Bestand

Matthäus Enzlin, Geheimer Rat (Bestand)

Überlieferungsgeschichte
Der Bestand geht auf ein altwürttembergisches Membrum zurück, welches bis ins 19. Jahrhundert durch einkommende Akten angereichert wurde.
Inhalt und Bewertung
Die enthaltenen Unterlagen betreffen die gegen den württembergischen Rat Matthäus Enzlin angestellten Ermittlungen sowie den anschließend angestrengten Prozess, der mit der Hinrichtung Enzlins endete. Neben Ermittlungs- und Prozessakten enthält der Bestand die Verteidigungsschriften Enzlins, Akten zu den gegen ihn erhobenen Forderungen sowie Unterlagen zu verschiedenen Bemühungen der Familie Enzlin.

Aufstieg und Fall des Matthäus Enzlin (1556-1613): Als Sohn eines Kirchenratsdirektors der württembergischen Ehrbarkeit entstammend, nutzte Matthäus Enzlin die ihm gebotenen Möglichkeiten zunächst zu einem Jurastudium in Tübingen. Dort 1576 promoviert, schlug er zunächst eine juristische Laufbahn ein, die ihn für kurze Zeit an das Reichskammergericht nach Speyer sowie im Anschluss auf juristische Lehrstühle an die Universitäten Heidelberg und Tübingen führte. Schon vor dessen Regierungsübernahme im Jahr 1593 war Enzlin zudem als juristischer Berater Herzog Friedrichs von Württemberg tätig, in dessen Dienste er in der Folge übertrat und rasch zum wichtigsten Rat des Herzogs aufstieg. In den folgenden Jahren ließ sich Enzlin daher auch in die oft undurchsichtigen Finanzgeschäfte des Landesherrn verwickeln, welche dazu dienten, Friedrich von der Mitbestimmung der Landstände zu emanzipieren und diese zurückzudrängen. 1599 maßgeblich an der Aushandlung des Prager Vertrags beteiligt, machte sich Enzlin als Instrument der Politik Herzog Friedrichs rasch zahlreiche Feinde und wurde nach dem Tod des Herzogs umgehend der Sündenbock für dessen oft autokratische, gegen den Einfluss der Landstände gerichtete Politik. Bereits 1608 erfolgte die dauerhafte Inhaftierung Enzlins auf den Festungen Neuffen und Urach, da er als Geheimnisträger des verstorbenen Herzogs als Gefahr für dessen Nachfolger Johann Friedrich und die ehemals dominierende und nun wiedererstarkte Hofpartei der Regierungszeit Herzog Ludwigs empfunden wurde. Daher trug auch schon der erste, im Jahr 1608 vor dem Stuttgarter Stadtgericht begonnene Prozess gegen Matthäus Enzlin eindeutig politische Züge, auch wenn die Anklage in erster Linie die finanziellen Transaktionen des Rats zum Gegenstand hatte. Die politische Dimension zeigte sich spätestens darin, dass Enzlin auch nach einem Geständnis und der Unterzeichnung einer Urfehde inhaftiert blieb. Ein Fluchtversuch des in Ungnade gefallenen Juristen scheiterte und auch die Anrufung des Reichskammergerichts durch die Familie Enzlin blieb erfolglos. Stattdessen ließ Herzog Johann Friedrich vor einem aus herzoglichen Amtsträgern bestehenden Sondertribunal einen zweiten Prozess anstrengen. Erneut stand der Vorwurf finanzieller Unregelmäßigkeiten im Vordergrund, darüber hinaus wurden dem Angeklagten aber auch hochverräterische Bestrebungen angelastet. Alle juristischen Bemühungen Enzlins zu seiner Verteidigung blieben fruchtlos, der Prozess endete mit dem Todesurteil. Am 22. November 1613 erfolgte die Vollstreckung des Urteils, Matthäus Enzlin wurde auf dem Uracher Marktplatz öffentlich geköpft. Trotz der Vielzahl der Vorwürfe gegen Enzlin ist festzuhalten, dass diese zumindest teilweise als unbegründet gelten müssen. Vor diesem Hintergrund handelte es sich eindeutig um einen vorrangig politisch motivierten Prozess. Beim zweiten Verfahren wurde dies sogar noch deutlicher, da dem Angeklagten etwa die Einlegung von Rechtsmitteln verweigert wurde. Die über das Herzogtum Württemberg hinausweisende politische Bedeutung des Falls Matthäus Enzlin zeigte sich noch nach der Hinrichtung des Rats. Im Jahr 1638 befahl Kaiser Ferdinand III. der habsburgischen Regierung in Stuttgart, die Prozessakten herauszusuchen und der Tiroler Nebenlinie in Innsbruck auszufolgen. Hintergrund waren gegenüber Enzlin erhobene Vorwürfe, er habe die Herrschaft Achalm in hochverräterischer Weise an das Erzherzogtum Österreich geben wollen. Zumindest eine Teilabschrift einschlägiger Akten wurde auch erstellt. Mit der Auswertung der Prozessakten verfolgte Innsbruck 1638 (am Ende vergeblich) das Ziel, aus den Unterlagen eine juristische Begründung zur langfristigen Behauptung der zwischen 1634 und 1648 habsburgisch verwalteten Herrschaft Achalm zu erlangen. Die hierzu entstandenen Unterlagen blieben bis 1893 im Besitz des Österreichischen Staatsarchivs, ehe sie an das königlich württembergische Staatsarchiv zurückgegeben und dort dem heutigen Bestand A 48/02 eingegliedert wurden.

