Bestand

Reichs- und Staatskommissar für die Kontrolle der Erwerbslosenfürsorge in der Rheinprovinz (Bestand)

Findmittel: Datenbank; Findbuch, 1 Bd.

Behördengeschichte

Verzögerungen bei den gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages zu leistenden deutschen Reparationszahlungen waren für Frankreich und Belgien der Anlass, im Januar 1923 - zusätzlich zum ohnehin bereits durch die Alliierten Frankreich, England und Belgien besetzten Rheinland - auch das Ruhrgebiet von Düsseldorf und Duisburg bis Dortmund als ein zentrales Industriegebiet des Deutschen Reiches militärisch zu besetzen. Dieser Besetzung und der erzwungenen Abschöpfung der Ressourcen versuchte das Deutsche Reich, zu aktivem (militärischem) Widerstand nicht fähig, durch passiven Widerstand zu begegnen. Dies bedeutete vor allem die Ausrufung des Generalstreiks mit entsprechend umfangreichen Arbeitsniederlegungen bei den Zechen, Fabriken und Eisenbahnen; die Arbeitsniederlegungen erstreckten sich auch auf das besetzte Rheinland. Die finanzielle Last dieser Arbeitsniederlegungen trug das übrige Reichsgebiet durch Fortzahlung von Löhnen und Gehältern und durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der öffentlichen Hand. Als sich im Verlauf des Jahres 1923 herausstellte, dass mit den in die besetzen Gebiete überwiesenen Geldern bzw. Unternehmenskrediten Mißbrauch getrieben wurde, wurde am 8. September 1923 vom preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt in Abstimmung mit dem preußischen Finanzministerium und dem Reichsarbeitsministerium der Oberregierungsrat Eduard Glaubach als "Reichs- und Staatskommissar für die Kontrolle der Erwerbslosenfürsorge in der Rheinprovinz" eingesetzt. Seine Aufgabe bestand vor allem darin, die Verwendung der Mittel für die Erwerbslosenfürsorge in den Regierungsbezirken Köln, Aachen, Koblenz und Trier zu kontrollieren und bei den einzelnen Kassen und Wohlfahrtseinrichtungen Revisionen vorzunehmen. In gleicher Weise gab es Staatskommissare für die Finanzkontrolle der Erwerbslosenfürsorge auch bei den Regierungen Wiesbaden, Arnsberg, Düsseldorf und Münster; allerdings scheinen ihre Registraturen verschollen.
Mit einem Stab von zeitweise bis zu 51 Mitarbeitern richtete Glaubach im durch die Engländer besetzten Köln das "Technische Treuhand- und Revisionsbüro" ein, von wo aus er mit Hilfe eigens berufener Kontrolleure und anderer Helfer die Kassenrevisionen durchführte. Zusätzlich zu seinem formellen Auftrag hatte das Büro allerdings auch noch die Aufgabe, die von den Franzosen geförderte Separatistenbewegung im Rheinland zu beobachten und so gut wie möglich zu behindern, unter anderem durch Verweigerung von Hilfsgeldern an separatistisch geleitete Gemeinden. Die Kommission Glaubachs wurde beendet, als absehbar war, dass die Ruhrbesetzung von Seiten Frankreichs abgebrochen werden würde; die Dienststelle in Köln wurde am 30. November 1924 aufgelöst.
Der Reichs- und Staatskommissar für die Kontrolle der Erwerbslosenfürsorge in der Rheinprovinz war - von den gleichartigen oben genannten Kommissariaten abgesehen - zu seiner Zeit nur ein Kommissar neben vielen anderen, wie sie vor allem während des Ersten Weltkriegs und der ersten Nachkriegsjahre installiert wurden, um den außergewöhnlichen Zeitumständen bei begrenzter Flexibilität der großen Ministerien zu begegnen; zu denken wäre hier etwa an Einrichtungen wie den "Staatskommissar für die Regelung der Wohlfahrtspflege in Preußen" (Bestand GStA PK, I. HA Rep. 191), den "Preußischen Staatskommissar für Volksernährung" (Bestand GStA PK, I. HA Rep. 191 A), den "Reichskommissar für die besetzen rheinischen Gebiete" (Bestand Bundesarchiv, R 1602) oder den "Kommissar des Reichskanzlers für die Ruhrabwehr/Zentralstelle Rhein-Ruhr" (Bestand Bundesarchiv, R 708).

