Malerei

Christus und die Jünger im Seesturm

Ein zweimastiges Boot, das Christus und seine Jünger über den See Genezareth trägt, treibt hilflos im sturmgepeitschten Meer. In seinem Bug bemühen sich drei der Jünger, das Rahsegel zu bergen, welches sich vom Hauptmast gelöst hat. Die übrigen Jünger halten sich im hinteren Teil des Schiffes auf. Einige von ihnen drängen sich um den schlafenden Christus, den sie zu wecken versuchen, damit er sie aus der Seenot befreie (Matthäus 8, 23-27; Markus 4, 35-41; Lukas 8, 22-25). - Dieses frühe Werk de Vlieghers zählt zu seinen seltenen biblischen Historien. Es ist nur wenige Jahre später entstanden als Rembrandts signiertes und 1633 datiertes Gemälde desselben Themas im Isabella Stewart Gardner Museum, Boston (Inv. Nr. P21s24; Ph. Hendy, European and American Paintings in the Isabella Stewart Gardner Museum. Boston 1974, S. 201-204.; A. Bredius, Rembrandt, The Complete Edition of the Paintings, 3. Aufl., hrsg. v. H. Gerson. London 1969, Nr. 547). - Die Inszenierung ist in beiden Darstellungen ähnlich: Im Vorderteil des Bootes Jünger, die sich bemühen, ein Segel zu reffen, Christus und die übrigen Begleiter im hinteren Teil. Auch der schäumende Gischt, das berstende Segel und das gerissene Tau sind vergleichbar. Fast wörtlich zitiert de Vliegher die Figur des Jüngers zwischen Bordwand und Mast, der sich mit der Rechten an das gespannte Tau klammert und mit der anderen Hand seine Mütze festhält. Trotz einiger bedeutsamer Unterschiede - die Verwendung eines Querformates statt Rembrandts Hochformat, die diagonale Ausrichtung des Bootes nach links vorn bei de Vliegher und schließlich die Behandlung des Lichts, das bei de Vliegher durch eine sichtbare Öffnung in den Wolken auf die Gischt und die Bugpartie des Schiffes fällt und so die hellen Reflexe sinnfällig verursacht - läßt sich folgern, daß de Vliegher sich bereits in Delft mit diesem Werk Rembrandts aus dessen erster Amsterdamer Zeit auseinandergesetzt hat. Die Brandmarke begegnet identisch auf der Rückseite der Antwerpener Hafenansicht des Hendrik van Anthonissen (1605-1655/60), der als Schüler Simon de Vlieghers gilt (vgl. Kat. Antwerpen 1959, S. 7, Nr. 359, sowie G. Gepts,Tafereelmaker Michiel Vriendt, in: Jaarboek Koninklijk Museum Antwerpen 1954/60, S. 84 und Abb. 3). - Das Grundmuster der Komposition beider Gemälde ist in einem hochformatigen Kupferstich Adriaen Collaerts mit einer Darstellung des Sturms auf dem See Genezareth vorgebildet (Blatt VIII der zwölfteiligen Serie Vita Christi nach Entwürfen des Maerten de Vos, hrsg. v. Jan Sadeler d.Ä.; vgl. Frits Lugt, Rembrandt, in: Actes du XVIIme Congrès International d'Histoire de l'Art. Den Haag 1955, S. 74 u. Abb. 2; Kelch, S. 65 ff.).Wie auf de Vlieghers Gemälde findet sich hier bereits die schräg nach vorn gerichtete Position des Bootes. Im Kupferstich und auch noch im Gemälde Rembrandts konzentriert sich - begünstigt durch das Hochformat - der Bildausschnitt auf das Hauptmotiv, das den Bildraum weitgehend ausfüllt. Dagegen ist bei de Vliegher die Tendenz spürbar, die Historie in die Seelandschaft zu integrieren. Hierin war ihm bereits Pieter Stalpaert mit einem 1617 datierten Gemälde vorangegangen (vgl. L. J. Bol, Die holländische Marinemalerei des 17. Jahrhunderts. Braunschweig 1973, S. 40, Abb. 38). Stalpaert faßt den Bildausschnitt weiter als de Vliegher, so daß die Gestalten Christi und der Jünger erst bei genauer Betrachtung erkennbar sind. Die Figuren erscheinen in diesem Beispiel zur Staffage reduziert - ein Schritt, den de Vliegher nicht vollzogen hat. - Das vorliegende Gemälde ist vermutlich die früheste von insgesamt drei Fassungen des Themas. Die beiden anderen befinden sich in der Sammlung des Earl of Plymouth, Oakly Park (Kelch Nr. 3; Ausst. Gods, Saints and Heroes. Dutch Painting in the Age of Rembrandt. Washington, National Gallery of Art 1980/81, Nr. 74) und im Bildersaal der Prälatur des Stiftes Melk (Kelch Nr. 2; nach diesem Exemplar die Radierung von Jan Ossenbeeck, Hollstein XIV, S. 207, Nr. 30; dort fälschlich als "after the painting in Göttingen" ausgegeben). Diese Versionen unterscheiden sich kompositionell und auch in Einzelheiten von dem Göttinger Bild. Die Fassung beim Earl of Plymouth zeigt das Boot in die entgegengesetzte Richtung, d. h. nach rechts in den Hintergrund treibend, hingegen geht im Melker Gemälde das Schiff noch unter vollen Segeln.

