Bestand
Oberhofen (Bestand)
Inhalt und Bewertung
Weltliches Chorherrenstift 1448-1536, dann Stiftsverwaltung Göppingen bis 1806.
Darin: Archivalien des Chorherrenstifts Faurndau (erwähnt als Kloster ab 875, Stift 1227, aufgehoben 1536).
Urkunden 1336-1500 in: A 602.
I. Geschichte des Stifts Oberhofen: Von ihrer Ersterwähnung im Jahr 1275 bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts verfügte die kleine Ortschaft Oberhofen, neben der Stadt Göppingen gelegen, lediglich über eine Pfarrkirche. Graf Ulrich V. von Württemberg initiierte im Jahr 1436 zunächst ihren Neubau im gotischen Stil. Im Mai 1448 erreichte er durch eine entsprechende Bitte bei Papst Nikolaus V. die Erhebung der Pfarrkirche zur Kollegiatskirche. Auf Grundlage des erwirkten päpstlichen Mandats errichtete man nur wenige Monate danach das Stift Oberhofen. Im Jahr 1449 wurde die Oberhofenkirche im Zuge des Städtekriegs schwer beschädigt. Die Auswirkungen des Krieges waren allerdings vorrangig finanziell spürbar. Viele der bewilligten Kanonikats- und Vikariatsstellen konnten über mehrere Jahre hinweg nicht besetzt werden. In dieser Zeit war es die enge Verbindung zum württembergischen Herrscherhaus, die dem Stift Oberhofen half, die monetäre Krise zu überwinden. Die Selbstauffassung Ulrichs V. von Württemberg als Schutz- und Schirmherr über die geistlichen Institutionen in seinem Regierungsgebiet ließen ihn erneut zum Initiator für päpstliche Mandate werden. Auf diesem Weg konnte das Stift in kurzer Zeit seinen Grundbesitz erhöhen: Im Jahr 1441 wurde Mühlhausen am Neckar in den Stiftsbesitz inkorporiert, 1446 dann die Ortschaft Ebersbach, 1448 Neckartenzlingen, 1456 Hattenhofen und im Jahr 1463 die Ortschaft Boll. Ein Jahr danach gliederte Papst Pius II. auch das in Boll gelegene Stift St. Cyriak an das Oberhofener Kollegiatsstift an. Die erfolgreiche Gütererwerbspolitik von Ulrich V. und den jeweils von ihm eingesetzten Stiftspröpsten, bis zum Jahr 1477 Karolus Sachs und anschließend Sifrid Schwigger, vermehrte zunehmend auch den Lehensbesitz des Stifts. Die daraus resultierenden Abgaben, ebenso wie die Verschreibung von Gülten und die Erhebung von Zinsen auf Grundstücken, sorgten für einen stetig anwachsenden Geldfluss in die Stiftskassen. Die enge Bindung an das württembergische Herrscherhaus blieb auch nach dem Tod Ulrichs V. bestehen. Immer wieder finden sich großzügige Schenkungen von hochrangigen Vertretern des Geschlechts und ihrer Angehörigen. So bedachte beispielsweise Margarethe von Savoyen in ihrem Testament das Stift Göppingen mit einer Schenkung von 100 Gulden, die man zum weiteren Bau an der Oberhofenkirche verwendete. Bis zur Reformation und der damit verbundenen Auflösung im Jahr 1534 galt das Stift Oberhofen als wirtschaftlich wohlhabend, die damals amtierenden Chorherren wurden mit umfangreichen Leibgedingen aus dem Stiftsdienst entlassen. Es dauerte bis zum Jahr 1552 bis man die Oberhofener Kirche als evangelische Pfarrei wieder nutzte. Stadtpfarrer wurde der Tübinger Universitätskanzler Jakob Andreä. Lediglich in zwei kurzen Zeiträumen, von 1549-1552 (Augsburger Interim) und von 1629-1644 (in Folge des Restitutionsedikts), wurden erneut katholische Gottesdienste in der Oberhofenkirche abgehalten. Weitere wichtige Ereignisse in der Geschichte des Stifts waren die Ansiedlung von Jesuiten ab dem Jahr 1639 auf Initiative der Erzherzogin Claudia von Tirol und die Zerstörung vieler Stiftsgebäude durch den großen Stadtbrand im Jahr 1782.
