Akten
Schreiben von Oswald Stallmann an seine Schwestern Magdalene (Lene) und Martha Stallmann in Minden
Enthält u.a.: "Mein Quartier habe ich vorübergehend bei einem Ehepaar in Ottweiler aufgeschlagen. So gut habe ich es im Krieg noch nicht gehabt. Fast ist es zu feudal als Soldatenheim, aber warum sollen wir es auch nicht mal vornehm haben.", 21. Okt. 1940; "Heute schicke ich Euch ein Päckchen mit 2 P. Strümpfen. Gewaschen sind sie schon. Aber sie müssen mal gründlich nachgesehen werden. Neulich habe ich sie bereits gestopft. Doch ist die Stopfstelle wohl ein bißchen dünn. Gleichzeitig lege ich 3 kl. Bändchen bei, die ich hier zu Weihnachten erhielt. Sind mir alle bekannt. Legt sie auf meinen Schreibtisch.", 28. Jan. [1941?]; "Heute nachmittag nimmt der Bursche von mir ein Paket mit zur Bahn. Ich habe es in eine Pappmappe gepackt, die ich benutzt habe aber nicht mehr gebrauche. Diese Wäsche kann vorläufig dort bleiben. Nur wäre ich dankbar, wenn mir die Kragen im Päckchen zugesendet würden. Ich habe keine Halsbinden, deshalb benötige ich auch mehr Kragen. Sonst geht es mir gut. Also Lisbeth ist auf Reisen! Hoffentlich erzählt sie nicht mehr so viel. Es ist ihr großer Fehler.", 9. Juni 1942; nach Zerstörung der Wohnung an der Bramscher Straße in Osnabrück durch einen Luftangriff: "Wie sieht es nun in Osnabrück aus? Ich nehme an, daß jetzt alles einen andern Anblick bietet. Und auch in der Bramscher Straße wird man zu anderen Entschlüssen gekommen sein. Es ist ja meistens so, daß zuerst alles verloren scheint, aber bei ruhiger Überlegung und dem nötigen Zeitabstand findet man die Sache immer noch erträglich.", 27. Aug. 1942; Auftrag zum Besorgen von Weihnachtsgeschenken für die Familie, 15. Dez. 1942; "Es ist letzter Tag des Jahres. Man denkt zurück und voraus. Wir werden wohl unter ganz primitiven Verhältnissen feiern. Was tut's! Es geht auch so. Wir werden wieder eine große Familie bilden und uns gegenseitig froh machen. [...] Rüsten wir uns mit neuer Kraft und straffen uns zu neuem Kampf für 1943.", 31. Dez. 1942; nach langem Ausbleiben der Post wegen gestörten Nachschubs aufgrund des Winterwetters: "Es geschehen noch Zeichen und Wunder; denn es kommt Post aus der Heimat. Als sich das herumsprach, wollte ich das zuerst nicht glauben. Man hat sich ja schon so an das Ausbleiben der Nachrichten gewöhnt, daß man Tatsachen für Märchen hält. Als dann der Postonkel eintraf, wurden ganze Säcke abgeladen. Ihr könnt Euch vorstellen, mit welchem Jubel jeder seine Briefe und Karten in Empfang nahm. Nachrichten von daheim - und seien sie noch so alt - sind ja wie ein großes Atemholen der Seele, die in dem ertötenden Einerlei dieses unwirtlichen und ungastlichen Landes oft zu ersticken droht. Ich selbst habe einen ganzen Berg von Post nach Haus geschleppt, und mich für Stunden in das Studium der Nachrichten aus aller Herren Länder vergraben. Und nun wartet man schon wieder auf Neues. Aber Hoffen ist nun mal des Menschen Los. Denn daß es hofft von Tag zu Tag, das ist des Herzens Wellenschlag. [...] Heute will ich alles beantworten. Morgen fliegt einer nach Berlin (krank) und nimmt alles mit. Also beste Gelegenheit, mit der Heimat Verbindung herzustellen. Denn Züge fahren nur 2x in der Woche. Letztere sind ohnehin kein Vergnügen und nehmen unendlich viel Zeit in Anspruch. Besonderen Dank sage ich noch für die Zeitungen "Das Reich". Ich lese es sehr gern." sowie Bitte um Zusendung von "Emser Pillen" und "Clo-Papier", 1. Febr. 1943; "Und am Siege werden wir nie zweifeln, trotz allem.", 22. Febr. 1943; "Lisbeth schickte mich gerade einige Päckchen. [...] Eine Sendung von ihr enthielt 2 kl. Tütchen Puddingpulver. Ich habe die Gebrauchsanweisung gelesen. Aber wo soll man in aller Welt hier Milch hernehmen! Deshalb werden wir den Kram mit Wasser herrichten. Es wird auch schmecken, wie so vieles andere. Man muß ja für manches Ersatz haben und findet ihn auch. [...] Damals bekam ich auch ein Paar Strümpfe [von Euch]. Wenn Ihr noch Wolle habt, so strickt mir nicht ganze Socken. Ich habe so viele, deren Fuß zerrissen ist und bei denen nur eine Erneuerung dieses nötig wäre. Man hat wohl mal Gelegenheit, alte Wäsche gegen neue einzutauschen. Aber Ihr wißt ja auch, daß diese Stücke nicht immer besser in der Qualität