Bestand
Staatsanwaltschaft Offenburg: Strafverfahren gegen Heinrich Tillessen u.a. wegen Mordes an Matthias Erzberger und Mordversuchs an Carl Diez (Bestand)
Inhalt und Bewertung
Strafverfahren gegen Heinrich Tillessen u.a. wegen Mordes an Matthias Erzberger und Mordversuchs an Carl Diez
Zur Geschichte der Ermittlungen im Mordfall Erzberger: Am 26.8.1921 wurde der ehemalige Reichsfinanzminister Matthias Erzberger bei einem Spaziergang mit dem Zentrumsabgeordneten Carl Diez in der Nähe von Bad Griesbach erschossen. Da es sich bei Erzberger um einen prominenten Vertreter der Weimarer Republik und eine Feindfigur der extremen Rechten handelte, wurde schon bald nach Bekanntwerden der Tat ein politisches Motiv angenommen. Die Ermittlungen lieferten Hinweise auf zwei ehemalige Marineoffiziere und Mitglieder der zum Tatzeitpunkt bereits verbotenen Freikorpsorganisation "Brigade Erhard" - Heinrich Tillessen und Heinrich Schulz. Die Spur der Verdächtigen führte nach München, damals ein Tummelplatz rechter Organisationen und Verbände. Im Zuge der Ermittlungen stieß die Polizei auf eine Nachfolgeorganisation der Brigade Erhardt, die als "Bayerische Holzverwertungsgesellschaft" getarnte Organisation Consul. Diese Organisation hatte unter der Leitung des ehemaligen Kapitänleutnants Manfred v. Killinger ein Netz von Bezirksorganisationen über ganz Deutschland gespannt, geheime Waffenlager angelegt und sich aufgemacht, die noch junge Demokratie zu zerstören. Trotz der Zerschlagung der Organisation im Zuge der Ermittlungen und der zeitweiligen Festnahme führender Mitglieder, konnten die beiden Täter ins Ausland fliehen. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 kehrten beide wieder nach Deutschland zurück. Schulz trat in die SS ein und machte dort Karriere, während Tillessen als Generalvertreter einer Versicherungsgesellschaft in Mannheim tätig war. Nach Kriegsende wurde Tillessen in seinem Wohnort Heidelberg von amerikanischen Truppen verhaftet und über die französische Militärregierung der (süd-)badischen Justiz überstellt. Im August 1946 lehnte das Landgericht Offenburg die Eröffnung eines Hauptverfahrens mit der Begründung ab, dass eine am 21.3 1933 verkündete Amnestie des Reichspräsidenten für Straftaten, "die im Kampfe für die nationale Erhebung des Deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampfe für die deutsche Scholle" begangen wurden, einer Strafverfolgung entgegenstehe. Nach Ansicht des Gerichts war dieser Amnestieerlass formaljuristisch noch gültig, so dass am 29.11.1946 das Verfahren gegen Tillessen eingestellt wurde. Nun zog die französische Militärregierung das Verfahren an sich und übergab es zur Überprüfung an das Tribunal Général als höchstes französisches Gericht in der Besatzungszone. Dort wurde der Beschluss des Landgerichts Offenburg kassiert und der Fall zur Neuverhandlung an das Landgericht Konstanz verwiesen. Dieses verurteilte Tillessen am 28.2.1947 zu 15 Jahren Zuchthaus. Heinrich Schulz wurde 1948 in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager erkannt und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übergeben. Er wurde am 19.7.1950 vom Landgericht Offenburg zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Tillessen und Schulz mussten nur einen geringen Teil ihrer Strafen absitzen. Bereits Ende 1952 wurde für beide die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Bestandsgeschichte: Die im Bestand F 179/4 vorliegenden Akten umfassen sowohl das Ermittlungsverfahren von 1921/22 als auch die Prozesse nach 1945. Neben den Akten zu Tillessen und Schulz befinden sich im Bestand zahlreiche Sonderakten zu einzelnen Personen (i. d. R. mit Fotos) aus dem Umfeld der Organisation Consul, sowie die Ermittlungs- und Strafakten gegen Manfred v. Killinger wegen Geheimbündelei und Beihilfe zum Mord. Die Nrn. 1-187 wurden im Jahr 1984 von der Staatsanwaltschaft Offenburg an das Staatsarchiv Freiburg abgegeben (Zugangs-Nr.: 1984/153). Die Nrn. 188 und 189 (Handakten) kamen als Schenkung von Dr. K.-H. Oldendorf 1998 in das Staatsarchiv Freiburg (Zugangs-Nr.: 1998/48). Der Bestand wurde 2003 im Rahmen des Landesrestaurierungsprogramms von der Firma Neschen entsäuert, konserviert und verfilmt. Die Originalakten werden im Rahmen der Benutzung nicht mehr vorgelegt. Stattdessen können die Mikrofilme eingesehen werden, die im Staatsarchiv Freiburg unter der Signatur W 150/1 Nr. 19 vorliegen. Eine Konkordanz Aktennummer-Filmnummer befindet sich am Ende des Findbuchs. Der Bestand hat einen Umfang von 6 lfd m (189 Nrn). Freiburg, im Dezember 2004 Jochen Rees Die Mikrofilme des Bestandes wurden im Rahmen des Projektes "Von der Monarchie zur Republik. Digitalisierung von Quellen des Landesarchivs Baden-Württemberg zur Demokratiegeschichte (Zukunftsoffensive III)" digitalisiert und die Images mit den Titelaufnahmen verknüpft. Freiburg, im August 2017 Kurt Hochstuhl
- Bestandssignatur
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg, F 179/4
- Kontext
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg (Archivtektonik) >> Baden-Württemberg 1952 ff.: Ober- und Mittelbehörden >> Geschäftsbereich Justizministerium >> Staatsanwaltschaften
- Indexbegriff Sache
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Justiz
Staatsanwaltschaft Offenburg
- Indexbegriff Person
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Diez, Carl
Erzberger, Matthias; Politiker, Abgeordneter, Minister, Volksschullehrer, Redakteur, Katholik, 1875 - 1921
Tillessen, Heinrich
- Indexbegriff Ort
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Offenburg OG; Staatsanwaltschaft
- Bestandslaufzeit
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(1911) 1921-1952 (1962)
- Weitere Objektseiten
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- Rechteinformation
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Es gelten die Nutzungsbedingungen des Landesarchivs Baden-Württemberg.
- Letzte Aktualisierung
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24.04.2024, 14:36 MESZ
Datenpartner
Landesarchiv Baden-Württemberg. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- (1911) 1921-1952 (1962)