben wir lange nichts gehört, hoffentlich geht es allen noch so weit gut. Von Liesbeth hörten wir, daß Ottchen das Eiserne Kreuz erhalten hat.", 13. Juli 1941; Martha: Sommerhitze und Regenmangel: "auf dem Lande vertrocknet alles, Gemüse ist viel vertrocknet, sodaß die Leute, die immer einen Topf Essen kochen müssen, auf dem Posten sein müssen, um etwas abzubekommen, wenn was auf den Markt kommt. […] Im Osten scheint es immer weiter voran zu gehen, die Russen werden wohl bald merken, wie der Deutsche zuschlägt. Jetzt gehen wieder viele Transporte von Osten nach dem Westen. Ob es nun wieder nach der Küste zu geht. Der Tommy hat es ja fertig gebracht, daß die ganze Welt zu den Waffen greift, aber so nach und nach wird der eine nach dem andern zur Brust gebracht bis auch der letzte, und der schlimmste Feind am Boden liegt.", 20. Juli 1941; Martha: Tod des Stabsmusikmeisters Otto Koch, des Ehemanns von Liesbeth Stallmann, "Lene war, als wir von Osnabrück […] angerufen wurden, daß Liesbeth vom Kommando die Todesnachricht erhielt, sogleich nach Liesbeth gefahren, denn man konnte sie doch nicht so allein lassen. Dieses war am 23. Juli. Am 25.7. kam Karl-Oswald auf Urlaub und hat nun so manchen Weg gemacht. In der darauf folgenden Woche sind sie dann nach hier gekommen. […] Liesbeth ist ganz geknickt, man kann es immer noch nicht fassen, daß er so aus dem vollen Leben gerissen wurde. Es ist doch für Liesbeth sehr schwer, Otto war ihre ganze Stütze und Halt. Ihr graut jetzt vor diesem Leben, so gar keine Aussicht für später, denn die Kinder gehen ins Leben und kommen später, wenn es hoch kommt nur auf Besuch. Der Krieg hat ihr nun alles genommen, es ist doch schwer, sich damit abzufinden. Und verstehen kann man auch, wenn man bitter [wird] und mit seinem Schicksal hadert. Immer sagt man sich, mußte dieses sein? warum [!] mußte unsere Familie heimgesucht werden. Aber das Leben schreitet weiter, und jetzt in dieser Zeit bedeutet ein Menschenleben so recht garnichts. Was hat dieser Krieg schon angerichtet, wie manches Leid bricht über so manche Familie herein. Von Kurt und Otten [Söhne Ottos] ist auch noch keine Nachricht gekommen, Kurt schrieb vom 13., daß sein Regt. hinter seines Vaters Regt. läge. Diese Nachricht kam am 28.7. bei Liesbeth an, und seit dem fehlt noch jede Nachricht. An Urlaub ist auch wohl vom Osten nicht zu denken. Liesbeth hatte sogleich mit der Todesnachricht von Otto auch noch ein [!] Brief vom 10.7. erhalten, kannst dir also denken, wie furchtbar dieses war. Otto schrieb da noch, wir leben hier, wie in der Sommerfrische, mir geht es immer noch gut. Und am folgenden Tage wurde er nun so plötzlich und unerwartet aus dem Leben gerissen. Aber man darf eben sich nicht so gehen lassen, denn sonst wird man immer verbissener und verliert sich ganz.", 2. Aug. 1941; Martha: Informationen über weitere gefallene Soldaten aus ihrem Umfeld, 2. Aug. 1941; Martha: "Willy und Mariechen sind in Urlaub gefahren, haben vom 15-30 Sept. geschlossen. Donnerstag, Freitag - Sonnabend-Mittags verkauft Lene die Wochen-Zeitschriften, natürlich stellen sich dann auch gleich die Raucher ein. Es ist überall dasselbe, die Rauchwaren sind zu knapp. […] Also Du hast für mich wieder einmal Schuhe ergattert. Das freut mich, denn die kann man immer brauchen, hast sie doch groß genug genommen, denn du kennst ja unsere leider, leider