Bestand
Staatskommissar für die Umsiedlung (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
Angesichts der mehr als 12 Millionen deutschen und volksdeutschen Flüchtlinge, die in den vier Besatzungszonen der Nachkriegszeit aufzunehmen und zu verteilen waren, nimmt sich die Zahl der bis Ende 1951 in Württemberg-Hohenzollern aufgenommenen 144000 Heimatvertriebenen recht bescheiden aus. Zusammen mit den rund 25000 Evakuierten, 20000 Ostzonenflüchtlingen und 9000 im Lande befindlichen Ausländern machte dieser Personenkreis allerdings einen Bevölkerungsanteil von ca. 19 % nach dem Bevölkerungsstand vom 17. Mai 1939 aus.
Dem Flüchtlingsproblem stellte sich das Direktorium des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns bereits in seiner 4. Sitzung am 26. Oktober 1945 durch die Bestellung eines Beauftragten für Flüchtlingsbetreuung in der Person Dr. Theodor Eschenburgs. Bis Anfang 1947 war Eschenburgs Dienststelle, seit Januar 1946 als " Landeskommissar für das Flüchtlingswesen" bezeichnet, Teil der Abteilung IX, Wohlfahrtswesen, in der Landesdirektion des Innern. Erst im Januar 1947 gelang es Eschenburg nach zähem Ringen, sein Kommissariat, das sich nunmehr "Staatskommissar für die Umsiedlung" nennen sollte, aus der Abteilung IX herauszulösen und unmittelbar dem Staatssekretär des Innern, wie der Landesdirektor seit Dezember 1946 hieß, zu unterstellen und damit unabhängiger in der Aufgabenwahrnehmung werden zu lassen. Noch im selben Monat allerdings musste Eschenburg auf Drängen der französischen Militärregierung wegen angeblicher Eigenmächtigkeiten aus dem Amt des Staatskommissars entlassen werden, was freilich seiner weiteren Karriere in der Ministerialbürokratie des Landes Württemberg-Hohenzollern keinen Abbruch tat. Eschenburgs Nachfolger als Staatssekretär wurde sein bisheriger Stellvertreter Dr. Eugen Eggensperger. Diesem folgten seit Frühjahr 1948 in kurzen Abständen Dr. Hackmann, sodann Oberinspektor Wörner und Regierungsdirektor Dr. Zimmerle, der Leiter der Abt. IX, bis dann im Juli 1948 der Regierungsrat Dr. Friedrich Schäfer die Leitung übernahm. Nach dessen Ausscheiden Ende 1950 führte Regierungsrat Meyer-Wehrstein die Amtsgeschäfte bis zur Auflösung des Staatskommissariats 1952.
Eine landesgesetzliche Grundlage für die Aufgaben des Staatskommissars fehlte. Zwar wurde bis 1949 nach dem Vorbild anderer Länder an einem "Gesetz über die Aufnahme und Eingliederung deutscher Flüchtlinge" gearbeitet; das Vorhaben wurde dann angesichts der zu erwartenden Bundesgesetzgebung allerdings nicht mehr weiter verfolgt. Stattdessen stütze sich die Tätigkeit vor allem in den Anfangsjahren in erster Linie auf eine Reihe von Rechtsanordnungen und Rundschreiben, die vor allem aus der Ära Theodor Eschenburgs stammten.
Mit dem Rundschreiben Nr. 20 "Anweisungen und Richtlinien für die Vorbereitung und Durchführung der Aufnahme von Flüchtlingen im französisch besetzten Gebiet Württembergs und Hohenzollerns" vom Frühjahr 1946 wurde ein dezentrale Flüchtlingsverwaltung für Württemberg-Hohenzollern festgelegt. Demzufolge waren die Leiter der seit November 1945 bei den Kreisen und kreisfreien Städten eingerichteten Flüchtlingsämter bzw. Flüchtlingskommissionen dienstlich dem Landrat bzw. dem Bürgermeister unterstellt und nicht dem Landeskommissar für das Flüchtlingswesen. Im Zuge der Umstrukturierung der Flüchtlingsverwaltung auf Landesebene Anfang 1947 wurde auch eine straffere Verwaltung in der Fläche eingeführt. Die entsprechenden Dienststellen der Landratsämter wurden zu Umsiedlungsämtern, die in den Gemeinden zu Umsiedlungsstellen; an der dienstrechtlichen Zuordnung änderte sich nichts. Die kommunalen Stellen waren für die Rückführung von Flüchtlingen (Evakuierten), die Zuteilung und Einweisung von Ausgewiesenen, deren Betreuung und Ansiedlung sowie die Kontrolle des Zuzugs verantwortli ch.
