Bestand
Lippische Justizkanzlei, Jüngere Prozessakten (1801-1879) (Bestand)
Dienst- und Geschäftsbetrieb, Generalprotokolle 1820-1884 (107); Depositen, Verträge, Vormundschaften, Rechnungen 1807-1894 (32); Rekurse, Eingaben, verschiedene Prozesse 1794-1880 (73); Zivilprozesse 1800-1879 (ca. 8500).
Form und Inhalt: Die Justizkanzlei war das älteste lippische Obergericht, zuständig für Zivilsachen und Appellationsinstanz für die niederen Gerichte auf dem Lande und in den Städten. Sie bestand aus den Mitgliedern des Regierungskollegiums (mit Ausnahme des Landdrosts) in ihrer Eigenschaft als Justizkollegium (Miele, S. 56) und tagte als Audienzgericht (Heidemann, Gerichtswesen, S. 131; siehe auch Bestand L 54). Ende des 16. Jahrhunderts erhielt die Justizkanzlei Konkurrenz in Gestalt des neu errichteten Hofgerichts.
Wenn die Kanzlei als Gericht tagte, nahmen an den Sitzungen gewöhnlich ein oder zwei Kanzleiräte teil; die Schreibarbeit erledigte der Kanzleisekretär (Heidemann, Absolutismus, S. 42).
Zwar sollte die Kanzlei eigentlich durch das 1593 gegründete, als einziges Obergericht gedachte Hofgericht (siehe Bestand L 84) von Justizaufgaben entlastet werden. Da aber den Landständen aus finanziellen Gründen ein Mitspracherecht am Hofgericht eingeräumt werden musste, blieb die Justizkanzlei als zweites lippisches Obergericht in Zivilsachen bis zum Ende der alten Justizordnung bestehen.
Bestimmte Rechtssachen blieben ausschließlich der Kanzlei vorbehalten. Alle landesherrliche Hoheitsrechte und Regalien berührenden Fragen gehörten hierher; der Landesherr und seine Beamten unterstanden in allen Rechtssachen allein dem Kanzleigericht. De facto war die Kanzlei Revisions- und Kontrollinstanz gegenüber dem Hofgericht und griff immer wieder in dessen Belange ein (Miele, S. 64 f. und 181 f.).
Appellationsinstanz gegen Entscheidungen der Justizkanzlei war bis zu seiner Aufhebung im Jahre 1806 das Reichskammergericht (siehe: Inventar der lippischen Reichskammergerichtsakten, Detmold: Selbstverl. d. Staatsarchivs Detmold 1997, Einleitung S. 11). Nach Gründung des Deutschen Bundes richteten die Länder Braunschweig und Lippe - hinzu kamen noch Waldeck und Schaumburg-Lippe - ein Gemeinschaftliches Oberappellationsgericht in Wolfenbüttel ein, das 1817 seine Tätigkeit aufnahm (Ebert, S. 40f.; siehe auch Bestand L 77 A, Abschnitt B 8). Nachdem durch eine weitgehende Umgestaltung des Braunschweigischen Justizwesens dieser Institution die Grundlage entzogen war, schloss sich Lippe 1857 dem hannoverschen Oberappellationsgericht in Celle an (Ebert, S. 44ff.); während einer Übergangszeit übernahm eine lippische Interimistische Oberappellationsgerichtskommission die Aufgabe (Ebert, S. 45f.).
Durch das Gerichtsverfassungsgesetz von 1879 wurde die Justizkanzlei - wie alle Gerichte der alten Zeit - aufgehoben.
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Der Bestand Justizkanzlei wurde im Archiv willkürlich (siehe Kurzübersicht: Bestände des NW Staatsarchivs Detmold und Personenstandsarchivs Westfalen-Lippe, 1994) in die Teilbestände L 83 A - L 83 G aufgeteilt.
Während der Bestand L 83 A die Judizialakten des 16. - 18. Jahrhunderts enthält (erschlossen durch ein maschinenschriftliches Verzeichnis nach einem Zettelkatalog von Prof. Otto Weerth), umfasst L 83 B die Angelegenheiten aus dem 19. Jh. (Findbuch L 83 B, enthaltend die im alten Repertorium [D 79 Alte Findbücher Nr. 435] grün abgehakten Akten unter Beibehaltung der dort vergebenen alphanumerischen Signaturen).
