Bestand

Nachlass Pfizer, Theodor (Bestand)

Vorwort: Pfizer, Theodor Paul, Dr. phil. h.c., geb. Stuttgart 19. Feb. 1904, gest. München 17. Juli 1992, Oberbürgermeister der Stadt Ulm (1948 - 1972)

Biografie (Aus: Frank Raberg: Biografisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm. Ulm 2010)

Der erste direkt von der Bevölkerung gewählte Ulmer Oberbürgermeister der Nachkriegszeit, eine prägende Persönlichkeit der Stadtgeschichte, entstammte einer Familie, deren Geschichte eng mit Ulm verknüpft war. Der Großvater, Emil (von) Pfizer, war zur Zeit von Pfizers Geburt Landgerichtspräsident in Ulm, ein weiterer Vorfahr, Benjamin (von) Pfizer, war erster Präsident des Ulmer Gerichtshofes gewesen. In seiner fast ein Vierteljahrhundert währenden Amtszeit hat Pfizer in Ulm Entwicklungen vorangebracht, die noch heute fortwirken.
Der Platz neben dem Pyramidenbau der Stadtbibliothek in Ulm ist nach ihm benannt, ebenso die Turnhalle in Söflingen. Geboren und aufgewachsen ist Pfizer in Stuttgart, wo sein Vater zum Zeitpunkt seiner Geburt Amtsrichter war. Dennoch wurden die Bindungen zu Ulm gepflegt, das Pfizer in seinen Erinnerungen als "zweite Heimat" schon seiner Kinderjahre bezeichnet.
In Ulm lebte der Großvater Emil (von) Pfizer, der häufig Besuch von seinem Enkel erhielt. Pfizer besuchte nach der Elementarschule in der Stuttgarter Neckarstraße seit Herbst 1912 das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium. Dort schloss er einige dauerhafte Freundschaften, u. a. mit den Brüdern Stauffenberg, die 1944 von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Mit ihnen und einigen anderen Mitschülern konnte er seine Begeisterung für deutsche Literatur teilen, vor allem für Friedrich Hölderlin und Stefan George. Pfizers freiwillige Meldung zur Reichswehr 1923 lässt sich zumindest zum Teil durch die vom George-Kreis gepflegte nationale Begeisterung erklären. Von 1923 bis 1927 studierte er Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in Tübingen, Berlin und München. In Tübingen schloss er sich im Sommersemester 1923 der Akademischen Verbindung "Igel" an - wie vor ihm schon sein Vater und sein Onkel. Im gleichen Semester wurden auch Dietrich Bonhoeffer und der spätere Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett Mitglieder des "Igel". Von 1927 bis 1929 Geschäftsführer der "Tübinger Studentenhilfe", des späteren Studentenwerks, blieb Pfizer lebenslang der Studentenhilfe verbunden und zählte 1946 zu den Mitgründern der Studienstiftung des Deutschen Volkes, deren Auswahlausschuss er angehörte und deren Vorsitz er seit 1960 innehatte.
Der Familientradition folgend, strebte Pfizer ungeachtet der schlechten Karriereaussichten eine Laufbahn im Staatsdienst an und trat 1931 als Hilfsreferent beim Landesarbeitsamt Südwestdeutschland in Stuttgart ein. Seine Übernahme als Beamter in den Dienst der Reichsbahn 1932 empfand er als großes Glück. Seine Laufbahn führte ihn nach Frankfurt/Main, Ludwigshafen, Mainz, Wien, Dresden, Berlin und Gleiwitz, zuletzt als Verkehrsdezernent (Oberreichsbahnrat) nach Stuttgart. Bei der Bewertung der persönlichen Haltung Pfizers in der NS-Zeit sollte die Tatsache, dass er nicht Mitglied der NSDAP war, nicht vernachlässigt werden. Pfizer blieb im zunächst seit April 1945 französisch besetzten Stuttgart im Amt, wurde aber im Juli 1945, nach dem Wechsel von der französischen zur US-amerikanischen Militärregierung, für einige Tage inhaftiert, im Okt. 1945 nochmals für eine Woche. Nachdem sein Entnazifizierungsverfahren zu seinen Gunsten mit dem Entscheid "nicht betroffen" abgeschlossen war, konnte Pfizer die Leitung der vereinigten Verkehrs-, Tarifund Rechtsabteilung der Reichsbahndirektion Stuttgart übernehmen. Wie er in seinen Erinnerungen berichtet, strebte er mittelfristig das Amt des Präsidenten der Reichsbahndirektion Stuttgart an. Im Sommer 1946 avancierte er zum Ministerialrat im neu gebildeten Verkehrsministerium Württemberg-Baden, vertrat dort für längere Zeit den erkrankten Ministerialdirektor Konstantin Ilg und war die eigentliche rechte Hand des Ministers Otto Steinmayer. Überlegungen der Regierung von Württemberg-Hohenzollern, Pfizer im Jahre 1948 zum Präsidenten der Betriebsvereinigung der Südwestdeutschen Eisenbahnen vorzuschlagen, führten zu keinem konkreten Ergebnis.
1948 traten einige Ulmer Bürger, unter ihnen Prälat Walter Buder, einst Pfizers Religionslehrer am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, an Pfizer heran, um ihn für eine Kandidatur für das Amt des Ulmer Oberbürgermeisters zu interessieren. In seinen Erinnerungen schildert Pfizer den Hintergrund dahingehend, der amtierende Oberbürgermeister Robert Scholl sei amtsmüde und an einer Kandidatur nicht interessiert, von seinem Amt auch in mancher Hinsicht überfordert gewesen. Pfizer scheint eher am Oberbürgermeister-Posten in Stuttgart interessiert gewesen zu sein, entschied sich dann aber doch für Ulm. Der später der CDU nahe stehende Pfizer kandidierte 1948 als parteiloser Bewerber in Ulm gegen Scholl und den aus einer Ulmer Handwerkerfamilie stammenden Wilhelm Schöneck, Direktor im Innenministerium Württemberg-Baden. Alle Kandidaten wucherten mit ihren "Ulmer Pfunden", Scholl verwies auf seine Bilanz als Stadtoberhaupt, Pfizer und Schöneck brachten ihre Ulmer Beziehungen und ihre Erfahrungen als Staatsbeamte ins Spiel. Pfizer warb für sich als "ein Baustein für Ulm" und gewann bei der Wahl am 21. März 1948 mit 35,2 Prozent die meisten Stimmen, Schöneck