Gemälde

Die Mutter

Das Berliner Bild zeigt eine der schönsten und einfühlsamsten häuslichen Szenen, die der niederländische Genremaler Pieter de Hooch schuf. In einem behaglich eingerichteten Zimmer sitzt eine Mutter neben einer Wiege, in die sie lächelnd blickt, während sie nach dem Stillen des Säuglings gemächlich ihr Mieder schnürt. Ein Alkovenbett mit gestreiftem Vorhang und Delfter Kacheln an der Rückwand hinterfangen diese intime Szene. Rechts öffnet sich der Blick aus dem Wohnraum in einen lichtdurchfluteten Flur, in dem ein kleines Mädchen mit dem Rücken zum Betrachter an der geöffneten, hell beleuchteten Haustür steht. Indem de Hooch hier das halbdunkle Zimmer vorn von dem lichterfüllten Flur dahinter absetzte verlieh er der Darstellung eine eindrucksvolle Räumlichkeit. De Hoochs Darstellungen des häuslichen Lebens sind stets von der Architektur des Innenraumes her gestaltet. Bereits um 1658 gelangen ihm Raumlösungen, die sich durch eine zuvor unbekannte Art der realitätsgetreuen Behandlung der Perspektive auszeichnen. Exakt konstruiert, weiträumig und behaglich eingerichtet, kommt ihnen ein autonomer, das heißt von den Bewohnern unabhängiger Bildwert zu. Von de Hoochs »baumeisterlicher« Begabung hat sich anfangs kein geringerer als der drei Jahre jüngere Delfter Malerkollege Jan Vermeer leiten lassen. Im Gegensatz zu de Hooch bleiben dessen Innenräume aber an der menschlichen Figur orientiert. Ausschließlich gegenständlicher Bestimmung unterliegen jedoch auch de Hoochs malerische Mittel nicht. Das kostbare Funkeln des Messings von Wärmepfanne und Kerzenleuchter wie auch das intensive Rot von Wiegendecke, Mieder und Rock – letzterer hängt rechts am Alkovenbett – treten als Farbakzente hervor und leiten das Auge in sorgsam kalkulierter Abfolge über die spiegelblanken Bodenfliesen zum sonnigen Licht des Vorraumes. Erst aus der Harmonie von Farbe und Licht entsteht jene anheimelnde Sphäre, die der dargestellten Situation angemessen ist und diese zugleich unterstreicht. Das Stillen des Kindes wurde auch in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts nicht zwangsläufig von der Mutter selbst vorgenommen. Vor allem in den höheren Kreisen der Gesellschaft blieb dies häufig einer Amme überlassen, was mitunter Kritik auslöste. So moralisierte der Dichter Jacob Cats 1625: »Een die haer Kinders baert, is moeder voor een deel, / Maar die haer kinders sooght, is moeder in ’t geheel« (Eine, die Kinder gebärt, ist Mutter nur zum Teil, aber eine, die [selbst] stillt, ist Mutter ganz und gar). Und der Arzt Johan van Beverwijk erklärte 1651, dass die Mutter, die ihr Kind stillt, diesem nicht nur Nahrung, sondern zugleich auch Moral und intellektuelle Fähigkeiten zukommen lasse. Vor diesem Hintergrund dürften die Zeitgenossen dem Gemälde besondere Bedeutung beigemessen haben, schildert de Hooch doch das Beispiel einer wohlhabenden Mutter, die ihr Kind gestillt hat und diesem in liebevoller Fürsorge zugewandt bleibt. Neben der Tugend der Mutter ist jedoch auch zugleich die der Hausfrau angedeutet. Wie der glänzende Boden und die auffallende Ordnung des Raumes zeigt, erfüllt die dargestellte Mutter auch in diese ihre hausfräulichen Pflichten offenkundig vorbildlich. Anders als Jan Steen in seinen Darstellungen „Wie Alten sungen, so pfeifen die Jungen“ führt Pieter de Hooch dem Betrachter hier das positive Verhalten von Erwachsenen und Kindern vor Augen und zelebriert damit die Familie als wichtiges Fundament der holländischen Gesellschaft.