Als im Jahr 1928 - anscheinend initiiert durch das Reichsministerium für die besetzten Gebiete - begonnen wurde, die Akten zur Geschichte der Besatzungszeit systematisch zu erfassen, wurde Eduard Glaubach (geb. 1865, gest. 1952) an dem Unternehmen beteiligt; schließlich wurde er beauftragt, aufgrund seiner Erfahrungen im Rheinland als eine Art ehrenamtlicher Mitarbeiter des Geheimen Staatsarchivs zu Berlin eine "Urkunden- und Quellensammlung für die Geschichte der Rheinlandbesetzung" anzulegen. Dieser Aufgabe unterzog er sich bis weit in die vierziger Jahre hinein (s. die Akten des GStA PK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium, Nr. 273, I. HA Rep. 178 B, Nr. 494, I. HA Rep. 178 B Preußisches Geheimes Staatsarchiv, Nr. 495). Die Ergebnisse seiner Arbeit in ca. 50 Heften bzw. Bänden lieferte er an das Geheime Staatsarchiv sukzessive ab; Zweitschriften gingen von dort an das Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf. Die Exemplare des Geheimen Staatsarchivs sind anscheinend verloren. Über das Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen gelangten nach dem Krieg nur Bd. 49 und 50 "Geschichte meines Reichs- und Staatskommissariats" in das GStA PK (provenienzwidrig erst dem Bestand GStA PK, I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, jetzt: I. HA Rep. 180 A, Nr. 159); die anderen Bände scheinen zusammen mit Materialsammlungen teilweise im Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland, teilweise im Archiv der Universität Bonn überliefert (s. unter "Verwandte Archivalien und Bestände"). Glaubachs Darstellung bietet einen guten Überblick über Einrichtung, Aufgaben und Arbeitsweise des Kommissariats.

Glaubach wurde 1941 aufgrund seiner Tätigkeit und Erfahrung vom Geheimen Staatsarchiv sogar bei der Bewertungsentscheidung über die angebotenen Akten des "Fürsorgeamts für Beamte aus den Grenzgebieten" (GStA PK, I. HA Rep. 180 C) zu Rate gezogen, von denen er mehrere als bedeutsam für die Geschichte der Rheinlandbesetzung ansah und so den Ausschlag für ihre Übernahme gab.


Bestandsgeschichte
Die Akten des Staatskommissars wurden im Oktober 1932 von Eduard Glaubach, der sie nach Beendigung des Kommissariats anscheinend als "geheime Akten" privat bei sich behalten hatte, an das Preußische Geheime Staatsarchiv in Dahlem abgegeben (139/1932), wo sie als Bestand "Rep. 180 A" für die Benutzung gesperrt wurden. Es handelte sich dabei wohl um die komplette Registratur; nur zwei Sachakten sowie die Personalakten bzw. Personalangelegenheiten wurden nicht abgegeben, letztere vielleicht nicht, weil sie nach Auflösung des Kommissariats noch anderweitig in Verwendung waren.
Der Bestand gelangte nach kriegsbedingter Auslagerung 1942-44 in das Bergwerk Schönebeck (s. I. HA Rep. 178 B, Nr. 863) schließlich in das Deutsche Zentralarchiv in Merseburg, von wo er 1993/94 nach Berlin in das Geheime Staatsarchiv PK zurückgeführt wurde.

Die vorliegende Verzeichnung mit der Klassifikation gibt die damalige Registraturordnung (siehe auch die jüngste Altsignatur) wieder. Ein entsprechendes zeitgenössisches Aktenverzeichnis, das ab 1932 als Findbuch diente, wurde im Jahr 2013 in die Datenbank eingegeben; im Zuge dieser Eingabe wurde der Bestand revidiert, nach laufender Nummer umsigniert und kartoniert.


