Archivalie
LHM, Das Stuttgarter theatralische Abenteuer ist vorüber...
Transkription: Weimar 14. Juni 21 LHM, das Stuttgarter theatralische Abenteuer ist vorüber und ich bin wieder hier. Sie werden begreifen u verzeihen daß ich dort nicht zur Beantwortung Ihres Briefs kam. Doch reichte es zur Besorgung der Reproduktionen die wie die Finessen (endlich!) u eine Broschüre als eingeschriebene Drucksache vorige Woche an Ihre Adresse abgingen. Eine genaue Abrechnung muß ich noch zusammenstellen. Sie ziehen scharf vom Leder in Verfechtung Ihres Politischen. So hart auf hart (oder weich?) gings in den Kunst- themen nie; das macht daß ich nur diese recht geliebt, in jenem aber mich des bequemen Urteils als notwendigem Übel bediente was meine Niederlage Ihnen gegenüber von vornherein sicher machen sollte. Zunächst einige Berichtigungen: "es müsse sich nur leben lassen können" - dem Ideal ist gemeint. Der Krieg war ein notwendiges Übel dem sich der Deutsche in seiner Gutwilligkeit eben auch unterzog, die Bitterkeit im Herzen über die Notwendigkeit und nicht nur das Brot im Tornister. Von den schwärmerischen Jugendkreisen in D. sind wertvoll nach meinem Glauben nur die wider willen kriegerisch Ge- sinnten; die willentlichen sind heute bei uns vornehmlich die Studenten, die "staatserhaltenden" (nämlich den alten) deren "Tapferkeit u Liebe" (Maschinengewehr gegen die Volksgenossen u Foxtrott im Ballsaal) so himmelweit entfernt ist von der Ge- sinnung der 1813 - Befreier. Diese ist meines Glaubens nur zu erhoffen von jener neu herauf kommenden deutschen Jugend die - zunächst - sich dem Geist verbündet und auf- richtig nach Erneuerung strebt. Die sind vom Geist Walt Whitmanns, des Demokraten, und sie werden eines Tages wenn die Zeit u die Not da ist auch den kriegerischen Geist mitbringen. Es ist nicht nur Resignation bei uns; der verlorene Krieg bewirkt die Wendung zu idealen die weniger oder nicht von Glück u Zufall abhängen wie die napoleonischen. Giebt es ein anschaulicheres Bild der Vergänglichkeit als die Massenentthronung der Fürsten? Warum gelang diese so spielend? Man entzog sich der Verantwortung indem man ging. Kein Wort des Stolzes u der Ritterlichkeit von auch nur einem dieser Throne, das hätte aufhorchen lassen; überall feige flucht und schlechtes Gewissen. Ich suche nach den Kernpunkten unseres Streitens. Sie glauben daß Deutschland seiner Lage und Veranlagung nach nur monarchistisch zu denken und möglich sei. Ich muß glauben daß der Sozialismus (nicht die hochtrabende Sozialdemokratie) die künftige Europa beherrschende neue Form sein wird. Frage: gilt es dem Kaiser- reich als verlorener Form nachzutrauern und dessen Wiederaufrichtung zu wünschen wo die allgemeine Entwicklungstendenz (längst vor dem Krieg im Werden) zu neuen Formen drängt? Ich zitiere (wie früher schon) Keyserling, der meint: "was an Hohem u Schönem zer- schlagen am Boden liegt, ist überall innerhalb Europas sterbend oder totgeweiht. Es sei denn dies wäre eine Illusion. Ich vermute, Sie glauben es angesichts der mächtig werdenden Entente. Sollen wir aber resignieren? Ist es nicht das bessere Bestreben von den Tatsachen auszugehen und sie so zu deuten u zu nehmen wie sie sind oder gar wie sie besser nicht sein können. Dieser Optimismus ist auch bei uns vertreten, natur- notwendig. Keyserling: "Deutschland fehlt zu einer im- perialistischen Laufbahn der innere Beruf, und zwar weil es solche im tiefsten gar nicht will". (erwiesen an geschichtlichen Beispielen mit stets katastrophalem Ausgang: Ende der Stauferherrlichkeit mit Konradins Tod, das Ergebnis des 30 jähr. Kriegs, das Jahr 1806) "Dem kriegerischen Deutschen ist der Krieg typischerweise Selbstzweck, nicht Mittel zu einem politischen Ziel; er will nichts Bestimmtes erreichen, indem er kämpft.... Ganz allgemein kann man behaupten daß dem deutschen Volk trotz des ungeheuren seiner Leistung ein politischer Wille, der imperialistische Politik rechtfertigte, gänzlich fehlt," und "der Deutsche will wesentlich nur sein und bleiben was und wo er ist, ein lebendiger Expansions- drang
- Sammlung
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Archiv Oskar Schlemmer
- Inventarnummer
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AOS 2016/1568
- Material/Technik
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Papier; Tinte
- Ereignis
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Herstellung
- (wer)
- Provenienz
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Abschrift vorhanden; Kasten 20 Mappe 2 und Ordner Abschriften unikal und Oskar Schlemmer. Briefe und Tagebücher, 1958
- Rechteinformation
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Staatsgalerie Stuttgart
- Letzte Aktualisierung
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28.03.2025, 12:10 MEZ
Datenpartner
Staatsgalerie Stuttgart. Bei Fragen zum Objekt wenden Sie sich bitte an den Datenpartner.
Objekttyp
- Archivalie
Beteiligte
- Oskar Schlemmer (04.09.1888 - 13.04.1943)
- Otto Meyer-Amden (20.02.1885 - 15.01.1933)