| 200 Meisterwerke der europäischen Malerei - Gemäldegalerie Berlin, 2019 _____________________________________________________ This work shows one of the loveliest and most sensitive domestic scenes of the Dutch genre painter Pieter de Hooch. In a comfortably furnished room, a mother sits next to a cradle, into which she looks with a smile while refastening her bodice after breastfeeding her baby. An alcove bed with a striped curtain and Delft tiles on the rear wall are the backdrop to this intimate scene. On the right, the view from this living room opens on to a hallway bathed in light where a small girl with her back to the viewer stands at the open, brightly lit door to the house. By contrasting the half-dark room at the front with the light-flooded hall behind it, de Hooch lent an impressive spatial quality to the scene. His depictions of domestic life are always designed on the basis of the interior architecture. As early as 1658, he succeeded in creating spatial solutions that are characterised by a previously unknown way, faithful to reality, of handling perspective. Exactly structured, expansive and comfortable, they possess an autonomous visual quality independent of their inhabitants. No less an artist than de Hooch’s three-years-younger colleague from Delft, Jan Vermeer, took early inspiration from this “architectural” talent. In contrast to de Hooch, however, Vermeer’s interiors remain oriented to the human figure. Yet de Hooch’s artistic resources are not exclusively determined by objects. The precious sparkle of the brass of the warming pan and candleholder, and the intense red of the cradle blanket, the bodice and the robe that hangs to the right of the alcove bed, stand out as patches of colour to guide the eye in a carefully calculated sequence across the mirror-smooth floor tiles to the sunny light of the hall. It is the harmony of colour and light that generates and simultaneously underlines the cosy domesticity appropriate to the depicted scene. Breastfeeding children in the Netherlands in the 17th century was not necessarily the task of the mother herself. Especially at higher levels of society, this was often left to a nurse, a situation that sometimes elicited criticism. Thus, the poet Jacob Cats moralised in 1625: “Een die haer Kinders baert, is moeder voor een deel, / Maar die haer kinders sooght, is moeder in ’t geheel” (One who bears children is only a mother in part, but one who suckles them [herself] is a mother through and through). And the doctor Johan van Beverwijk explained in 1651 that a mother who breastfeeds gives her child not only nourishment but also moral and intellectual capabilities. In this context, contemporaries must have attached particular importance to the painting, as de Hooch depicts a prosperous mother who breastfeeds her child and continues to attend to it with loving care. Alongside the virtue of the mother, at the same time the work indicates the virtue of the housewife. As the shiny floor and the conspicuous tidiness of the room show, the mother shown here obviously also fulfils her housewifely duties in an exemplary way. In contrast to Jan Steen in As the Old Sing, So the Young Pipe (fig. p. 273), Pieter de Hooch here presents to the beholder the praiseworthy behaviour of adults and children, and thus celebrates the family as an important pillar of Dutch society.| 200 Masterpieces of European Painting - Gemäldegalerie Berlin, 2019

Gesamtansicht, freigestellt | Fotograf*in: Christoph Schmidt

Public Domain Mark 1.0

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Material/Technik
Leinwand
Maße
Rahmenaußenmaß: 120 x 127 x 7 cm
Bildmaß: 95,2 x 102,5 cm
Standort
Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
820B

Ereignis
Erwerb
(Beschreibung)
1876 Ankauf auf der Versteigerung der Sammlung Joseph-Eugène Schneider, Paris
Ereignis
Herstellung
(wer)
(wo)
Holland
(wann)
1653 - 1673

Letzte Aktualisierung
02.05.2023, 11:25 MESZ

Objekttyp


  • Gemälde

Beteiligte


Entstanden


  • 1653 - 1673

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