Versteckte Monokel: Queere Frauen, Neue Sachlichkeit und die Kunst der Weimarer Republik

12.03.2025 Nina Süßmilch (Gastbeitrag)

Kurz währten die „Goldenen Zwanziger", in denen progressive Ideen aufschimmerten: Offen queeres Leben, die Emanzipation der Frau schienen greifbar nah. In der Malerei entstanden mit der „Neuen Sachlichkeit" und im Design mit dem „Staatlichen Bauhaus" radikal neue Ideen. Doch wie queer und feministisch war die Weimarer Republik wirklich?

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Am Kurfürstendamm hat sie viele Jahrzehnte gelebt und war Chronistin der „Goldenen Zwanziger" – Jeanne Mammen. Heute ist sie (wieder) bekannt als wichtige Vertreterin dieser Epoche, die zeichnete, illustrierte und eintauchte in das schillernde Nachtleben Berlins.

Sie gehörte außerdem zu den Künstler*innen, die nie geheiratet haben, was Anlass zu Spekulationen gibt: War sie lesbisch? Nachweisen lässt sich das bis heute nicht. Aber ihre Bilder mit den Frauenfiguren der 20er-Jahre trugen zum Begriff der „neuen Frau" bei.
Das Frauenbild wurde nach dem Ende des Ersten Weltkrieges durchlässiger. Besonders deutlich trat das in der Malerei hervor, wo Frauenfiguren androgyner, in Arbeitskleidung und selbstbewusst porträtiert wurden.

Außerdem zeichnete sich die „Neue Sachlichkeit" durch ihren Blick auf sozialkritische Themen aus. Darin wurde nichts verherrlicht, sondern die ganze Armut, die gesellschaftliche Unsicherheit, aber auch der Taumel und Tanz der 20er-Jahre gezeigt. Gleichzeitig entstand in Weimar die neue Designschule „Staatliches Bauhaus", die Kunst und Handwerk vor allem ganz praktisch zusammendachte - neues Wohnen für die „einfachen" Menschen. Hier bekam die „neue Frau" auch gleich eine neue Küche und wurde so zur Nutznießerin des modularen Bauens. Wie sehr veränderten sich Rollenbilder und Geschlechtergrenzen also wirklich?

 

Zöpfe ab, Mieder nieder

Der Begriff „Neue Sachlichkeit" tauchte zum ersten Mal vor hundert Jahren als Titel in der namensgebenden Ausstellung der Mannheimer Kunsthalle 1925 auf. Die Ausstellung prägte eine ganze Epoche, die bis heute verbunden wird mit Bubikopf, Monokel (eines der wenigen lesbaren Zeichen für Lesben), weiten Hosen und Zigaretten rauchenden Frauen.

Das Spiel mit den Geschlechtern spiegelte sich in diesem neuen Frauenbild, das nach 1918 und dem Ende der Kaiserzeit sprichwörtlich die Hüllen fallen ließ. Zöpfe ab, Mieder nieder und die Röcke kurz gehalten. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wandelte sich eine ganze Gesellschaft.

Die 20er-Jahre waren herausfordernd und stellten Glaubenssätze und gesellschaftliche Strukturen in Frage - das traf auch auf Geschlechteridentitäten und sexuelle Orientierung zu. Besonders im Berliner Nachtleben wurde experimentiert, toleriert und in Schöneberg entstand so der erste queere Kiez. Frauen wie Lotte Hahm eröffneten Lesbenbars wie das „Monokel". Manche Künstlerinnen, wie Gertrude Sandmann, malten nicht nur sinnliche Frauenfiguren, sondern lebten auch offen lesbisch. Viel schien damals für kurze Zeit möglich.

Dennoch mussten sich die Frauen als Künstlerinnen weiter hinter den Kulissen aufhalten. Nicht eine einzige Künstlerin wurde mit ihrem Werk vor hundert Jahren in der Schau „Neue Sachlichkeit" aufgenommen. Kunstakademien waren den Frauen lange verschlossen geblie-ben. Erst mit der Weimarer Verfassung 1919 bekamen sie Zugang. Dazu gab es nicht wenige Männer, die an dem künstlerischen Können von Frauen generell zweifelten. Dennoch fanden Künstlerinnen wie Jeanne Mammen oder Dörte Clara Wolff in den 20er-Jahren einen Weg, zu gestalten und unter anderem für Zeitschriften und Magazine wie die Ulk zu illustrieren.

Doch spätestens mit der Machtergreifung der Nazis starb die Hoffnung auf einen nachhaltigen progressiven Wandel innerhalb der Gesellschaft. Viele der Künstlerinnen mussten fliehen, wie Lotte Laserstein, oder fielen den Nazis zum Opfer, wie Elfriede Lohse-Wächter. Einige gingen in die innere Immigration - Hannah Höch noch war eine von ihnen.

