Akten
Schreiben von den Schwestern Martha Margarethe Charlotte Christine Stallmann (Martha) und Elisabeth Magdalene Frieda Paula (Lene) Stallmann, Minden, an ihren Bruder Oswald Stallmann
Enthält u.a.: Martha: "Zum Jahresanfang wünschen wir Dir alles Gute. Möge Dir das neue Jahr ein gesegnetes Jahr [sein], und Du wohl behalten und gesund bleiben. Möge es Dir vergönnt sein, wenn die Friedensglocken ertönen, mit Deiner Truppe ins Heimatland zurück[zu]kehren. Wie mancher denkt, was mag es uns bringen? Gutes oder Schlechtes? Gut ist es, daß es uns vorbehalten bleibt, in die Zukunft zu sehen. Aber wie dem auch sei, getrost und hoffnungsvoll wollen wir den Anfang machen. […] wie wir Sylvester verlebt haben […] Also wir gingen hin [zu Paul und Lilly], und dann ging es ans Essen. Bockwürste und Gehacktes gab es, da staunst Du, aber es sollte festlich begangen werden. [Willy und Mariechen kommen auch dazu.] Punkt 12 Uhr, die Uhr schlug im Radio, und die Glocken ertönten. Das neue Jahr wurde eingeläutet, und wir nahmen unsere Gläser und stießen auf ein neues, frohes Jahr an. Gedanken kamen und suchten die Lieben, die weit draußen sind. Und dann wurden noch ein paar Glas Glühwein getrunken. Zum Schluß wurde noch Heringssalat und Brötchen gegessen. […] Heute Mittag sind wir alle Mann bei Willy u. Mariechen geladen zum Gänsebratenessen. Da staunst Du wohl, ja Willy hatte zu Weihnachten von Rektor Riechmann eine Gans bestellt. Haben uns alle gütlich getan, das war mal wieder was für Paul, je fetter, desto besser. Wir dachten auch gleich wieder an die Zeit, in welcher Du uns reich gesegnet hast, und eine Gans nach der anderen verzehrt wurde.", 1. Jan. 1943; Lene: "Hoffentlich ist es dieses Jahr das letzte Weihnachten im Kriege gewesen, und Du kannst das nächste in der Heimat feiern.", 7. Jan. 1943; Martha: "Wir sind auf der Suche nach einem Rodelschlitten für Jochen; er möchte so gern einen haben. Hier liegt augenblicklich viel Schnee, und immer neuer Schnee kommt hinzu.", 7. Jan. 1943; Martha: Eisenbahnunglück zwischen Wunstorf und Hannover in der Nacht 4./5. Januar 1943, "Auch bei Vennebeck ist vor 14 Tagen ein Unglück passiert, man muß jetzt ängstlich sein, wenn man mit dem Zuge fahren muß. Trotzdem sind die Züge voll […]. Wie gepöckelt [!] stehen die Leute, und mancher hat das Glück, stundenlang die Reise zu stehen.", 7. Jan. 1943; Lene: "Schnee haben wir auch allerhand. Ein Wetter für die Kinder zum Rodeln. Jochen ist ganz ungehalten, daß er keinen Schlitten hat. Wir sollten einen kaufen, aber wo hernehmen und nicht stehlen. Kaufen kann man doch jetzt keinen Schlitten.", 13. Jan. 1943; Martha: "Am letzten Sonntag [6. Geburtstag von Jochen] waren wir alle Mann bei Stallmanns junge Linie beim Bache. Da war Jochen mal wieder in seinem Element. Des Morgens waren schon seine Kumpels von der Straße da zum gratulieren [!], er hatte nämlich den ganzen Kindergarten eingeladen. Am Montag waren Schwarzen da, und die Schwester Else von der Kinderschule.", 21. Jan. 1943; Martha: "Heute Mittag war mal wieder Voralarm, augenblicklich haben sie es auf das Ruhrgebiet abgesehen. Essen haben sie des öfteren jetzt heimgesucht. Wann hört dieses nur auf, diese Verwüstungen, was können wir bis jetzt noch froh sein, daß man so gnädig von abgekommen ist. Augenblicklich sollen wieder viele rausgezogen werden, es scheint so, als wenn unsere es jetzt mit aller Gewalt schaffen wollen, vielleicht müssen sie es ja auch. Denn es hat sich doch ganz gewaltig letztes Jahr zugespitzt. Aber wir müssen eben warten.", 16. Jan. 1943; Martha: Dank für "Päckchen", das "eine große Dose Fleisch" enthielt, "Hast du noch schwarze Schuhkrem? oder sollen wir Dir welche schicken? In welcher Gegend häl[t]st Du Dich augenblicklich auf? Hoffentlich nicht bei Stalingrad. Wenn man an diesen Ort denkt, überläuft es einen heißt und kalt über [!]