sind, so daß es oft angebrachter ist, das Alte zu flicken. Man muß eben mit möglichst wenig Beständen die höchste Wirkung erzielen, das ist die Parole der Zeit. - Daß dort jetzt große Umwälzungen unter der Bevölkerung im Gange sind, glaube ich. Und niemand soll sich wundern. Wer das Gute und die schönen Tage einer Gemeinschaft mit genießt, muß auch das Opfer bejahen. Eins ist nicht ohne das andere denkbar. Und manch einer kann in der Heimat ersetzt werden, wenn Frauen einspringen. So muß sich nur jeder klar werden, was er noch zusätzlich schaffen kann. Ich habe das - Ihr erinnert Euch vielleicht - voriges Jahr schon angeschnitten. Aber scheinbar waren damals schon die meisten bei den Grenzen ihrer Schaffenskraft angelangt. Und erst ganz harte, todernste Lehren bewirken Wunder. Ich freue mich, daß Ihr die heutige Zeit im richtigen Lichte seht. Wenn jeder sich aufpackt, was er kann, wird die Allgemeinlast des Krieges spielend leicht fürs Ganze. Und man sollte in dieser Hinsicht mehr nach unten schauen, als nach oben. Der Soldat hat es immer noch schlechter als der Mann in der Heimat, der scheint's viel zu tun hat.", 2. März 1943; "Neulich schrieb ich Euch von einem großen Paket. Ich konnte es leider nicht fortbringen. Nun gehen wieder zur Heimat kleine Päckchen. Ich habe deshalb das große Paket umgepackt und 7 kleine Päckchen draus gemacht. Es sind 3 Fleischbüchsen, 1 Päckchen mit Briefen, 1 Päckchen mit 2 Paar Strümpfen, 1 Päckchen mit Büchern und eins mit 1 Garnitur Unterwäsche. Morgen geht ein Urlauber nach Deutschland. Der Hauptmann benutzt das Flugzeug. Dem will ich den Brief mitgeben, damit er eher in Eure Hände kommt. Man muß ja alle Möglichkeit ausnutzen.", 8. März 1943; "Gestern kam jemand aus dem Reich zurück. Er hat allerlei erzählt, besonders aus dem Westen. Der Betreffende war aus Köln. Der totale Krieg hat ja das ganze Bild der Heimat verändert. Alles ist eingespannt in den großen Wehrprozeß des Reiches und arbeitet unentwegt an der Niederringung einer uns bedrohenden Welt. Ich kann mir das genau vorstellen. Wie in alten Zeiten ist ganz Deutschland ein großes Waffenlager geworden. Oft kommt es mir vor, als wenn ein Traum aus Jugendtagen Wirklichkeit geworden wäre. Wie oft haben wir da den alten Sagen und Geschichten aus der Urgeschichte unsres Volkes und der Heldenmär gelauscht, wo ganze Stämme und Völker in Bewegung gerieten. Wer von den Jungen von damals hätte je gedacht, einmal Zeuge eines ähnlichen Vorgangs zu sein! Es muß schon um alles gehn, wenn alle aufgerufen werden. Und für geruhsame Leben bietet der Zufall keinen Platz mehr. Das wird auch für die Zeit nach dem Kriege gelten, wo aus den ungeheuren Umwälzungen erst die Folgerungen gezogen werden. Panzern wir also unser Herz! - Also Lisbeth geht wieder auf Reisen. Ja, ja, sie hat es gut. Sie hatte doch so sehr die Nase voll von Rotha. Es ändern sich die Ansichten und Anschauungen. Man soll vorsichtig sein!", 28. März 1943; "Über die Zeit nach dem Krieg soll man noch nicht diskutieren. Sie kommt schon.", 7. Juni 1943; "Leider gehen die Terrorangriffe in der Heimat noch dauernd weiter. Wie wir hören, sind die Engländer nun auch in Berlin gewesen.", 26. Aug. 1943; "Leider bekommt Ihr jetzt wohl viel Besuch vom Tommy. Der verfluchte Kerl wird eines Tages die Quittung erhalten.", 29. Aug. 1943; Geburtstagswünsche für Martha: "Ihr werdet wohl am Ende etwas zusammensitzen und in gewohnter Weise Eure Kaffeekanne in Bewegung setzen. Hoffentlich gibt es dann auch etwas Kuchen noch für leckere Zungen, und als Nachtisch einen guten Tropfen. Jedenfalls wünsche ich zu der Feier bestes Gelingen und einige recht frohe Stunden. Man muß mal auch im Kriege fröhlich sein und Atem schöpfen. Seht zu, daß Ihr also auf Eure Kosten kommt.", 1. Sept. 1943; "Daß bei Euch oft Fliegeralarm ist, glaube ich. Schaden wird dabei immer entstehen. Und die Vergeltung wird schon kommen. Laßt Euch deshalb nicht aus der Rolle bringen und haltet die Ohren steif! Wer die stärksten Nerven hat, wird Sieger bleiben trotz allem. Ich glaube, die Welt weiß heute mehr denn je, daß unwandelbare Treue zu Tun und Gesinnung aller Schwierigkeiten Herr wird. An Feigheit und Pessimismus ist das All reich genug.", 18. Sept. 1943; Brief stark beschädigt: "den 12. Okt. 1943. [...] Oben