Baudenkmal
Gothaer Haus; Offenbach, Berliner Straße 175, Domstraße 58
HistorieDas Gothaer Haus liegt am südöstlichen Rand des Offenbacher Nordends. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der kriegszerstörte Lokalbahnhof abgerissen und die ursprüngliche Bahntrasse nach Frankfurt 1955 durch eine vierspurige Autostraße – die heutige Berliner Straße – ersetzt. Zwischen dieser und der historischen Domstraße entstand damit ein neues Eckgrundstück. Den westlichen Teil dieser Ecklage erwarb 1967 die Gothaer Lebensversicherung AG für 251.600,00 DM. Die Versicherung beauftragte das Darmstädter Architekturbüro Martin Müller mit der Planung eines Neubaus mit Wohn- und Gewerbenutzung, dessen schlussendlicher Entwurf und die Umsetzung zwischen 1972 und 1977 von dem zu dieser Zeit noch jungen Mitarbeiter Peter Opitz stammen. BaubeschreibungDas Gebäude besteht aus einem vierstöckigen Sockelbau, aus dem zwei Türme unterschiedlicher Höhe emporwachsen.Im dem Platz zugewandten (östlichen) Bereich sind sowohl der Sockel als auch der untere Teil des Turms horizontal durch Fensterzonen mit verspiegelten Brüstungsbändern gegliedert. Dabei handelt es sich um reflexionsbeschichtete Glasscheiben, die an den Rückseiten braun-oliv farbig emailliert sind. Sie sollten dem Gebäude zum einen Leichtigkeit und zum anderen einen warmen Eindruck verleihen. Im oberen Bereich des östlichen Turms finden sich ebenfalls verspiegelte Fassadenflächen sowie mit eloxierten Aluminium-Trapezblechen verkleidete Fassadenteile – ursprünglich mit dunkler Einbrennlackierung, heute weiß überlackiert. Aus dem Turm treten an verschiedenen Stellen Balkone hervor, die schräg ausgestellt und deren Brüstungen ebenfalls mit Spiegelglas verkleidet sind. Den oberen Abschluss bildet ein größtenteils geschlossenes Volumen mit Trapezblechverkleidung und einem dreiseitig umlaufenden Fensterband.Der Turm im hinteren (westlichen) Bereich ist ebenfalls durch horizontale, verspiegelte Fensterbrüstungen gegliedert, er verfügt jedoch lediglich über fünf Etagen und ruht auf einem Sockel mit betonsichtigen Brüstungen und Pfeilern, die das erste Obergeschoss gliedern.Die Nutzung des Gebäudes ist vielseitig, was eine programmatische Besonderheit darstellt. Im Untergeschoss sowie im ersten Obergeschoss ist eine Parkgarage untergebracht. Im Erdgeschoss finden sich Gewerbe-, Einzelhandel- und Gastronomienutzungen. Die Obergeschosse zwei bis vier sind als Bürogeschosse mit offenen Grundrissen ausgeführt, die durch bewegliche Leichtbauwände aus Stahlblech in kleinere Einheiten unterteilt werden können. Das fünfte Obergeschoss beinhaltet die gesamte Gebäudetechnik des Baus und fungiert als Scharnier zwischen Büro- und Wohnnutzung. Im sechsten bis zehnten Obergeschoss befinden sich Wohnungen – insgesamt zwölf Ein-, zehn Zwei-, drei Drei- und eine Vierzimmerwohnung – und im elften Obergeschoss ein Schwimmbad mit Sauna.Das Erdgeschoss ist gegenüber dem übrigen Bau leicht nach innen gerückt, die oberen Geschosse ruhen auf Rundpfeilern. Auf verschiedenen Ebenen sind begrünte Dachterrassen angelegt, die als Aufenthaltsflächen für die Nutzer des Gebäudes dienen.Im Innern lassen sich konstruktive Strukturen des Baus ablesen: massive Rundpfeiler sind einige Zentimeter von der Glasfassade abgerückt und sichtbar gelassen.Der Fußboden im Haupttreppenhaus ist mit Terrazzo-Fliesen bedeckt, verchromte Handläufe schaffen eine materielle wie optische Aufwertung der Erschließungsräume.In der Tiefgarage wurde das Garagensystem „Auto-Compactus“ verbaut, ein Schienensystem des Züricher Herstellers Ingold zur effizienteren Nutzung des Parkraums. EinordnungInsgesamt besitzt der Bau eine expressive und avantgardistische Erscheinung; eine geradezu skulpturale Form. Die heterogene Nutzung des Gebäudes ist für ein Wohn- und Geschäftshaus der 1970er Jahre außergewöhnlich. Stilistisch ist das Gothaer Haus schwer zu fassen, was es zu keinem charakteristischen Vertreter eines bestimmten Baustils macht. Vielmehr ist es eine Komposition aus schweren, horizontal gelagerten Elementen und Stützen, Sichtbetoneinbauten und großstrukturellen Eigenschaften sowie innovativen Raumprogrammen und Gestaltungsideen. Die vielfältige Nutzung als „urbaner