Bestand

B Rep. 142-01 Deutscher und Preußischer Städtetag (Bestand)

Vorwort: B Rep. 142-01 - Deutscher und Preußischer Städtetag

1. Behörden- und Bestandsgeschichte
Zu seinen wertvollsten Beständen zählt das Landesarchiv Berlin Akten des Deutschen und Preußischen Städtetages, des deutschen Gemeindetages und anderer kommunaler Spitzenverbände. Eigentümer dieser Archivalien ist nach wie vor der Verein für Kommunalwissenschaften e. V. Berlin, der sie allerdings 1968 durch einen Depositalvertrag dem Landesarchiv zur ständigen Aufbewahrung, zur wissenschaftlichen Aufbereitung und damit zur Bereitstellung für die Forschung übergab.

Die ersten Anfänge von verbandsähnlichen Gebilden unter den deutschen Städten stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, geboren aus dem Bewusstsein, durch Erfahrungsaustausch und gemeinsames Handeln die sich vor ihnen auftürmenden Probleme besser bewältigen und sich im Kräftespiel staats- und gesellschaftspolitischer Faktoren stärker behaupten zu können. Nachdem ein für den 22. November 1848 nach Berlin einberufenen preußischer Städtetag wegen des zehn Tage zuvor über die Stadt verhängten Belagerungszustandes nicht stattfinden konnte, und dann erst 1855 wieder in Berlin eine Versammlung höherer städtischer Beamter tagte, deren Beratungen durch die von der Obrigkeit erteilten strengen Auflage jedoch ohne Ergebnis blieben, sollte dann eine relativ lange Zeitspanne vergehen, ehe in den Städten wieder der Wunsch nach engerer Zusammenarbeit untereinander wuchs. (2) Der Staat vermochte diesem Bemühen zunächst überhaupt keine positiven Seiten abzugewinnen. So wandte sich 1879 Bismarck scharf gegen die Pläne des nationalliberalen Berliner Oberbürgermeistes von Forckenbeck zur Gründung eines Bundes deutscher Städte. (3) Ein erstes Treffen mit 72 Städtevertretern kam zwar zustande, blieb aber das einzige des geplanten Bundes.

Vor der Bildung eines das ganze Territorium des preußischen Staates umfassenden Städteverbandes erfolgten hier und da im übrigen Deutschland (Hannoverscher Städteverein 1866, Sächsischer Gemeindetag 1867, Thüringischer Städtetag 1869) wie auf Provinzebene in Preußen (Schlesischer Städtetag 1863, Brandenburgischer Städtetag 1873, Pommerscher Städtetag 1875, Westfälischer Städtetag 1876) bereits regionale Zusammenschlüsse. (4) Allerdings trafen sich die meisten dieser Landes- oder Provinzialstädtetage noch nicht kontinuierlich zu periodischen Tagungen; ebenso gaben sie sich Satzungen erst in den 90er Jahren des vorigen bzw. zu Anfang dieses Jahrhunderts. (5) Über ihren gemeinsamen Protest gegen die geplante Neuregelung der Volksschullehrerbesoldung 1895 fanden die Städte in Preußen denn endlich zu einer geschlossen Organisation. (6)