große Füße. Du fragst an, ob Lene welche brauchen könnte. Das schon aber Lene trägt ja Einlagen, sie muß dann die Einlagen in den Schuh legen können. Wir tragen richtige Blockabsätze, also mittelhoch. […] Ja, es wird Zeit, daß der Krieg bald ein Ende nimmt: Es fehlt doch so manches, und von einem Jahr zum andern wird es schlechter.", 20. Sept. 1941; Martha: "Die Tauben haben uns gut gemundet, wir haben selbige in drei Teile geteilt, sodaß jede Familie sich ordentlich satt essen konnte.", 27. Okt. 1941; "Jetzt hast Du ja die ganze Familie mit Zahnpasten versehen", 10. Nov. 1941; Martha: Kurt Koch kam "vom Osten" hier an, "Er kann weiter studieren und will dieses Semester in Innsbruck machen. Er hatte vor, bei K[arl] O[swald] mit zu wohnen, ob dieses geht, weiß ich nicht. Kurt ist ziemlich still geworden, auch war er ziemlich mager, die Verpflegung war nicht so, wie sie wohl für einen Feldzug eigentlich sein müßte. Ja, dieser Krieg fordert viel Entsagung u. Opfer.", 23. Nov. 1941; Martha: "Deine neue Kleiderkarte hat Liesbeth dir auch besorgt, allerdings mit nur 80 Punkte [!]. Soweit wurden die Punkte für die Offiziere, die sich selbst bekleiden abgeschnitten. Ja, ja, du siehst, der Staat sieht schon zu, daß Ihr nicht zuviel Punkte verbraucht. […] Bei Paul und Lilly ist heute Besuch und zwar Lillys Schwester mit ihrem Mann [aus Hannover], sie wollten mal sehen, ob was in Minden noch zu kaufen gab Aber da sind sie auf dem Holzwege, hier sind genau so gut die Läden leer, wie in den Großstädten. Und ist einmal irgend was Besonders [!] zu verkaufen, denn sollst Du mal sehen, wie die Leute auf der Straße lang stehen, und sich benehmen, als wenn sie verrückt sind. Die Polizei muß dann für Ordnung sorgen. Ja, die Zeiten haben sich doch sehr geändert, man muß Nerven haben wie Stahl, sonst verliert man den Kopf dabei. Sonst ist hier noch alles beim alten, die Zeit vergeht wie im Fluge, denn die Arbeit hilft über alles hinweg, und das ist gut so.", 7. Dez. 1941; Martha: Sorgen wegen seit über drei Wochen ausgebliebener Post, 15. Dez. 1941; Martha: "Uns geht es noch ganz gut, der eine Tag läuft wie der andere Tag, und man hofft von einem Tag zum anderen, daß es bald zum Frieden käme. Hast du auch die Führerrede gehört? nun ist ja bald die ganze Welt mit hinein gezogen. Hoffentlich erleben wir noch das Ende dieses Krieges.", 15. Dez. 1941; Lene und Martha: "Auch zum Jahreswechsel senden wir dir alles Gute, und auch das Glück möge dich begleiten, daß es Dir vergönnt ist, den siegreichen Einzug unserer Truppen in die Heimat mitzumachen. […] Ich hatte in meinen [!] Brief ganz vergessen, dir mitzuteilen, was Jochen bekommen: 1 Bagagewagen mit Pferde, 1 Rennauto, u. 1 Straßenbahnwagen, und noch 1 Paket Traubenzucker.", 27. Dez. 1941 Enthält auch: zahlreiche Nachträge von Elisabeth (Liesbeth) Stallmann; Grüße immer auch der anderen Schwestern

Reference number
Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann, Nr. 7

Context
Nachlass Oswald Stallmann
Holding
Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann Nachlass Oswald Stallmann

Date of creation
1941

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Last update
24.06.2025, 2:13 PM CEST

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Object type

  • Sachakte

Time of origin

  • 1941

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