Stresemann Bundesarchiv, Bild 146-1988-101-12 / Fotograf(in): o. Ang.

Aus dem Archivportal: "Im Blickpunkt - Völkerbund"

27.10.2021

Von Dr. Jonathan Voges (Leibniz Universität Hannover)

In der Rubrik „Im Blickpunkt“ präsentieren wir besondere Highlights aus Archiven, die im Archivportal-D vertreten sind. Diese ausgewählten Archivalien geben Einblick in die Bestände und bieten Rechercheanregungen für eine mögliche Suche im Archivportal-D oder im Themenportal „Weimarer Republik“. Wir freuen uns, in diesem Monat einen wissenschaftlichen Beitrag von Dr. Jonathan Voges vom Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover mit Quellen aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg und dem Bundesarchiv präsentieren zu können. In den Angaben zu weiteren Recherchemöglichkeiten unten verweisen wir auf die Objektgalerie auf der Startseite des Themenportals, in der wir Ihnen weitere Quellen zu diesem Themenkomplex vorstellen.

Ausgerechnet am Jahrestag der Schlacht an der Marne, so vermerkte die französische Illustrierte L’Illustration in ihrem reich bebilderten Beitrag am 18. September 1926, erfolge der deutsche Beitritt in den Völkerbund: „Après douze ans, la France et l’Allemagne, qui étaient face à face, se retrouvent côte à côte.“ („Vor zwölf Jahren standen sich Frankreich und Deutschland gegenüber, nun sitzen sie zusammen.“) Trotz des vollen Sitzungssaals der Völkerbundversammlung, die sich eigens für die Aufnahme des Deutschen Reiches im Jahre 1926 ein zweites Mal versammelt hatte, hatte die Weltöffentlichkeit nur Augen für ein Politikerpaar: „Ces hommes, il en est deux que les circonstances mettaient en vedette, concentrant sur eux l’attention du monde.“ („Unter diesen Umständen stachen zwei Männer hervor, die die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zogen.“) Gemeint waren die beiden Außenminister Aristide Briand (Frankreich) und Gustav Stresemann (Deutschland).

Stresemann Bundesarchiv, Bild 146-1988-101-12 / Fotograf(in): o. Ang.
Bundesarchiv, Bild 146-1988-101-12 / Fotograf(in): o. Ang.

Sicher stellte der deutsche Beitritt in den Völkerbund 1926 den symbolischen Abschluss der Nachkriegszeit dar; direkt nach dem Ersten Weltkrieg galt das Deutsche Reich bei den Alliierten und insbesondere bei Frankreich als zivilisatorisch nicht bereit, um Mitglied in der internationalen Organisation zu werden.

Auszug aus der französischen Antwort auf das deutsche Memorandum bzgl. eines Eintritts in den Völkerbund, 6. Oktober 1924, S. 2
Auszug aus der französischen Antwort auf das deutsche Memorandum bzgl. eines Eintritts in den Völkerbund, 6. Oktober 1924, S. 2 (Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, N Fehrenbach Nr. 73, 1)

Erst die Jahre der Annäherung und Versöhnung, die letztlich in den Verträgen von Locarno mündeten, machten ihn möglich. Gleichwohl waren die im Zuge der Verträge gemachten Zugeständnisse in Deutschland innenpolitisch umstritten.

Auszug aus der Stellungnahme Hindenburgs zu den Verträgen von Locarno, 4. Dezember 1925
<em>Auszug aus der Stellungnahme Hindenburgs zu den Verträgen von Locarno, 4. Dezember 1925 (Bundesarchiv, BArch R 601/1181, Völkerbund, Bd. 3, Bl. 14)</em>

Zugleich verleitet dieser Blick auf das deutsch-französische Verhältnis aber auch dazu, den Völkerbund als Organisation stark verkürzt wahrzunehmen.

Er sollte eben nicht nur der Ort sein, an dem – vor allem europäische – Nationalstaaten ihre politischen Konflikte ausdiskutieren konnten, bevor sie in einen Krieg eskalierten. Das Attentat von Sarajevo, Auslöser des Ersten Weltkriegs, lehrte die damalig Verantwortlichen, dass selbst vermeintlich kleine Regionalkonflikte zu einem großen Krieg werden konnten. So war der Völkerbund in den 1920er Jahren recht erfolgreich darin, kleinere Auseinandersetzungen zu befrieden, bevor sie sich zu einer realen Gefahr für den Weltfrieden auswachsen konnten. In den 1930er Jahren dagegen – zum Beispiel beim japanischen Überfall auf die chinesische Mandschurai oder beim italienischen Angriff auf Abessinien – funktionierte der Mechanismus nicht mehr.

Zugleich war der Völkerbund aber auch eine internationale Agentur zur Behandlung von Sachfragen: Genf wurde zu einem globalen Knotenpunkt für Expertisen in den unterschiedlichsten Bereichen; ähnlich wie heute die Weltgesundheitsorganisation unterhielt der Völkerbund z. B. eine Hygienekommission, die nach international abgestimmten Wegen zur Bekämpfung von Seuchen suchte.

Auszug aus dem Bericht des Völkerbundes über eine Mission der Hygienekommission in Südamerika, 1927
<em>Auszug aus dem Bericht des Völkerbundes über eine Mission der Hygienekommission in Südamerika, 1927 (Bundesarchiv, BArch R 3101/20823, 8. Völkerbundversammlung: Bd. 2, Bl. 25)</em>

In der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit versammelte der Völkerbund die Elite der Wissenschaftler und Intellektuellen der Zwischenkriegszeit (Einstein, Curie, Bergson, Lorentz u. a.), um sie darüber diskutieren zu lassen, wie man im intellektuellen Feld die Zusammenarbeit im globalen Maßstab fördern könne. In der Finanz- und Wirtschaftsabteilung des Völkerbunds ging es um internationale Währungsfragen, die Rohstoffverteilung und die enge Verbindung zwischen ökonomischen Problemen und politischen Krisen – eine Frage, die insbesondere mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 besonders akut wurde.

Angesichts dieser zahlreichen Aktivitäten des Völkerbunds ist auch die historische Forschung dazu übergegangen, nicht mehr allein dessen (unvermeidliches) Scheitern zu konstatieren, sondern sich vielmehr der Frage anzunehmen, was er Zeit seines Bestehens genau unternahm, und in dieser Perspektive fällt das Gesamturteil über die Vorläuferorganisation der heutigen Vereinten Nationen nicht mehr so desaströs aus.

Dieser Text ist ein wissenschaftlicher Beitrag zur Serie „Im Blickpunkt“. Wir danken Herrn Dr. Jonathan Voges vom Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover herzlich für die Bereitstellung.

 

Weitere Objekte zum Thema "Völkerbund" finden Sie hier bei uns in der Deutschen Digitalen Bibliothek

Links zu den Quellen im Themenportal

Französische Antwort auf das deutsche Memorandum bzgl. eines Eintritts in den Völkerbund

Stellungnahme Hindenburgs zu den Verträgen von Locarno

Bericht des Völkerbundes über eine Mission der Hygienekommission in Südamerika

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