Die Hochzeit der deutschen Forschungsreisen in im kolonisierten Afrika liegt zwischen dem Beginn des 18. Jahrhunderts und dem Ende des Ersten Weltkriegs.  Die meisten Forschungsreisen wurden in den 1870er Jahren unternommen – in diesem Jahrzehnt erreichte der Wettlauf unter den europäischen Nationen um Afrika seinen Höhepunkt. Welche Rolle kommt den deutschen Afrikareisenden und ihren Reiseberichten in der Entstehung des von Rassismus und Überlegenheitsdenken geprägten europäischen Afrikabildes zu?

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Mithilfe von Reiseberichten und auf diesen Reisen gesammelten Objekten – die allesamt im Portal Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten der Deutschen Digitalen Bibliothek verfügbar sind – soll dieser Frage hier nachgegangen werden.

Im selbsterklärten Wettlauf der europäischen Industrienationen um Entdeckung und Eroberung des afrikanischen Kontinents stand der Hunger nach Rohstoffen und Luxusgütern im Vordergrund der staatlichen Interessen.  Für die einzelnen Forschungsreisenden hingegen stand ihr persönliches Ansehen und die berufliche Karriere im Vordergrund, die sie mit wissenschaftlichen Entdeckungen und der Veröffentlichung von Reiseberichten befördern wollten. So waren deutsche Afrikareisende am kolonialen Raub von Kulturgütern beteiligt und verschriftlichten in ihren Reiseberichten ihre individuellen Beobachtungen über die sozialen Strukturen und Kulturen afrikanischer Gesellschaften. Hierbei unterscheiden sich die Forschungsreisen von militärischen Eroberungszügen und sogenannten Strafexpeditionen europäischer Kolonialmächte, die primär das Ziel verfolgten, die jeweiligen Machtbereiche auszudehnen und Aufstände in den besetzten Kolonien niederzuschlagen. 

Interessanterweise waren es gerade die kolonialen Forschungsreisen und Reiseberichte, die in Europa in der Öffentlichkeit breit rezipiert wurden und das koloniale Afrikabild neben weiteren Einflüssen prägten.  Die Afrikareisen wurden durch die geografischen Gesellschaften gefördert,  die Organisation und Finanzierung von Expeditionen vorantrieben, noch bevor dies von staatlicher Seite geschah. Forschungsreisende, Missionare und Kolonialbeamte formten dabei im Zuge der Reisevorbereitungen und -durchführungen vielschichtige Netzwerke. Auch Universitäten, Museen und Verlagshäuser waren involviert.  Ein Großteil der frühen Kolonialpropaganda entwickelte sich aus diesen Austauschprozessen zwischen kolonialamtlichen, wissenschaftlichen und unternehmerischen Interessen. In diesen Netzwerken wie auf den kolonialen Forschungsreisen selbst waren auch Frauen vertreten – nicht nur als Begleitung von Männern, sondern auch als gleichwertig anerkannte Unternehmerinnen.

Kolonialer Expeditionsalltag 

Die Vorbereitung und Zusammenstellung von Expeditionen war bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein etablierter Geschäftszweig, der zumeist in den Hafenstädten angesiedelt war und sich zumeist in der Hand von europäischen oder asiatischen Akteuren befand.  Hier wurden nicht nur Verpflegung und Personal vermittelt, sondern auch Wissen über Reiserouten, politische Begebenheiten und beliebte Tauschgüter weitergegeben.
 

Die Größe einer Karawane richtete sich nach der Länge der geplanten Route und der Reisedauer, aber auch den geografischen und politischen Umständen der Expedition. Kleinere Karawanen bestanden im Durchschnitt aus 100 bis 200, größere Unternehmungen aus mehreren Hundert Personen.  Während die meisten afrikanischen Teilnehmenden direkt in den Hafenstädten angeheuert wurden, variierte die Größe einer Expeditionskarawane im Verlaufe einer Forschungsreise je nach Ansprüchen und Gegebenheiten. Hinzu kamen vor allem Träger, die verschiedene Güter durch jedwedes Terrain tragen mussten: Nahrung, Kleidung und Lagerutensilien, wissenschaftliches Equipment zur Landvermessung, und nicht zuletzt die auf Reisen mitgenommenen Kulturgüter. Auch kamen ortskundige Führer und sprachkundige Dolmetscher hinzu. In der Regel wurde eine einstellige Zahl von einheimischen Soldaten, sogenannten Askaris, für die Sicherheit vor inneren Bedrohungen und zur Ordnung der Karawane angeheuert. Zudem befanden sich einige persönliche Bedienstete der Forschungsreisenden für den Aufbau von Lagerstätten sowie für die Zubereitung und das Servieren von Speisen unter den Teilnehmenden.