Fotograf*in: Katharina Anna Haase / Rechtewahrnehmung: Georg-August-Universität Göttingen, Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der Universität

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Location
Georg-August-Universität Göttingen / Kunstgesch. Seminar und Kunstsammlung der Universität, Göttingen
Inventory number
GG 091
Measurements
Breite: 101 cm (ohne Rahmen)
Höhe: 84,5 cm (ohne Rahmen)
Material/Technique
Holz; Ölmalerei
Inscription/Labeling
Aufschrift: S/DE/VLIEGER/1637 (Bezeichnet links unten auf einer schwimmenden Tonne)

Related object and literature
Literatur in Zusammenhang: Verzeichnis einer Gemählde Sammlung von berühmten mehrenteils Niederländischen Meistern, welche dem Königlichen und Chur Braunschweigischen Rath Johann Wilhelm Zschorn in Celle zugehöret (Manuskript, begonnen 1789), Nr. 35 Simon de Vlieger).
Literatur in Zusammenhang: Herren der Meere - Meister der Kunst. Das holländische Seebild im 17. Jahrhundert. Hrsg. v. Jeroen Giltay und Jan Kelch. Ausstellung Rotterdam, Museum Boijmans van Beuniningen/Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie 1996/97, Nr. 32.
Literatur in Zusammenhang: Kunstsammlung der Universität Göttingen. Die niederländischen Gemälde, mit einem Verzeichnis der Bilder anderer Schulen. Bearbeitet von Gerd Unverfehrt. Göttingen: Kunstsammlung der Universität 1987, Nr. 94.
Literatur in Zusammenhang: Sabine Mertens, Seesturm und Schiffbruch, Eine motivgeschichtliche Studie (= Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums 17), Hamburg 1987, S.54.
Literatur in Zusammenhang: Niederländische Malerei aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen. Bearbeitet von G. Unverfehrt. Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum 1983, Nr. 48.
Literatur in Zusammenhang: Andor Pigler, Barockthemen, 3 Bde., Budapest 1974. Bd.I, S.279
Literatur in Zusammenhang: Jan Kelch, Simon de Vliegher als Marinemaler, Diss. Phil. Berlin 1971 (unpubl. Manuskript), S.58ff., Nr.1.
Literatur in Zusammenhang: Wolfgang Stechow, Dutch Landscape Painting of the Seventeenth Century, London 1966, S.115f., 208, Anm.24.
Literatur in Zusammenhang: Wilhelm von Bode, Die Meister der holländischen und flämischen Malerschulen, 7.Aufl., hrsg. von Eduard Plietzsch, Leipzig 1953, S.328.
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Literatur in Zusammenhang: Alfred von Wurzbach, Niederländisches Künstlerlexikon, 3 Bde., Wien 1906-11. Bd.II., S.803
Veröffentlicht in: Emil Waldmann, Simon de Vlieger und Rembrandt, in: Kunstchronik, N.F. 17/1906, col. 404-406.
Literatur in Zusammenhang: Emil Waldmann, Provisorischer Führer durch die Gemälde-Sammlung der Universität Göttingen, Göttingen 1905, Nr. 106
Literatur in Zusammenhang: Johann Dominicus Fiorillo, Geschichte der zeichnenden Künste in Deutschland und den Vereinigten Niederlanden, Hannover 1818, Bd.3., S.78f.
Literatur in Zusammenhang: Johann Dominicus Fiorillo, Beschreibung der Gemählde-Sammlung der Universität zu Göttingen, Göttingen 1805, S.8f., Nr.9.
Literatur in Zusammenhang: Gemählde-Sammlung des Herrn Ober-Appellations-Secretair Zschorn in Celle, in: Annalen der Braunschweig-Lüneburgischen Churlande, III. Jahrgang, 2. Stück. Hannover 1789, Nr. 20 (Simon de Vlieger).
Literatur in Zusammenhang: Gustav Parthey, Deutscher Bildersaal. Verzeichnis der in Deutschland vorhandenen Ölbilder verstorbener Maler aller Schulen. 2 Bde., Berlin 1863/64. Bd. II., S.733, Nr.1.

Classification
painting (Oberbegriffsdatei)
Subject (what)
die Geschichte vom Sturm auf dem See von Galiläa, der von Christus beruhigt wird (Matthäus 8:23-27; Markus 4:35-41; Lukas 8:22-25)

Event
Entstehung
(who)
Vliegher, Simon de (MalerIn)
(when)
1637

Last update
24.04.2025, 12:58 PM CEST

Data provider

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Object type

  • Malerei

Associated

  • Vliegher, Simon de (MalerIn)

Time of origin

  • 1637

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