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Bayerischer Gemeindetag (Bestand)
Vorwort: Entstehung kommunaler Interessensvertretungen in Bayern im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (verkürzt wegen der Online-Beschränkung des Textumfangs)
Aus Sicht der Gemeinden schürte die mit den Gemeindeedikten von 1818 in Bayern einsetzende Rückgabe von Rechten und Aufgaben und die zunehmende Verrechtlichung bestimmter Bereiche das Bedürfnis nach einer gemeinsamen Interessensvertretung. Gleichzeitig begünstigten Industrialisierung, steigende Mobilität und Komplexität der Alltagsgeschäfte generell die Entstehung von Vereinen und Verbänden. Dem Bedürfnis nach Zusammenschluss und der Bündelung von Interessen auf Seiten der Bevölkerung stand die Befürchtung der Regierenden gegenüber, aus Zusammenschlüssen welcher Art auch immer könnten sich politische Agitation, Revolution und Aufruhr entwickeln. [.]Vereine mit politischer Ausrichtung wurden daher bis 1848 in den deutschen Ländern stark reglementiert bzw. verboten, Versammlungen waren generell genehmigungspflichtig.
Mit dem "Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes" vom Dezember 1848 wurde zwar mit den Grundrechten die Vereins- und Versammlungsfreiheit garantiert, diese Rechte jedoch in der Folgezeit vielfach ausgehebelt. Zahlreiche Staaten des Deutschen Bundes verweigerten eine Publikation in den Gesetzesblättern und verhinderten somit ein gesetzeskonformes Inkrafttreten. (.)
In Bayern regelte das "Gesetz, die Versammlungen und Vereine betreffend" [.] vom 26. Februar 1850 das Vereins- und Versammlungsrecht. Inhaltlich deckten sich die in Bayern getroffenen Regelungen im Wesentlichen mit denen der anderen deutschen Länder, die in der Gesetzgebung vorausgingen, wie etwa Württemberg oder nachfolgten, wie Preußen, Baden, Sachsen oder Hessen: Versammlungen mussten 24 Stunden vor deren Beginn den Behörden angezeigt werden und konnten mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden, Vereine durften ohne vorherige behördliche Erlaubnis gegründet werden, nicht-politische Vereine mussten, wenn sie "Vorsteher und Satzungen" hatten oder diese änderten, Namen und Texte innerhalb von drei Tagen den Behörden bekannt geben. (.)
Mit der Gründung des Deutschen Reiches und dem Erlass der Reichsverfassung 1871 ging die Gesetzgebungskompetenz für das Vereins- und Versammlungsrecht auf das Reich über [.]. Zwar regelten einzelne Gesetze bestimmte Bereiche des Vereinsrechtes (z.B. Reichswahlgesetz, Gewerbeordnung) oder schränkten diese ein (z.B. Sozialistengesetze), zu einer umfassenden reichseinheitlichen gesetzlichen Ausgestaltung kam es jedoch erst mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900 und dem Erlass des Reichsvereinsgesetzes 1908. Mit dem Reichsvereinsgesetz erhielten auch Frauen das Recht, an Versammlungen politischer Vereine gleichberechtigt teilzunehmen und solchen Vereinen auch beizutreten.
Als erster kommunaler Spitzenverband Bayerns entstand 1896 mit dem Bayerischen Städtetag eine Interessensvertretung der bayerischen Städte.
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(.) Neben dem Städtetag als Vertretungsorgan der kreisunmittelbaren und mittelbaren Städte über 10 000 Einwohner, vertrat der Landesverband bayerischer Stadt- und Marktgemeinden die Interessen der übrigen Städte- und Marktgemeinden. Die beiden bayerischen Interessensvertretungen der Städte schlossen sich 1919 zum Bayerischen Städtebund zusammen, der Landesverband der bayerischen Städte- und Marktgemeinden löste sich 1923 schließlich ganz auf [.]. Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden des Regierungsbezirks Oberbayern formierten 1907 die Oberbayerische Städte- und Märktevereinigung. 1912 gaben sich mit dem "Verband der Landgemeinden e.V." auch die kleineren kommunalen Einheiten, die bayerischen Landgemeinden, eine Interessensvertretung. (.) Initiiert wurde der am 10. September 1919 ins Leben gerufene "Landesverband bayerischer Bezirke" von Franz Edler von Koch, Vorsitzender des Bezirkstages von Pfaffenhofen und dem Bezirksrat und Bürgermeister von Bad Tölz, Alfons Stollreither .[.]
