Feldpostbrief

Ernst Emmerich an seine Eltern am 23.02.1915 (3.2011.3530)

Munkacz 23.II.1915. (Bataillonswache). Meine Stiefel waren in den Karpaten vorne gänzlich alle geworden, so daß ich mir hier gestern neue gekauft habe. Als ich dazu meine Brieftasche zücken wollte, war sie samt den darin enthaltenen 28 Mk verschwunden (verloren vermutlich). Nun habe ich mir also Geld von Kameraden pumpen müssen. 20 M Stertzing aus Neubrunn bei Ritschenhausen Der hat mich übrigens vom ersten Tag an unter seine Fittige genommen; ein netter gebildeter Mensch. Landwirt. Klinzing aus Barchfeld 2 M 5 M Sauermilch, Steinbach bei Bad Liebenstein Schickt bitte das Geld an mich an. Sollte es mich nicht mehr erreichen, so bitte ich, es zu Hause zuzustellen. So peinlich mir das Anpumpen war, so habe ich es doch getan, weil die kaputen Stiefel anfingen, meine Gesundheit ernstlich zu gefährden, und wozu soll ich mich ins Lazarett legen, wenn ichs vermeiden kann. - Also seid bitte so gut. - Gestern und heute kamen hier viel neue deutsche und östreichische Truppen durch, die nach vorn wollen und nun wohl binnen kurzem die Sache zu Ende bringen werden. Für den Ausgang des Ganzen schaut aber Alles erwartungsvoll auf den Kampf gegen England, weil man von daher Entscheidungen erwartet. Man glaubt, wenn England nicht mehr könne oder nicht mehr wolle, vermöchten sich die anderen nicht mehr zu halten. Hoffentlich glückt also die Geschichte. - Zeitungen habe ich bis zum 17.II. schon erhalten. Hier auf Wache erreicht uns die Post allerdings nicht, da die Kompagnie nicht wie wir in Munkacz selbst liegt. - Dar Verladen „soll“ heute Nacht vielleicht noch vor sich gehen, ist aber noch unbestimmt. Ebenso unbekannt wohin. - Munkacz ist übrigens fast ebensolch ein Judennest wie die polnischen Städte, wenn auch ein wenig sauberer; ca 75 000 Einwohner, aber recht stattliche Straßen. - Die Juden sind doch eine unglaublich interessante Rasse. Wenn sie unter sich sind, sprechen sie sowohl in Polen wie auch hier „jüdisch“ (jiddisch) – was sie selbst als einen deutschen Dialekt bezeichnen. Wie kommen die Juden dazu, überall gerade deutsch zu sprechen und in ihren Schulen zu lehren? Ein Deutscher Dialekt als internationale Sprache, höchst sonderbar! - Und dann das Ungarische! Die einzige europäische Sprache, der jede Verwandtschaft mit dem Indogermanischen fehlt. Dabei eine nicht unschöne Sprache, wenn sie auch im Einzelnen recht vorsintflutlich klingt, richtig heidnisch: Tüzet rakni – Feuer anzünden; beinahe wie die seltsamen Heidentempel, die in den Ruthenendörfern als Kirchen stehen. - Das Maisbrot ist übrigens nichts für uns; ungesäuert und bröcklig; Dann und wann ein geröstetes Stückchen - ja; aber niemals statt Brot. Vor 6000 Jahren hatten die Juden schon gesäuertes Brot, und die Ruthenen kennens jetzt noch nicht. Besten Gruß. Ernst.

Urheber*in: Emmerich, Ernst / Rechtewahrnehmung: Museumsstiftung Post und Telekommunikation | Digitalisierung: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

In copyright

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Location
Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Inventory number
3.2011.3530
Material/Technique
Papier

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Online-Präsentation zum Schreiben in Kriegsgefangenschaft
Teil von Collection ID3.2011.3530: Ernst Emmerich - 31 Briefe - Oktober 1914 bis November 1915 - 3.2011.3530

Subject (what)
FELDPOST

Event
Herstellung
(who)
Ernst Emmerich
(where)
Munkacz
(when)
23.02.1915

Rights
Museumsstiftung Post und Telekommunikation
Last update
15.04.2025, 1:55 PM CEST

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Object type

  • Feldpostbrief

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  • Ernst Emmerich

Time of origin

  • 23.02.1915

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