AV-Materialien
Martin Heidegger, Philosoph
Die einen halten ihn für den größten Philosophen des 20. Jahrhunderts, die anderen für überschätzt. Für die einen sind seine philosophischen Schriften große Dichtung, für die anderen leerer Tiefsinn. Er war ein Leben lang überzeugter Provinzler und glaubte kurze Zeit lang, den "Führer" - er meinte Adolf Hitler - führen zu können. Martin Heidegger (geboren 26.09.1889 Meßkirch - gestorben 26.05.1976 Freiburg im Breisgau) wird bis heute auf der ganzen Welt verehrt und nicht minder vehement abgelehnt. Heideggers Kindheit und Jugend standen ganz im Zeichen des Katholizismus. Sein Vater war Mesner in Meßkirch. Heidegger will Priester werden, er beginnt ein Studium der katholischen Theologie. Doch als er erste Berührung mit moderner Philosophie hat - vor allem mit Edmund Husserls "Phänomenologie" - wendet er sich vom "System Katholizismus" ab. Er studiert Philosophie und wird Husserls Assistent. Zu den Sachen selbst! Der junge Philosoph votiert gegen die Oberflächlichkeit und Hektik des Stadtlebens, aber auch gegen den verknöcherten wilhelminischen Akademismus, den er an den Universitäten erlebt. 1923 wird Heidegger Professor in Marburg. Dort lernt er die junge
jüdische Studentin Hannah Arendt kennen. Eine heimliche Liebesbeziehung beginnt. Heidegger ist inzwischen verheiratet. 1927 veröffentlicht er sein großes Werk "Sein und Zeit", das ihn auf einen Schlag berühmt macht. Zwei Jahre später tritt er Husserls Nachfolge in Freiburg an. Zunehmend findet er Gefallen an den Parolen der Nationalsozialisten, er erhofft sich von ihnen die geistige Revolutionierung des Abendlandes. Im April 1933 wird Heidegger zum Rektor der Freiburger Universität gewählt. Am 1. Mai tritt er in die NSDAP ein. Er will den akademischen Betrieb gründlich entstauben. Mit seinen Studenten hält er Seminare im Freien ab. Doch ein Jahr später tritt er zurück. Den Zwistigkeiten im Kollegium und den Anforderungen der Parteivertreter weiß er dauerhaft nicht zu begegnen. Er hält jetzt Vorlesungen über Hölderlin und Nietzsche, Letztere beinhalten deutlich auch Kritik am Nationalsozialismus.
Nach dem Krieg erhält er zunächst Lehrverbot, auch weil ein Gutachten seines alten Freundes Karl Jaspers ihn belastet. Dass er jetzt gerade in Frankreich begeistert gelesen wird als Kronzeuge der Existenzialphilosophie Jean Paul Sartres tut ihm gut. In den 50er Jahren setzen sich seine Vorträge vor allem mit den Gefahren der Technik kritisch auseinander. Als das geistige Klima der Bundesrepublik zunehmend von der "Frankfurter Schule" bestimmt wird, gerät Heidegger ins Hintertreffen. Für Theodor W. Adorno ist Heideggers Philosophie erbauliche Heimatkunst; er verspottet sie 1964 als "Jargon der Eigentlichkeit". Hannah Arendt, die in den dreißiger Jahren nach Frankreich und in die USA emigrierte und inzwischen selbst als Philosophin weltbekannt ist, setzt sich dafür ein, dass Heideggers Schriften in den USA erscheinen können. In den siebziger Jahren besucht sie Heidegger und seine Frau, nicht nur ein Mal.
1966 hat Heidegger in einem langen Interview mit Rudolf Augstein zu seinem Verhalten im Dritten Reich Stellung genommen. Bedingung: Das Interview durfte erst nach seinem Tod im Spiegel veröffentlicht werden. Zu den Vorwürfen, die seit Kriegsende immer wieder gegen ihn erhoben wurden, wollte er zu Lebzeiten nichts Verteidigendes publizieren.
Die Radikalität, mit der Heidegger in seinem Hauptwerk "Sein und Zeit" die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz gestellt hat, hat in fünf Erdteilen bis auf den heutigen Tag nicht zu wirken aufgehört, was man von keinem anderen Philosophen sagen kann: Er hat weit über die Philosophie hinaus gewirkt. Architekten, Theologen, Biologen haben die Ernsthaftigkeit seiner Frage nach dem Sinn des Seins in ihre Arbeit aufgenommen.
- Archivaliensignatur
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, R 4/013 S024018/101
- Alt-/Vorsignatur
-
V
- Umfang
-
0:58:40; 0'58
- Sonstige Erschließungsangaben
-
Herkunft: Deutsche Lebensläufe
- Kontext
-
Fernsehsendungen von Südwest Fernsehen aus dem Jahre 2002 >> November 2002
- Bestand
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, R 4/013 Fernsehsendungen von Südwest Fernsehen aus dem Jahre 2002
- Indexbegriff Sache
-
Ländlicher Raum
Nationalsozialismus
Philosophie
Porträt [Journalismus]
- Indexbegriff Person
-
Adorno, Theodor W.; Philosoph, Komponist, Schriftsteller, Soziologe, Musiktheoretiker, 1903-1969
Arendt, Hannah
Biemle, Walter
Fédier, François
Heidegger, Fritz
Heidegger, Hermann
Heidegger, Martin; Philosoph, 1889-1976
Herrmann, Friedrich-Wilhelm von; Philosoph, 1934-
Husserl, Edmund; Philosoph, Hochschullehrer, 1859-1938
Jaspers, Karl; Philosoph, Arzt, 1883-1969
Sartre, Jean Paul; Philosoph, Schriftsteller, Drehbuchautor, 1905-1980
Sloterdijk, Peter Philosoph, Kulturwissenschaftler, Dozent, Schriftsteller, Moderator, 1947-
- Indexbegriff Ort
-
Frankreich [F]
Meßkirch SIG
- Laufzeit
-
21. November 2002
- Weitere Objektseiten
- Rechteinformation
-
Es gelten die Nutzungsbedingungen des Landesarchivs Baden-Württemberg.
- Letzte Aktualisierung
-
20.01.2023, 16:49 MEZ
Datenpartner
Landesarchiv Baden-Württemberg. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- AV-Materialien
Entstanden
- 21. November 2002