Während des Dritten Reichs ging der Landesverband bayerischer Bezirke im "Deutschen Gemeindetag" auf. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konstituierte sich wieder eine eigenständige Interessensvertretung der nunmehrigen Landkreise, jetzt als "Landkreisverband Bayern". Seit einer Satzungsänderung 1990 heißt der "Landkreisverband Bayern" "Bayerischer Landkreistag".
Die Geschichte der Interessensvertretung der dritten kommunalen Ebene, der Ebene der heutigen Bezirke, also bis 1946 der Kreise, verlief komplizierter. Auch hier brachte das Selbstverwaltungsgesetz 1919 wesentliche Änderungen: die Kreistage wurden nun durch das Volk gewählt, gleichzeitig erhielten die Kreise den Status von "Körperschaften des öffentlichen Rechts mit dem Recht der Selbstverwaltung nach Maßgabe der Gesetze" [.]. Das bis 1919 bestehende Verbot, sich mit anderen Körperschaften (die logische Ausnahme bildete die jeweilige Kreisregierung) zu assoziieren, wurde ebenfalls aufgehoben. Einer Interessensvertretung auch auf der Ebene der Kreise stand somit nichts mehr im Wege. Am 16. September 1919 schlossen sich in München alle bayerischen Kreistage zum "Bayerischen Kreistagsverband" zusammen. [.] Im Zuge der Gleichschaltung 1933 ging der Kreistagsverband, wie alle anderen kommunalen Spitzenverbände im "Deutschen Gemeindetag" bzw. in dessen "Landesdienststelle Bayern" auf. Nach dem Ende des Dritten Reichs konstituierte sich zunächst die "Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Bezirksverbände" (1946-1953). Diese ging über in die "Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Bezirkstagspräsidenten" (1953-1979) und mündete im Zuge der Schaffung selbständiger Bezirksverwaltungen 1979 im "Verband der bayerischen Bezirke". Bis zur Verleihung des Körperschaftsstatus zum 1. Januar 1990 war der Verband ein eingetragener Verein bürgerlichen Rechts.
Vom "Verband der Landgemeinden" zum Bayerischen Gemeindetag
Wie bereits erwähnt, entstand der "Verband der Landgemeinden" 1912 in Kolbermoor. Die Initiative zur Gründung ging vom damaligen Bürgermeister von Kolbermoor, Edmund Bergmann aus.
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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die auf den ersten Blick überraschende Gründung des "Verbandes der Landgemeinden" gerade in Kolbermoor auf den zweiten Blick gar nicht mehr so überraschend wirkt. Rasche Industrialisierung mit allen damit verbundenen Problemen, die starke Dominanz eines Industriezweiges, ein sich aus der Geschichte des Ortes entwickelndes Bewusstsein für die eigene kommunale und kommunalpolitische Identität lassen Kolbermoor eher prototypisch denn atypisch erscheinen.
Die Mitgliederzahl des neugegründeten "Verbandes der Landgemeinden Bayerns e.V." wuchs rasch: ein Jahr nach der Gründung waren bereits 2308 Gemeinden Mitglieder im Verband. [.] (.) Wichtige verwaltungsrechtliche Konsequenz war, dass der Verband der Landgemeinden nun von den Bezirksämtern und Regierungen als Vertretungsorgan der Landgemeinden beratend und gutachterlich herangezogen werden konnte, eine Funktion, die der Bayerische Gemeindetag heute noch ausübt.
Mit den Gleichschaltungsgesetzen im Frühjahr 1933 verloren die Gemeinden ihre Selbstverwaltungsrechte. Während die Gemeinden selbst bestehen blieben, wurden die vier bayerischen kommunalen Spitzenverbänden in Bayern - Städtetag, Verband der Landgemeinden, Kreistagsverband, Landesverband bayerischer Bezirke - zwangsvereinigt. [.]
Das "Gesetz über den Deutschen Gemeindetag" vom 15.12.1933, das dem im Mai 1933 gegründeten "Deutschen Gemeindetag" den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts verlieh, setzte die "Gleichschaltung" auch auf der Ebene der kommunalen Spitzenverbände um. Konsequenterweise sollte pro Land nur ein kommunaler Spitzenverband existieren. Für Bayern firmierte dieser zunächst unter dem Namen "Bayerischer Gemeindetag". (.) Im April 1934 wurde vom Reichsministerium des Innern auf Basis des Gesetzes über den Deutschen Gemeindetag die Satzung des Deutschen Gemeindetages erlassen, aus dem Bayerischen Gemeindetag wurde die "Landesdienststelle Bayern" des Deutschen Gemeindetages.
