Besonders betroffen vom Vergeltungsdrang vieler französischer Soldaten waren die Frauen in Baden und Württemberg. Zwar kam es nicht zu organisierten Massenvergewaltigungen wie in der sowjetischen Besatzungszone. Doch die verantwortlichen Offiziere ließen die verübten Gewaltakte ihrer Soldaten geschehen und schritten zunächst nicht ein. Die meisten Opfer verschwiegen ihr Leid. Daher kann die Zahl von 1.198 angezeigten Vergewaltigungen bei der Polizei in Stuttgart nur einen Eindruck vom tatsächlichen Ausmaß der Gewaltverbrechen geben. Hinzu kamen auch im deutschen Südwesten Plünderungen in großer Zahl. Lange Zeit war das Bild von der französischen Besatzungszone als „Ausbeutungskolonie“ vorherrschend (Hudemann 2010, 20).
Doch die Forschung sieht die „Franzosenzeit“ inzwischen differenzierter. So entwickelte sich zwischen den französischen Besatzern und den deutschen Behörden relativ schnell ein reger Austausch darüber, wie man den Machtmissbrauch der Soldaten und die Gängelungen der Bevölkerung beenden könne. In seiner ersten Rede nach dem Krieg auf deutschem Boden sagte der Widerstandsführer gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg und spätere französische Staatspräsident Charles de Gaulle am 3. Oktober 1945 auf den Stufen des Saarbrücker Rathauses: „Wir stehen an Ihrer Seite! Als Westeuropäer müssen wir trotz allem, was sich zwischen uns gestellt haben mag, in eine gemeinsame Richtung arbeiten und uns gegenseitig verstehen.“ Für einen Großteil der französischen Bevölkerung kamen die Rufe nach Aussöhnung jedoch zu früh. De Gaulle wurde für seine Rede in der französischen Presse und im Parlament scharf kritisiert. Viele Franzosen wollten die Deutschen nicht aus ihrer Schuld entlassen.
Aus Besiegten werden Verbündete
Einen weiteren Einschnitt stellte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der DDR dar. Mit der Gründung der Bundeswehr 1955 und der Nationalen Volksarmee ein Jahr später endete die kurze Zeit, in der ausschließlich Truppen anderer Staaten auf deutschem Territorium stationiert waren. Damit zeichnete sich jedoch eine neue Konfliktlinie ab, die auch die Perspektive der Siegermächte auf Deutschland und die deutsche Bevölkerung prägte. Die Bundesrepublik versprach, die eigenen Streitkräfte im Krisenfall den Westalliierten und damit der NATO zur Verfügung zu stellen. Die DDR trat dem Warschauer Pakt bei und garantierte damit dessen Mitgliedsstaaten Hilfe im Verteidigungsfall. Auf diese Weise erfuhren die ehemaligen Besiegten gleichzeitig eine Aufwertung und wurden durch die Einbindung in Militärbündnisse zu Verbündeten. Damit war in den Augen der Siegermächte die Schuld der deutschen Bevölkerung an den Gräueln des Zweiten Weltkriegs zwar nicht getilgt. In der Logik des Kalten Krieges verschob sich der Fokus von Rache und Wiedergutmachung jedoch hin zur Zusammenarbeit und Einbindung der deutschen Bevölkerung in die beiden Machtblöcke.
Die Perspektive der vier Besatzungsmächte veränderte sich im Verlauf der kommenden Jahrzehnte stark. In der unmittelbaren Nachkriegszeit dominierten die Kriegserfahrungen der Soldaten den Blick auf die Deutschen. Mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR endete die Besatzungszeit. Die US-Amerikaner, Briten, Franzosen und auch die Sowjets gaben den Regierungen der beiden deutschen Staaten die Kontrolle über ihre Länder zurück. Dies war ein bedeutender Schritt für die Befriedung der Beziehungen zwischen ehemaligen Kriegsgegnern.
Vierzig Jahre später war es schließlich ein deutscher Bundespräsident, der den ehemaligen Siegermächten Anerkennung für die großen Opfer zollte, die sie für die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus hatten erbringen müssen. Richard von Weizsäcker versuchte damit, nicht nur die Deutschen von einer anderen Deutung des 8. Mai 1945 als Tag der Kapitulation zu überzeugen. Es war ein Angebot an die einstigen Besatzer, auch ihren Blick auf das Kriegsende zu verändern.
Literatur
Ilko-Sascha Kowalczuk, Stefan Wolle, Roter Stern über Deutschland. Sowjetische Truppen in der DDR, Berlin 2001.
Oleg Budnizkij im Gespräch mit Thielko Grieß, „Politik des Kremls zielt darauf, dass die Erinnerung nicht verschwindet“, in: Deutschlandfunk, 22.06.2021.
Uta Gerhardt, Soziologie der Stunde Null. Zur Gesellschaftskonzeption des amerikanischen Besatzungsregimes in Deutschland 1944–1945/1946, Frankfurt/Main 2005.
Ulrike Weckel, Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart 2012.
Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995.
Jürgen Klöcker, Abendland – Alpenland – Alemannien, Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland 1945 – 1947, München 1998.
Silke Satjukow, Rainer Gries, „Bankerte!“. Besatzungskinder in Deutschland nach 1945, Frankfurt/Main 2015.
Silke Satjukow, Besatzer. „Die Russen“ in Deutschland 1945–1994, Göttingen 2008.
Rainer Hudemann, Einführung in den Band 1, in: Clemens Zimmermann, Rainer Hudemann, Michael Kuderna (Hrsg.), Medienlandschaft Saar von 1945 bis in die Gegenwart, München 2010, S. 19–36.
Jörg Baberowski, Verwüstetes Land. Die Sowjetunion nach Holocaust und Krieg, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 22.05.2015.