Bestandsbeschreibung
Der Bestand umfaßt 159 Verzeichnungseinheiten im Umfang von ca. 2 lfm. Er ist frei benutzbar.
Der Bestand enthält im wesentlichen Akten, die Aufschluss geben über die Handhabung der Erwerbslosenfürsorge während der Arbeitsniederlegungen, sowie Akten zu den Revisionen bei einzelnen Kommunen, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Unternehmen. Von Interesse dürften die Akten allgemeineren Inhalts hinsichtlich der Lage im Rheinland während der französischen Besetzung und der Separatistenbewegung sein.
Die Laufzeit des Bestandes reicht von 1919 bis 1930 und damit im Vor- wie Nachlauf über den Zeitraum des tatsächlich bestehenden Kommissariats hinaus; dies ist durch die Person Glaubachs zu erklären, der zum einen privatdienstliche Papiere mit einbrachte, zum anderen auch nach 1924 vereinzelt noch mit dienstlichen Angelegenheiten des aufgehobenen Kommissariats befasst war.

Verwandte Archivalien und Bestände
-GStA PK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium, I A Nr. 7597: Technisches Treuhand- und Revisionsbüro in Kön (Erwerbslosen- und Kassenkontrolle), Kosten, Abrechnung und ähnliche Büros für Kontrollorganisationen des besetzten Gebiets, 1923-1928
-GStA PK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium, I C Nr. 11907: Berichte über Kontrolle und Revisionen in der Erwerbslosenfürsorge, Bd. 1, 1923-1924
-GStA PK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium, I C Nr. 11908: Berichte über Kontrolle und Revisionen in der Erwerbslosenfürsorge, Bd. 2, 1924-1925
-GStA PK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium, I C Nr. 11909: Kontrolle und Revisionen in der Erwerbslosenfürsorge, Bd. 3, 1926-1928
- GStA PK, I. HA Rep. 191 VWM Ministerium für Volkswohlfahrt: keine Akten!
- GStA PK, I. HA Rep. 77 B Ministerium des Innern, Volkswohlfahrt: keine Akten! (evtl. Akten an das Reichsarbeitsministerium übergegangen)

- Bundesarchiv, R 3901 Reichsarbeitsministerium
- Bundesarchiv, R 1602 Reichs- und Staatskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete
- Bundesarchiv, R 708 Kommissar des Reichskanzlers für die Ruhrabwehr/Zentralstelle Rhein-Ruhr
- Universitätsarchiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Nachlass Eduard Glaubach
- Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland, RW 0007 Sammlung zur Rhein- und Ruhrbesetzung


Literatur:
- Ranft, Norbert: Erwerbslosenfürsorge, Ruhrkampf und Kommunen. Die Trendwende in der Sozialpolitik im Jahre 1923, in: Gerald D. Feldman u.a. (Hgg.): Die Anpassung an die Inflation (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 67), Berlin u.a. 1986, 163-201.
- Martin Schlemmer: "Los von Berlin": die Rheinstaatbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg, Köln u.a., 2007.


Letzte vergebene Nummer: 159


Der Bestand lagert derzeit im Außenmagazin Westhafen.


Die Archivalien sind auf gelben Leihscheinen wie folgt zu bestellen:
GStA PK, I. HA Rep. 180 A, Nr. ###


Zitierweise:
GStA PK, I. HA Rep. 180 A Reichs- und Staatskommissar für die Kontrolle der Erwerbslosenfürsorge in der Rheinprovinz, Nr. ###



Berlin, Oktober 2016


Dr. Kober, AR


Zitierweise: GStA PK, I. HA Rep. 180 A

Reference number of holding
I. HA Rep. 180 A
Extent
Umfang: 2 lfm (159 VE); Angaben zum Umfang: 2 lfm (159 VE)
Language of the material
deutsch

Context
Tektonik >> STAATSOBERHAUPT UND OBERSTE STAATSBEHÖRDEN, MINISTERIEN UND ANDERE ZENTRALBEHÖRDEN PREUSSENS AB 1808 >> Inneres >> Innere und Wohlfahrtsverwaltung

Date of creation of holding
Laufzeit: 1919 - 1930, 1951

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19.08.2025, 12:19 PM CEST

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  • Bestand

Time of origin

  • Laufzeit: 1919 - 1930, 1951

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