. Wenn dort nicht bald irgend etwas eintrifft, so müssen die Soldaten dort all den Mut verlieren. Graußig [!] muß es dort sein. Wenn blos [!] dort bald eine Wendung kommt. Lisbeth ist noch hier, will aber Ende dieser Woche mal wieder nach Osnabrück fahren.", 27. Jan. 1943; Martha: "Anbei die Tabletten. Es sind aber keine Emser, sondern andere. Wir haben in mehreren Läden versucht selbige zu bekommen. Aber ausverkauft. Diese sollen aber ebenso gut sein. Also wünschen guten Empfang und guten Erfolg für die Heiserkeit. Senden Dir mit gleicher Post 2 Päckchen mit Clopapier. Hoffentlich bekommst Du selbige ebenfalls. Leider kommt soeben durch Radio, daß die 2 Pf. Päckchen bis März gesperrt sind. Leider. Aber was ist zu machen, alles andere muß ja vorgehen. Wenn auch die Soldaten immer die Geschädigten sind, muß jeder sich fügen. Die Geschehnisse bei Stalingrad legen sich allen hier zentnerschwer aufs Gemüt. Wenn nur ein Ausweg getroffen wird, daß all die vielen nicht so erbärmlich ums Leben kommen. Wollen hoffen, daß der Führer noch in letzter Stunde noch einen Ausweg findet.", 29. Jan. 1943; Martha: "Heute am Geburtstage Willys sitzen alle Stallmänner, die hier im Ort wohnen, beisammen, um diesen Tag zu beschließen. Du kennst ja unsere Familienfeste. Nachmittag Kaffee trinken und Kuchen essen, und abends große Abendtafel. Aber heute, der 3. Februar, wo wir bei Stalingrad so furchtbares [!] erleben mußten, ist bei einem Jeden [!] der ganze Mut und Frohsinn dahin. Tagelang hatte man immer noch gehofft, daß es noch irgend ein Ausweg sein könnte. Aber leider, immer kamen schlechtere Nachrichten, bis zuletzt auch das Schwerste eintrat. Der letzte Mann ist gefallen. Alles umsonst, wie schrecklich[,] hier aus den umliegenden Dörfern sind viele, die dort mit kämpften. Noch ist alles zu frisch und jeder muß sich erst mit diesen Geschehnissen noch abfinden. Ganz leise erklang es im Radio vom "Guten Kameraden". Aber die dort so lange den Tod und das Verderben vor Augen hatten, haben jetzt Ruhe gefunden. Und die [!] Kameraden, die unverwundet und infolgedessen in russische Gefangenschaft gerieten, wollen wir wünschen, daß sie ein gütiges Geschick vor russischer Barbarei bewahrt. Soeben erklingt die Sirene und wieder einmal kommt der Tommy, um uns zu stören. Lieber Oswald! Dieser Brief blieb gestern abend [!] liegen, Mariechen war wieder einmal aus dem Häuschen, sie lief von einem Zimmer ins andere, und infolgedessen war durch den Alarm, der um 8 ½ Uhr einsetzte und ziemlich 1 ½ Std. dauerte keine Gemütlichkeit vorhanden. Erst als die Entwarnung einsetzte, atmete alles auf, und eine kleine Gemütlichkeit brach sich etwas Bahn. […] Wir, Lisbeth, Lene und meine Wenigkeit sind sage und schreibe bis 1 ½ Uhr dort geblieben. Aber du mußt nur nicht denken, daß es groß her ging[.] Geschehnisse aus dem Kriege und was sonst so jetzt immer erörtert wird vertrieb uns wie im Fluge die Zeit. […] Sag einmal, sollen wir Dir mal Puddingpulver schicken? manche Soldaten bitten ihre Angehörigen drum. Wenn Du dort Milch auftreiben kannst, so haben wir Puddingpulver und Zucker genug über. […] Die Arbeit reißt nicht ab, und dieses ist auch gut so. Vielleicht müssen wir jetzt noch mehr ran, vielleicht wird uns noch eine andere Arbeit zu diktiert. Was nötiger ist, als Plätten. Aber dann werde ich auch dort meinen Mann stellen. und keine Arbeit soll mir zuviel sein, wenn es heißt, mit helfen zum Endziel.", 3. Febr. 1943; Lene: "Almählich [!] kommt man nur zur Ruhe, hat doch der Fall Stalingrad doch viel Aufsehen gemacht. Tapfer haben sich die Deutschen bis zuletzt gehalten und haben Ihr [!] Leben dem Vaterlande gegeben. Viele von hier sind wohl dort geblieben. Auch von Hartmann, Pfeffer u.s.weiter blieben auf dem Felde der Ehre.", 6. Febr. 1943; Martha: "Willy schickt Dir ja immer das Kreisblatt, und du wirst dann wohl die Reden vom Führer, Göhring und Göbbels lesen. Selbige waren gewaltig, und haben