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L.H.M, ich freute mich wieder ob Ihrer baldigen Antwort...

Brief handelt von der Zwietracht zwischen Johannes Itten und Walter Gropius, der den Alltag des Bauhauses bestimmte. Itten führte die fernöstliche Lehre des Mazdaznan mit diätetischer Lebensführung , Meditationen und Atemlehre ein. Gropius strebte eine praxisorientierte Lehre unter Einbeziehung von realen Bauprojekten an. Oskar Schlemmer steht mit seinem Ansinnen, dass beide Positionen sich durchdringen sollten, in der Mitte. Erster Satz: L.H.M, ich freute mich wieder ob Ihrer baldigen Antwort und es scheint nicht zu sein mit den vorläufigen eines auf sich beruhen zu lassen Wollenden meinerseits.
Transkription: 7.12.21 LHM, ich freute mich wieder ob Ihrer baldigen Antwort und es scheint nichts zu sein mit dem Vorläufigen eines auf sich beruhen zu lassen Wollenden meinerseits. Was alles hier vorgeht, veranlasst mich nun doch eher wieder zu schreiben als ich wollte. Es ist eine Krise am Bhs und scheints unter ihren vielen Vorgängerinnen die kleinste nicht. Ich werde weit ausholen müssen um verständlich zu sein. Wie vorher mitgeteilt hat Itten hier die Mazdaznan Lehre einziehen lassen. Kam diesen Sommer von einem Kongress der Sache in Leipzig zurück, wie er sagte bislang zweifelnd u ungläubig nun aber voll u ganz überzeugt daß diese Lehre und der hinreißende Eindruck ihrer Anhänger das Eine und Einzige wäre. Es wird also geglaubt: daß mit der gründlichsten Ausspülung der Därme begonnen, die differenzierteste Nahrung (nach materiellen, spirituellen u intelektuellen Temperamenten abgewogen) verbunden mit Fasten. Grund u Ursache nach ebensolchen reinen denkens. Nur im reinen (gereinigten?) Körper könne reiner Gedanke wohnen u entstehen. (Also Umkehrung von: es ist der Geist der sich den Körper baut.) Dazu in weiteren Conzentrationsübungen, Harmonie- lehre, Atemlehre besonders und daraus weiter die Constellation, daß da alle große Kunst von je Kultisch - ethisch - religiös gewesen, wir uns auf jenem Weg zu diesen Inhalten wieder gelangen. (Dies wird übrigens nicht offen ausgesprochen, aber uns im Vertrauen ge- sagt verbunden mit der Schmeichelei (oder Bauernfängerei?) daß wenn einer so ich gemäß keiner ganzen Kunstart prädestiniert wäre dafür. (Ich sage: vielleicht eben deßhalb stelle ich mich so dagegen.) Ich empfinde wol die Schäden der l'art pour l'art und den Mangel der Unklarheit des Inhalts heutiger Kunst, Überfluß der Mittel uns Ratlosigkeit darin wie sie zu gebrauchen wären, wie sie einst Sinn u Zweck hatten uns in unseren Händen sinn- u zwecklos geworden (gepriesen als "absolute" Kunst.) - Jedoch die Auswirkungen: Zunächst ist die Küche (Schulcantine) auf Mazdaz eingestellt, dies hauptsächlich mit der Begründung, daß nur diese Kochart ermögliche heutigen Tags die Cantine zu halten. Die Fleischesser müssen ihr freilich entsagen und es sind solche da die sagen daß sie Fleisch brauchen. Aber weiter: Itten trage angeblich Mazdaznan in den Unterricht und scheide zwischen den Anhängern u Gegnern, nicht nach Leistung sondern Gesinnung. So ist wie nie scheints eine Sonder- gruppe gebildet, das Bhs in 2 Lager geteilt das sich auch auf die Lehrer ausdehnt. Dies ist klar. I. strebt nach Macht, (hat nicht ohne Grund "den Despoten" modelliert) hat z.B. durchgesetzt daß sein Unterricht obligatorisch ist sonst keiner, hat die wesentlichen Werkstätten in der Hand und will das nicht geringe, Bewundernswerte: dem Bhs seinen Stempel auf- drücken. Daran drückt er allerdings seit dem Bestehen (3 Jahre). Gropius als einziger der noch in Frage kam als Direktor (die Lehrer, "der Meisterrat" ist erst seit einem halben Jahr vollzählig beisammen) ließ Itten gewähren als zu sehr mit der Organisation u Verwaltung beschäftigt oder, was wahrscheinlich, im Gefühl seiner Schwäche damals gegenüber Itten. Heute meint G. (der sich [Randnotiz: Ein Bhs Stempel Wettbewerb brachte mir den Sieg (allerdings bei Nichtbeteiligung von Klee u Feininger). Ich drücke ihn also auch gewissermaßen auf.] heute offen gegen I.s Monopolstellung wehrt) müsse I. in seine Schranken gewiesen werden die G. ihm innerhalb des Pädagogischen weist, aber in praktisch - schöpferischer Werkstattarbeit die Fähigkeiten abspricht. Es ist also ein Zweikampf I. - G. und wir andern sind um die Entscheidung gebeten. Nun liegt der Fall so: G. ist in der Tat kein schöpferischer Architekt zumal keiner wie ihn das Bhs braucht. Er ist ein ausgezeichneter Diplomat der mit der Regierung umzugehen weiß und Ideen aus 2ter Hand zu vertreten versteht als wären sie aus erster, ein Geschäftsmann und Praktiker - o wär er doch auch ein Schöpfer - er wäre vollkommen. Tatsache ist daß G. mit Formideen von

Sammlung
Archiv Oskar Schlemmer
Inventarnummer
AOS 2016/1570
Material/Technik
Papier; Tinte

Ereignis
Herstellung
(wer)
Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
Otto Meyer-Amden (20.02.1885 - 15.01.1933)
Provenienz
Abschrift vorhanden; Kasten 20 Mappe 2 und Ordner 1920-1926

Rechteinformation
Staatsgalerie Stuttgart
Letzte Aktualisierung
28.03.2025, 12:10 MEZ

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