Archivbestand
Heil- und Pflegeanstalt Illenau (Bestand)
Inhalt und Bewertung
Patientenakten
Zur Geschichte der Illenau: Die im Jahre 1842 in der Illenau, unweit der kleinen Amtsstadt Achern, eröffnete medizinische Anstalt entstand auf Initiative des Mediziners und Psychiaters Christian Friedrich Wilhelm Roller (1802-1878). Schon 1831 hatte dieser in seinem Buch "Die Irrenanstalt nach all ihren Beziehungen" Vorstellungen von einer modernen Heil- und Pflegeanstalt für psychisch Kranke propagiert. Er fand Unterstützung bei Großherzog Leopold und dem Karlsruher Innenministerium, das in der ländlichen Idylle der Ortenau Gelände ankaufte. Nach den Plänen Rollers und ausgerichtet an der architektonischen Formensprache Friedrich Weinbrenners entstand dort ein wohlproportionierter Gebäudekomplex im klassizistischen Baustil. Indem Roller die heilbaren Kranken in diesem Landasyl unterbrachte , löste er sie aus ihrer bisherigen Umgebung, die er häufig als Auslöser psychischer Krankheiten diagnostiziert hatte. Damit erhöhten sich nach seiner Überzeugung deren Heilungschancen. Die als unheilbar geltenden Kranken befreite er aus ihrem Weggeschlossensein in den Zucht- und Siechenhäusern, in denen sie zusammen mit Kriminellen und körperlich Kranken dahinvegetierten. Dem setzte Roller die Rückführung zur Natur entgegen, der er therapeutische Wirkung zuschrieb. Dementsprechend bestand ein Teil des knapp 14 Hektar großen Anstaltsgeländes aus Gärten und landwirtschaftlichen Nutzflächen, die von allen Insassen bearbeitet wurden. Das gemeinschaftliche Leben fand seine Fortsetzung im sozialen Leben der Anstalt, die als Gemeinschaft mit gemeinsamen Mahlzeiten und regelmäßigen Feiern konzipiert war. Dieser neue Ansatz machte Furore und strahlte dank erster Heilerfolge über die Grenzen des Großherzogtums aus. Die Illenau setzte Maßstäbe für eine humanere Praxis auf dem Gebiet der Psychiatrie. Sie gewann an Ansehen, ja sie wurde innerhalb weniger Jahre zu einer Anlaufstelle für psychisch Kranke aus ganz Europa. Dank ihrer komfortabel ausgestatteten Zimmer für Privatpatienten wurde sie acuh für vermögende Familien attraktiv, die ihre kranken Verwandten bevorzugt in die Illenau brachten. Sie belegten bis zu 40 Prozent der auf 410 Plätze ausgerichteten Anstalt, was zu einem hohen Kostendeckungsgrad der Einrichtung beitrug. Die Illenau wurde zu einem weithin bekannten Ruheort für all die, die mit dem normalen Alltag nicht mehr zurechtkamen, die unter dem Zustand ihrer familiären oder beruflichen Umgebung wie auch der sozialen und politischen Wirklichkeit litten und daran zu zerbrechen drohten. Die Illenau diente bis ins Jahr 1940 als Heil- und Pflegeanstalt. Im Rahmen der nationalsozialistischen "Aktion T 4" wurde die Anstalt aufgelöst. 260 von 674 Patientinnen und Patienten wurden nach Grafeneck verbracht, wo sie dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Auf Anweisung des Anstaltsleiters Dr. Hans Römer wurde ein weiterer Teil als "geheilt" nach Hause entlassen und die Übrigen auf andere Heil- und Pflegeanstalten, vor allem nach Emmendingen verteilt. Literatur: Gerhard Lötsch: Von der Menschenwürde zum Lebensunwert: die Geschichte der Illenau von 1842-1940, Kappelrodeck 2000; Marga Burkhardt: Krank im Kopf. Patienten-Geschichten der Heil- und Pflegeanstalt Illenau 1842-1889, Phil.Diss., Freiburg 2003.
ZurGeschichte des Bestandes: In die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen gelangten auch die Verwaltungs- und sämtliche Patientenakten. Die in Emmendingen (heute Zentrum für Psychiatrie Emmendingen) verwahrten Unterlagen aus der Illenau gelangten im Jahre 1998 im Wege der Aktenaussonderung in das Staatsarchiv Freiburg. Neben dem Bestand B 821/1 mit den Gründungsunterlagen der Anstalt und den Personalakten der in der Illenau beschäftigten Ärzte, Pfleger und des sonstigen Personals, ist vor allem der vorliegende Bestand von großer medizinhistorischer Bedeutung. Die Patientenakten wurden im Staatsarchiv Freiburg konservatorisch behandelt und in einer Datenbank erschlossen. Insgesamt 27.008 Patientenakten und neun Akteneinheiten mit Fragmenten von Patientenakten sind in dem Bestand enthalten, der 109 lfd. umfasst. In 2008 wurde die gesamte Datenbank mit den Patientenakten in das Archivsystem SCOPE des Landesarchivs übernommen. Diejenigen Unterlagen, die keinen personenschutzrechtlichen Sperrfristen mehr unterliegen, stehen im Online-Angebot des Landesarchivs zur freien Nutzung zur Verfügung. Freiburg, im April 2009 Dr. Kurt Hochstuhl
- Bestandssignatur
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Abt. Staatsarchiv Freiburg, B 821/2
- Umfang
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Nr. 1-27014
- Kontext
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg (Archivtektonik) >> Baden 1806-1945: Untere Behörden, untere Sonderbehörden >> Geschäftsbereich Ministerium des Innern >> Heil- und Pflegeanstalten, sonstige medizinische Anstalten
- Indexbegriff Sache
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Heil- und Pflegeanstalt Illenau
- Indexbegriff Ort
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Illenau : Achern OG; Heil- und Pflegeanstalt
- Bestandslaufzeit
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(1820 ff.) 1842-1940 (-ca. 1955)
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Rechteinformation
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Es gelten die Nutzungsbedingungen des Landesarchivs Baden-Württemberg.
- Letzte Aktualisierung
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13.11.2025, 14:41 MEZ
Datenpartner
Landesarchiv Baden-Württemberg. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- (1820 ff.) 1842-1940 (-ca. 1955)