erhielt 33,1 Prozent, Scholl 31,7 Prozent. Pfizer und Schöneck kamen in die Stichwahl am 11. April 1948, die Pfizer bei einer Wahlbeteiligung von 66 Prozent mit 55,4 Prozent für sich entschied. Am 31. Mai 1948 überreichte ihm der Sprecher des Gemeinderats, Franz Wiedemeier (CDU), die Amtskette des Oberbürgermeisters bei der feierlichen Amtseinsetzung in Gegenwart des Innenministers von Württemberg-Baden, Fritz Ulrich. Als Oberbürgermeister erwarteten ihn fundamentale Aufgaben, von deren Lösung Ulms Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten abhing. Die Ausgangslage eröffnete einem tatkräftigen "Macher" wie Pfizer aber auch große Gestaltungsmöglichkeiten. Die unmittelbaren Aufräum- und Entschuttungsarbeiten waren zum größten Teil abgeschlossen und damit die Grundbedingung für die Umsetzung aller Pläne für den Neuaufbau geschaffen. Vor allem musste es darum gehen, die fatalen wirtschaftlichen Folgen der Randlage zu überwinden, in welche die Stadt durch die Zoneneinteilung geraten war. Pfizer war von 1949 bis 1971 Vorsitzender des Verbandes Obere Donau und von 1965 bis 1971 Vorsitzender der Regionalen Planungsgemeinschaft Donau-Iller-Blau. Beide Organisationen, an deren Gründung Pfizer maßgeblich beteiligt war, dienten der Einbindung Ulms in größere Wirtschaftsstrukturen, die die Ländergrenzen überwinden sollten. Die Einwohnerzahl musste steigen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Zu diesem Zweck ließ Pfizer den Wohnungsbau und die Wiederherstellung der Infrastruktur forcieren. Seinem besonderen Interesse für Bildung und Kultur entsprach sein Engagement für die bereits 1946 gegründete Ulmer Volkshochschule (vh Ulm), deren Kuratorium er angehörte, und für die Hochschule für Gestaltung (HfG), die den Betrieb 1955 aufnahm. 1960 erfolgte die Gründung der Fachhochschule für Ingenieurwesen, 1967 die Gründung der Universität Ulm, die Pfizer in jahrelangem zähen Ringen gegen zahlreiche Widerstände mit Anderen durchsetzte und damit den Grundstein für die "Universitätsstadt Ulm" legte. Als Oberbürgermeister begann Pfizer einen neuen Stil zu entwickeln, der innerhalb der Stadtverwaltung das Prinzip der Kollegialität stärken sollte. Zwischen Rathaus und Bürgerschaft verbesserte er die Kommunikation durch Einführung von Sprechstunden, der Bürgerversammlungen ("Ulmer Forum") und der Bürgerinnen- und Jungwählerversammlungen sowie die Wiedereinführung der Schwörwoche im Jahre 1949. Den Schwörmontag nutzte Pfizer für Zustandsbeschreibung, Rechenschaftsbericht und visionäre Wegweisung der Stadtentwicklung. Mit Neu-Ulm suchte er den Ausgleich und ein gutnachbarschaftliches Verhältnis herzustellen, ein Streben, das am 15. Jan. 1971 in der Unterzeichnung des Ulm/Neu-Ulmer Städtevertrags gipfelte. Am Ende seiner letzten Amtszeit stand eine Reihe von Eingemeindungen, die 1971 mit Jungingen, Mähringen und Unterweiler begann, während die Eingemeindungen von Gögglingen, Donaustetten, Eggingen, Ermingen und Einsingen, die sich dann 1974 realisierten, vorbereitet wurden. Pfizer war von 1968 bis 1971 Vorsitzender des Baden-Württembergischen Städteverbandes und seit 1955 nichtrichterliches Mitglied des Staatsgerichtshofs von Baden-Württemberg. 1972 konnte er, mittlerweile 68 Jahre alt, nicht mehr für eine Neuwahl kandidieren. Die Stadt Ulm ehrte ihn im gleichen Jahr mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft. Seinen 20 Jahre währenden Ruhestand verlebte er in seiner Heimatstadt Stuttgart, blieb Ulm aber eng verbunden und war häufig zu Gast in der Stadt, deren Entwicklung er nachhaltig geprägt hatte.
1945 Mitgründer und später Vorstandsmitglied der Württembergischen Bibliotheksgesellschaft Stuttgart, zeitweise Vorsitzender; 1948 bis 1972 Vorsitzender des Schulausschusses des Deutschen Städtetags, 1949 Mitglied des Kulturausschusses des Deutschen Städtetags, später dessen stv. Vorsitzender; 1954 bis 1965 Vorsitzender des 1953 von Bundespräsident Theodor Heuss gegründeten Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, 1966 bis 1975 Mitglied in der Nachfolgeinstitution Deutscher Bildungsrat; um 1950 bis 1955 Vorsitzender des Verwaltungsrats der Geschwister-Scholl-Stiftung (Stiftung Hochschule für Gestaltung); 1950 bis 1955 Vorstandsmitglied, 1955 bis 1978 Präsident der Hölderlin-Gesellschaft, 1978 Ehrenpräsident; seit 1956 Beiratsmitglied der Geschwister Boehringer-Stiftung für Geisteswissenschaften; seit 1956 Vorsitzender des Ulmer Ortskuratoriums "Unteilbares Deutschland"; 1960 bis 1973 Vorsitzender des Arbeitskreises Universität Ulm; 1960 bis 1981 Vorstandsvorsitzender der Studienstiftung des Dt. Volkes, 1981 Ehrenpräsident; seit 1971 Mitglied des Kuratoriums der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg; 1972 bis 1980 Vizepräsident der Dt. Schillergesellschaft, 1973 bis 1981 Vorsitzender der Ulmer Universitäts-Gesellschaft e. V., 1981 Ehrenvorsitzender; 1973 bis 1977 Vorstandsvorsitzender der Stiftung Landeserziehungsheime Hermann-Lietz-Schulen; Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde des Leibniz-Kollegs in Tübingen.
1957 Ehrensenator der Universität Freiburg im Breisgau; 1958 Ehrensenator der Universität Tübingen; 1960 Dr. phil. h.c. (Universität Heidelberg); 1975 Ehrensenator der Universität Ulm; 1978 Verleihung des Titels Professor durch die Landesregierung von Baden-Württemberg; 1986 Benennung der gemeinnützigen Stiftung zur Unterstützung der Studienstiftung in "Theodor Pfizer Stiftung"; 2004 Benennung des Platzes an der Stadtbibliothek Ulm.

