Figur

Thronende Maria mit Kind und Evangelisten-Symbolen

Maria sitzt auf einer bemerkenswerten Thronbank, deren Seiten die Hochreliefs der Evangelistensymbole mit Schriftband schmücken: links Adler und Löwe, rechts Engel und Stier, wobei die jeweils hinten platzierten (Löwe und Stier) abgearbeitet und nur noch zur Hälfte vorhanden sind. Herausgehoben wird der Matthäusengel durch seine vordere Position und die erhobene Rechte, mit der er auf das Kind verweist und zugleich den Marienmantel zu halten scheint. Das Kind berührt mit der waagerecht ausgestreckten Linken das Kinn der thronenden Maria und vollführt somit eine intime Geste, während die Rechte, ähnlich ausgestreckt wie die des Matthäusengels, am Rand der Marienkrone liegt – ein Hinweis auf die Krönung Marias. Auch diese hieratische Haltung der Mutter darf man als Anspielung auf das repräsentativere Thema der Marienkrönung lesen. Die Skulptur vereinigt verschiedene Bildtraditionen und Themen in sich. Entgegen der im späten 13. Jahrhundert zunehmenden Tendenz, das bekannte Schema der thronenden Madonna mit Kind zugunsten einer Betonung der intimen Interaktion umzuwandeln, wird es mit repräsentativen Motiven und Allusionen angereichert. Die Evangelistensymbole sind fester Bestandteil der Majestas Domini in Weltgerichtsdarstellungen und treten nur selten in Verbindung mit thronenden Marien auf. Die Krönung durch das Kind findet sich bei zeitgenössischen stehenden Marienfiguren: bei der auch in anderer Hinsicht verwandten Muttergottes aus Roßtal bei Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum), die in Abhängigkeit von der Datierung des Gerichtstympanons an der Nürnberger Sebalduskirche um 1310/20 angesetzt wird, und der gleichzeitig entstandenen Maria in der Regensburger Niedermünsterkirche, die als Replik der Dienstbotenmadonna im Wiener Stephansdom gilt. Einzigartig ist die Kombination der Krönung mit dem um 1300 durchaus geläufigen kindlich-zärtlichen Griff ans Kinn der Mutter, der auf das Hohelied 2,6 („Seine linke Hand ist unter meinem Kopf und seine rechte Hand soll mich umarmen“) zurückgeht. In der Figur sind unterschiedliche Aussagen – Maria als Himmelskönigin, mystische Hochzeit und Inkarnation Christi – zusammengeführt, um dem eschatologischen Bildinhalt (Evangelistensymbole) einen stärkeren mariologischen Akzent zu geben. Das auffällig große Reliquienfach in Marias Brust spricht dafür, dass es sich um ein Altarbild gehandelt hat. Angesichts des repräsentativen Charakters und der komplexen Ikonografie darf man einen zentralen Ort annehmen, vielleicht den der Maria geweihten Hochaltar der Klosterkirche Oberzell. Die Skulptur lässt sich gut in die südostdeutsche und fränkische Kunstlandschaft einordnen, nicht zuletzt, da ihr Bildhauer wichtige Motive prominenter Marienfiguren kombiniert. Dabei handelt es sich ausnahmslos um stehende Madonnen. Einen weiteren Hinweis auf Herkunft und Orientierung des Bildhauers bietet der ungewöhnliche Blumenkranz im Haar des Kindes. Als Bekrönung der Muttergottes findet er sich bei der Maria aus der Ortenburgkapelle des Passauer Doms (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum) und der sogenannten Familienmadonna in der Wiener Minoritenkirche, beide nicht unumstritten um 1310 bzw. 1320/30 datiert. Viele der erwähnten Figuren, vor allem die beiden als herzogliche Stiftungen geltenden Wiener, dürften weit über regionale Grenzen hinaus bekannt gewesen sein. Für diese Gruppe von Marienfiguren in Wien, Regensburg, Passau und Franken wurde häufig eine Schulung an der Straßburger Skulptur des späten 13. Jahrhunderts (Westportale des Münsters) angenommen, wobei die Ausbreitung des Stils durch Migration von Ateliers oder Importe erfolgt sein. Die Oberzeller Maria zeigt jedenfalls, wie schnell sich im frühen 14. Jahrhundert Einzelmotive von führenden Bildhauerateliers in Süddeutschland ausbreiteten und von lokalen Werkstätten aufgenommen wurden. (Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)

Vorderseite | Fotograf*in: Dr. Tobias Kunz / Rechtewahrnehmung: Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin

Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International

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Standort
Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin
Sammlung
Skulpturensammlung (SKS)
Inventarnummer
2422
Maße
Höhe: 132 cm
Tiefe: 45 cm
Breite: 61 cm
Material/Technik
Schilfsandstein

Klassifikation
Figur (Sachgruppe)
Skulptur (Sachgruppe)

Ereignis
Eigentumswechsel
(Beschreibung)
Erworben 1898 von Dr. Adam Gottfried Ziegler in Würzburg. Dieser gab die Provenienz aus dem Prämonstratenserkloster Oberzell wenige Kilometer mainabwärts an.
Ereignis
Herstellung
(wo)
Würzburg

Rechteinformation
Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin
Letzte Aktualisierung
09.04.2025, 10:14 MESZ

Datenpartner

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Objekttyp

  • Figur

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