Auf einer am 8./9. Februar 1895 nach Berlin einberufenen Versammlung beschlossen auf Initiative der "Fraktion der Oberbürgermeister" im Preußischen Herrenhaus die Vertreter von mehr als sechzig größeren Städten die Gründung eines Preußischen Städtetages. Seine Konstituierung erfolgte ein gutes halbes Jahr später, am 29./30. September, im Stadtverordnetensaal des Berliner Rathauses durch Annahme einer Geschäftsordnung und Wahl eines Vorstandes, dem u.a. die Oberbürgermeister Zelle (Berlin), Becker (Köln), Bender (Breslau), Adolph (Frankfurt an der Oder), Westerburg (Kassel), Giese (Altona) und Stadtdirektor Tramm (Hannover) angehörten. (7) Obwohl schon bei den Verhandlungen im Februar die Forderung nach Gründung eines für alle Städte im Reich offenen Verbandes auftauchte, dauerte es noch bis 1902, ehe man sich während der Beratungen über den Zollgesetzentwurf in Berlin zu einer entsprechenden Versammlung treffen konnte. Dies war vor allem dem Bemühen des Dresdner Oberbürgermeisters Beutler zu danken, der mit verschiedenen Amtskollegen bereits über die Einstufung eines Deutschen Städtetages anlässlich der Städteausstellung in Dresden 1903 korrespondiert hatte. (8) Auf dem dann vom 1. bis 3. September jenes Jahres in der sächsische Metropole abgehaltenen Treffen beschlossen die 146 versammelten Städtevertreter unter Vorsitz von Berlins Oberbürgermeister Kirchner: "Der Vorstand des Deutschen Städtetages wird mit der Ermächtigung, sich durch Zuwahl zu ergänzen, beauftragt, die Vorbereitungen dafür zu treffen, dass die Abhaltung des Deutschen Städtetages zu einer dauernden Einrichtung werde, und den nächsten Deutschen Städtetag innerhalb spätestens drei Jahre einzuberufen". (9)

Alle weiteren organisatorischen Vorbereitungen übernahmen Beutler und der Vorstand des Preußischen Städtetages, vor allem die Ausarbeitung einer Satzung, die dann der 1. Deutsche Städtetag (10) in Berlin billigte, und mit der man sich die Aufgabe stellte, "die Wohlfahrt der ihm angehörenden Gemeinden, die gemeinschaftlichen Interessen der Städte zu wahren und die Kenntnis und Ausbildung der Verwaltungseinrichtungen untereinander zu fördern". (11) Als Mitglieder fanden alle deutschen Städte mit mindestens 25 000 Einwohnern sowie Gemeindeverbände mit einer städtischen Bevölkerung in der gleichen Größenordnung Aufnahme. (12) Neben der alle drei Jahre einzuberufenen Hauptversammlung gehörten zu den weiteren Organen des Städtetages der aus zwölf Mitgliedern bestehende Vorstand, der einmal jährlich zwischen Hauptversammlungen tagende Hauptausschuss, zu ihm gehörten der Vorstand sowie 24 durch die Hauptversammlung zusätzlich gewählte Vertreter und die Zentralstelle. Für ihre Leitung war satzungsgemäß "ein juristisch oder volkswirtschaftlich gebildeter Direktor" vorgesehen, den man im Berliner Magistratsrat Schalhorn fand, der die Geschäfte bis 1909 hauptamtlich, danach bis 1913 nur noch ehrenamtlich führte. (13) Erst die Schaffung einer hauptamtlichen Geschäftsführerstelle bei Preußischen Städtetag und ihre Besetzung mit dem Magdeburger Stadtrat Luther, dem späteren Reichskanzler (Januar 1925 - Mai 1926), führte auch beim Deutschen Städtetag zur Einrichtung dieser Funktion und schließlich zur Bildung einer gemeinsamen Geschäftsstelle. (14) Luther übernahm diese Ämter am 1. Februar 1913 bei Preußischen und zwei Monate später, am 1. April, beim Deutsche Städtetag und behielt sie bis zu seinem Ausscheiden am 30. Juni 1918.

Mit dem Amtsantritt Luthers wuchs das Gewicht des Städtetages, wurde die gemeinsame Geschäftsstelle zum Zentrum des kommunalen Verbandswesens. Lag anfangs das Schwergewicht der Arbeit noch beim Preußischen Städtetag, so verlagerte es sich doch sehr auf den Deutschen Städtetag, vor allem nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als Gesetzgebung und Verwaltung immer stärker vom Reich ausgingen und dessen Behörden sich in wichtigen Angelegenheiten an den Städtetag wandten. (15) Hauptversammlungen gab es während des Krieges nicht, lediglich tagte der Hauptausschuss hin und wieder einmal. Zur Unterstützung von Vorstand und Geschäftsführer und zur besseren Bewältigung der anfallenden Arbeit bildete man einige Fachausschüsse, engagierte spezielle Sachbearbeiter für Sonderbereiche und richtete eine kriegswissenschaftliche Registratur ein. (16) Im Vordergrund der Tätigkeit während der Kriegsjahre standen naturgemäß Fragen der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern. Neben der Mitarbeit des Vorsitzenden, des Geschäftsführers und anderer Vertreter des Städtetages in einer Reihe von kriegswirtschaftlichen Behörde entwickelte der Städtetag selbst auch eigene Initiativen, so u.a. bei der Einführung der Reichsbrotkarte oder bei der Ausdehnung der städtischen Nahrungsmittelwirtschaft. (17)