Inhalt und Geschichte des Bestands: Der Bestand A 48/02 geht auf ein altwürttembergisches Membrum zurück. Eine erste Sichtung sowie die Erstellung eines kursorischen Verzeichnisses zumindest eines Teils der Unterlagen erfolgte schon im Jahr 1618, ehe der Bestand im Jahr 1622 an die Hofregistratur übergeben wurde. Dort erfolgte die Verzeichnung der Unterlagen, wobei das Selekt in der Folge mehrfach angereichert wurde, etwa durch die Ablieferung von Prozessakten, welche 1853 aus der Registratur des ehemaligen Reichskammergerichts in Wetzlar einkamen. Im Zuge der Zusammenführung der Reichskammergerichtsakten wurden diese Unterlagen dem Selekt inzwischen wieder entnommen (sie befinden sich heute im Bestand C 3, Bü 925 und Bü 926). Wie erwähnt, gelangten im Jahr 1893 zudem Unterlagen aus Wien in den Bestand. Bereits mit der von Johann Jakob Gabelkover geleisteten ersten Erschließung der Akten wurde die im Kern bis heute beibehaltene Gliederung des Bestands in Generalakten und Spezialakten eingeführt. Wilhelm Ferdinand Ludwig Scheffer ergänzte die Vorarbeiten Gabelkovers am Ende des 18. Jahrhunderts, indem er für die Mehrzahl der Büschel Mantelbögen mit Angaben zum Inhalt der Akten erstellte und vor allem für die Generalakten zum Teil detaillierte Verzeichnisse der einzelnen Schriftstücke anfertigte. Die bestehende Verzeichnung sowie die Ergänzungen Scheffers zusammenfassend, erstellte Carl Friedrich Pfaff wohl um 1800 ein neues Findmittel. Im Zuge dieser Verzeichnung wurden die Unterlagen durchgesehen, umsigniert und an einen neuen Lagerort verbracht, ohne dass jedoch Änderungen an der bestehenden Ordnung vorgenommen wurden. Inhaltlich gliedert sich der Bestand in zwei Hauptteile. Die gegen Matthäus Enzlin angestellten Ermittlungen sowie der gegen den Rat geführte Prozess bilden die beiden Bestandteile der Generalakten. Hier sind unter anderem Verhandlungs- und Vernehmungsprotokolle anzutreffen, ebenso die umfangreichen Verteidigungsschriften des Angeklagten sowie Gutachten externer Juristen aus Tübingen und Augsburg. Die Spezialakten enthalten Unterlagen zu den zahlreichen Forderungen, mit denen sich Matthäus Enzlin konfrontiert sah. Daneben finden sich unter anderem Auflistungen der bei ihm beschlagnahmten Akten. Sowohl aus den General- wie auch den Spezialakten wird schließlich deutlich, welche Rolle die Familie Enzlins bis zur Hinrichtung des Rats und darüber hinaus gespielt hat. Vielfältigen Niederschlag fanden vor allem die Bemühungen von Enzlins Gemahlin Sabina, in geringerem Maß gilt dies auch für die beiden Söhne Johannes und Nikolaus Enzlin.