Außerdem befanden sich am Ende dieses Teilbestands 68 nur grob vorsortierte Kartons (deren Inhalt nicht immer mit der Beschriftung übereinstimmte, teils auch Hofgerichtsakten und verstreute Einzelvorgänge), darunter Allgemeines und Verwaltung (Generalprotokolle, Aktenverschickung, Geschäftstätigkeit [Produktenbücher], Gebühren [Sporteln]) sowie "Verschiedene kleinere Sachen" (19 Kartons) und Varia (10 Kartons). Aus dem Bestand L 84 (Hofgericht) wurden einige dort falsch abgelegte Akten übernommen, v.a. 2 Kartons "Verschickungskosten". Umgekehrt mussten einige Akten dem Bestand L 84 zugeordnet werden. Die Laufzeit der bisher unverzeichneten Akten reicht in einigen Fällen bis vor 1800 zurück.
Während die Prozessakten des Bestands L 83 B nach Buchstabe + Nr. zu bestellen sind (z.B. L 83 B, A 71), sind die neu verzeichneten Akten mit laufender Nummer signiert, also L 83 B, Nr. 1 ff..
Detmold, im Juli 2009
gez. Arno Schwinger
Hinweis:
Die Bestände Justizkanzlei und Hofgericht sind im lippischen Landesarchiv oder auch schon vorher bei der Justizverwaltung teilweise durcheinander geraten (siehe auch Vorbemerkung zum Teilbestand L 84 IV); es gab auch in einigen Bereichen gemeinsame Geschäftstagebücher. Manchmal sind auch trotz eindeutiger Beschriftung Archivalien falsch abgelegt worden. Bei der Bearbeitung der unverzeichneten Reste beider Bestände wurde dies soweit möglich korrigiert; leider ist im Nachhinein nicht immer festzustellen, zu welchem der beiden Bestände ein Aktenstück gehört.
Beide Bestände enthalten auch Archivalien betr. das Oberappellationsgericht bzw. die (interimistische) Oberappellationsgerichtskommission.
Der Bestand L 83 B enthält auch Archivalien, die nach 1879 vom Landgericht Detmold fortgeführt wurden.
Fiskalprozesse siehe L 84 (Hofgericht).
- Reference number of holding
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L 83 B
- Extent
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1091 Kartons = ca. 8700 Archivbände 1794-1894. - Findbuch: L 83 B.
- Language of the material
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German
- Context
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Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe (Archivtektonik) >> 1. Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe >> 1.1. Land Lippe (bis 1947) >> 1.1.2. Verwaltung, Justiz >> 1.1.2.7. Justiz >> 1.1.2.7.1. Zentrale Gerichtsbarkeit >> Lippische Justizkanzlei
- Related materials
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Literatur
Johannes Arndt, Das Fürstentum Lippe im Zeitalter der französischen Revolution 1770-1820, Münster 1992, S. 99-110.
Bernhard Ebert, Kurzer Abriß einer lippischen Rechtsgeschichte für die Zeit seit Simon VI., in: Lippische Mitteilungen 25 (1956), S. 12-60.
Jürgen Miele, Das lippische Hofgericht 1593-1743, Göttingen 1984. (behandelt auch das Justizwesen insgesamt, ausführlich das Verhältnis Hofgericht/Justizkanzlei)
Joachim Heidemann, Das lippische Gerichtswesen am Ende des 17. Jahrhunderts, in: Lippische Mitteilungen 31 (1962), S. 130-143.
Derselbe, Die Grafschaft Lippe zur Zeit des beginnenden Absolutismus (1652-1697). Verfassung - Verwaltung - Auswärtige Beziehungen, in: Lippische Mitteilungen 30 (1961), S. 15-76.
- Date of creation of holding
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1794-1894
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- Last update
-
06.03.2025, 6:28 PM CET
Data provider
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Object type
- Bestand
Time of origin
- 1794-1894