In der Zeit der Weimarer Republik erfolgte eine Reihe satzungsgemäßer und organisatorischer Änderungen, von denen anfangs die Schaffung eines Engeren Vorstandes zu den wichtigsten zählen dürfte. Nachdem in der Regel seit langem neben den zwölf Vorstandsmitgliedern auch deren Stellvertreter an den Sitzungen teilgenommen hatte, war 1914 die Zahl der ordentlichen Mitglieder einschließlich des Geschäftsführers auf 25 erhöht worden. (18) Da der Vorstand in den Kriegsjahre weder so häufig tagen noch sich intensiv genug um alle Einzelfragen kümmern konnte, ließ er Entscheidungen über bestimmte Probleme in Fachausschüssen (19) vorbereiten. Doch war damit zugleich fast zwangsläufig eine gewisse Schwerfälligkeit des Verwaltungsapparates im Städtetag verbunden, die der Vorstand mit der Konstituierung eines kleineren Gremiums, eben dem sogenannten Engeren Vorstand, zu überwinden hoffte. Dieser bestand nur noch aus dem Vorsitzende, Berlins Oberbürgermeister Böß, je drei Stellvertretern aus dem Preußische Städtetag - Ackermann (Stettin), von Bruchhausen (Trier) und Lohmeyer (Königsberg) - und dem Deutschen Städtetag - Blüher (Dresden), Adenauer (Köln) und Schmid (München) - sowie dem seit Oktober 1919 im Amt befindlichen gemeinsamen Geschäftsführer Mitzlaff. (20) Der 6. Deutsche Städtetag 1924 in Hannover beschloss eine weitere den Vorstand betreffende Änderung , als er die Zahl von dessen Mitgliedern auf 36 erhöhte, von denen jedoch bis zu zwölf sich aus den Reihe der Stadtparlamente rekrutieren sollten. Einer der ersten, die im folgenden Jahr die Wahl in den Vorstand schafften, war der Berliner Stadtverordnete und spätere Ober- und Regierende Bürgermeister Reuter. (21)

Durch die politische Neuordnung nach 1918 verloren die Kommunen nach dem Wegfall bestimmter staatlicher Institutionen, wie des Preußischen Herrenhauses, eine Teil ihrer früheren Einflussmöglichkeiten. Umso notwendiger erschien ihnen nunmehr einerseits die Mitarbeit und die Vertretung in neu geschaffenen staatlichen wie öffentlich-rechtlichen Verwaltungsorganen, so u.a. im Reichsrat und im Preußischen Staatsrat, dessen langjähriger Präsident Kölns Oberbürgermeister Adenauer war, und andererseits die Knüpfung enger Kontakte zur Ministerialbürokratie im Reich und in Preußen, um bereits im Stadium der Vorbereitung von Gesetzen, Meinungen und Vorstellungen des Städtetages zur Geltung bringen zu können. (22)