Dem Staatssekretär direkt unterstellt waren das Krankenhaus für Heimkehrer Biberach, das Krankenhaus für Rückkehrer Schloss Lindich, die Verbindungsstellen für entlassene Kriegsgefangene Ravensburg und Tuttlingen sowie der Beirat zur Ansiedlung der Ausgewiesenen. Für die Aufnahme der Ausgewiesenentransporte waren die Grenzauffanglager Biberach-Gaisental und Lindau-Zech eingerichtet. Bei der Verteilung der Flüchtlingstransporte auf die einzelnen Kreise waren zeitweise 20 Kreisdurchgangslager eingeschaltet, die von den jeweiligen Umsiedlungsämtern verwaltet wurden (vgl. den Organisationsplan; Wü 51 T 1 Nr. 687).
Das Spektrum der vom Staatskomissar für die Umsiedlung wahrgenommenen Aufgaben spiegelt sich im Geschäftsverteilungsplan, der im Lauf der Jahre immer wieder Veränderungen erfuhr:
Als Beispiel ist hier der Geschäftsverteilungsplan vom 31.5.1947 wiedergegeben (Wü 51 T 1 Nr. 522):
Referat I
1. Rechts-, Gesetzgebungs- und sonstige Grundsatzfragen
2. Haushalt und Finanzierung
3. Personal- und Vergütungsanglegenheiten der Umsiedlungsverwaltung
4. Geschäftsgang und sonstige Angelegenheiten des inneren Dienstbetriebs
Referat II
1. Organisation der Ausgewiesenen- und Flüchtlingsbewegung einschl. der entlassenen Kriegsgefangenen, Lager und Heime, Transporte und Arbeitsvermittlung
2. Führung der Ausgewiesenen-Kartei
3. Statistik und Kartenwesen
4. Presse, Archiv und Dienstbücherei
Referat III
1. Befreiung von der Zuzugssperre
2. Ein- und Auswanderung
3. Rückführung der Flüchtlinge (Evakuierten)
Referat IV
1. Beschaffung und Bewirtschaftung aller Kontingente und Zuteilungen für die Umsiedlungsverwaltung und den Privatbedarf der Ausgewiesenen
2. Beschaffung und Bewirtschaftung des Baustoffbedarfs
3. Lebensmittel- und Brennstoffbedarf der Lager und sonstigen Einrichtungen des Kommissariats, soweit zentrale Steuerung erforderlich
4. Zuwendungen und Spenden karitativer Organisationen
5. Beschaffung von Prothesenmaterial
Referat V
1. Medizinische, hygienische und sanitäre Einrichtungen
2. Organisation der Hilfskrankenhäuser, Lagerreviere, Kinder- und Altersheime
3. Ärztliches und Krankenpflegepersonal
4. Verwaltung der medizinischen und ärztlichen Geräte
In den nachfolgenden Jahren sollten sich die Aufgabenschwerpunkte des Staatskommissariats erheblich verändern, nachdem der erzwungene Wandel in den bevölkerungspolitischen Vorstellungen der französischen Besatzungsmacht eine Abkehr von der ursprünglichen Abschottung der französisch besetzten Zone gegenüber den Flüchtlingsbewegungen in den übrigen Zonen bewirkt hatte. Mit der verstärkten Aufnahme von Umsiedlern, der zentralen Lenkung der Flüchtlingspolitik auf Bundesebene und den großen Umsiedlungsprogrammen der Jahre 1949 und 1951 verlagerte sich der Schwerpunkt auf den Wohnungsbau und die wirtschaftliche Eingliederung der Vertriebenen, wobei die ursprünglich selbständige Flüchtlingsverwaltung zunehmend zu einer Auftragsverwaltung des Bundes mutierte und gleichzeitig neue Behörden, wie Siedlungsamt und Soforthilfeamt, den Aufgaben- und Kompetenzrahmen des Staatskommissars für Umsiedlung reduzierten. Mit der Gründung des Landes Baden-Württemberg schließlich wurde die Flüchtlingsverwaltung Württemberg-Hohenzollerns als Abteilung IV in das neu errichtete Regierungspräsidium Südwürttemberg-Hohenzollern integriert.