den Menschen wieder Hoffnung gemacht. Denn nach all den furchtbaren Ereignisse[n] die Deutschland in den letzten Wochen durchmachte, war das Volk doch so kleinmütig geworden. Es ging wohl einem Jeden [!] nahe, wenn man seine Blicke nach Stalingrad und überhaupt nach dem Osten wandte. Ach wenn es doch nur bald eine Wendung gäbe. Bei den letzten Kämpfen in Stalingrad ist auch General v. Hartmann (Otto[s] frühere[r] Kommandeur) gewesen. Im Radio wurden zum Schluß die letzten 3-4 Tage der Kämpfe geschildert. Es waren ja nur kurze Funkberichte, die von dort nach Deutschland durchgefunkt wurden. Es müssen doch furchtbare Tage gewesen sein. Wir wollen nur wünschen, daß solch eine furchtbare Tragödie sich nicht wiederholt. Jetzt ist ja im ganzen Reich der totale Kriegseinsatz durchgeführt. Es wird eine große Umwälzung stattfinden. Und dieses soll bis zum 15 März durchgeführt sein. Wie weit nun alles geschlossen wird sind alle gespannt, und es wird für manchen eine Härte sein, wenn das Geschäft oder der Betrieb geschlossen wird. Aber wenn es sein muß, so ist es nicht zu umgehen, und es muß sich eben jeder fügen, und wenn auch dem Einen [!] oder dem Anderen [!] mit der Arbeit nicht so angenehm ist. Es hilft ja vielen, und hoffentlich werden auch hier nicht wieder Unterschiede gemacht. Willy weiß auch noch nicht, ob sein Geschäft bestehen bleibt. Auch bei uns, ob Heißmangel u. Plätterei anerkannt wird müssen wir abwarten. […] Die große Kälte haben wir wohl so ziemlich überstanden. Wie lange noch, und der Frühling zieht ins Land. Man freut sich ja wohl darauf, aber dann kommt auch der große Aufmarsch im Osten, wie Hermann Göring in seiner Rede sagte, und was dann kommt, ja, das weißt Du wohl auch. Und darüber zittert auch manches Menschenherz und wird unruhig. Und Jochen hat immer wieder den Wunsch, wenn nur dieser Krieg erst vorbei wäre. Aber fromme Wünsche, wann gehen sie in Erfüllung.", 7. Febr. 1943; Martha: Dank für eine "Kaffeedose mit Butter", "Augenblicklich sind die Leute alle hier in einer Verfassung, die aufs äußerste gespannt ist. Der totale Krieg ist ausgerufen, und alle sollen sich einreihen in den Arbeitsprozeß und Heimatflack. Na, in der nächsten Zeit wird noch manches eingeführt, was dem Einen [!] oder dem Anderen [!] nicht gefallen wird. Aber es ist Krieg, und da muß man sein persönliches Ich zurückstellen, und nur das Eine im Auge haben, nur allein den Krieg beenden helfen.", 12. Febr. 1943; Martha: "Gerade haben wir etwas gegessen, denn der Tag war wieder einmal etwas lang. Aber dieses wird demnächst wohl öfter vorkommen, denn gestern Abend hielt ja Dr. Goebbels eine Großkundgebung, in seiner Ansprache hat er das ganze Volk zum großen Arbeitsprozeß [!] aufgerufen, und wenn es wöchentlich 60-70 Std. wäre. Hoffentlich hat nun dieser große Apell [!] seine Wirkung verübt, wie man es sich wünscht. Wir arbeiten ja schon lange bestimmt 60 Std., aber wenn es sein muß, so kann man noch einen Teil auf sich nehmen. An uns soll es nicht fehlen, wenn es heißt, alle Kraft dem Vaterlande. Und wenn alle Menschen ihre Pflicht tun, so kann man beruhigt sein, und sagen, und wenn die Welt voll Teufel wär, es wird uns doch gelingen. Alle Zweifel und Bangigkeit muß jeder abstreifen, und Hoffnung soll uns durch diese Rückschläge wieder hochrichten, denn es darf doch nicht sein, daß das Volk unruhig wird, denn dann käme eventuel [!] ein zweites Mal ein 1918; und dieses möge uns ein gütiger Herrgott ersparen.", 19. Febr. 1943; Lene: "Vor einer Woche ist Paul wieder zur Musterung gewesen, ist zur Heimatflack geschrieben. Wegen seines Herzens für leichteren Dienst. Ende dieser Woche geht es zum ersten Dienst. […] [Sohn eines Bekannten aus Osnabrück] in Rußland vermißt. Er war bei Stalingrad als Flieger mit eingesetzt. Hatte Verwundete und Kranke mit aus Stalingrad geholt. Ist angeschossen und seitdem vermißt. Ja, ein schreckliches