Als man 1925 auf Anregung Mitzlaffs eine Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen und des Preußischen Städtetages zur Gewinnung eines noch stärkeren Einflusses bei Regierungen, Parteien und gesellschaftlichen Organisationen beschloss, ließ dies auch gleichzeitig Überlegungen aufkeimen, den Geschäftsführer durch einen Stellvertreter zu entlasten. Die Suche nach einer entsprechenden Persönlichkeit führte dann aber schließlich zur Schaffung eines hauptamtlichen Ersten Vorsitzenden des Deutschen und des Preußischen Städtetages mit der Amtsbezeichnung "Präsident" und der Besetzung dieser Position mit dem Leiter Kommunalabteilung im Preußischen Innenministerium, Ministerialdirektor Mulert, sowie die Berufung des Stuttgarter Stadtrats Elsaß zum Vizepräsidenten und Geschäftsführenden Vorstandsmitglied. Mulert verstand es nicht nur, schon während der Gespräche um seine Ernennung das Amt des Geschäftsführers aufzuwerten, sondern auch in den folgenden Jahren als Präsident gegenüber den gewählten Vorsitzenden - Berlins Oberbürgermeistern Böß (1921-1930) und nachfolgend Sahm (1931-1935) - eine immer dominierender Stellung einzunehmen. Mit einer Aktivierung umfangreicher Kontakte zu politisch und gesellschaftlich relevanten Kräfte und erheblicher Intensivierung der publizistischen Tätigkeit schuf Mulert die Voraussetzungen für die zunehmende politische Bedeutung des Städtetages, der in weit über hundert Beiräten, Ausschüssen und Organisationen seine Belange vertreten konnte. (23)

Besondere Anstrengungen unternahm Mulert im Rahmen der von verschiedenen politischen Seiten angestrebten Reichsreform, um eine erheblich erweiterte kommunale Selbstverwaltung zu erreichen. Seine Ideen formulierte er zunächst auf der Hauptversammlung des Städtetages 1927 in Magdeburg in einem weithin beachteten Vortrag, worin er nicht nur eine generelle kommunale Neugliederung auf der Basis von Großgemeinden, sondern neben der Einrichtung einer Kommunalabteilung im Reichsinnenministerium und eines Kommunalpolitischen Ausschusses im Reichstag auch eine Vertretung der Städte im Reichstag verlangte. (24) Damit jedoch stieß er sogar bei einigen Vorstandskollegen auf Widerstand, und auch die Mehrheit der Hauptversammlung billigte in ihrer Entschließung letztlich nur eine abgeschwächte Form der Forderungen Mulerts. (25) Angesichts der Ende der 20er Jahre sich stetig verschärfenden innenpolitischen Situation war aber auch dies kaum noch durchzusetzen; den einzigen messbaren Erfolg mag man in der Bildung eines Kommunalpolitischen Ausschusses im Reichstag sehen, der als freier, nicht geschäftsordnungsmäßiger Ausschuss letztlich aber auch nur eine halbherzige Angelegenheit blieb. (26)

Doch im Vordergrund der Tätigkeit Mulerts standen die fortwährenden Differenzen über eine Verbesserung der Finanzlage der Städte, die in ihrer Handlungsfähigkeit durch immer neue Verordnungen im Zuge des Finanzausgleichs zwischen Reich, Länder und Kommunen aufs äußerste eingeschränkt blieben und wahrlich alle Mühe hatten, auch nur halbwegs die erforderlichen Mittel für die Erwerbslosenfürsorge aufzubringen. Gelang dies trotz immenser Schwierigkeiten noch immer irgendwie so änderte sich die Situation nach dem Sturz der Regierung Brüning am 30. Mai 1932 grundlegend. Unter der Kanzlerschaft von Papens und von Schleichers standen dem Städtetag die adäquaten Gesprächs- und Verhandlungspartner aus dem demokratischen Lager nicht mehr zur Verfügung, die, wenn auch nur notdürftig, zu helfen willens und im Stande waren. Am 3. Februar 1933 traf dann Mulert auf einer Vorstandssitzung in Berlin die resignierende Feststellung: "Eine Reichspräsidentenwahl, zwei Reichstagswahlen, die dritte steht vor der Tür, vier Reichsregierungen, Gesetzgebung nur noch im Wege der Notverordnung. So ist das Jahr 1932 recht eigentlich erst das Jahr des Zusammenbruchs der Gemeindefinanzen geworden…". (27)