Organismus“, in dem Menschen sowohl leben als auch arbeiten, hat der Architekt in das collagenartige Äußere des Baus übersetzt. ErhaltungszustandNach wie vor wird der Bau als Wohn- und Geschäftshaus genutzt, die Grundrisse sind im Wesentlichen unverändert. Einzig das ehemalige Schwimmbad mit angeschlossener Sauna im obersten Stockwerk ist außer Betrieb genommen.Die Trapezblechfassade besitzt nicht mehr die dunkle Farbigkeit der Bauzeit, sondern wurde weiß überfasst. In der Sockelzone erhielten die Betonelemente über die Zeit verschiedenfarbige Anstriche. Der für die Fassade charakteristische Materialmix bleibt jedoch nachvollziehbar.Die Aufzüge sowie das Foyer an der Domstraße wurden 2004 erneuert. Bauzeitliche Bodenbeläge, Türen, Handläufe und Lampen sind in Teilen des Baus erhalten.Auch das Schienensystem in der Tiefgarage ist erhalten und nach wie vor in Betrieb.DenkmalwertDas Gothaer Haus ist eine innerstädtische Großstruktur, deren Besonderheit sich zum einen in der Komplexität und Extravaganz des Baus sowie in der Qualität seiner Gestaltung ausdrückt und zum anderen in der Abgrenzung zu anderen, in der Nutzung vergleichbaren Bauten seiner Zeit. Zugleich bildet es den Abschluss des Baubooms der Nachkriegsjahre in Offenbach, einer Stadt, die im Zweiten Weltkrieg besonders stark zerstört worden war. Das Gothaer Haus besitzt damit einen Zeugniswert für diese, für die Stadt Offenbach identitätsstiftende Zeitschicht ihrer jüngeren Vergangenheit.Das Gebäude lässt sich nicht in eine spezifische Stilkategorie zwängen, vielmehr vereint es collagenhaft verschiedene Entwurfsprinzipien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch im Innern widerstrebt es seinem Zeitgeist und ist mit seinem Raumprogramm auffallend innovativ. Das Gebäude ist in dieser Hinsicht unikal in Offenbach und für die Stadt von architekturhistorischer Bedeutung.Die komplexe und durchdachte Fassadengestaltung mit ihrem Materialmix zeugt von einem mutigen Entwurf und einer gesteigerten künstlerischen Leistung des Architekten Opitz. Die Genehmigung des Bauantrags durch den Magistrat der Stadt Offenbach vom 13. September 1972 würdigt die architektonische Gestaltung des Gothaer Hauses als „weit über das normale Niveau heraus“, es zeige „neue Wege der Gestaltung“. Das innovative Parkgaragensystem ist ein Beispiel für den detailstarken Entwurf.Auffallend ist zudem die exponierte Lage des Gebäudes als Landmarke im Stadtraum: Am Karl-Carstens-Platz liegt das Gothaer Haus an der Gabelung von Berliner und Domstraße und ist von weit her sichtbar – es bildet einen Point-de-vue aus. Darüber hinaus reiht sich das Gebäude neben dem Haus der Wirtschaft (1996–98), dem Offenbacher Rathaus (1968–71), dem N+M Haus (1969/70) und dem City Tower (2000–03) in die Offenbacher Hochhauslandschaft ein. Durch seine Lage an prominenter Stelle im Stadtraum und als Teil der auch von Hochhäusern geprägten nachkriegsmodernen Stadtsilhouette, besitzt das Gothaer Haus eine gesteigerte städtebauliche Qualität und Bedeutung.Das Gothaer Haus ist aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen als Kulturdenkmal gemäß § 2 Abs. 1 HDSchG geschützt.LiteraturANA – Architektur, Narration, Aktion (Hg.): Offenbach Kaleidoskop – Geschichten eines Hauses, Leipzig 2022. Bartetzko, Daniel und Reinsberg, Julius: „Vollkommen abgedrehter Komplex“, in: Gestrandete Wale – große Bauten mit kleinen Chancen, hg. von moderneREGIONAL, Heft 14/2, 2014.
- Location
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Berliner Straße 175, Domstraße 58, Offenbach, Hessen
- Classification
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Baudenkmal
- Event
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Herstellung
- (who)
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Opitz, Peter [Architekt / Künstler]
Gothaer Lebensversicheurng AG [Bauherr]
- (when)
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1977
- Last update
-
26.02.2025, 9:25 AM CET
Data provider
Landesamt für Denkmalpflege Hessen. If you have any questions about the object, please contact the data provider.
Object type
- Baudenkmal
Associated
- Opitz, Peter [Architekt / Künstler]
- Gothaer Lebensversicheurng AG [Bauherr]
Time of origin
- 1977