Bestandsgeschichte

Der Nachlass gelangte bereits 1972 mit dem Ausscheiden Pfizers aus dem Amt des Oberbürgermeisters in das Stadtarchiv. Seine Privatbibliothek wurde 1992 von der Ulmer Universitätsgesellschaft übernommen und der Bibliothek der Universität übereignet.

Inhalt

Der Gesamtumfang des Nachlasses beläuft sich auf 28 lfm.
Quantitative Schwerpunkte des Nachlasses sind:
- persönliche Korrespondenzen
- Ansprachen, Vorträge und Referate aus Pfizers Funktion als Oberbürgermeister
- Unterlagen aus Pfizers ehrenamtlicher Tätigkeit für verschiedene Institutionen, Verbände und Vereine. Die im Bundesarchiv verwahrten Überlieferungen der Geschäftsstellen des Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen und der Nachfolgeinstitution Deutscher Bildungsrat (Bestände B 154 bzw. B 251) sind im Vergleich zu dem im Nachlass Pfizer vorhandenen Unterlagen zu diesen beiden Gremien deutlich umfangreicher. Da sämtliche Druckschriften des Deutschen Bildungsrats auch im Bestand B 251 des Bundesarchivs vorhanden sind, wurden diese im Nachlass ausgesondert.

Zum Nachlass gehörten ursprünglich auch einige Bücher, die Pfizer bei Besuchen in anderen Städten als Gastgeschenke überreicht wurden. Da es sich hier ausschließlich um Reiseführer oder Bildbände der besuchten Städte ohne Bezug zu Ulm handelte, wurden diese ebenfalls ausgesondert.

Bestandssignatur
H Pfizer, Theodor

Kontext
>> Handschriften und Nachlässe

Bestandslaufzeit
1900/1992

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Letzte Aktualisierung
03.04.2025, 12:43 MESZ

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Objekttyp

  • Bestand

Entstanden

  • 1900/1992

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