Zur Verzeichnung des Bestands: Bei der Neuverzeichnung des Bestands im November 2009 wurde die bestehende Gliederung in General- und Spezialakten beibehalten. Innerhalb dieser Gliederung erfolgte jedoch eine genauere Klassifizierung der Unterlagen, so dass mit Blick auf die Generalakten die Ermittlungsakten nun deutlich von den eigentlichen Prozessakten abgegrenzt sind. Eine Sonderstellung kommt in diesem Zusammenhang dem Büschel 29 zu, welches als einziges heute noch im Bestand befindliches Büschel erst nach der Erstverzeichnung in den Besitz des königlich württembergischen Staatsarchivs gelangte. Unter inhaltlichen Gesichtspunkten ließ sich das Büschel jedoch leicht den Generalakten zuordnen, aus denen auch die Vorlagen der dort enthaltenen Abschriften stammen. Neben der äußeren Struktur des Bestands konnte von einigen wenigen Ausnahme abgesehen auch die Formierung der einzelnen Büschel beibehalten werden. Aus Gründen der Bestandserhaltung wurden lediglich die drei Pergamenturkunden aus den ursprünglichen Büscheln extrahiert und getrennt verzeichnet. Aus der Überlieferung der Spezialakten wurden darüber hinaus unter inhaltlichen Gesichtspunkten die Büschel 31 und 32 neu gebildet. Im Hinblick auf die Laufzeiten der einzelnen Verzeichnungseinheiten ist darauf hinzuweisen, dass sich diese zum Teil auch auf solche Aktenstücke beziehen, welche als Abschriften in den Bestand gelangt sind. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nur bei den Urkunden sowie tagesgenau datierten Aktenstücken eine Doppeldatierung nach dem Julianischen und dem Gregorianischen Kalender erfolgt. Alle nicht näher gekennzeichneten Datierungen folgen also ausschließlich dem Julianischen Kalender. Der Bestand umfasst nunmehr 3 Urkunden und 32 Büschel (entsprechend 2 lfd. m).

Korrespondierende Bestände und Literatur: A 41 Württembergische Reichskammergerichtsregistratur, Bü 440-442, Prozessakten A 444 Oberkirch, Bü 18, Verwaltungsakten von Oberkirch C 3 Reichskammergericht, Bü 925, 926, Prozessakten Asch, Ronald G.: Der Sturz des Favoriten. Der Fall Matthäus Enzlin und die politische Kultur des deutschen Territorialstaates an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 57 (1998), S. 37-63. Auge, Oliver: Holzinger, Enzlin, Oppenheimer: Günstlingsfälle am spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hof der Württemberger, in: Hirschbiegel, Jan / Paravicini, Werner (Hg.): Der Fall des Günstlings: Hofparteien in Europa vom 13. bis zum 17. Jahrhundert, Ostfildern 2004, S. 365-399. Pfaff, Karl: Matthäus Enzlin. In: Wirtenbergischer Plutarch. Lebensbeschreibungen berühmter Wirtenberger, Band I, Esslingen 1830, S. 11-35. Sattler, Christian Friedrich: Geschichte des Herzogthums Würtenberg unter der Regierung der Herzogen, Band VI, Tübingen 1773, S. 16-23. Schmidt, Carl: Die Familie des württembergischen Kanzlers Matthaeus Enzlin in den letzten Jahren seiner Gefangenschaft 1612-1613. Ein Beitrag zur Geschichte des bekannten Enzlin´schen Prozesses, Diss. Tübingen 1894. Stuttgart, im November 2009 Andreas Neuburger und Bernhard Theil

Bestandssignatur
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 48/02
Umfang
3 Urkunden, 32 Büschel (2 lfd. m)

Kontext
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Archivtektonik) >> Altwürttembergisches Archiv >> Auslesebestände über die Landesverwaltung, Kabinett und Hofbehörden >> Rechtsprechung und Polizei >> Politische Kriminalprozesse

Indexbegriff Person

Bestandslaufzeit
1603-1620

Weitere Objektseiten
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Rechteinformation
Letzte Aktualisierung
20.01.2023, 15:09 MEZ

Objekttyp


  • Bestand

Entstanden


  • 1603-1620

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