Die Regierungsübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933, die Ereignisse der folgenden Wochen und die zahlreichen Amtsenthebungen leitender Kommunalpolitiker (28) beraubten den Deutschen Städtetag und die übrigen Spitzenverbände sehr schnell ihrer personellen Verankerung in den kommunalen Körperschaften wie auch damit der Legitimation, auf die sie sich zu berufen pflegten, und brachten ihre Tätigkeit außerhalb des harte Kerns der Geschäftsstellen nahezu zum Erliegen. Nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 meinten einige Spitzenverbände, durch organisatorische Umbildung und personelle Veränderungen die Gleichschaltungsforderungen der NS-Propaganda gleichsam unterlaufen und für die eigene Existenz das Schlimmste verhindern zu Können. Zeitweilig herrschte so ein gedämpfter Optimismus, dass die neue Reichsregierung ursprünglich gehegte Absichten zur Verschmelzung der Spitzenverbände in einer Einheitsorganisation wieder fallengelassen hatte. (29)

Offenbar zu ihrer völligen Überraschung erhielten die Vorsitzenden und Geschäftsführer der kommunalen Spitzenverbände am 20. Mai, einem Samstag, eine vom NSDAP-Organisationsleiter Ley ausgesprochene Einladung zu einem Gespräch über die Neugliederung des kommunalen Verbandswesens für den 22. Mai. Die kurze Frist der Einladung und der dazwischen liegende Sonntag schlossen vorherige Absprachen zwischen den Spitzen der Verbände aus. In Gegenwart von drei weiteren in der Kommunalpolitik halbwegs bewanderten Parteifunktionären verlangte Levy "namens der Partei" die Unterzeichnung einer Erklärung, die im Kern nichts anderes als die Auslieferung der Verbände an den mit der Bildung des "Deutschen Gemeindetages" als künftig alleinige korporative Vertretung der Kommunen Beauftragten der NSDAP - Oberbürgermeister Fiehler/München, zugleich Leiter eines Amtes für Kommunalpolitik in der Partei - zum Inhalt hatte. Vollzogen die Vorsitzenden vom Städtetag und Landkreistag sofort ihrer Unterschrift, so konnten die der anderen Spitzenverbände erst nach mündlichen, später natürlich nicht eingehaltenen Zusagen hinsichtlich möglichst geringfügiger organisatorischer Änderungen dazu bewogen werden. (30)

Nach Ende dieser Besprechung verkündete Fiehler im Rundfunk, dass "die… Gemeinden und Gemeindeverbände wieder zu lebensstarken, selbstverantwortlichen Gliedern des Staates" gemacht werden sollten. Doch ließ er kaum einen Zweifel daran, dass auch für die kommunale Selbstverwaltung keine Rettung vor der Wirklichkeit des NS-Staates möglich war. (31) Als politisch von besonderem Gewicht erwies sich dabei die Tatsache, dass mit dem Zugriff auf die Spitzenverbände auch deren Zugänge in eine Fülle anderer Organisationen und Institutionen für die Partei aufgeschlossen und von ihr besetzt werden konnten. Über den Städtetag gewann der "Deutsche Gemeindetag" die Vertretung in 74, über den Verband der preußischen Provinzen in 31 und über den Verband der preußischen Landgemeinden in 12 Einrichtungen, über die anderen Verbände in weiteren Beiräten, Aufsichtsräten, Ausschüssen und ähnlichen Gremien. Wohl kaum eine der anderen Gleichschaltungsaktionen vermochte in ähnlicher Weise schlagartig und widerstandslos ein derart großes Maß an Einflussmöglichkeiten in die Hände der NSDAP zu bringen. (32)