donnern die Stukas [...] bringen ihre tödliche Last [...] Das Wetter ist ja klar, [...] gut. Am Tage ist über[haup]t noch Sonnenschein. Des Nachts wird's kalt. Vorletzte Nacht war der erste leichte Frost. Die gefütterten Handschuh habe ich hervorgesucht. Der Mantel tritt in Tätigkeit. Hoffentlich bleibt alles in mäßigen Grenzen. Wenn nur die Schlammperiode erst vorbei wäre. Wir erwarten sie immer noch. Wenn sie ausbliebe, wäre es ein Wunder. Mir geht es gut. Euch sicher auch. Seht zu, daß es auch in Zukunft so bleibt. Was machen die Köche? Karl-Oswald und Kurtchen? Schreibt mal wieder! Ich sende Euch herzliche Grüße. Oswald!", 12. Okt. 1943; Erinnerung an Blick von Schnathorst ins Tal: "Noch jetzt im Augenblick sehe ich das friedliche Bild in Gedanken vor mir und weiß nun wieder, was alles auf dem Spiele steht. Aber eben das stolze Bewußtsein, was heute an Kulturgütern verteidigt wird, soll uns straffen und nicht müde werden lassen. Wer sehenden Auges hüben und drüben vergleicht, wer aus eigener Erfahrung die sognannten Segnungen des russischen Bolschewismus kennen gelernt hat, den überläuft es eiskalt bei dem Gedanken, daß russische Horden unser schönes Deutschland überfluten. Schönheit, Güte und alle Dinge einer hohen Kultur würden versinken in Barbarei und der Unsicherheit eines primitiven Fristens des Daseins. Das mögen sich jene sagen, die heute noch klagen und nörgeln. Gewiß ist alles schwer zu ertragen. Der Krieg ist eben kein Kinderspiel, sondern eine allzu rauhe Wirklichkeit, die aber durchlebt werden kann. Mit etwas Idealismus läßt sich alles überwinden. Aber dafür winkt auch ein Preis, der höher ist, als alles andere. Es ist ja immer so, im persönlichen wie im allgemeinen Leben. Dinge, die belanglos sind, kann jeder erwerben und besitzen. Man bezeichnet sie als Massenware. Sinn und Trieb eines höher stehenden Menschen ist es, das zu erwerben und daran seine Kraft zu setzen, was nicht alltäglich ist und deshalb so schwer zu erreichen ist. Da scheiden sich eben die Geister und die Völker. Was teuer ist, muß schwer errungen werden. Besitz kostet etwas und was einem leicht zufällt, ist im allgemeinen nichts wert. Und daß das Schicksal unser Volk heute vor solchen Kampf stellt, in dem sich die Schwierigkeiten nur so häufen und von jedem Einzelnen auch das Letzte gefordert wird, das beweist eben, daß ein hohes Gut zu erkämpfen ist. Das wollen wir bemerken, wenn die unendlichen Sorgen und Mühen eines wahrlich nicht leichten Lebens der Gegenwart uns mutlos machen wollen: Raffen wir unsre Kraft zusammen, so gehört uns die Welt trotz allem. Das gilt für draußen wie für drinnen. Wer den Glauben verliert, ist angeknabbert vom Pessimismus und der Zweifelsucht und ist alt. In großen weltgeschichtlichen Entscheidungen zählt niemals die Zahl, nur die Schwungkraft, der unbeugsame Wille, das Schicksal zu meistern. Gott belohnt niemals die Faulheit, das Schwache und das Bedürftige, sondern das Starke, den Nimmermüden, der sich durch nichts irre machen läßt. Ergo, handeln wir danach. Und wenn wir das tun, bleibt uns immer noch Zeit, die "Blumen" zu sehen und zu finden, die es auch im Krieg gibt. Man muß eben Augen dafür haben. Ich finde auch das Schöne noch unter Trümmern.", 17. Okt. 1943; "Wie weit ist das dort eigentlich mit dem totalen Krieg?", 24. Okt. 1943; Weihnachtswünsche: "Trotz Krieg und Not wird auch die Freude zu ihrem Recht kommen. Und ich glaube, einige Geschenke wird es sicher geben. Möchtet Ihr alle auf Eure Kosten kommen und neue Kraft schöpfen für folgende Zeiten.", undat.
- Archivaliensignatur
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Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann, Nr. 41
- Kontext
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Nachlass Oswald Stallmann
- Bestand
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Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann Nachlass Oswald Stallmann
- Laufzeit
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1940 - 1943
- Weitere Objektseiten
- Geliefert über
- Letzte Aktualisierung
-
24.06.2025, 13:11 MESZ
Datenpartner
Kommunalarchiv Minden - Archiv der Stadt Minden und des Kreises Minden-Lübbecke. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Sachakte
Entstanden
- 1940 - 1943