Aus den Sammlungen: Die Berliner Telefonbücher von 1881 bis 1902

27.10.2021 Theresa Rodewald (Online-Redaktion)

Vor gut 140 Jahren, am 14. Juli 1881, erschien das erste Berliner Telefonbuch. Pünktlich zu diesem Jubiläum hat das Museum für Kommunikation Berlin die Berliner Telefonbücher von 1881 bis 1902 digitalisiert. Die Digitalisate können nun auch in der Deutschen Digitalen Bibliothek eingesehen werden und laden zu einem virtuellen Spaziergang durch die Berliner Stadt- und Technikgeschichte ein.

Am 26. Oktober 1877 ruft Heinrich von Stephan, der preußische Generalhofpostmeister in Berlin, aus dem Generalpostamt in der Leipziger Straße das Generaltelegraphenamt in der Französischen Straße an – per Fernsprecher! Ein Telefongespräch von A nach B in Echtzeit ist zu diesem Zeitpunkt eine Sensation.

Heinrich von Stephan wirft sich fortan ins Zeug und lässt seine politischen und gesellschaftlichen Beziehungen – unter anderem zu Reichskanzler Otto von Bismarck und dem Unternehmer Werner Siemens – spielen, sodass schon am 1. April 1881 die erste „Berliner Vermittelungsanlage der Stadtfernsprecheinrichtung“ ihren Betrieb aufnehmen kann. Zunächst jedoch für überschaubare 100 Anschlüsse. Am 14. Juli 1881 gibt die Fernsprech-Vermittlungsanlage dann das erste „Verzeichniss der bei der Fernsprecheinrichtung Betheiligten“ heraus – das erste deutsche Telefonbuch ist geboren.

Das „Verzeichnis“ von 1881 ist mit seinen knapp 30 Seiten allerdings eher ein Heftchen. In alphabetischer Reihenfolge und tabellarischer Form werden die „Beteiligten“ aufgeführt – mit Nummer, Namen, „Bezeichnung des Standes oder Geschäftszweigs“ und Adresse. Am Ende des Hefts sind alle Teilnehmenden noch einmal nach Telefonnummern aufgelistet: Von 1 (Börse, Zelle 3) bis 400 (Maklerbank am Leipziger Platz 19), wobei die Nummern nicht komplett vergeben sind. Der frühere Besitzer des hier abgebildeten Büchleins hat sogar in schönster Kurrentschrift die neu vergebenen Nummern nachgetragen.

Dass 1881 nur wenige Berliner*innen einen Telefonanschluss besitzen, ist natürlich nicht verwunderlich. Die Technologie ist neu – und wie vieles Neue wird sie zunächst skeptisch beäugt: Nicht umsonst trägt das Telefonbuch im Volksmund den spöttischen Namen „Buch der Narren“. Vor allem aber ist Telefonieren ein exklusives Vergnügen: Der Eintrag in das Telefon-Verzeichnis und die Anschaffung eines Fernsprechgeräts kostet im Jahr rund 200 Mark – das sind fünf Übernachtungen im luxuriösen Central-Hotel und heute umgerechnet ungefähr 1.280 Euro.

Zunächst sind im Telefon-Verzeichnis deshalb überwiegend Firmen zu finden: Eine Firma kann sich einen Telefonanschluss nicht nur eher als eine Privatperson leisten – er kann ihr sogar einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Vor allem Börsenunternehmen, die sich im ersten Telefon-Verzeichnis häufen, profitieren von einer zügigen Informationsübermittlung – vor allem dann, wenn man den neuesten Börsenkurs noch vor den Konkurrenzunternehmen kennt.

Vom Heft zum Buch: Berlin telefoniert

Entgegen der anfänglichen Zurückhaltung verbreitet sich das Fernsprechgerät schnell in Berlin. Immer mehr Menschen verfügen über einen Telefonanschluss, und schon nach wenigen Jahren finden sich im Telefonverzeichnis mehr private Nummern als Firmennummern. Dass neben Nummer und Name auch Adresse und Beruf der Teilnehmenden aufgeführt wird, ändert sich bis 1902 nicht. Somit ist das Telefonverzeichnis auch eine Art Berliner „Who’s Who“. Ob Sänger, General Vertreter für Fahrräder der Firma „Wanderer“ oder Ernst Dübel, der seinem Namen alle Ehre macht und eine Holzbearbeitungsfabrik in der Yorkstraße führt – Berliner*innen mit Telefon sind im Telefonverzeichnis verewigt. Und wer seine Privatsphäre schätzt, kann sich ab 1899 immerhin sogar einen sogenannten „Geheimanschluss“ zulegen, der im Telefonverzeichnis nicht aufgeführt wird.