Im Rahmen der Gleichschaltung vereinnahmte der Deutsche Gemeindetag 1933 neben dem gesamten Vermögen der früheren Verbände auch deren Altakten und die laufenden Registraturen, wobei er von letzteren größere Teile in die neu einzurichtende Registratur übernahm und fortführte. Nach seiner Gründung residierte der Gemeindetag lange Zeit zunächst im Haus des Deutschen Städtetages in der Alsenstraße, bevor er im September 1942 in das eigene Domizil in der Berliner Straße 4-9, heute Straße des 17. Juni 112, übersiedeln konnte, mit dessen Bau kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges begonnen worden war und das zwischenzeitlich auch dem Reichsministerium für Bewaffnung und Munition sowie Teilen der Behörde des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt als Unterkunft gedient hatte. (33)

Nach der Kapitulation war der Deutsche Gemeindetag als Organisation der NSDAP durch das Gesetz Nr. 5 der Militärregierung in der amerikanischen und in der britischen Besatzungszone sowie einige Zeit später durch das Gesetz Nr. 2 des Alliierten Kontrollrates vom 10. Oktober 1945 auch in den beiden anderen Besatzungszonen aufgelöst worden. (34) Der Berliner Magistrat hatte bereits im Mai 1945 drei Sachwalter für den Gemeindetag bestellt, die dann seit dem August des gleichen Jahres der Aufsicht des von der britischen Militärregierung eingesetzten Custodian unterstanden. (35) Neben der Vermögensverwaltung und der Vorbereitung erster organisatorischer Schritte zur Bildung einer neuen kommunalen Spitzenorganisation (36) bestand die Aufgabe der Sachwalter vornehmlich in der notdürftigen Wiederinstandsetzung des im Kriege getroffenen Dienstgebäudes sowie in Ordnungs- und Inventarisierungsarbeiten, so u.a. in der Wiedernutzung von Bücherei und Archiv, was übrigens eine Hauptforderung des Büros für Eigentumskontrolle der britischen Militärregierung war. (37) Bis April 1947 gelang die Bergung und provisorische Aufstellung von rund 16 500 Akten. Die Neuordnung geschah in Anlehnung an die bereits vor 1945 bei der Altregistratur des Deutschen Gemeindetages geschaffene Gliederung nach fünf Sachgruppen, denen man nun noch eine weitere Gruppe, Akten der Sachwaltung, hinzufügte. (38)

Am 24. Oktober 1947 befahl das Büro für Eigentumskontrolle der Britischen Militärregierung die Auflösung der Sachwaltung des Deutschen Gemeindetages. So verblieben nur noch ein Sachwalter und drei Mitarbeiter für die Vermögensverwaltung des Kommunalwissenschaftlichen Instituts, des Allgemeinen Kommunalen Haftpflichtschadensausgleichs, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und des Internationalen Gemeindeverbandes. Im Juli 1952 erfolgte die feierliche Übwergabe des gesamten Vermögens wie des Hauses des Gemeindetages in der Charlottenburger Berliner Straße an den damaligen Präsidenten des 1946/1947 in den westlichen Besatzungszonen wieder gegründeten Deutschen Städtetages, Berlins Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter. (39) Die gesamte Archivalien der kommunalen Spitzenverbände und der in Berlin verbliebene Teil der Registratur des Deutschen Gemeindetages überließ der Städtetag dem Verein für Kommunalwissenschaften e. V. Berlin, der sie treuhänderisch für die heutigen kommunalen Spitzenverbände verwaltet.

Die von einigen Teilen der Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Gemeindetages 1943 bei ihrer Verlegung nach Wels in Oberösterreich mitgenommenen laufenden Registraturen befinden sich nach mancherlei Umwegen heute im Bundesarchiv in Koblenz. Ein kleinerer Bestand von Akten der ehemaligen kommunalen Spitzenverbände verschiedener Provenienz lagerte im Zentralen Staatsarchiv der DDR, Abteilung Merseburg (heute Bundesarchiv). (40) Akten verschiedener regionaler Städteverbände zählen heute zum Besitz einiger Staats- und Stadtarchive. (41) Der 1968 als Depositum des Vereins für Kommunalwissenschaften ins Landesarchiv gelangte Bestand B Rep. 142 Kommunale Spitzenverbände umfasst folgende Provenienzen:

1. Deutscher und Preußischer Städtetag
Organisationsakten 1896-1933 411 Bde.
Sachgebietsakten (1891-) 1906-1933 3875 Bde.
Kriegswirtschaftsakten 1913-1924 1280 Bde.