Zwischen den Forschungsreisenden und den vor Ort in Afrika angeheuerten Teilnehmern, aber auch unter den afrikanischen Teilnehmern, gab es eine deutliche Hierarchie. Dies spiegelte sich auch in der Bezahlung wider: Wurden die persönlichen Bediensteten und Köche, dicht gefolgt von den Askaris, am besten bezahlt, erhielten Träger*innen oftmals nur einen Bruchteil dessen.  Konflikte unter den Teilnehmenden aus unterschiedlichen afrikanischen Kulturen und Bevölkerungen blieben nicht aus – und aus Perspektive der europäischen Afrikareisenden bestand stets die Gefahr, durch diese Konflikte ein langsameres Vordringen oder gar die Gefährdung der gesamten Expedition zu riskieren.

Direkten Kontakt zu den Europäern hatten zumeist nur einige persönliche Bedienstete für die Herrichtung der Lagerstätten und das Tragen persönlicher Ausrüstung.  Hierunter zählen ebenfalls die nur für europäische Forschungsreisende tätigen Köche und Küchenhilfen. Zubereitet wurden die Speisen für die europäischen Reisenden nach Möglichkeit zwei bis dreimal täglich und in mehreren Gängen, aus lokal verfügbarem Obst und Gemüse, häufig auch Jagdfleisch, ergänzt durch Konserven und Alkoholika. Wie auf dem Bild zu sehen, wurde den Reisenden für ihr tägliches Lager nicht nur ein Zelt errichtet – auch ist der gedeckte Tisch mit Geschirr und Getränken zu erkennen. 
 

Hierin unterschieden sich die Realitäten auf Expeditionen zwischen den europäischen und den afrikanischen Teilnehmern: Die Träger mussten ihre Lagerstätte, nach Märschen von mehr als zwölf Stunden und mit oft mehr als 30 Kilogramm schwerem Gepäck, selbst herrichten. Ihre meist einzige Speise am Ende eines Tagesmarsches wurde in kleinen Gruppen selbst zubereitet. Diese bestand zumeist nur aus einem Getreidebrei, manchmal örtlichem Obst oder Gemüse und nur selten aus Jagdfleisch, das die Europäer übrigließen. Das Lager der afrikanischen Teilnehmer bestand zumeist aus etwas Stroh oder Blättern und kleinen Zelten, die sie sich, wie auf dem Bild zu sehen, in kleineren Gruppen teilten.

Zwar entwarfen die europäischen Reisenden in ihren Berichten oftmals das Bild des allmächtigen und allwissenden Europäers – tatsächlich jedoch waren sie sowohl in der Ausrüstung als auch in der Leitung der Karawane auf unterschiedlichste Hilfen von afrikanischen Expeditionsteilnehmern angewiesen.  Während die meisten Reiseberichte den einzelnen europäischen Afrikareisenden und dessen heldenhaftes Handeln in der Bezwingung der exotischen Fremde behandeln, wurden auch die Karawanen als in sich geschlossenes System beschrieben. Dem steht jedoch die Tatsache gegenüber, dass der Alltag in den Karawanen in der Praxis nur mithilfe zahlreicher Vermittler organisiert werden konnte, die notwendiges Wissen und Güter zur Verfügung stellten. Auch mussten Nahrungsmittel fortlaufend aufgestockt werden. Dabei versuchten nicht nur die Forschungsreisenden mit Dorfbewohner*innen entlang der Expeditionsroute zu handeln, sondern es fanden auch viele afrikanische Händler den Weg zu den Karawanen. Gelang die Aufstockung der Nahrungsvorräte durch friedliche Mittel nicht, schüchterten viele der europäischen Expeditionen die lokalen Bevölkerungen durch technologische Überlegenheit ein oder wandten Gewalt an.

Selbst- und Fremdwahrnehmung von deutschen Expeditionsteilnehmenden

Die Beschreibungen in den Reiseberichten waren für eine europäische Leserschaft verfasst und griffen die zeitgenössischen europäischen Vorstellungen und Stereotype afrikanischer Kulturen und Bevölkerungen auf, bestätigten und verbreiteten sie. Zugleich wurde eine Abgrenzung zwischen afrikanischen und europäischen Teilnehmern während der Expedition bewusst erzeugt, wie die Beispiele in diesem Abschnitt aufzeigen werden.

Forschungsreisende waren zumeist naturwissenschaftliche Forscher mit einer geologischen, botanischen, geographischen, zoologischen oder medizinischen Ausbildung.  Viele blickten zudem auf eine militärische Laufbahn zurück. Das Selbstverständnis und das nach außen getragene Selbstbild der Forschungsreisenden und ihrer Unternehmungen war eng mit der Entwicklung des europäischen Kolonialismus in Afrika verknüpft.  Mit Inbesitznahme und Gründung der europäischen Kolonien zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde eine verbindende Gemeinschaft aller europäischen Forschungsreisenden beschworen und zu einem wichtigen Bestandteil der Selbstwahrnehmung, aber auch der Fremdbeschreibungen in den Reiseberichten. Die folgende Gruppenaufnahme zeigt, wie sich der europäische Reisende in seiner Expeditionskleidung und mit einem Buch in Kontrast zu den beiden Afrikanern in Szene setzt – die nur spärlich bekleidet und mit einfachen Gegenständen ausgerüstet sind. Der vermeintliche zivilisatorische Vorsprung der europäischen Kolonialmächte sollte bewusst transportiert werden.
 