Das Berlin von 1902 ist wesentlich kleiner als das heutige: Stadtbezirke und Ortsteile, die erst mit dem Groß-Berlin-Gesetz von 1920 eingemeindet wurden – etwa Pankow, Adlershof, Rixdorf oder Stralau –, gehören noch nicht zu Berlin und werden deshalb separat im Telefonverzeichnis aufgeführt.

Ab Oktober 1892 wird das Fernsprechverzeichnis vom Verlag Julius Springer herausgegeben. Unternehmen können darin Geschäftsanzeigen aufgeben, die je nach Größe zwischen 20 und 100 Mark kosten. In den folgenden Jahren gehen die Anzeigen allerdings so stark zurück, dass das Telefonbuch ab Oktober 1897 wieder von der Oberpostdirektion herausgegeben wird. Zunächst erscheint das Telefonbuch mehrmals im Jahr, bis man sich schließlich darauf einigt, jeweils im April und im Oktober eine neue Ausgabe herauszugeben. Der Grund: Wohnungsänderungen finden meist zu diesem Zeitpunkt statt und so können Änderungen der Telefonnummern gleich übernommen werden.

Wer keinen eigenen Anschluss hat, kann seit dem 15. August 1881 die öffentliche Sprechstelle im Postamt Unter den Linden 5 benutzen. Ein Gespräch kostet stattliche 50 Pfennig, das sind heute ungefähr 3,50 Euro.

Nicht nur die Zahl der Berliner Telefonanschlüsse steigt, auch öffentliche Sprechstellen häufen sich – 1887 gibt es schon sieben öffentliche Sprechzellen, eine davon zum Beispiel in der Zimmerstraße 26 unweit der heutigen Geschäftsstelle der Deutschen Digitalen Bibliothek.

1901 gibt es außerdem zehn Fernsprecheranschlüsse für Feuermeldezwecke. Das Telefon wird also schon frühzeitig zum Notruf verwendet. Allerdings klappt es mit der Kommunikation im Ernstfall mitunter dann doch nicht ganz reibungslos, weshalb Informationsblätter mit Hinweisen auf die Meldestellen dem Telefonbuch beiliegen. Zur Sicherheit druckt man noch einen Beispiel-Dialog mit genauen Anweisungen und Informationen ab.

Schon 1883, zwei Jahre nach Erscheinen des ersten Telefonbuchs, kann auch zwischen Berlin und Potsdam telefoniert werden. Ab 1887 können Berliner*innen auch mit Magdeburg und Hannover sprechen. 5 Minuten zwischen Berlin und Hannover kosten 1 Mark, was heute knapp 7 Euro wären.

„Hier Amt“: Telefon-Etikette um die Jahrhundertwende

Bei diesen Preisen wundert es nicht, dass Telefongespräche möglichst kurzgehalten werden – was übrigens auch in den Vorbemerkungen der Telefonbücher empfohlen wird. Diese Vorbemerkungen erläutern die Verwendung eines Telefonapparates mit äußerster Ernsthaftigkeit, denn die „[g]enaueste Beachtung der […] Bestimmungen ist für einen ordnungsmässigen Betrieb unerlässlich.“ Im Laufe der Jahre wachsen die Vorbemerkungen von einer halben Seite auf sieben Seiten an. „Damals hatte man eben den Teilnehmern noch nicht soviel zu sagen, wie jetzt,“ bemerkt 1933 Friedrich Ludwig Vocke, der zu diesem Zeitpunkt Postrat in Berlin ist.

Telefonieren um die Jahrhundertwende ist allerdings auch etwas komplizierter als heute. Zunächst muss die Telefonvermittlung, also das Postamt, angerufen werden. Dazu nimmt man den Hörer ab und betätigt den sogenannten „Weckknopf“ – anfangs verfügen Telefonapparate noch nicht über eine Kurbel, diese wird erst in der Oktober-Ausgabe des Telefonbuchs 1895 erwähnt. Nach erfolgreicher Vermittlung wird der Weckknopf noch einmal gedrückt oder die Kurbel gedreht, und das Gespräch kann beginnen. Wird man angerufen, sollte man aber auf keinen Fall den Weckknopf drücken oder die Kurbel drehen, dies gilt als „durchaus unstatthaft und bewirkt vorzeitige Trennung.“ Telefonieren, so machen die Vorbemerkungen deutlich, ist kein Kinderspiel, sondern eine ernsthafte Angelegenheit.