2. Verband der preußischen Provinzen
Organisationsakten (1892) 1920-1933 31 Bde.
Sachgebietsakten 1927-1933 361 Bde.

3. Deutscher und Preußischer Landkreistag
Organisationsakten 1916-1933 88 Bde.
Sachgebietsakten 1916-1933 742 Bde.
Kriegswirtschaftsakten 1916-1926 123 Bde.

4. Reichsstädtebund
Organisationsakten 1910-1933 124 Bde.
Sachgebietsakten 1921-1933 72 Bde.

5. Deutscher Landgemeindetag/Verband der
Preußischen Landgemeinden
Organisationsakten 1922-1933 82 Bde.
Sachgebietsakten (1910-)1921-1933 184 Bde.

6. Verband Rheinisch-Westfälischer Gemeinden/
Preußischer Landgemeindetag West
Organisationsakten 1901-1933 221 Bde.
Sachgebietsakten 1910-1933 283 Bde.

7. Deutscher Gemeindetag
Organisationsakten/Sachgebiets-
akten 1933-1945 8600 Bde.


Zur Repositur B Rep.142 gehören ferner Akte einiger anderer, 1933 aufgelöster bzw. mit dem Deutschen Gemeindetag gleichgeschalteter Verbände, Arbeitsgemeinschaften und Ausschüsse: Gutachterausschuss für das öffentliche Krankenhauswesen und Fachnormenausschuss Krankenhauswesen (388 Bde.), Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände für das Gesundheitswesen (5 Bde.), Reichsarbeitgeberverband Deutscher Gemeinden und Kommunalverbände e.V. (6 Bde.), Verband der Deutschen Städtestatistiker (32 Bde.), Hafenverband des Rheinstromgebietes (77 Bde.), Internationaler Gemeindekongress Berlin 1936 (63 Bde.), Internationale Binnenhafenkonferenz Köln 1937 (21 Bde.), Interessengemeinschaft kommunaler Elektrizitätswerke (77 Bde.), Verband der Deutschen Blindenanstalten und Fürsorgevereinigungen Hamburgs (1 Bde.).

Der vorliegende Teilbestand B Rep. 142-01 enthält nur die Organisations- und Sachakten des Deutschen und Preußischen Städtetages, die spezielle Registratur Kriegswirtschaftsakten wird als gesonderter Teilbestand B Rep. 142-02 geführt. Bei der Erschließung wurde die grobe Gliederung in Organisations- und Sachakten beibehalten, die innere Ordnung der Sachakten erfolgte auf der Grundlage des rekonstruierten Registraturplanes des Städtetages. Aus mancherlei organisatorischen, räumlichen und personellen Gründen musste an den alten Archivsignaturen festgehalten werden; nur in einigen Fällen wurde eine Vereinheitlichung vorgenommen; nur in einigen Fällen wurde eine Vereinheitlichung vorgenommen. Sofern alte Registratursignaturen vorgefunden wurden, sind sie in der rechten Spalte der Findbücher vermerkt. In der linken Spalte befinden sich die Archivsignaturen, nach denen die einzelnen Akten bestellt bzw. zitiert werden (z.B. Rep. B Rep. 142-01, Nr. 218 oder 1794/1).



Anmerkungen/Fußnoten:

1 Beim folgenden Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Beitrages von Volker Viergutz, Die kommunalen Spitzenverbände. Zu ihrer Geschichte und ihrer archivalischen Überlieferung, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 1983, Berlin 1983, S. 53-74. Einen ersten Bericht über diesen Bestand gab Christian Engeli in einem Kurzreferat allerdings bereits auf dem 51.Deutschen Archivtag in Berlin am 21. September 1977. Vgl. die knappe Zusammenfassung davon in: Der Archivar, 31. Jg. 1978, Sp. 39f; eine überarbeitete und erweiterte Fassung erschien dann unter dem Titel "Quellen zur Geschichte der kommunalen Spitzenverbände" in: Die alte Stadt, Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege, 5. Jg. 1978, Nr. 4, S. 409ff.

