Bestand
Pflegeanstalt Rastatt (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
Aktenabgabe vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden
(PZN) in Wiesloch.
Anstaltsgeschichte: Der
Beschluss zum Aufbau der Pflegeanstalt Rastatt wurde vom Badischen
Innenministerium Anfang 1934 angesichts einer Überlastung der vier
bestehenden Heil- und Pflegeanstalten in Baden gefasst
(Emmendingen, Illenau, Reichenau und Wiesloch). In Rastatt sollten
die "dauerhaft anstaltsbedürftigen", d.h. die chronisch kranken und
"unheilbaren" Patienten verwahrt werden. Für die Unterbringung
wurde schon früh das Garnisonslazarett am Leopoldplatz 3 (heute
Lützowerstraße 10) in Erwägung gezogen und auf seine Eignung hin
überprüft. Das 1934 weitgehend verfallene und dringend
renovierungsbedürftige Gebäude hatte nach 1918 kurzeitig als
Polizeischule, Unterkunft für Obdachlose, Hühnerfarm und zuletzt
dem Reichsarbeitsdienst (RAD) gedient. In nur wenigen Monaten wurde
das Gebäude notdürftig wiederhergestellt und eingerichtet, sodass
bereits im April 1934 die ersten Patienten aufgenommen werden
konnten. Das allernötigste Inventar für den Anstaltsbetrieb wurde
kurzerhand aus anderen badischen Heil- und Pflegeanstalten
zusammengetragen. Die feierliche Einweihung erfolgte am 15. Juni im
Beisein des badischen Innenministers Pflaumer. Zu diesem Zeitpunkt
lebten bereits 235 Patienten im ehemaligen Garnisonslazarett. Die
Rastatter Anstalt war von Beginn an als sogenannte Sparanstalt
geplant. Mit einem Mindestmaß an Finanzmitteln und Aufwand sollte
ein Maximum an Patienten bei Gewährung einer Mindestversorgung
verwahrt werden. Das chronisch unterbesetzte Personal unter der
Leitung von Anstaltsdirektor Dr. Arthur Schreck und dessen
Verwalter Peter Schmitt hatte sich um bis zu 582 Patienten zu
kümmern (Höchststand im September 1939). Therapeutische Maßnahmen
mussten und sollten - der nationalsozialistischen Rassenlehre
folgend - ganz bewusst so gering wie möglich gehalten werden. Nach
Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde die Pflegeanstalt Rastatt am
5. September 1939 geräumt und die 579 Patienten nach Zwiefalten
verbracht, wo sie noch weitaus schlechtere Verhältnisse und
Bedingungen erwarteten. Im Rahmen der "Aktion T4" wurden ab Februar
1940 nach und nach ca. 450 Patienten in die Heil-und Pflegeanstalt
Grafeneck deportiert und dort ermordet. Es folgte die vollständige
Auflösung der Pflegeanstalt Rastatt (in Zwiefalten). Nur einige
wenige Patienten wurden in die Anstalt Reichenau bei Konstanz
verlegt. Die Anstaltsauflösung war am 15. Juni 1940 abgeschlossen.
Das verbliebene Personal, sofern nicht bereits zum Kriegsdienst
eingezogen, wurde auf andere Pflegeanstalten verteilt. Schreck
übernahm die Stelle als stellvertretender Anstaltsdirektor in der
Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch.
Inhalt: Die vorliegenden
Unterlagen bilden in der Hauptsache Organisation und
Anstaltsbetrieb der Rastatter Einrichtung ab. Neben baulichen
Veränderungen, Personal- und Haushaltswesen finden sich auch
Unterlagen über Aufbau und Auflösung der Anstalt. Hauswirtschaft
sowie Anstaltsgewerbe finden ebenfalls ihren Niederschlag.
Insbesondere die Statistiken sowie die Unterlagen über Aufnahme,
Abgänge und Versorgung gewähren Rückschlüsse auf das Schicksal der
Patienten und die Belegung der Anstalt insgesamt. Sie stellen in
Ansätzen zumindest eine gewisse Ersatzüberlieferung zu den
fehlenden Patientenakten dar. Die 42 überlieferten Patientenakten
ergänzen das Verwaltungsschriftgut.