Das beherzte Kurbeln am Telefonapparat, wie man es aus dem Film kennt, hätte die Herausgeber des Telefonverzeichnisses zutiefst empört: „Bei Anruf ist die Kurbel langsam einmal herumzudrehen. Mehrmaliges schnelles Drehen kann zu Beschädigungen der Beamten und zu Ersatzansprüchen gegen die Teilnehmer führen.“

Ab 1889 findet sich im Telefon-Verzeichnis außerdem ein instruktiver Beispiel-Dialog: „Hier Amt,“ meldet sich die Telefonvermittlung, worauf Teilnehmer Nummer und Namen der gewünschten Gesprächspartner nennen. Die Vermittlungsstelle antwortet darauf mit „Bitte rufen“ oder „Schon besetzt, bitte nach fünf Minuten nochmals rufen.“ Bei erfolgreicher Vermittlung meldet sich der Gesprächspartner B mit: „Hier B, wer dort?“ und erhält die Antwort: „Hier A“.

Es wird empfohlen, „Pausen […] während der Unterredungen thunlichst zu vermeiden, wie überhaupt die Dauer der Benutzung der Einrichtungen nach Möglichkeit zu beschränken ist.“

Das Ganze hat also noch etwas von Funkverkehr, wohl auch weil die Verbindungen noch nicht die Qualität heutiger Telefongespräche besitzen. Auch bei Verständigungsproblemen hat das Telefonverzeichnis allerdings eine Lösung parat: „Es ist deutlich, aber nicht zu laut und nicht zu langsam zu sprechen; der Mund muss 3 bis 5 cm von der Schallöffnung des Mikrophons entfernt bleiben. Ist trotzdem bei der Uebermittlung einzelner Ausdrücke, Namen etc. eine sichere Verständigung nicht zu erreichen, so wird zweckmässig von der am Schlusse (Seite xii) abgedruckten Buchstabirtafel Gebrauch gemacht.“

Die Buchstabiertafel orientiert sich zunächst an einem Zahlencode: A ist Eins, B ist Zwei usw. DDB hätte man also mit Vier, Vier, Zwei buchstabiert. Namen für Buchstaben werden ab 1903 verwendet. Demnach buchstabiert man DDB als David, David, Berta.*

Wem das Ganze zu kompliziert ist, kann Nachrichten in Form von Telegrammen, Postkarten, Briefen oder Eilboten gleich bei der Telefonvermittlung diktieren: „Ersuche zu schreiben“ ist das Stichwort.

Ob zu Forschungszwecken oder zum Vergnügen, anhand der digitalisierten Telefonbücher des Museums für Kommunikation lässt sich virtuell in Berliner Stadt- und Kulturgeschichte blättern. Sie ermöglichen es, nachzuvollziehen, wie schnell Kommunikationstechnologien sich verbreiten und Teil des Alltags werden.

Ein herzliches Dankeschön geht an Claudia Loest, Leiterin der Bibliothek der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, unter deren Leitung die Digitalisierung der Telefonbücher durchgeführt wurde, und die ihr Wissen über die Berliner Telefonbuchgeschichte großzügig mit uns geteilt hat.

 

Die Berliner Telefonbücher von 1881 bis 1902 finden Sie hier in der Deutschen Digitalen Bibliothek und hier auf der Seite der Museumsstiftung Post und Telekommunikation.

*Im Artikel haben wir ‚DDB‘ ursprünglich fehlerhaft als ‚Dora Dora Berta‘ buchstabiert. Bis 1934 wurde im Berliner Telefonbuch für den Buchstaben ‚D‘ aber die Sprechweise ‚David‘ verwendet, welche die Nationalsozialisten dann durch ‚Dora‘ ersetzten. Momentan erarbeitet der DIN-Normenausschuss offenbar eine neue Fassung der Buchstabiertafel, die voraussichtlich 2022 erscheinen soll. Die Norm-Entwürfe stehen zur öffentlichen Kommentierung bereit.

Quellen:

Loest, Claudia: „Früher unverzichtbar - heute nur noch ein Kuriosum? Das Museum für Kommunikation hat die Berliner Telefonbücher von 1881 bis 1902 digitalisiert“, in: AKMBNews Bd. 27 Nr. 1, 2021, S. 44-50. (Den Artikel können Sie hier abrufen)

Auch die Sendung "SWR2 Zeitwort" hat sich dem ersten Telefonbuch gewidmet. Den Beitrag inklusive spannendem Interview mit Claudia Loest können Sie hier nachhören.

Vocke, Friedrich Ludwig: „50 Jahre Berliner Fernsprechbuch in Archiv für Post und Telegraphie“, Berlin Juni, 1931 Nr. 6, S. 145 – 161.

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