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Erste Überlegungen zur Errichtung eines neuen "Bayerischen Gemeindeverbandes" gab es unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, im Juni 1945. (.) Die amerikanische Militärregierung stand einer derartigen Wiederbegründung zunächst ablehnend gegenüber und favorisierte eine Konferenz von Landräten und Bürgermeistern, die durch Ministerpräsident und Regierungspräsident einberufen werden sollte. Diese ablehnende Haltung änderte sich: im Juli 1947 wurde die Gründung eines Landgemeindeverbandes zusammen mit den vom bayerischen Innenministerium vorgelegten Statuten und die Einsetzung Ludwig Thomas als kommissarischer Geschäftsführer ausdrücklich begrüßt. [.] Nachdem dem Bayerischen Städtetag schon am 13. Oktober 1947 [.] und dem Landkreisverband Bayern schon am 8. April 1952 [.] der Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts verliehen worden war, entschloss sich auch der "Verband der Landgemeinden", einen diesbezüglichen Antrag an das Staatsministerium des Innern zu stellen. (.) Mit Entschließung des Staatsministeriums des Innern vom 12. Juni 1954 erhielt der "Bayerische Gemeindetag" den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Verleihung der öffentlichen Dienstherrenfähigkeit, also das Recht, Beamte zu ernennen, folgte am 24. August 1954. [.] Nach der bereits erwähnten Änderung der Satzung des Bayerischen Gemeindetages 1950 bzw. 1954, wurde die Satzung 1964 (Wahlen durch Ausgabe von Stimmzetteln) und 1967 (Möglichkeit der Ergänzung von Vorstand und Landesausschuss durch Zuwahl) geringfügig geändert. Schon 1971 war mit einer Satzungsänderung den Auswirkungen der Gebietsreform in Bezug auf die Landkreise Rechnung getragen und die Zahl der Kreisverbände des Bayerischen Gemeindetages entsprechend reduziert worden. Eine weitere Auswirkung der Gebietsreform, nämlich die Entstehung von Zweckverbänden und Verwaltungsgemeinschaften, wurde im Rahmen der Satzungsänderungen von 1974 berücksichtigt, nun konnten auch Zweckverbände und Verwaltungsgemeinschaften Mitglieder im Bayerischen Gemeindetag werden. Eine weitere Erweiterung erfuhr diese Regelung 1994, als auch den von diesen Körperschaften beherrschten juristischen Personen die Möglichkeit zur Mitgliedschaft zuerkannt wurde. Seit 2000 können auch Kommunalunternehmen dem Gemeindetag beitreten. [.] (.)
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Neben seinen Aufgaben als "Meinungsbündler", Anhörungsorgan und Sprecher berät der Bayerische Gemeindetag seine Mitglieder in rechtlichen Belangen und vermittelt Rechtsschutz. (.) Organisatorisch präsentiert sich der Bayerische Gemeindetag heute auf Landesebene mit seinen Gremien Landesversammlung, Landesausschuss und Präsidium. [.]. Oberstes Organ ist die Landesversammlung, die den Präsidenten, die beiden Vizepräsidenten und den Landesschatzmeister wählt. Der Präsident leitet Landesausschuss und Präsidium, die sich mehrmals im Jahr treffen und zu Gesetzesentwürfen, Landtagsentwürfen und -vorhaben, Plänen und Vorschlägen der Staatsregierung sowie kommunalpolitischen Themen von grundsätzlicher Relevanz Stellung beziehen. Beschlüsse der Organe des Bayerischen Gemeindetages werden von der Geschäftstelle umgesetzt, die gleichzeitig zentrale Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen der Mitglieder ist. Die Geschäftstelle wird vom "Direktor der Geschäftstelle" geleitet und gliedert sich derzeit (2011) in 12 Referate.
Der Bestand "Bayerischer Gemeindetag" im Bayerischen Hauptstaatsarchiv
Das 2012 anstehende 100jährige Verbandsjubiläums nahm der Bayerische Gemeindetag zum Anlass, seine Altregistratur im Hinblick auf archivreife Unterlagen zu sichten. Nach Abschluss einer Archivierungsvereinbarung mit dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv wurden schließlich jene Unterlagen ausgewählt, die von Inhalt und Themenspektrum für dauerhaft aufbewahrungswürdig gehalten wurden. (.)