II. Zur Geschichte und Verzeichnung des Bestands: Der ehemalige Bestand 'Stift Göppingen', der bereits zu Zeiten von Karl Otto Müller die Bezeichnung 'A 510 - Stift Oberhofen' trug, bestand ursprünglich aus 21 Büscheln der Stiftsverwaltung Göppingen. Diese wurde nach der Reformation gegründet, um die Güter der aufgelösten Stifte St. Cyriak in Boll, welches bereits 1464 in das Stift Oberhofen integriert wurde, sowie die des Stifts Faurndau und des Stifts Oberhofen zu verwalten. Ursprünglich enthielten die Büschel Akten und Urkunden. Ihre innere Ordnung richtete sich nach dem Provenienzprinzip. Die ersten Büschel beinhalteten Urkunden und Akten zur inneren Stiftsverwaltung, darunter Privilegien und Rechtsdokumente, sowie Unterlagen zum Güterbesitz in der Stadt Göppingen selbst. Anschließend finden sich die entsprechenden Pendants zu den einzelnen Ortschaften, in alphabetischer Reihenfolge, die entweder gänzlich in Stiftsbesitz waren oder in denen man über Grundstücke und andere Güter verfügte. Aus dem Stiftsbesitz von St. Cyriak in Boll stammt die älteste (abschriftlich erhaltene) Urkunde des Bestands aus dem Jahr 875, die gleichzeitig die Ersterwähnung des Klosters und Fleckens 'Furentouua' darstellt (WUB I, Nr. 149 S. 175-176). Die zweite frühe Urkunde aus dem Jahr 1276, die das Patronatsrecht in der Pfarrkirche zu Ebersbach (WUB Bd. VII., Nr. 2557, S. 415-416) thematisiert, ist durch die Inkorporation der Ortschaft im Jahr 1446 in den Besitz des Stifts Oberhofen gelangt. Das anonyme handschriftlich erstellte Repertorium aus dem Jahr 1698 spiegelt die damalige Geschlossenheit des Bestands und die später vorgenommenen Bearbeitungsstufen wider. So finden sich viele Ergänzungen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Zu einem heute nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt selektierte man die Pergamenturkunden aus den Büscheln. Weiterhin wurden im Zuge der Erstellung der Württembergischen Regesten fast alle Urkunden, die zwischen 1300 und 1500 entstanden sind, in den Bestand A 602 überführt. Namentlich handelt es sich hierbei um die laufenden WR-Nummern: 8470-8500, 8502-8511, 8513-8517, 8519-8525, 8527-8533, 8535-8538, 8540-8545, 8547, 8548, 8550, 8552-8557, 8560-8563, 8565-8567, 8569-8574, 8576-8580, 8582-8587, 8589-8593, 8595-8598, 8600-8607, 8609-8614, 8616-8619, 8621, 8621a, 8623, 8625-8627, 8629, 8630, 8624, 8628, 8631, 8633, 8634, 8636-8639, 8641-8643, 8645, 8647-8657, 8659, 8661, 8663, 8665, 8667, 8670-8673, 8683a, 8684-8690, 8693, 8694, 8697, 8699-8702 und 8704-8708. Davon ausgenommen ist nur ein Zinsbrief aus Dürnau, der in das Jahr 1451 zu datieren ist. Nach diesen Extraktionsvorgängen wurde eine Neuzusammenstellung und Neusignierung der Büschel vorgenommen Bei der Retrokonversion und teilweisen Neuverzeichnung im November 2020 verfügte der Bestand A 510 über einen Umfang von 451 Urkunden und 22 Büscheln. Das entspricht einem Gesamtumfang von etwa 4,20 lfd. m. Seine Gesamtlaufzeit umfasst die Jahre 875, 1276, 1451 und den Zeitraum zwischen 1501 und 1807. Bei der Verzeichnung wurde die bestehende Aufteilung in Urkunden und Akten beibehalten. Auch die Sortierung der Urkunden entsprechend ihrer Provenienz erschien folgerichtig und sorgte, zusammen mit einer chronologischen Neusortierung, für eine übersichtliche Feingliederung des Urkundenbestands. Während der Verzeichnungsarbeit wurden die Angaben des Repertoriums übernommen. In den meisten Fällen mussten sie allerdings mit weiteren Informationen aus den Quellen angereichert werden, um potentiellen Nutzern eine adäquate Recherche zu ermöglichen.