Überlieferungsbildung und
Bearbeitung: Der letztliche Verbleib der Anstaltsunterlagen war
über viele Jahre unklar. Das Verwaltungsschriftgut über den Betrieb
der Rastatter Anstalt gelangte nach deren Auflösung 1940 auf
Anweisung von Anstaltsdirektor Schreck und mit Genehmigung des
Badischen Innenministeriums in die Heil- und Pflegeanstalt
Wiesloch. Die Patientenakten der in andere Einrichtungen verlegten
Rastatter Insassen sollten, den Wünschen Schrecks folgend, nach
einer gewissen Zeit ebenfalls nach Wiesloch abgegeben werden. Auf
Veranlassung des Innenministeriums vom August 1941 wurden diese
aber ins erbbiologische Archiv nach Emmendingen verbracht, wo sich
ihre Spur verliert. Vermutlich wurden sie zu einem unbekannten
Zeitpunkt vernichtet. Einzig das Bundesarchiv verwahrt in Bestand R
179 noch einige (Rest-)Akten von Patienten, die im Rahmen der
"Aktion T 4" ermordet wurden. Darunter befinden sich auch solche
aus der Heil- und Pflegeanstalt Rastatt. Die Überlieferung dieser
Unterlagen im Bundesarchiv erklärt sich aus dem Umstand, dass die
Patientenakten zur Begutachtung und Entscheidungsfindung ins
Hauptamt IIb der Kanzlei des Führers, Tiergartenstraße 4 nach
Berlin geschickt werden mussten und dort verblieben. Die hier
vorliegenden Unterlagen der Heil- und Pflegeanstalt Rastatt
gelangten in vier Ablieferungen vom Psychiatrischen Zentrum
Nordbaden (PZN) in Wiesloch an das Generallandesarchiv Karlsruhe.
Die einzelnen Zugänge wurden unter der neuen Bestandssignatur 463
Rastatt zusammengefasst und mithilfe der Archivsoftware Scope
verzeichnet. Folgende Bestände wurden hierbei aufgelöst: 463 Zugang
1986-6 [Krankenkarteikarten 1938-1940 und Hauptkrankenbuch 1940]
568 Zugang 1990-44 [Patientenakten, Frauen] 568 Zugang 1995-12
[Generalia] 568 Zugang 2012-63 [Generalia] Daneben fanden sich in
der Aktenablieferung des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden
(ehemals Bestände 463 Zugang 1983-60 und 463 Zugang 2014-8)
Unterlagen aus der aufgelösten Rastatter Anstalt. Sie wurden
herausgenommen und ebenfalls dem vorliegenden Bestand zugeordnet.
Vorhandene (Alt-)Signaturen wurden bei der Verzeichnung im
Datenfeld "Vorsignatur" erfasst. Die Akten sind entmetallisert,
signiert und verpackt. Die ursprüngliche Ordnung und Klassifikation
der Unterlagen wurde mit kleineren Änderungen und Korrekturen
weitgehend übernommen. Karlsruhe, im Oktober 2018 Fabian
Beller
Literatur: Peschke, Franz:
Schreck's Anstalt, eine Dokumentation zur Psychiatrie und
"Euthanasie" im Nationalsozialismus am Beispiel der Pflegeanstalt
Rastatt, Rastatt 1992.
- Reference number of holding
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 463 Rastatt
- Extent
-
238 Akten
- Context
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Neuere Bestände (vornehmlich ab ca. 1800) >> Inneres, Soziales und Umwelt >> Kliniken, Heil- und Pflegeanstalten >> Pflegeanstalt Rastatt
- Date of creation of holding
-
(1925-) 1934-1940 (-1946)
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Last update
-
03.04.2025, 11:03 AM CEST
Data provider
Landesarchiv Baden-Württemberg. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Bestand
Time of origin
- (1925-) 1934-1940 (-1946)