Die Laufzeit der 2011 übergebenen Unterlagen erstreckt sich von 1912 bis 2008, wobei der zeitliche Schwerpunkt eindeutig in der Zeit nach 1965 liegt. Eine Auswahl älterer Unterlagen aus den Jahren 1947 bis 1959 wurde bereits 1979 an das Hauptstaatsarchiv abgegeben.
Bei den neu übernommenen Aktengruppen wurde zwischen den nach Gemeindenamen bzw. Zweckverbänden abgelegten sehr umfangreichen "Gemeindeakten", die rechtliche Anfragen der Gemeinden an den Gemeindetag enthalten, und reinen Sach- bzw. Verwaltungsakten der Geschäftsstelle unterschieden. Aus den mengenmäßig sehr umfangreichen Gemeindeakten (ca. 3200 Leitz-Ordner mit Anfragen der Gemeinden, ca. 72 Leitz-Ordner mit Anfragen der Zweckverbände) wurde eine Musterüberlieferung gebildet. Pro Regierungsbezirk wurden zwei Gemeinden und zwei Zweckverbände ausgewählt. Bei der Beantwortung von Gemeindeanfragen handelt es sich um eine Kerntätigkeit des Gemeindetages, weshalb es sinnvoll erschien, zumindest eine Auswahl zu archivieren. Außerdem sollte die Gegenüberlieferung in den Gemeindearchiven vorliegen, eine Übernahme einer größeren Menge oder gar des Gesamtvolumens schien daher nicht angeraten.
An weiteren Akten wurden die in der Geschäftsstelle vorhandenen Unterlagen zu den Gremien und Organen des Verbandes (Landesversammlung, Landesausschuss, Vorstand/ Präsidium) sowie zu den Kreis- und Bezirksverbände übernommen. (.) Neben den Publikationen des Gemeindetages [.] wurden auch Unterlagen übernommen, die Kontakte zu anderen Verbänden, Dachverbänden, Organisationen und Gremien (u.a. Deutscher Städte- und Gemeindebund) dokumentieren oder die wesentliche Informationen zu Institutionen liefern, die vom Gemeindetag mitgetragen werden (u.a. Europabüro der bayerischen Kommunen, AKDB). (.). Der Bestand "Bayerischer Gemeindetag" umfasst - ohne die 1979 übernommenen Unterlagen - derzeit 277 Archivalieneinheiten (ca. 15 laufende Regalmeter).
Vorsitzende des Verbandes der Landgemeinden Bayerns e.V. 1912 bis 1925
Edmund Bergmann, Bürgermeister von Kolbermoor
1925 bis 1932 Franz Maier, Bürgermeister von Amerang
Vorsitzende / Präsidenten des Bayerischen Gemeindetages seit 1947
1947 bis 1966: Ludwig Thoma (von 1948 bis 1958 zugleich geschäftsführendes Vorstandsmitglied)
1966 bis 1972: Dr. Peter Groebner (von 1959 bis 1972 auch Geschäftsführer des Bayerischen Gemeindetags)
1972 bis 1984: Dr. Hans Weiß, Oberbürgermeister der Stadt Bad Kissingen
1984 bis 2002: Heribert Thallmair, Bürgermeister von Starnberg
Seit 2003: Dr. Uwe Brandl, Bürgermeister von Abensberg
München, Oktober 2011
Dr. Laura Scherr
- Bestandssignatur
-
Bayer. Gemeindetag Bayerischer Gemeindetag
- Umfang
-
368
- Sprache der Unterlagen
-
deutsch
- Kontext
-
Bayerisches Hauptstaatsarchiv (Archivtektonik) >> Beständetektonik des Bayerischen Hauptstaatsarchivs >> 5 Abteilung V: Nachlässe und Sammlungen >> 5.2 Verbandsschriftgut >> 5.2.8 Kommunalwesen
- Bestandslaufzeit
-
1912-2008
- Weitere Objektseiten
- Letzte Aktualisierung
-
03.04.2025, 11:05 MESZ
Datenpartner
Bayerisches Hauptstaatsarchiv. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Bestand
- Akten
Entstanden
- 1912-2008