Die noch verbliebenen 22 Büschel ließen sich lediglich grob systematisieren und wurden daher den Rubriken 'Verwaltung des Stifts Göppingen (allgemein)` und 'Verwaltung der dem Stift Göppingen gehörigen Ortschaften und umliegender Güter` zugeordnet. Durch die oben erläuterte Neuzusammenstellung der Büschel war deren inhaltliche Geschlossenheit nicht immer gegeben. Aus diesem Grund wurden sehr ausführliche Enthält-Vermerke angelegt. Weiterhin enthielten manche Büschel bisher nicht erfasste Urkunden, sodass einige Verzeichnungseinheiten nochmals untergliedert werden mussten. Inhaltlich dominieren bei den Urkunden hauptsächlich Zins- und Gültbriefe, sowie Lehensverschreibungen aus den einzelnen Ortschaften. Die Zinsen wurden in den meisten Fällen durch die Bewohner der Ortschaften gestiftet. In wenigen Fällen trifft man allerdings auf prominente Vertreter der Württembergischen Landesgeschichte. Im Jahr 1581 stiftete Oswald Gabelkover, Doktor der Arznei und württembergischer Hofmedikus zu Stuttgart, einen Urbarzins auf ein ihm gehöriges Haus in Göppingen zugunsten der Stiftsverwaltung. Weiterhin finden sich einige Verträge, Vergleiche und Privilegien unter den Urkunden. In der Zusammenschau eröffnet sich durch den Bestand ein differenziertes Bild von den starken wirtschaftlichen Verflechtungen der einzelnen Dorfgemeinschaften zum Stift Göppingen. Deren Verwalter fungierten als Lehnsherren und Kreditgeber, womit heutigen Forschern die Möglichkeit gegeben wird, die wirtschaftlichen Bedingungen des 16. und 17. Jahrhunderts und deren Protagonisten im Umland von Göppingen zu untersuchen. Im gleichen Maß eignet sich der Bestand für die Flurnamensforschung. Insbesondere in den Lehensverschreibungen finden sich detaillierte Beschreibungen von Höfen, Äckern, Wiesen und zum Teil auch Mühlen oder anderen Handwerksgebäuden. Der Bestand ist somit in einer besonderen Art und Weise dahingehend geeignet, die topographische Entwicklung der Ortschaften nachvollziehen zu können, nicht zuletzt durch die insgesamt 57 Skizzen von den Gütern der Stiftsverwaltung in Göppingen, Hattenhofen, Hochdorf, Hohenstaufen, Uhingen, Faurndau, Holzheim, Albershausen, Gausbach und Drackenstein aus dem Jahr 1803 (A 510 Bü 8/4). Die Akten enthalten größtenteils Verwaltungs- und Rechtsdokumente. Aus einzelnen Ortschaften haben sich Zinsbücher erhalten, jedoch meist nur fragmentarisch. Viel umfassender berichten die Dokumente über die geplante Ansiedlung einer Jesuitengemeinde in den Stiftsgebäuden und deren Versuche, einige Güter der Geistlichen Verwaltung Göppingen in ihren Besitz zu überführen (A 510/ Bü 8/9 und A 510/ Bü 8/10). Eine ebenso detaillierte Darstellung findet sich zu den Schäden an den Stiftsgebäuden und deren Wiederaufbau aufgrund des großen Göppinger Stadtbrands im Jahr 1782 (A 510 Bü 8 a), womit eine wichtige Ergänzung zur entsprechenden Überlieferung im Stadtarchiv Göppingen (StadtA Göppingen A4/h) gegeben sein könnte. Abschließend ist noch auf die militärische Umnutzung des 'Fruchtkastens', einem Speichergebäude auf dem Stiftsareal, hinzuweisen. Im Jahr 1799 legte man fest, dass dieses Gebäude zukünftig als militärisches Magazingebäude genutzt werden sollte (A 510 Bü 8/8).
Der Bestand 'A 510 - Stift Oberhofen' ist jedoch nur ein kleiner Teil der Überlieferung der Stiftsverwaltung in Göppingen bis zum Jahr 1806, die im HStA Stuttgart aufbewahrt wird und muss immer im Zusammenhang mit den Urkunden, die in den Bestand A 602 überführt wurden, betrachtet werden. Zur Erforschung der Stiftsgeschichte von Göppingen sind die geistlichen Lagerbücher von Stifts- (H 102/25) und Geistlicher Verwaltung Göppingen (H 102/26), die insgesamt 91 Bände umfassen, ebenfalls von Bedeutung. Die wenigen im Bestand von A 510 - Stift Oberhofen vorhandenen Rechnungsunterlagen können, zumindest für den Zeitraum ab 1687 durch die 3 Bänder der 'Geistlichen Zins- und Haischbücher des Stifts Göppingen' (A 468 Bd. 190-193) ergänzt werden. Weitere Informationen zur Stiftsverwaltung Göppingen finden sich im Bestand 'A 347 Göppingen G' und 'A 347 L' Stiftsverwaltung Göppingen.
III. Literatur: Mundorf, Martin: Kollegiatstift Göppingen - Geschichte. Online-Artikel auf 'Klöster in Baden-Württemberg', verfügbar unter: https://www.kloester-bw.de/klostertexte.php?kreis=&bistum=&alle=&ungeteilt=&art=&orden=&orte=&buchstabe=&nr=851&thema=Geschichte Plieninger, K.: Stadtschreiber, Leibärzte, Festungskommandanten. Altwürttembergische Ehrbarkeit in den Epitaphen der Oberhofenkirche Göppingen (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göppingen 28). Weißenhorn 1992. Plieninger, K.: Kirche und Chorherrenstift Oberhofen "außerhalb der Mauern der Stadt Göppingen" (1436-1537). In: Hohenstaufen / Helfenstein. Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen 10 (2000) 37-98. Reyle, M.: Evangelische Oberhofenkirche Göppingen. München/Zürich 1986.
- Bestandssignatur
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 510
- Umfang
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451 Urkunden, 22 Büschel (5,93 lfd. m)
- Kontext
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Archivtektonik) >> Altwürttembergisches Archiv >> Bezirksbehörden des Kirchenguts und der Universität >> Kloster- und Stiftsgutverwaltungen
- Bestandslaufzeit
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(875), 1276, 1451, 1501-1807
- Weitere Objektseiten
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Rechteinformation
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Es gelten die Nutzungsbedingungen des Landesarchivs Baden-Württemberg.
- Letzte Aktualisierung
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20.01.2023, 15:09 MEZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- (875), 1276, 1451, 1501-1807