Zur Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich der europäische Kolonialismus in Afrika weg von einem Handelskolonialismus mit Stützpunkten an den Küsten hin zu einem Herrschafts- und Siedlungskolonialismus mit der Durchdringung des Hinterlands. Gleichzeitig änderte sich auch die Ausgestaltung des Kontaktes zwischen europäischen Forschungsreisenden und afrikanischen Bevölkerungen. In Abgrenzung zu den beschriebenen Bevölkerungen rühmten sich die Forschungsreisenden immer stärker mit den eigenen heldenhaften Taten im Angesicht der Gefahren in fernen, exotischen Ländern. Damit wandelte sich auch die Beschreibung von afrikanischen Bevölkerungen, die zunehmend durch rassistische Vorurteile geprägt wurde. In den Reiseberichten kam nun der Idee einer grundsätzlichen Überlegenheit der Europäer gegenüber Menschen aus Afrika (und anderen Erdteilen) eine gewichtige Rolle zu. 

Eine solche Hierarchie wurde auch im Alltag einer Expedition durch die europäischen Reisenden gezielt erzeugt. Ein Beispiel hierfür ist die bereits erwähnte Inszenierung bei der Aufnahme von Mahlzeiten, wie das untenstehende Zitat zeigt. Hier wird deutlich, wie sehr auch die deutschen Afrikareisenden von der Überlegenheit ihrer Zivilisation und Kultur überzeugt waren – und wie sehr von der Rückständigkeit der afrikanischen Kulturen.
 

Am meisten gefiel es den Leuten, daß wir auch vor der Thür aßen und so Jedermann Gelegenheit boten, die wunderbare Handhabung der Messer, Gabeln und Löffel an den weit hergekommenen Meistern dieser Kunst anzustaunen. Uns erschien es natürlich und selbstverständlich, daß wir soviel Aufsehen erregten; wären die Eingeborenen gleichgültig bei unserem Auftreten geblieben, wir würden uns verletzt gefühlt haben.
Carl Claus von der Decken

Aus dem Reisebericht der Expeditionen in den Jahren 1859-1856 unter Leitung des deutschen Botanikers, Entdeckers und Afrikareisenden Karl Klaus von der Decken.

Link zum vollständigen Reisebericht: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/63MY3KWGJCY6NCLLAMTRQ66KXO6B5TRK
 

Die Rezeption und Wirkung der Reiseberichte

Die Forschungsreisen wie auch die daraus entstandenen Reiseberichte stehen in direktem Zusammenhang mit der Kolonisierung Afrikas. Zum einen lieferten die Reisen Erkenntnisse und Informationen, die den europäischen Kolonialmächten bei der Ausdehnung ihrer Kolonien und Einflussbereiche halfen. Zum anderen bestärkten die Forschungsreisenden durch ihre Schriften die seit den 1870er Jahren in den europäischen Gesellschaften aufkeimende Begeisterung für die Kolonisierung insbesondere Afrikas. Neben den wissenschaftlich gehaltenen Berichten wurden die Erfahrungen kolonialer Reisen auch in Kolonialromanen veröffentlicht, die eine breite Leserschaft fanden.

Die hier vorgestellten Reiseberichte deutscher Afrikareisender zeugen von deren Vorurteilen gegenüber afrikanischen Bevölkerungen und Kulturen. Sie machten die rassistisch geprägte Sicht auf die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents in Europa populär, die bis heute die Beziehungen zwischen Afrika und Europa prägt.

Mehr Objekte und Reiseberichte zu diesen Themen finden sich in dem Themenportal „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ der Deutschen Digitalen Bibliothek. 

Literatur

Fiedler, Matthias: Zwischen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus. Der deutsche Afrikadiskurs im 18. und 19. Jahrhundert. Köln et al., Böhlau 2005.

Fischer-Kattner, Anke: Spuren der Begegnung. Europäische Reiseberichte über Afrika 1760-1860 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 91). Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2015.

Gräbel, Carsten: Die Erforschung der Kolonien. Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919 (Histoire, Bd. 75). Bielefeld, Transcript 2015.

Habermas, Rebekka: Intermediares, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen. Akteure und Akteurinnen im Wissenstransfer. Einführung. In: Dies. und Alexandra Przyrembel (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 27-48.

Said, Edward W.: Orientalismus. Übers. v. Hans Günter Holl. Frankfurt am Main, Fischer Verlag 2014 (1978).
 

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