Alle gerieten sie jahrzehntelang in Vergessenheit. Man spricht gar von der „Verschollenen Generation", zu der nicht nur, aber eben auch viele Frauen gehörten. Jeanne Mammen wurde erst nach ihrem Tod in den 70ern wiederentdeckt. Dörte Clara Wolff konnte nach ihrer Flucht aus Deutschland bis zu ihrem Tod 1997 in London nicht wieder an ihren früheren Erfolg anknüpfen. Die meisten Künstler*innen erlebten durch den Nationalsozialismus einen deutlichen Bruch ihrer Karriere.

 

Mehr Frauen als Männer am Bauhaus?

Ähnlich ging es der Bauhaus-Generation. Viele Bauhäusler*innen verließen nach 1933 mit der Schließung der Bauhaus-Schule in Dessau das Land, manche sympathisierten aber auch mit den Nazis.

Das Bauhaus war Blaupause für ein neues Denken in Architektur, Wohnen und Design. Doch wie modern war die Schule in Bezug auf Frauen und queeres Leben? Walter Gropius’ Aufruf zum Studium am Bauhaus an alle, egal welchen Geschlechts und Alters, war ungewöhnlich und verheißungsvoll. Es bewarben sich sogar mehr Frauen als Männer, sodass Gropius den Frauenanteil im Folgejahr auf ein Drittel beschränkte.

Heute wissen wir, wie männerlastig auch die vermeintlich revolutionäre Designschule war. Die Kunsthistorikerin Elizabeth Otto aber sieht den Gründer Walter Gropius dennoch als Unterstützer von Frauen am Bauhaus, auch deshalb, weil er im Kontext seiner Zeit verstanden werden muss. Er förderte einzelne Frauen, wie Gunta Stölzl, die schließlich als sogenannte Jungmeisterin von der Studentin zur Dozentin in der Weberei aufstieg, was in der Schule sonst nur Männern gewährt wurde.

 

Auch im Bauhaus zeigten sich also die tief verankerten Strukturen patriarchalen Denkens. Kleine Schritte wurden den Frauen zugestanden, was man sich dann groß auf die Fahne schrieb. Den eigentlichen Kuchen aber teilten die Männer unter sich auf. Es verwundert also nicht, dass heute nach dem Forschungsstand Elizabeth Ottos gerade einmal fünf Personen aus dem Bauhaus als queer gelten, drei von ihnen waren lesbisch. Sie geht davon aus, dass die sexuelle Orientierung auch am Bauhaus weitgehend verschwiegen wurde. In einem Interview mit dem Netzwerk Bauhaus-Kooperation sagte Otto: „Ich kann nicht erkennen, dass das Bauhaus queeren Menschen seiner Zeit gegenüber besonders offen war. Aber es war ein Ort, an den sich viele junge Menschen auf der Suche nach neuen Lebensweisen wandten und von dem sie angezogen wurden, und einige von ihnen scheinen, vermutlich unter dem Radar, queere Verbindungen und Allianzen geschlossen zu haben."

Eine davon war die US-amerikanische, lesbische Fotografin Florence Henri, die unter anderem auch mit Walter Gropius befreundet war. Sie hatte eine Beziehung mit einer weiteren Bauhausstudentin, der Malerin Margarete Schall, die als Kunstlehrerin arbeitete und mit der Henri später in Paris zeitweise zusammenlebte. Schall starb jung, bereits 1939, und Henri arbeitete weiter in ihrem Pariser Fotostudio.
Dort entstanden einige ihrer berühmtesten Arbeiten, unter anderem Porträts von Schall sowie von Hans Arp und Wassily Kandinsky. Ob Henri und Schall allerdings während ihrer Studienzeit am Bauhaus geoutet waren, sei nicht klar, meint Elizabeth Otto.

 

Eine weitere Bauhauskünstlerin, die möglicherweise lesbisch war, ist die Tapetendesignerin und Malerin Margaret Camille Leiteritz. Ihre Bilder gingen während des Krieges größtenteils verloren. Später arbeitete sie als Bibliothekarin unter anderem in Wuppertal und in Karlsruhe. Ihre Arbeit dort inspirierte sie zu weiteren Werken. Auch sie blieb unverheiratet und bis zu ihrem Tod 1976 weitgehend unbekannt.

Was die Erforschung der Künstlerinnenschicksale generell besonders schwierig macht, sind Heirat und Namenswechsel oder, wenn die Frauen ledig blieben, ihre teils schwierigen Lebensverhältnisse, die kaum Spuren in Archiven hinterließen. Dazu kommen Flucht und Vertreibung während des Zweiten Weltkrieges sowie traditionelle Geschlechterverhältnisse, die nie wirklich in Frage gestellt wurden. Deshalb dauert die Erforschung von queeren Künstler*innen, ob in der Malerei oder als Designer*innen, bis heute noch an. So gelingt es Stück für Stück, die „Verschollene Generation" sichtbar zu machen.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in L-MAG - Das Magazin für Lesben (März/April 2025). Ein herzliches Dankeschön an Autorin und Magazin für die Bereitstellung des Textes.

 

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