2 Vgl. Otto Ziebill: Geschichte des Deutschen Städtetages, Stuttgart und Köln 1955, S. 18f.

3 Ebda., S. 27f., sowie Stefan Schnell: Der Deutsche Städtetag, Bonn 1970, S. 11 (-Ämter und Organisationen der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 25).

4 Vgl. Ziebill, Geschichte des Städtetages, S. 13.

5 Vgl. dazu eine Übersicht im Landesarchiv (LA), Rep. 142, RGW A 235.

6 Vgl. Ziebill, Geschichte des Städtetages, S. 20f.

7 Vgl. LA, Rep. 142, St A 218, 219.

8 Ebdas., St A 330.

9 Vgl. Ziebill, Geschichte des Städtetages, S. 31f.

10 Mit der Zählung der Deutschen Städtetage war erst 1905 in Berlin begonnen worden.

11 Vgl. LA, Rep. 142, St A 353; Satzung des Deutschen Städtetages vom 1. Januar 1906.

12 Im Zuge der nach 1914 erforderlich gewordenen kriegswirtschaftlichen Maßnahmen wurden alle Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern gleichbehandelt und dementsprechend dann 1921 die Einwohnerzahlgrenze für die Mitgliedschaft auf diese Zahl gesenkt. Vgl. Christian Engeli: Deutscher Städtetag 1905-1975, in: Der Städtetag, 1975, S. 275f.

13 Vgl. Wolfgang Hofmann; Städtetag und Verfassungsordnung, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966, S. 8 (- Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften e. V. Berlin, Bd. 13).

14 Sie hatte ihren Sitz am Köllnische Park 8 in Berlin, später bezog sie Räume in der Poststraße 17, bis sie Ende 1925 in das eigene Haus des Deutschen Städtetages in der Alsenstraße 7 am Nordrand des Tiergarten umziehen konnte, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde; heute existiert nicht einmal mehr die Alsenstraße.

15 Vgl. Hans Luther: Im Dienste des Städtetages, Stuttgart 1959, S. 14ff (- Schriftenreihe des Vereins zur Pflege kommunalwirtschaftlicher Aufgaben e. V., Berlin, Bd. 4).

16 Ziebill, Geschichte des Städtetages, S. 40.

17 Luther, Im Dienste des Städtetages, S. 43, 48.

18 Vgl. Ziebill, Geschichte des Städtetages, S. 38; Hofmann, Städtetag und Verfassungsordnung, S. 30.

19 Laut Beschluss des Vorstandes aus dem Jahre 1920 existierten beim Städtetag folgende ständige Ausschlüsse; Ausschuss für Städteverwaltung; Ausschuss für Beamte-, Angestellten- und Arbeiterfrage (Personalausschuss); Finanzausschuss; Ausschuss für Siedlungs-, Grundstücks- und Wohnungsfragen; Ernährungsausschuss; Ausschuss für Armenpflege und soziale Fürsorge (später getrennt in einem Ausschuss für Wohlfahrtsfrage und einen für Arbeitsnachweis und Erwerbslosenfürsorge); Schulausschuss; Technischer Ausschuss; Brennstoffausschuss. Vgl. Ziebill, Geschichte des Städtetages, S. 46.

20 Ebda., S. 47

21 Ebda., S. 56; LA, Rep. 142, St A 225/1 (Brief Reuters vom 14. Februar 1925 mit der Mitteilung über die Annahme der Wahl).

Bestandssignatur
B Rep. 142-01

Kontext
Landesarchiv Berlin (Archivtektonik) >> B Bestände (West-) Berliner Behörden bis 1990 >> B 7 Organisationen und Vereine >> B 7.4 Kommunale Spitzenverbände

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22.08.2025, 11:21 MESZ

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