Bild

Das Ballsouper

Mit »Eisenwalzwerk« (Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 201) und »Das Ballsouper« erfaßte Menzels unbegrenzte Neugier die gesellschaftlichen Pole der Gründerzeit: Dem Bild der Arbeiter folgte unmittelbar – denn es war im September 1876 schon in Arbeit – das der Vornehmen. Es bildet den Höhepunkt einer langen Werkreihe, die von der großen Gouache »Salonkonzert« (1851, Neue Pinakothek, München) bis »Nach Schluß des Hoffestes« (1889, Muzeum Narodowe w Poznaniu) reicht. Menzels Sinn für zerfallende Ordnungen jeder Art und bizarre Situationen begrüßte die Nachbarschaft von Glanz und Chaos, Konvention und Formlosigkeit, Vornehmheit und Banalität. Seit er am Krönungsbild gearbeitet hatte, war Menzel häufig zu Hofe geladen. Den strikten Rückzug seiner Kunst ins Private begleiteten immer neue öffentliche Ehrungen. Bis in seine letzten Jahre hinein besuchte er die großen Hofbälle, auf denen man sein Beobachten und Skizzieren duldete, auch wenn er dazu mitunter auf einen Tisch kletterte. Die über viele Jahre hin entstandenen ›Ballstudien‹ bilden auch dem Stil nach eine Werkgruppe für sich, die in einer roten Tasche im schwarzen Spind des Ateliers aufbewahrt wurde. »Das Ballsouper« bietet eine Synthese dieser Beobachtungen. Das von Motiven überquellende, räumlich komplexe Bildgeschehen mußte sich auf der Leinwand selbst ordnen, denn der späte Menzel vermied es, Bilder zu entwerfen. Daher ein mosaikartiges, verwirrendes Vielerlei, das nach impressionistischen Maßstäben als eine Schwäche des Werkes erscheinen mußte; das aber auch das plausible Abbild eines Gesellschaftszustandes ist. In der großen Pause zwischen den Tänzen, während der Hof sich bereits zurückgezogen hat, bedient sich die zweite Garnitur der Gäste am Büffet. Die Damenwelt beherrscht die rechte Bildhälfte, die linke ist das Reich der Herren. Überall Unbequemlichkeiten und Ablenkungen. Allen Höflichkeiten zum Trotz behindert jeder jeden. Witzig trifft einer der ersten Kritiker der Komposition deren metaphorische Ebene, wenn er schreibt, der »Sturm auf das Büffet« sei jener »Moment, wo in dem Gewühl der Masse das Recht des Individuums zur Geltung kommt« (A. Rosenberg, Ein neues Bild von Adolf Menzel, in: Kunstchronik, 14. Jg., 1879, H. 17, S. 266). Was Baudelaire als tragisch abbildet, wird bei Menzel grotesk. Die vielgliedrige, nach vorn hin überquellende Komposition findet sich in bescheidenste Maße eingezwängt. Die Erwartung, bekannte Zeitgenossen wiederzuerkennen, wird enttäuscht: Obwohl jede Physiognomie individuelle Züge trägt, ist keine einzige als Porträt gemeint. Sogar den Prachtsaal, der sich zu einer vage angedeuteten Bildergalerie hin öffnet, hat es im Berliner Stadtschloß, wo man ihn suchen müßte, so nie gegeben; er ist in neubarockem Geist erfunden. Architektur und Zierat verschmelzen in einem malerischen Ganzen mit den rauschenden Kleidern, dem betriebsamen Drehen, Wenden und Nicken der Gäste, dem vielgestuften Kerzenlicht, das alles mit einem warmen gelblichen Schein färbt. Zuerst ausgestellt wurde das Bild 1879 in Paris. Edgar Degas war von ihm so beeindruckt, daß er aus der Erinnerung eine Kopie in Öl skizzierte (Musée d’Art Moderne et Contemporain de Straßburg). Der Kunstkritiker Louis Gonse fühlte sich an Hogarth und Daumier erinnert (vgl. Gazette des Beaux-Arts, N. F., Bd. 31, Tl. 1, 1885, S. 516). | Claude Keisch

Vorderseite | Fotograf*in: Jörg P. Anders

Public Domain Mark 1.0

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Material/Technik
Öl auf Leinwand
Maße
Rahmenmaß: 93 x 110 x 5,5 cm
Höhe x Breite: 71 x 90 cm
Standort
Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin
Inventarnummer
A I 902

Ereignis
Erwerb
(Beschreibung)
1906 Ankauf von Emil Meiner, Leipzig, mit Mitteln des Menzel-Fonds
Ereignis
Herstellung
(wer)
(wann)
1878

Letzte Aktualisierung
08.08.2023, 11:02 MESZ

Objekttyp


  • Bild

Beteiligte


Entstanden


  • 1878

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