Inhalt und Bewertung
Am 13. Oktober 1960 wurden die Akten und Karteien des ehemaligen Staatskommissars für die Umsiedlung von der Abteilung IV des Regierungspräsidiums Südwürttemberg-Hohenzollern als Zugang 1960/26 in das Staatsarchiv Sigmaringen übernommen. Bis zur vorliegenden Erschließung waren diese Unterlagen nur durch ein sehr summarisches Aussonderungsverzeichnis erschlossen. Da eine eindeutige Signatur fehlte, diente als Suchkriterium nur das Aktenzeichen, nach dem die Unterlagen zumindest grob, wenn auch mit einigen Sprüngen, geordnet waren. Weitere Unterlagen in Form von Karten, Plänen und statistischen Tabellen, die im Sachgebiet Statistik und Kartenwesen erwachsen waren, kamen 1987 als Zugang 1987/313 vom Regierungspräsidium Tübingen in das Staatsarchiv Sigmaringen ein, wo sie zunächst als eigener Teilbestand unter der Signatur Wü 51 T 2 verwahrt wurden. Im Rahmen der Neuverzeichnung wurden die 44 Mappen mit den Bestellnummern 669 - 713 in den vorliegenden Bestand integriert.
Einen großen Teil der Überlieferung bilden die Karteien, die mehr als die Hälfte des Gesamtumfangs ausmachen. Die Heimatvertriebenen-Hauptkartei (Nr. 567 - 668) wies - wohl wegen der ursprünglichen Lagerung - deutlichen Schimmelbefall auf, weshalb diese Unterlagen im September 2005 mit Ethylenoxid sterilisiert werden mussten. Anschließend wurde der gesamte Bestand in alterungsbeständige Behältnisse verpackt und neu signiert. Die Titelaufnahmen besorgte der Archivangestellte Holger Fleischer. Die Klassifikation erfolgte anhand eines Aktenplans vom 1. April 1952 durch den Unterzeichneten, der ebenfalls den Index erstellte.
Der Bestand umfasst nunmehr 668 Akten sowie 44 Mappen mit Karten, Plänen und Statistikblättern bei einem Gesamtumfang von 65,5 lfd.m.
Sigmaringen, im November 2006
Dr. Franz-Josef Ziwes
Enthält:
Heimatvertriebenenkartei; Ausgewiesenenkartei; Politische Säuberung der Bediensteten, Personal der Umsiedlungsabteilung, Heimkehrerlager und Kreisdurchgangslager; Lager Balingen: Inventare, Verwaltung, Belegung, Unterhaltung; Heimkehrerkrankenhaus Biberach, Heilstätte Haid bei Trochtelfingen, Hilfskrankenhäuser Heimenkirch, Schloß Lindich und Tailfingen, Kindererholungsheime, Umsiedlung, Notaufnahme, Heimkehrer- und Fürsorgebetreuung, Wohnraumbeschaffung, Arbeitsbeschaffung, Pachtlandzuweisungen, Flüchtlingsbetriebe, Gründung von Flüchtlingsverbänden und -vereinen, Fortbildung, Darlehen und Kredite, illegale Grenzgänger, Finanzwesen, Statistiken, Spezialberichte über die Lage im russisch besetzten Gebiet 1945.
- Reference number of holding
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Abt. Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 51 T 1
- Extent
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668 Akten, 44 Einheiten mit Karten, Plänen und Statistikblättern (65,3 lfd.m)
- Context
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Sigmaringen (Archivtektonik) >> Südwürttembergische Bestände >> Inneres >> Staatskommissar für die Umsiedlung
- Related materials
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Friedrich Binder: Vertriebenen- und Sozialwesen in Württemberg-Hohenzollern. In: Das Land Württemberg-Hohenzollern 1945 - 1952. Darstellungen und Erinnerungen. Hg. von Max Gögler und Gregor Richter in Verbindung mit Gebhard Müller. Sigmaringen 1982, S. 339-349
Andrea Kühne: Vom Landeskommissar für das Flüchtlingswesen zum Staatskommissar für die Umsiedlung. Entstehung und Aufbau der Flüchtlingsverwaltung in Württemberg-Hohenzollern 1945-1952. In: Mathias Beer (Hg): Zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945. Sigmaringen 1994 (Schriften des Institus für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde. Bd. 3), S. 111-128
Andrea Kühne: Entstehung, Aufbau und Funktion der Flüchtlingsverwaltung in Württemberg-Hohenzollern 1945-1952. Flüchtlingspolitik im Spannungsfeld deutscher und französischer Interessen. Sigmaringen 1999 (Schriften des Institus für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde. Bd. 9)
- Date of creation of holding
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(1939 - ) 1945 - 1952 ( - 1958)
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- Rights
-
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- Last update
-
03.04.2025, 8:37 AM CEST
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Object type
- Bestand
Time of origin
- (1939 - ) 1945 - 1952 ( - 1958)