Wort. Und doch muß das Leben weiter gehen; darfst nicht rückwärts schauen. Nur den einen Gedanken hat jeder in sich, wenn es nur bald vorbei wäre, und unsere Truppen siegreich ins Land zurückkehren könnten. Aber wann schlägt diese Stunde?", 23. Febr. 1943; Lene: "Hier geht alles noch weiter, in diesen Tagen kommt es raus, wer sein Geschäft schließen muß. Ob wir unsere Mangel noch aufbehalten ist auch noch nicht raus. Na, dann wird eben in der Fabrik gearbeitet. […] Es ist doch eine unruhige Zeit, jeder döst so hin, man darf nicht weiter rechnen, nur von heute auf Morgen.", 10. März 1943; Lene: Dank für "eine gr[oße] Dose Rindfleisch" von 850 Gramm, 4. März 1943; Lene: "Noch ist Willys Laden auf. Aber es geht jetzt los, einige Geschäfte sollen schon Nachricht haben.", 4. März 1943; Lene: "Aus dem letzten Brief lesen wir von Ludwig Griese; ja, man hört immer wieder Trauriges. Aber wie hier erzählt wird, soll ja die Armee im Kaukasus eingeschlossen sein. Aber wie weit dieses wahr ist, und ob sich die Armee wieder losgeschlagen hat ist noch nicht bekannt. Es besteht also immer noch die Möglichkeit, daß er lebt, und sich nach langen Wochen wieder meldet. Ja, dieser Krieg schlägt Wunden, und manche Eltern vergehen vor Gram Kann man demjenigen [!] verdenken, der so furchtbar viel her geben muß, sich immer wieder fragt, "warum". Soeben ist wieder Entwarnung, heute war schon 2x Alarm. Wo der Tommy heute wieder gehäuft [!], ist wieder Trauer uns Sorge eingezogen. Wir sind in unserer Gegend ja immer wieder verschont, und wollen hoffen, daß wir weiter Glück haben. […] In Deinem Brief lesen wir, daß Mariechen für den totalen Kriegseinsatz ist. Schreiben kann man dieses gut, aber wie weit es dann mit dem Handeln ist, darauf kommt es an. Wenn ich zu jeder Arbeit Hilfe beanspruche und alle andern dann, wenn es mal mit dem Helfen dann nicht immer so klappt, das Leben schwer mache. Wie kann da ein Mensch von totalem Einsatz reden. […] Paul muß nun am 10.4.43 seinen Dienst antreten als Heimatflack. Diese Tage sagt Jochen, Vater, wenn ich erst in die Schule gehe, muß ich in die H.J. und dann haben wir Dienst. Sagt Paul zu ihm, das bestimme ich dann, sagt Jochen wieder, aber wenn wir Dienst haben, gehe ich aber hin. Du siehst, die kleinen Kinder reden schon vom Dienst.", 23. März 1943; Umstellung auf Sommerzeit, 28. März 1943; Lene: "So nach und nach werden jetzt die Frauen in den Arbeitsprozeß [!] eingereiht. Lilly hat sich schon melden müssen, ob und wann sie aufgefordert wird, steht dahin. Es käme [!] für Lilly ½ Tage in Frage. Jochen muß dann eben bei uns auf der Straße rumlaufen, oder in den Kindergarten des Nachmittags wieder gehen. Aber Du glaubst garnicht, wie verkniffen der auf das Spielen auf der Straße ist: Mittags hat er kaum Zeit, dann sagt er schon wieder "ja jetzt will ich man wieder nach Tante Martha, er meint aber nur die Süntelstr., […] da sind dann 1 oder 2 gr[oße] Jungens, die dann mit den kleineren Kinder [!] Soldaten spielen. Haben sich Bunker gebaut und sonstigen Kram. Du siehst also, früh übt sich. Hitler braucht nicht bange sein, die Jugend fängt früh an.", 28. März 1943 Enthält auch: zahlreiche Nachträge von Elisabeth (Liesbeth) Stallmann; Grüße immer auch der anderen Schwestern
- Reference number
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Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann, Nr. 9
- Context
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Nachlass Oswald Stallmann
- Holding
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Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann Nachlass Oswald Stallmann
- Date of creation
-
1943
- Other object pages
- Delivered via
- Last update
-
24.06.2025, 1:44 PM CEST
Data provider
Kommunalarchiv Minden - Archiv der Stadt Minden und des Kreises Minden-Lübbecke. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Sachakte
Time of origin
- 1943